Der peinliche Eklat von Thüringen, der heute in Erfurt stattfand, war schon lange ausgemachte Sache, weil a) die amoralischen Thüringer Wähler die Nazi-Partei des Bernd Höcke zur stärksten Kraft machten und b) die dysfunktionalen heimlichen Höcke-Fans bei FDP und CDU in der letzten Legislatur nicht verantwortlich mit MP Ramelow zusammenarbeiteten, um das absehbare Desaster zu verhindern. Vielen Dank an die stramm rechte Merz-CDU.
[…..] Dass die CDU nicht ganz unschuldig an dem Spektakel dieses Tages ist, hatte die frühere parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Madeleine Henfling, am Abend zuvor dem MDR geschildert. Denn die Grünen hatten bereits im vergangenen Dezember einen Antrag gestellt, die Geschäftsordnung des Landtags klar so zu regeln, dass alle Fraktionen Kandidaten für das Amt des Landtagspräsidenten zur Abstimmung stellen können. Das habe damals die CDU abgelehnt. „Die Gewinnerin davon ist am Ende die AfD“, sagte Henfling. „Das hätte man alles verhindern können.“ […..]
Und so kam es, wie es in Höckestan kommen musste:
Die Nazis suchten sich eine besonders kriminelle Furie aus ihrer Mitte aus - Wiebke Muhsal, eine verurteilte Betrügerin.
Der AfD-Alterspräsident Jürgen Treutler dachte gar nicht erst daran, die Neutralität seines Amtes zu wahren und veranstaltete ein einziges Chaos, als die anderen Parteien nicht die Nazi-Frau, die dafür verurteilt wurde, den Landtag zu betrügen, zur Landtagspräsidentin wählen zu wollen.
[….] Eigentlich sollte das ein feierlicher parlamentarischer Moment sein. Das Wahlvolk hat gesprochen, die frisch gewählten Abgeordneten treten an, um in den kommenden fünf Jahren ihre Versprechen zu erfüllen. Stattdessen durfte das Publikum beobachten, wie ein von der AfD-Fraktion gesteuerter Alterspräsident aus deren Reihen stundenlang demokratische Beschlüsse von Abgeordneten blockierte, die von der Mehrheit des Volkes gewählt sind – jener Mehrheit, auf die sich die AfD sonst gern beruft.
Man konnte also die antidemokratische Haltung der AfD in einem beklemmenden Livestream besichtigen. Denn sie hat geradezu vorgeführt, dass ihr nichts an einem sauberen parlamentarischen Start in die neue Legislaturperiode lag, dafür umso mehr an der Desavouierung demokratischer Institutionen. Der Landtag sollte vorgeführt, die anderen Parteien sollten lächerlich gemacht werden.
Dass sich die AfD dabei als Opfer geriert, weil sie ihre vermeintlichen Ansprüche bei der Wahl einer Parlamentspräsidentin torpediert sieht, gehört zur Inszenierung. In Wahrheit gibt es einen solchen Anspruch nicht. Gewählt wird in der Demokratie mit Mehrheit. Die sonst übliche, aber eben nicht vorgeschriebene Zustimmung im Parlament war für die AfD-Kandidatin nicht in Sicht. Woran niemand außer der AfD selbst schuld ist.
Verantwortung für den unschönen Start tragen aber auch die übrigen Parteien. Die Regeln des Parlamentarismus stammen aus den ruhigen Zeiten eines demokratischen Konsenses. Man stritt über Inhalte, war sich aber einig über die Form des Streits. Diesen Konsens hat die AfD schon lange aufgekündigt, in der Absicht, demokratische Institutionen defizitär und hilflos aussehen zu lassen. Weil damit die Pegel der Demokratiegefährdung steigen, wäre Prävention notwendig gewesen – wetterfeste Regeln.
Doch obwohl solche Szenarien frühzeitig bis ins Detail prognostiziert worden waren, herrscht nicht nur in Thüringen eine bemerkenswerte Nonchalance. Geschäftsordnungen, Oppositionsrechte, die Wahl von Verfassungsrichtern – überall finden sich Ansatzpunkte für Systemsprenger. Die Lehre aus dem Erfurter Fehlstart lautet daher: Baut Dämme gegen Demokratiefeinde. So aber muss nun erst einmal der Thüringer Verfassungsgerichtshof die Rechtslage klären. [….]
(Wolfgang Janisch, 26.09.2024)
Wie so oft, besteht die größte Unerträglichkeit des Tages an der Vorhersehbarkeit der Katastrophe. Man konnte alles vorher wissen, wußte um die Schwächen der Landtags-Tagesordnung, die abscheuliche Nazi-Gesinnung der Höcke-Partei und ging doch sehenden Auges, ohne sich zu wappnen, ins Unglück.
