In den Civey-Umfragen wird oft abgefragt, ob der Urnenpöbel annimmt, die Ampel werde bis zum Ende der Legislaturperiode halten. Eine knappe Mehrheit glaubt das nicht. Ich sage; da haben sich die Deutschen von den alarmistischen Beschreibungen in der konservativen Presse ins Panik versetzen lassen.
Bedauerlicherweise habe ich keine Zeitmaschine, um die Aussage zu überprüfen, aber anders als die Mehrheit der Bundesbürger, halte ich einen Kollaps der Scholz-Regierung für sehr unwahrscheinlich.
Schon allein, weil die politische Gesamtlage so schwierig und gefährlich ist, wie nie nach 1949, werden die bis zur Selbstaufgabe staatstragenden Sozis und Grünen nicht dazu neigen, schmollend hinzuwerfen. Es sind grundsätzlich viel seriösere Politiker, als die Maskendeal-Hallodris der CDU/CSU, die vor allem an ihr eigenes Portemonnaie denken.
Die politischen Hürden für Neuwahlen sind extrem hoch. Es gibt aber im Bundestag de facto keine alternativen Kanzlermehrheiten, weil sich die schwarzbraune Merz-CDU zu weit von Grünen und SPD entfernt hat.
Die recht stabilen Umfragen werden zudem bei SPD und FDP keinerlei Interesse an Neuwahlen auslösen. Nach Lützerath und einigen Baerbock-Patzern schwächeln nun auch noch die Grünen im Bund. Die Abgeordnetenhauswahl übermorgen wird mutmaßlich sehr unerfreulich für die Hauptstadtgrünen.
Die Grünen werden wissen, daß sie an der Seite von Merz, Linnemann und Söder erst Recht keinen Klimaschutz umsetzen können.
Ein weiterer Aspekt, der gegen einen vorzeitigen Regierungssturz spricht, ist die miese Stimmung im schwarzgelben Lager. Waren Merkel und Westerwelle noch „Wunschpartner“, die ihre 2009er Koalition als Liebesehe begannen, fühlen sich die Bräutigame Merz in Lindner immer weniger im siebten Himmel.
Dabei sieht es auf dem Papier gut aus. Die FDP setzt all die Multimillionärs-affinen antisozialen Schweinereien durch, die auch der Blackrockheuschrecke Merz gefallen. Selbst der zuvor halbwegs zurechnungsfähige FDP-Fraktionsvorsitzende Dürr geht, wider besseres Wissens zur Freude der AfD auf xenophoben Kurs. In der Heimat des Faschisten Bernd Höcke wiederholen CDU und AFDP ihren peinlichen Thomas-Kemmerich-Tanz, indem sie wieder ein schwarzbraungelbes Amalgam gegen die Demokraten bilden.
[…] Thüringen AfD, CDU und FDP verabschieden gemeinsam Änderung des Spielhallengesetzes. Thüringens rot-grün-rote Minderheitsregierung muss sich der Opposition beugen. AfD, CDU und FDP votierten gemeinsam für einen Gesetzentwurf der Liberalen. Es ist offenbar ein Novum in dieser Legislaturperiode. [….]
Im politischen Koordinatensystem liegen schwarz und gelb als so weit rechts und so nah zusammen, daß es ein perfektes Match geben sollte. Aber die Merz-Ploß-CDU verspielt diese theoretische Macht-Option durch ihre taktische und strategische Doofheit.
Der Bundesparteichef der Christdemokraten hat sich selbst nicht im Griff, wie man in der „Causa Flugzwerg“ exemplarisch beobachten konnte. Aus purer egoistischer Dummheit ruinierte Merz das Verhältnis zur FDP noch mehr.
Ähnlich plump geht der ultrakonservative Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Hamburger CDU Christoph Ploß vor. Der AfD-Fan ignoriert hartnäckig alle echten Probleme und schmeißt sich einer homophoben Leerdenkerin an den Hals.
