Samstag, 1. Dezember 2018

Impudenz des Monats November 2018


Und schon wieder einmal zeigt der Kalender eine „1“ - hohe Zeit für mich den Blödmann des Monats zu küren.

Den Preis gewinnt diesen Monat Friedrich Merz, der selbsternannte Retter Deutschlands!

Vor über 16 Jahren demütigte ihn Angela Merkel mit seiner Entmachtung, fast ein Jahrzehnt blieb er der Politik fern.

In dieser Dekade verstand sich der konservative Katholik ganz sicher auf’s Geldverdienen. Er kassiert jedes Jahr Millionen, diente den unethischsten Finanzspekulanten als Lobbyist, brachte es auf Steuerzahlerkosten über Cum-Ex-Dubiositäten zu zwei Flugzeugen.
Darin liegt übrigens der einzige Vorteil einer Merz-Kanzlerschaft.
Die notorisch unfähige und unterversorgte Flugbereitschaft der Bundesregierung, würde weniger zum internationalen Gespött beitragen, wenn der Regierungschef wie Donald Trump auf eigene Flugzeuge zurückgreifen könnte; eine Diamond DA62 und eine Socata TBM-910 gehören ihm.

[….] Mal raucht es in der Kabine, dann tauchen Mäuse in der Verkleidung auf, Triebwerke lassen sich nicht starten. Die Kanzlerin fliegt dann mit dem Truppentransporter, der Bundespräsident wartet im Biergarten auf die Reparatur, Minister buchen Linie. Und wenn die Maschine wieder startklar ist, wie nun auf dem Weg nach Buenos Aires, fehlt die Besatzung - Arbeitszeit überschritten.
Die Luftwaffe trifft keine Schuld, ihre Ausfallquote ist gering, aber sie verfügt eben auch über eine geringe Zahl von Maschinen und Mannschaften, um die bescheidenen Politiker wenigstens ans Ziel zu bringen. [….]  Der CDU-Bewerber und Kanzleraspirant würde seine Maschine selbst mitbringen. [….]
(Stefan Kornelius, SZ, 01.12.2018)

Immerhin hat Merkel es wieder einmal geschafft Deutschland zur „Komikernation“ zu machen.

[…] Argentiniens Präsident Mauricio Macri empfing Merkel mit offenen Armen, und seine Lippen schienen zu sagen: Schön, dass Du es noch geschafft hast. Allerdings war vor Ort auch das Erstaunen groß über die Odyssee der deutschen Kanzlerin. Schwer nachvollziehbar ist es nicht nur für die Gipfelteilnehmer in Argentinien, wieso Europas größte Volkswirtschaft es nicht gewährleisten kann, dass die Regierungschefin ohne derartige Probleme anreisen kann. [….]

Merkel ist schwer aus der Ruhe zu bringen; sie blieb freundlich, aß auf dem Iberia-Linienflug einen Yoghurt, schlief ein wenig auf dem Sitz und las ein Buch.
Dem standesbewußten Merz wäre das nicht passiert; er hätte schon längst einen Riesenaufstand veranstaltet und dafür gesorgt mit modernen Luxusfliegern versorgt zu werden.
(…….) Ich habe mich stets dafür eingesetzt, daß die Regierungsmitglieder einer der größten Industrienationen des Planeten selbstverständlich funktionierende Logistik-Struktur zur Verfügung haben müssen.
Sie brauchen moderne Flugzeuge, die schnell genug sind, lange Strecken bewältigen, technisch so ausgestattet sind, daß man vor Bord aus regieren kann und JA, verdammt noch mal, ein Kanzler muß auch die Gelegenheit haben sich im Flugzeug hinlegen zu können, sich zurück zu ziehen und frisch zu machen.
Ein Kanzler ist immer im Amt und soll schon aus Sicherheitsgründen die Flugbereitschaft und Kanzlerlimousine benutzen dürfen, so viel er/sie lustig ist.
Den Job übernimmt man nicht, damit man umsonst fliegen kann. Es ist ein absurder Ausdruck von teutonischer Extrem-Krämerseele, wenn man meint ein deutscher Minister soll sparsamer und weniger fliegen, als die Kollegen aus Frankreich oder Russland. Sie müssen bei Krisen immer und überall einsatzbereit sein. (Ich rede wohlgemerkt von der Regierung! Damit ist nicht gemeint, daß alle 700 Bundestagshinterbänkler auf Steuerzahlenkosten beliebig Dienstreisen in exotische Länder machen sollen.)

Merz, der auch im Herbst 2018 noch genau so einen Unsinn von sich gibt wie vor 15 Jahren, ist gedanklich seit seiner großen Zeit in der Bundespolitik einfach stehengeblieben.


[….] Jetzt sind Experten gefragt. Merz könnte Bundeskanzler werden. Ein Sprecher von Innensenator Andreas Geisel (SPD) wollte „nicht alles kommentieren“, was auf Regionalkonferenzen der CDU gesagt wird. Tom Schreiber (SPD), Fachmann seiner Fraktion im Abgeordnetenhaus für Polizeithemen, sagt: „Es ist immer problematisch, wenn der Merz im Dezember ausbricht. Der Vorschlag zeugt davon, dass Merz null Ahnung davon hat. Das kann man unter Klamauk verbuchen.“ [….]

Er sieht die Wirtschafts- und Sozialpolitik noch genauso durch die radikal neoliberale Brille wie vor 20 Jahren:
Sozialausgaben radikal kürzen, alle Regulierungen abschaffen, Steuerrecht ausmisten und massiv von unten nach oben umverteilen, damit die Unternehmer investieren.

