Freitag, 28. November 2014

Der Minigott



Glücklicherweise bin ich kein Jurist.
Ich weiß auch gar nicht wie Juristen ticken. Nach meinen persönlichen Erfahrungen ist es aber so, daß in den Fällen, in denen man sich tatsächlich juristischen Rat einholt folgendes Muster abgespielt wird:
Der Nichtjurist denkt gründlich über einen Sachverhalt nach, überlegt welches aus logischen Erwägungen die einzig alle zufriedenstellende Lösung sein muß und erfährt am Ende, daß alles ganz anders ist und zwar so, wie es sich kein auch nur halbwegs vernünftiger Mensch hätte vorstellen können.
Warum etwas hochkompliziert und unvernünftig ist und scheinbar gezielt jeder Sinnhaftigkeit ausweicht, könnte ein Jurist erklären. Er tut es aber grundsätzlich so verschachtelt und verklausuliert, daß es dem Laien unverständlich bleibt.
Damit schützen Juristen ihr Herrschaftswissen. Jura ist nichts anderes als moderne Bibelexegese. Jurastudenten und Priesterseminaristen betreiben beide nichts anderes als Bibelkunde – nur mit anderen Bibeln.
Die Juristerei ist eine Zeitreise zurück ins 15. Jahrhundert vor Luthers Bibelübersetzung.
Da gab es auch nur ein maßgebliches Buch, das aber Ottonormalbürger nicht zugänglich war, weil es in der Geheimsprache Latein verfasst war.
Also waren die Bürger auf Interpretation durch die Pfarrer, welche als exklusive Sprachrohre fungierten, angewiesen. Sie waren die einzigen, die zur biblischen Verfassung Zugang hatten.
Genau verhält es sich heute mit bundesrepublikanischen Gesetzen. Wir müssen uns alle danach richten, können sie aber selbst nicht im Original lesen, weil sie absichtsvoll von Juristen im Jura-Rotwelsch abgefasst wurden.
Würde man Gesetze allgemeinverständlich, klar und nur auf eine Weise interpretierbar formulieren, wären Hunderttausende Juristen arbeitslos.
Etwas, das unnötig kompliziert und hochgestochen formuliert ist, kann dennoch sehr sinnvoll sein. Möglicherweise sind also unser Grundgesetzt und unser Strafgesetzbuch geistige Meisterleistungen. Aber wie sollte ich das wissen? Ich kann das Zeug auch nicht lesen, bzw verstehen.

Allerdings schnappt man auch als Laie einige Wahrheiten auf. Offenbar sind einige Gesetze dem Zeitgeist geschuldet und so unsinnig, daß sie eines Tages nur komplett gestrichen werden können.
Beispiele dafür sind der §175 und der §218.
Schwule und Mädchen, die abtreiben mußten, ins Gefängnis zu schicken, ist natürlich gaga.

Andere abzuschaffende Gesetze sind der Inzestparagraph § 173 StGB, der Gotteslästerungsparagraph 166 und auch der Volksverhetzungsparagraph 130 müßte etwas überarbeitet werden.

Das Instrumentarium um in unserem Rechtssystem missliebige Meinungen zu unterdrücken, ist ohnehin nicht ideal.

Da gibt es den § 130 (Volksverhetzung) des Strafgesetzbuches, der sicherlich ausreichte, um zum Hass aufstachelnde Fanatiker wie die vom braunen Kreuznet-Sumpf zu verurteilen. 
Man erwischt sie nur nicht.

Ein Youtube-Filmchen über eine fiktive archaische Figur zu drehen ist aber sicherlich nicht mit dem § 130 zu verbieten.

Dafür wollen Regierungspolitiker wie der homophobe Johannes Singhammer den Gummi-§ 166 (Blasphemie) missbrauchen und ihn so verschärfen, daß man jedwede Religionskritik verbieten und bestrafen kann.
 Die CSU geht also schon mal auf anale Tuchfühlung mit dem Blasphemie-Gesetzverschäfungsbrüllern aus den Reihen der katholischen Bischöfe.

Zurück ins Mittelalter also.

Anders als MSS schätze ich Heribert Prantl und Jakob Augstein oft, aber keineswegs immer. Augsteins letzte Anmerkungen zur Unschuld der Religion an den Mohammed-Film-Riots sind höchst einfältig und wurden auch entsprechend scharf von MSS zurückgewiesen.

