Sonntag, 26. November 2017

Immer weiter



In zwei, drei Jahren, wenn Merkel länger Kanzlerin war als Adenauer und sich anschickt Helmut Kohl zu überholen, wird eine in Umfragen um die 18% mäandernde SPD mit ihrem Vorsitzenden, ihren Bundesministern und ihrer Fraktionsführung hadern.
Natürlich wird niemand wie Lafontaine 1995 einmarschieren, um mit stolzgeschwellter Brust den Laden zu übernehmen, weil es auf Landesebene leider keine jungen charismatischen Typen gibt, sondern nur blasse Verwaltungsbeamten, die bestenfalls wie Weil, Scholz oder Sieling ihr Bundesland anständig aber ohne zu glänzen regieren, oder schlimmstenfalls wie Müller Panne an Panne reihen.
Diejenigen, die sich wie Stegner, Groschek oder Schäfer-Gümbel bereits auf Länderebene in die Opposition geschossen haben, kommen ohnehin nicht in Frage.
Das wird so leicht werden für die Redaktionen von Neo-Magazin Royal, Extra 3 und Heute Show die SPD-Statements aus dem September 2017 – wir gehen in die Opposition, Groko kommt nicht in Frage – mit den 2019, 2020 regierenden SPD-Groko-Bundesministern zusammen zu schneiden und billige Gags über Glaubwürdigkeit zu produzieren.

Alles nur, weil Martin Schulz sich durch eine Reihe taktischer Ungeschicklichkeiten in diese NoWin-Situation manövrierte.

Man wird es der SPD verdammt übel nehmen, wenn in den nächsten Jahren weiterhin die soziale Schere auseinanderdriftet, die Vermögenskonzentration rasant zunimmt, während ein Millionenheer aus Pflegern, Krankenschwestern und Geringverdienern dauerhaft von der prosperierenden Wirtschaft abgekoppelt bleibt und man sich drauf einstellen kann als Rentner in Suppenküchen anstehen zu müssen, weil die Grundsicherung nicht ausreicht.

[….] Geiz macht arm[….]
    In weiten Teilen des Dienstleistungssektors schuften Menschen zu Niedriglöhnen: Paketboten, Altenpfleger, Kellner oder Verkäuferinnen bekommen weniger als vergleichbare Jobs in der Industrie.
    Verbraucher müssen auf die Qualität achten, und Politiker müssen Befristungen, Leiharbeit und Minijobs zurückdrängen. [….]

Man wird stinksauer auf die Sozis sein, wenn sie weiterhin zulassen, daß erstmals eine Generation heranwächst, der es finanziell schlechter geht als ihren Eltern.
Keiner wird verstehen wieso Andrea Nahles als Sozialministerin einfach den Fragen auswich, wieso es immer noch kein Rückkehrrecht von Teilzeit- und Vollzeitarbeit gibt.
Man wird die Fraktionsvorsitzende hart angehen, weil ihre Rentenpolitik zu Gunsten der Reichsten ging.
Die Jusos werden stinksauer sein, wenn es weiterhin ungebremst Waffenexporte mitten in die nahöstlichen Krisengebiete gibt, wenn Saudi Arabien mit diesen deutschen Waffen eine beispiellose humanitäre Katastrophe im Jemen auslöst und das obwohl seit Jahren SPD-Wirtschafts- und SPD-Außenminister im Bundessicherheitsrat sitzen und all das absegnen.
Ich werde zürnen, wenn ich als in Deutschland Geborener nach einem halben Jahrhundert immer noch nicht Deutscher werden kann und wie Millionen andere, die seit Jahrzehnten hier leben von Wahlen ausgeschlossen werde.
Ich werde es der SPD nicht verzeihen weiterhin den Familiennachzug auszusetzen und damit nicht nur gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, die UN-Kinderschutzcharta und das Grundgesetz zu verstoßen, sondern auch die Integration von Heimatvertriebenen entscheidend zu erschweren.
Polizisten und Sozialarbeiter werden nicht verstehen, wieso es in Deutschland mit einer SPD als Regierungspartei immer noch eine verfehlte, illiberale Drogenpolitik gibt, die Kranke bestraft und Dealer reich macht.
Humanisten und weitere 80% der Bevölkerung empören sich zu Recht, wenn mit den SPD-Stimmen inhumane quälerische und entmündigende Gesetze bezüglich des assistierten Suizids und der Patientenverfügung durchgedrückt werden.
Atheisten werden sich abwenden, wenn die Kirchen mit Protektion der Groko weiterhin ihr diskriminatorisches Arbeitsrecht behalten dürfen und mit Milliarden-Privilegien vom Steuerzahler überschüttet werden.
Umweltschützer werden Zeter und Mordio schreien, wenn nach den schwarzgelben Jahren 2009-2013 ausgerechnet ab 2014 mit einem Sozi-Energieminister und einer Sozi-Umweltministerin Deutschland auf Trump macht und sogar wieder mehr CO2 ausstößt.
Während die extrem wirtschaftsfreundlichen Regierungen von England und China mutig das Ende des Verbrennungsmotors einleiten und damit auf neue Technologien setzen, befindet sich die deutsche Regierung noch auf dem Stand der 1950er Jahre und propagiert immer größere und immer mehr Spritschlucker.