[….] Die AfD blockiert in Thüringen die Wahl eines Landtagspräsidenten, im Parlament spielen sich tumultartige Szenen ab. Es ist ein neuer Tiefpunkt. Einer, den die anderen Parteien hätten verhindern können. [….] Das Erfurter Parlament hat schon einiges erlebt, zuletzt die völlig verrückte Wahl des FDP-Mannes Thomas Kemmerich zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten im Jahr 2020. [….] stag, wurde der Landtag erneut zum Tollhaus. Man kann die Situation ohne Zweifel als weiteren Tiefpunkt des Parlamentarismus bezeichnen. Erstmals hat die AfD in einem Bundesland vorgeführt, was es bedeutet, wenn sie eine Mehrheit erringt und damit ausgiebig spielt. Sie machte das Parlament zu einer Bühne, auf der nur noch eine Meinung gelten soll. [….] Denn Treutler macht, was die Partei ganz offensichtlich von ihm erwartet. Er ermöglicht der Höcke-Truppe das größtmögliche Schauspiel – unter zunehmend verzweifelten Blicken der restlichen Abgeordneten und ratlosen Besuchern. [….] Eigentlich soll ein Alterspräsident eine kurze Rede halten und dann die Tagesordnung abarbeiten. Aber Treutler redet und redet. Die anderen Fraktionen versuchen erfolglos, ihn zu stoppen. Anträge zur Geschäftsordnung laufen ins Leere, immer wieder stehen die Parlamentarischen Geschäftsführer wild gestikulierend vor dem Podium, während draußen vor dem Saal die Antifa und die »Omas gegen rechts« gegen den Rechtsruck demonstrieren.
Doch der alte Mann mit dem weißen Bart erweist sich als harter Brocken. Die CDU wirft ihm Parteilichkeit vor, vier Fraktionen klatschen, und Treutler sagt: »Ich hoffe, wir brauchen keinen Orthopäden für Ihre Hände.« Immer wieder wird Treutler von seinem Fraktionschef Björn Höcke und weiteren AfD-Funktionären mit diskreten Hinweisen und Handzeichen bedacht, die er dankbar aufnimmt und offensichtlich auch umsetzt. [….]
Thüringen ist nicht zu retten. Was da kommt, war klar und dennoch wählte die überragende Mehrheit des Urnenpöbels mit CDU, BSW und BSW Parteien, die für das xenophobe rechte Chaos stehen.
[….] Auch wenn Treutler behaupte, die Geschäftsordnung zu achten, ignoriere er sie, so der Vorwurf. Mehrfach hatte Treutler zum Beispiel versucht, Politiker:innen der anderen Fraktionen die Mikrofone abzustellen. „Sie missachten unsere Rechte als Abgeordnete“, warf ihm Janine Merz (SPD) vor. Mit seinem Agieren verhindere der AfD-Politiker die Selbstbestimmung des Parlaments. „Sie erklären dieses Parlament für unmündig“, kritisierte zum Beispiel BSW-Geschäftsführer Thilo Kummer. [….] Die CDU wollte einen Ordnungsantrag stellen, bevor der Landtag eine:n Präsident:in gewählt hat. So wollte sie wohl die Geschäftsordnung dahingehend ändern, dass von Anfang an alle Fraktionen Vorschläge einreichen können. Einen entsprechenden Antrag hatte die CDU-Fraktion gemeinsam mit dem BSW eingereicht. Doch schon den ersten Ordnungsantrag, die Beschlussfähigkeit des Landtags schnell festzustellen, wollte Treutler nicht zulassen.
[….] Treutler bekam keine Ruhe in das Parlament. Was Treutler mache, schade der Demokratie, weil er den Mehrheitswillen ignoriere, rief Andreas Bühl zwei Stunden nach Sitzungsbeginn und fuhr lautstark fort: „Ich verlange von Ihnen die Geschäftsordnung anzuwenden.“
Als sich BSW-Geschäftsführer Thilo Kummer einschaltete, verlor Björn Höcke, der AfD-Chef, völlig die Fassung: „Herr Kummer, Sie können doch nicht einfach das Wort ergreifen“, ergriff Höcke per Mikrofon einfach das Wort. Auch Bühl schien völlig fassungslos, als der Alterspräsident anfing, ihn und andere einfach zu ignorieren. „Was Sie hier treiben, ist Machtergreifung.“
Treutler selbst wirkte mit der Situation insgesamt überfordert. Immer wieder blickte er nach rechts, zu seiner Fraktion. Immer wieder eilten Torben Braga, der AfD-Geschäftsführer, und Stefan Möller, der AfD-Co-Vorsitzende, nach vorne, um sich mit Treutler zu besprechen. Nach etwas mehr als drei Stunden, als die SPD weiterhin auf ihr Recht bestand, einen Ordnungsantrag einzubringen, sagt er in sein Mikrofon: „Ich sehe, es kommt zu keiner Ruhe, ich unterbreche die Sitzung für fünf Minuten.“ Allerdings: Die anderen Fraktionen folgten ihm nicht.
Schon stehend wiederholte Treutler: „Die Sitzung ist unterbrochen.“ Auch Björn Höcke klemmte sich seine Mappe unter den Arm und ging, seine AfD-Fraktion folgte zögerlich. Einzelne blieben sitzen. Genauso, wie alle Abgeordneten der anderen Fraktionen. „Wir fordern den zweitältesten Abgeordneten auf, die Sitzung fortzuführen“, meldete sich schließlich Bühl zu Wort. Klopfen auf die Tische. Doch niemand regt sich. „Wir verlangen, dass unsere verfassungsmäßigen Rechte gewahrt werden und die Sitzung fortgesetzt wird“, schloss sich Katja Mitteldorf von der Linken an. [….] Es ist nur ein Vorspiel auf das, was die nächsten Monate bevorsteht. [….]
(David Muschenich, 26.09.2024)
Wir sollten das Bundesland dringend an Putin abtreten. Früher hätte ich „verkaufen“, statt „abtreten“ gesagt. Aber wer will sowas noch haben? Wir müssten Putin dankbar sein, wenn er es überhaupt nimmt. Oder draufzahlen.