Papst-Fan Prantl hatte heute aber wieder einen guten Tag, weil er im SZ-Kommentar kurz und knackig darlegte weswegen der § 166 weder verschärfbar noch konkretisierbar ist.
 Er gehört einfach nur abgeschafft.

Es ist blasphemisch zu glauben, man müsse Gott, Allah oder dem Propheten Mohammed einen deutschen Staatsanwalt zu Hilfe rufen. […] Der Paragraf 166 des Strafgesetzbuchs, den man antiquiert als Gotteslästerungs-Paragraf bezeichnet, ist lästerlich schlecht konzipiert. Er bestraft zwar nicht, wie in alten Zeiten, die Verhöhnung Gottes, sondern Religionsbeschimpfung - aber nur dann, wenn dies in einer Weise geschieht, "die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören".
Das ist gut gemeint, aber unpraktikabel. Denn so haben es die Anhänger der beleidigten Religion in der Hand, durch möglichst viel Aufruhr die Sache zur Straftat zu machen. Das ist legislativer Unsinn.
Der Vorschlag aus der CDU/CSU freilich, wieder zu dem Rechtszustand zurückzukehren, der vor 1969 bestand, ist noch unsinniger. [….]
Die Religionsdelikte gehören nicht verschärft, sondern abgeschafft.


Daß immer wieder rechtslastige Juristen und Bischöfe nach einer Verschärfung des „Gotteslästerungsparagraphen“ schreien, hängt mit ihrem eigenen unterentwickelten Gottvertrauen zusammen. Offenbar glauben sie ihre eigene Theorie nicht, wenn sie meinen, daß Gott auf bestimmte Strafrechtsparagraphen angewiesen wäre.

Ein Blitzableiter auf einem Kirchturm ist das denkbar
stärkste Misstrauensvotum gegen den lieben Gott.
Karl Kraus, öst. Schriftsteller


„In letzter Zeit war die Leistungsbilanz Gottes, was die Juden anbelangt nicht gerade überwältigend." 
Er könne nicht zugleich allmächtig und gerecht sein - denn wäre er es, hätte er Ausschwitz nicht zugelassen. Doch offensichtlich konnte er es nicht verhindern.

Und was ist wenn es einen Gott gibt, der Ausschwitz verhindern wollte, aber nicht konnte?
Auch dazu hat Bauer eine einfache Antwort: 

„Ein armer Kerl, der Unterstützung braucht, der sich seine Stärke von uns holen muß - einen solchen Gott brauche ich nicht!“

Die Deutschen organisierten Christen halten ihren Gott im Gegensatz zu Atheisten ebenfalls für so klein und schwach, daß sie es nachdem Gott 2000 Jahre lang auch ohne gesetzlichen Schutz auskam, nun plötzlich für absolut notwendig erachten den lieben Gott vor Lästerern zu schützen.
Der Mann wird ja auch nicht jünger.
Der ewige, allmächtige und omnipotente Gott könnte offenbar in Depressionen verfallen, wenn ein Frechdachs wie Tammox ihm sagte „Dich gibt es gar nicht!“

Nach den Attacken der beiden großen Doppel-M-Religioten (Martin Mosebach und Matthias Matussek) und des Christen des Tages Nr. 64, Prof. Robert Spaemann, wird der § 166 wieder heiß diskutiert.

"Es wird das soziale Klima fördern, wenn Blasphemie wieder gefährlich wird", schrieb Mosebach in einem Essay.   Er kritisierte Christen, die sich die Schmähung ihres Glaubens gefallen ließen. "Auch Bischöfe blicken verlegen zur Seite, wenn von Blasphemie die Rede ist, sie wollen sie bloß nicht wahrnehmen, um nicht Stellung beziehen zu müssen", schrieb Mosebach.
"Politisch werden wir es nicht hinkriegen"

Der berüchtigte Gaga-Paragraph, welcher Blasphemie unter Strafe stellt.
 Ein Homunculus unter den Paragraphen, denn er stellt eine abstrakte Sache nur in Abhängigkeit von dem Aufschrei der Religioten unter Strafe.

Das heißt; ein und dasselbe Vergehen ist mal strafbewehrt, mal nicht.

§ 166 Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen
(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Sage ich „Gott hat Hühneraugen“ und keiner steht auf, um zu versichern Gott habe wohlgeformte vollkommen Hühneraugen-freie Zehen, komme ich straffrei davon. 

Je mehr Vertreter der Gott-hat-makellose-Füße-Theorie sich aber empören und desto lauter sie dies tun, desto höher die Chance, daß ich in den Knast komme.