Sigmar Gabriel (* 12. September 1959 in Goslar), seit Dezember 2013 Stellvertreter der Bundeskanzlerin und seit Januar 2017 Bundesminister des Auswärtigen, grätschte ohne Not den eigenen Klimazielen wie ein Mini-Trump dazwischen.
Gabriel machte sich zu seinem Ministerabschied noch mal zum billigen Lobbyhansel der Autoindustrie und untergrub die weltweiten Klimaschutzbemühungen.

[…..] Gabriel setzt sich laschere Grenzwerte ein. Auch Außenminister Sigmar Gabriel passten die neuen Grenzwerte anscheinend gar nicht: Er beklagte in einem Brief an die EU-Kommission, dass solche Vorschriften die Innovationskraft der der Autoindustrie “ersticken” würden.
[…..] In dem Schreiben forderte Gabriel, die neuen Ziele zunächst bis 2025 zu überdenken und keine Strafen für Hersteller einzuführen, die die Vorgaben nicht einhalten.
Vor allem Quoten für Elektroautos, so fürchtet Gabriel, würden zu stark in den Markt eingreifen und so den Autoherstellern schaden. Die neuen Regelungen, schreibt der Außenminister, würden Nachteile für die deutsche Autoindustrie bedeuten, die “durch ihre langjährige Expertise und ihre Wettbewerbskraft (...) Arbeitsplätze sichert.” […..]

Bekanntlich braucht man beim Bau von umweltfreundlichen Autos ja keine Arbeitskraft, so daß dann alle arbeitslos werden. Und die paar Hunderttausend Kinder, die durch die gewaltige Stickoxidbelastung an Asthma und COPD leiden, sind für Gabriel genauso irrelevant wie die Myriaden Menschen, die in Folge des beschleunigten Klimawandels jedes Jahr sterben. Der Ex-SPD-Chef versteht sich lieber als Büttel der bewiesenermaßen kriminellen und raffgierigen Großindustrie.

Soll das die Erinnerung an die SPD-Regierungsanteile sein?

[….] Seit mehr als zwei Jahren schlingert Volkswagen durch den Abgasskandal, macht hier ein vages Versprechen, gelobt dort halbherzig Besserung. Doch ausgerechnet jetzt findet der Konzern seine Entschlossenheit wieder. VW torpediert, als wäre nichts geschehen, die neuen Abgasvorgaben der Europäischen Union. Das für sich wäre schon unverschämt – doch der eigentliche Skandal ist: Volkswagen hat mit seinen dreisten Lobbypositionen auch noch Erfolg. [….]
Und selbst der scheidende Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) entdeckte den VW-Pressesprecher in sich: "Mir ist es deshalb ein großes Anliegen, dass wir die Innovationskraft der Automobilindustrie nicht durch zu eng gestrickte EU-Gesetzgebung ersticken", schrieb er an Juncker. Es geht um weniger Autoabgase und bessere Luft – und Gabriel findet keine andere Metapher als ausgerechnet "Ersticken". [….]
(….)