So steht es auch in seinen Prä-Finanzkrise-Büchern „Mut zur Zukunft. Wie Deutschland wieder an die Spitze kommt“ (2002), „Nur wer sich ändert, wird bestehen. Vom Ende der Wohlstandsillusion“ (2004), „Mehr Kapitalismus wagen – Wege zu einer gerechten Gesellschaft“ (2008), in denen er Düsteres prognostizierte.

[…] Die Diagnose, die Merz in dem Buch [Vom Ende der Wohlstandsillusion] macht […]: Deutschland erlebe einen "historischen Niedergang"; die "Position der Exporteure auf den Weltmärkten verschlechtert sich ständig"; der Staat steckt in der "Schuldenfalle"; der Sozialstaat belohnt Faulheit; die "Überregulierung" des Arbeitsmarkts ist "schlicht eine Katastrophe", ebenso wie das böse Tarif- und Verbändekartell; die Lohnfindung ist "verkrustet"; dazu kommt, dass die Unternehmen ohnehin keinen einstellen, weil der Kündigungsschutz zu streng ist; unser Steuersystem ist schlechter als das von Gambia und Uganda; und überhaupt arbeiten wir zu kurz, und die Eliten verstehen nicht den Zusammenhang zwischen Leistung und Lohn; und die Gutmenschen haben uns zu bequem werden lassen.
Was es braucht, schien für Merz ebenso klar: die Deutschen müssen (fast) alle irgendwie verzichten. Und "länger arbeiten". Und flexibler. Und im Normalfall ohne Wohltaten vom Staat auskommen. Und ihre Rente am Kapitalmarkt gefälligst selbst verdienen. Für über 50-Jährige sollte es am besten gar keinen Kündigungsschutz mehr geben. Die Leute müssen ihren "Konsum beschränken" (damit - angeblich dann - mehr Geld für die Unternehmen übrig bleibt). Abgesehen davon braucht es weniger teure Beamte. Und weil "die Marktwirtschaft ihre Überlegenheit längst bewiesen hat", muss natürlich irgendwie (fast) alles den Märkten überlassen werden. [….]

Es gibt zwei Probleme an dieser hanebüchenen, einseitigen Sichtweise.

Zum einen hält Merz an diesen Rezepten und Prognosen bis heute fest und zeigt damit Starrsinn und Realitätsblindheit.
Zum anderen haben sich alle seine düsteren Unkenrufe als völlig falsch erwiesen. Nichts trat davon ein, obwohl Angela Merkel in 13 Jahren das Gegenteil einer Reformerin war und keine der radikalen Merz-Forderungen umsetze.
Hätte Merz Recht behalten, wäre Deutschland inzwischen untergegangen.

[….] Wenige Monate nach Merz' düsterem Gequassel über den angeblich so heillos verkrusteten Arbeitsmarkt begann die Arbeitslosigkeit in Deutschland zu fallen - bis heute fast ohne Unterbrechung. Und trotz des angeblich so furchtbaren Kündigungsschutzes haben deutsche Unternehmen mehr als fünf Millionen zusätzliche Stellen geschaffen.
All das, ohne dass sich in der kurzen Zeit noch viel geändert hätte, im Merz'schen Sinn. Kein radikal vereinfachtes Steuersystem. Keine Bierdeckelsteuerberechnung. Bis heute nicht. Im Gegenteil: im Frühjahr 2005 kündigte Gerhard Schröder Neuwahlen an, womit monatelang eigentlich nichts mehr groß entschieden wurde; und im Herbst - vor genau 13 Jahren - kam mit Angela Merkel die Kanzlerin, die das Nicht-groß-Reformieren zum Markenzeichen gemacht hat.
[….] Ein Teil der Forderungen, die Ultras wie Merz damals stellten, klingen mittlerweile bizarr, wo klargeworden ist, dass auch ohne Merz' Träume schon viel zu viel öffentliche Gelder gekürzt wurden - und jetzt überall die Infrastruktur kippt. Ziemlich gaga klingt im Nachhinein auch der damalige Befund, dass deutsche Exporteure angeblich immer weniger wettbewerbsfähig wurden (weil wir zu teuer und zu faul sind); dafür haben deutsche Exporteure zu viel Gutes zu bieten. In Wirklichkeit gab es schon zu der Zeit, als Merz sein Buch schrieb, einen historisch einmaligen Exportaufschwung.
Und wir haben in der Zeit, wenn überhaupt, zu wenig konsumiert, nicht zu viel, wie es Merz damals fehldiagnostizierte: sonst hätte Deutschland nicht seit Jahren jetzt dieses brisant gefährliche Ungleichgewicht zwischen Export und Import, das die nächste Krise auslösen könnte - und Donald Trump jetzt Vorwände für Wirtschaftskriegsspiele liefert. Ziemlich viel ökonomischer Unsinn. [….]

Das ist also das Wirtschaftssuperhirn, dem die CDUler nun begeistert nachlaufen?

Zehn Jahre Politik gingen an Friedrich Merz spurlos vorbei. Er klammert immer noch an seinen altbackenen und längst von der Realität widerlegten Rezepte und ist zudem auch noch polittaktisch so unfähig, daß er simple und vorhersehbare Attacken nicht parieren kann.
Rechte Publizisten wie Jan Fleischhauer geben sich große Mühe ihr einstiges Idol hochzuschreiben und AKK zu verhindern.
Aber schon nach wenigen Wochen dürfte der Öffentlichkeit klar geworden sein, daß Merz weniger das von SPRINGER gepriesene „Genie“ ist, sondern im Gegenteil ganz offensichtlich etwas schwer von Begriff ist.
Als Sozi kann ich nur begrüßen, wenn so einer CDU-Chef wird.