Gute Zeiten für Fundis, Irrationale und Krawallmacher - je hysterischer und exzessiver sie reagieren, desto eher bekommen sie ihren Willen.

Hätten Gott, Allah und Jahwe tatsächlich überzeugte Anhänger, wüßten diese, daß Gott nicht weniger allmächtig wird, nur weil ein Atheist dies behauptet.
Indem sie aber Gott zur potentiellen beleidigten Leberwurst herabstufen, demonstrieren sie, wie wenig sie glauben. 
Sie sind alle kleine Ratzingers, die sich lieber hinter Panzerglas verstecken und kleine Pfarrer, die lieber einen Blitzableiter gegen Gottes Blitze auf dem Kirchendach installieren.
Der Bamberger Bischof prescht vor.

Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick setzt sich für ein Gesetz gegen Blasphemie ein. "Wer die Seele der Gläubigen mit Spott und Hohn verletzt, der muss in die Schranken gewiesen und gegebenenfalls auch bestraft werden", erklärte Schick am Mittwoch in Bamberg. […] Gegen "heilige Personen, heilige Schriften, Gottesdienste und Gebete sowie heilige Gegenstände und Geräte aller Religionen" dürfe kein Spott und Hohn zugelassen werden.
Satire über religiöse Einstellungen und Gefühle stelle eine Verletzung der im Grundgesetz garantierten Menschenwürde dar, betonte der Erzbischof. Eine Gesellschaft, die das, was religiösen Menschen hoch und heilig sei, nicht schütze, schade sich selbst. Sie dränge einen Teil ihrer Bürger an den Rand oder sogar in den Untergrund, mahnte Schick. Christen müssten deshalb fordern, dass die "Person Jesu Christi, Gott der Vater, Maria, die Heiligen, die Hostie des Altarsakraments, die sakralen Gegenstände wie Kelche und Monstranzen, auch die Kirchengebäude und Prozessionen von unserem Staat geschützt werden".
Zugleich rief Schick die Gläubigen auf, auch selbst das Heilige heilig zu halten. Christen sollten deutlich machen, dass sie Verunglimpfungen ihrer Überzeugungen und Werte in Medien und öffentlichen Organen nicht hinzunehmen bereit seien.

Lästern verboten. Zurück ins Mittelalter.

Wir drehen und drehen und drehen uns im Kreis.
Sogar die alberne kleine Nuhr-Bemerkung, die einen Profiempfindlichen von 4 Millionen Muslimen, so aufregte, daß er den Mann juristisch stoppen wollte, taugt nun wieder dazu nach einem scharfen 166 zu kreischen.

GÄHN.

Es ist offenbar immer noch nicht verstanden worden. Die eigenen Neurosen können keine Schablone für ein entsprechendes Strafrecht sein.
Wenn einer etwas über des anderen imaginären Freund sagt, ist das auszuhalten.
Der arme Heribert Prantl muß genau wie ich immer wieder das gleiche schreiben….

[….] Man muss die Aufklärung verteidigen gegen eine Religionsauslegung, welche die Ausübung von Grundrechten für Blasphemie hält. Gewiss: Kritik an der Religion und Spott gegen die Religion können religiöse Gefühle verletzen. Aber die bloße Verletzung von Gefühlen ist nicht strafbar. Und die Strafbarkeit der Gotteslästerei ist längst abgeschafft. [….] Das Strafrecht hat, als es die sogenannte Blasphemie, die Gotteslästerung, im Jahr 1969 neu formulierte, einen Fehler gemacht. Es wollte die Strafbarkeit von Straftaten wider Gott und die Religion stark einschränken, es wollte nicht mehr die bloße Verletzung von religiösen Gefühlen bestrafen. Es hat daher die Strafbarkeit der "Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen" daran geknüpft, dass diese Beschimpfung "geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören". Die gut gemeinte Formulierung des Gesetzes führt aber zu einem schlechten Ergebnis: Sie führt dazu, dass es von der Militanz von Religionsanhängern abhängt, ob ein Spötter wider Gott und Religion sich strafbar macht oder nicht.
[….] Jegliches Religionsstrafrecht muss abgeschafft werden. Jegliche Kritik, jeglicher Spott darf sein - Grenze ist die Volksverhetzung. Bestraft werden muss, wer zum Hass gegen bestimmte Teile der Bevölkerung aufstachelt. Das ist strafrechtlicher Minderheitenschutz. [….]