Das wird die SPD alles gar nicht beliebt machen.
Demoskopen werden zuverlässig neue Tiefstmarken liefern und derart unter Druck wird Martin Schulz nur noch getriebener wirken und die auseinander strebenden Parteiflügel nicht unter Kontrolle bekommen.

Jusos und andere SPD-Linke ziehen daraus die Konsequenz lieber gleich in die Opposition zu gehen, einen auf Lindner zu machen, um sich nicht die Hände schmutzig zu machen.
SPD-Realos und Seeheimer hingegen betonen die überparteiliche Verantwortung für Bürger und Staat. Das Wohlergehen der eigenen Partei dürfe nicht den Interessen der Nation übergeordnet werden.
 Eine funktionierende Regierung Deutschlands wäre auch für internationale Politik unverzichtbar.

Beiden Denkansätzen basieren offenbar auf der gleichen Grundannahme. Das Regieren als Juniorpartner in einer GroKo bekommt der Partei nicht, man werde zwangsläufig wirtschaftsfreundliche Lobbypolitik machen und dafür von den Linken gehasst.

Ich plädiere allerdings für einen anderen Weg unter anderen Prämissen.
Ja, es kann sein, daß die politische Großwetterlage die Sozis gewissermaßen in eine neue Groko zwingt.
Jede Ausschließeritis ist daher falsch.
Eine Groko muss aber nicht zwangsweise schlecht sein; nach drei Jahren als Kanzler-Juniorpartner ging die Brandt-SPD 1969 (42,7%!) so gestärkt aus der GroKo, daß sie die CDU in die Opposition schubste und selbst den Kanzler stellte.

Voraussetzung dafür ist natürlich richtig gut zu regieren und mit Rückgrat die eigene Linie zu vertreten, statt heimlich in Brüssel oder im Bundessicherheitsrat die schmutzigen Dinge durchzudrücken.

Die SPD hat jetzt die Möglichkeit sich teuer zu verkaufen und der CDU entscheidende Fortschritte bei den oben genannten Punkten abzutrotzen.
Schluss mit Hinterzimmerdeals, beschönigenden Statements von Zickzack-Sigi und einer sich wegduckenden Nahles.
Wir brauchen keine netten Minister, sondern Durchsetzungsfähige.
Lauterbach statt Gröhe.
Und ja, als kleiner Partner kann man nicht alles durchsetzen (daher wäre eine Kenia-Koalition tatsächlich besser), aber wenn die Sozis bei einem Sachthema an der Union scheitern, also Glypohosat weiterhin genehmigt wird oder der Mindestlohn unterlaufen werden darf, dann soll jeweils die gesamte SPD-Ministerriege eine dramatische Pressekonferenz geben, in der dem Volk eingehämmert wird, daß Gesetz x oder Entscheidung y wegen des Koalitionsvertrages auf Druck der CDU so gemacht werden musste, daß aber die SPD in einer Alleinregierung anders entschieden hätte und zwar folgendermaßen a,b,c mit diesen konkreten Auswirkungen d,e,f für die Bürger.
Koalitionsvertragstreues Handeln, aber gleichzeitig offensive Kommunikation, die ununterbrochen anprangert was die Union aus SPD-Sicht falsch macht.

Wenn die Bürger ob der guten Regierungsarbeit und des für Frau Merkel brutalen Koalitionsvertrages deutliche Verbesserungen bemerken, wird die SPD im Jahr 2020 nicht bei 15, sondern bei 30 oder 35% stehen und dann wird sich auch niemand mehr an das „nie mehr Groko-Gejammer“ von 2017 erinnern.