[….] Ein unsägliches Zitat wird für die CDU Hamburg zum Problem: Die Partei unterstützt mit aller Kraft die Volksinitiative gegen das Gendern in Hamburgs Verwaltung – bei der Anmeldung der Ini hat deren Gründerin sich nun aber explizit homophob geäußert. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dennis Thering distanziert sich gegenüber der MOPO von der Mitstreiterin, der es längst nicht nur um das Gendersternchen geht. Sabine Mertens, Gründerin der Hamburger Volksinitiative gegen das Gendern, hatte bei der offiziellen Anmeldung im Rathaus am Dienstagnachmittag gegenüber dem Abendblatt erklärt: „Wenn wir jetzt alle schwul, lesbisch und trans werden, ist die Evolution am Ende.“ Die CDU, die mit Ole von Beust einst den ersten schwulen Bürgermeister Hamburgs stellte, reagierte prompt auf die absurde Verknüpfung von Gendersprache und der Befürchtung „Plötzlich werden wir alle schwul, lesbisch und trans“. [….](Stephanie Lamprecht, 08.02.2023)
Der „Verein deutsche Sprache“, der VDS, dem sich die Hamburger CDU verschrieben hat, ist nichts anderes als ein verlängerter Arm der Pegida. Matthias Matussek und Erika Steinbach sind Mitglieder.
[….] Walter Krämer ist auch ein „Lügenpresse“-Rufer. Er brüllt es den Journalisten nicht bei Demonstrationen entgegen, zumindest weiß man nichts davon. Er schreibt es in die „Sprachnachrichten“. Darin wettert er etwa gegen den „aktuellen Meinungsterror unserer weitgehend linksgestrickten Lügenmedien“ und die „Unterwerfung der Medien unter eine obrigkeitsstaatliche Einheits-Sichtweise der Dinge“ und gibt bekannt, dass er aufgehört habe, Zeitungen zu lesen. Walter Krämer ist Statistik-Professor an der Technischen Universität Dortmund und erster Vorsitzender des Vereins Deutsche Sprache (VDS). [….]
Die CDU gräbt sich ihr Grab selbst. Auch wenn FDP-Bundespromis wie Wolfgang Kubicki ähnlich unzurechnungsfähig-populistisch wie Ploß agieren, können die FDP-Bundeskabinettsmitglieder erkennen, wie wenig regierungsfähig die Merz-Partei ist.
Noch immer gibt es keinerlei CDU-Konzepte für die gegenwärtigen drängenden Fragen. Mit denen wird es nichts, schwant selbst Porsche-Minister Lindner.
[….] Union und FDP waren mal Verbündete. Doch nun watscht FDP-Chef Lindner CDU-Chef Merz öffentlich ab, andere Liberale machen mit. [….] In Bielefeld, beim jüngsten Parteitag der nordrhein-westfälischen FDP, hat Christian Lindner gesagt: "Wer pauschal über Sozialtourismus und kleine Paschas spricht, der kann keinen Führungsanspruch für das moderne Deutschland begründen." Und jedem im Saal war klar, der FDP-Chef meint damit Friedrich Merz. Deutlicher kann man kaum auf Distanz gehen.
In Berlin fällt derweil auf, dass sich FDP-Fraktionschef Christian Dürr besonders dann zu Zwischenrufen im Bundestag bemüßigt fühlt, wenn Merz spricht. Und dass sich Dürr auch sonst nicht um Zurückhaltung bemüht, wenn es um den CDU-Chef geht. Merz betreibe keine konstruktive Oppositionspolitik, klagt Dürr. Im Bundestag warf er Merz vor, ständig "Sprachbilder von Bob der Baumeister" zu benutzen. Es war nicht als Kompliment gemeint.
In Aachen wiederum hat gerade Marie-Agnes Strack-Zimmermann Aufsehen erregt. Bei der Verleihung des "Ordens wider den tierischen Ernst" bezeichnete die FDP-Politikerin den Hobby-Piloten Merz nicht nur als "Flugzwerg aus dem Mittelstand", den "zweimal keiner haben" wollte, weil er nur schwer zu ertragen sei. [….]