Der Hass auf Obama, der in den rechten US-Medien
verbreitet wird, ist für europäische Gemüter immer noch höchst erstaunlich.
Obama gilt als die Inkarnation des Bösen; keine
Schandtat, die ihm nicht zugetraut wird.
Es gibt in der radikalisierten manichäischen
Medienwelt Amerikas sicher viele Gründe, die diesen blanken Hass triggern.
Nach meinem Eindruck existieren aber drei
Kardinal-Ursachen.
Erstens ist Obama nur zur Hälfte weiß und gilt damit
als „schwarz“ (bei einem weißen und einem schwarzen Elternteil könnte er ja
eigentlich mit gleichem Recht als „weiß“ durchgehen).
Außerdem wird dem Aufsteiger sein Erfolg geneidet.
Obamas Vater stammt aus Kenia, die Mutter aus ärmlichen Verhältnissen und dann Rechtswissenschaftler
an der Harvard Law School, Herausgeber der Fachzeitschrift Harvard Law Review
und J.D.-Abschluss mit magna cum laude. Anschließend Abgeordneter und
US-Senator. Das verbittert einen ungebildeten Hillbilly aus dem Bibelbelt, der
es nie so weit bringen wird.
Drittens wird ihm ewig sein Satz über Religion und
Pistolen aus dem Vorwahlkampf gegen Hillary Clinton nachhängen. Das hätte ihn
um ein Haar die Präsidentschaft gekostet-.
Obama was caught in an uncharacteristic moment
of loose language. Referring to working-class voters in old industrial towns
decimated by job losses, the presidential hopeful said: "They get bitter,
they cling to guns or religion or antipathy to people who aren't like them or
anti-immigrant sentiment or anti-trade sentiment as a way to explain their
frustrations."
Der Guardian drückt es sehr bezeichnend aus; Obama
habe völlig untypisch kurz die Kontrolle über seine Worte verloren.
Ihm ist also etwas rausgerutscht, das er eigentlich
nie so sagen wollte.
Er brach ein klassisches Wahlkampftabu, indem er etwas
Wahres aussprach, das aber viele Wählerstimmen kostet und daher tunlichst von
einem, der noch gewinnen will, verschwiegen werden sollte.
Warum reagierten die Amis damals derartig gereizt auf
den Obama-Satz?
Einem frommen Christen, der wirklich zweifelsfrei an
Gott glaubt und aus voller Überzeugung der biblischen Lehre folgt, kann es
völlig egal sein, was jemand anders über seine Glaubensmotive sagt.
Daß sich Amerikas Strenggläubige bis heute über Obama
aufregen, ihn wahlweise als Antichristen, Muslim und Atheisten schmähen, liegt
vermutlich daran, daß sie zumindest unterbewußt wissen wie Recht Obama hat.
Die ewig zu kurz Gekommenen, die Elenden, die Doofen
hängen an Religion.
Unter amerikanischen Wissenschaftlern sollen hingegen
nur 5% religiös sein.
Wer die so gepriesenen „amerikanischen Werte“ lebt,
indem er durch Fleiß und Klugheit aufsteigt, sich neue soziale Schichten
erobert und finanziell abgesichert wird, hat Religion weniger notwendig.
Er kann auf die religiösen Einschränkungen – kein Sex
vor der Ehe, keine Gay Marriage, keine Verhütung, - immer mehr verzichten.
Wer sein Portemonnaie mit Geld und seinen Geist mit
Wissen füllt, kann die beklemmenden Fesseln der kirchlichen Regeln lösen, weil
er anderen Halt im Leben findet.
Er kann sich auf sich selbst und die eigenen
Fähigkeiten, die ökonomische Potenz stützen.
Wer aber nichts hat, ist verführbar für die einfachen
Lösungen der Religion.
Denn Religion nimmt einem das Denken ab, delegiert die
Sorgen und schafft ohne Zutun des Gläubigen das wohlige Gefühl etwas Besseres
zu sein.
Je höher der Bildungsstatus, desto weniger religiös
sind die Menschen.
Die „Jecken“, also die deutschstämmigen Juden in
Israel sind säkularer, weil es ihnen bis 1933 vergleichsweise sehr gut ging.
Sie waren so gut integriert und assimiliert, daß sie
sich gar nicht vorstellen konnten aus Deutschland wegzugehen, das Land wegen
ihrer tiefen Verwurzelung nicht verlassen wollten.
Die Aschkenasim, also aus Osteuropa stammende Juden in
Israel brachten hingegen metaphorisch gesprochen ihr Schtetl mit, da sie
ärmer und dadurch auch viel religiöser waren.
Die wirklich gefährlichen ultra-ultraorthodoxen Israelis
des Jahres 2015 zeichnen sich alle durch minimale Schulbildung und Armut aus.
Nur 50 km weiter im Hightech-Tel Aviv mit den gut
verdienenden Wissenschaftlern ist jüdische Religiosität hingegen kaum noch
bemerkbar.
Es ist immer derselbe Effekt.
Auch in der islamischen Geschichte kennen wir diesen
Zusammenhang. Als es den Bürgern in den beiden historischen Kalifaten (Bagdad und Córdoba) ökonomisch gut ging und hohe
Bildung angestrebt wurde, ging eine enorme Liberalisierung und auch
Säkularisierung damit einher.
Mit der prosperierenden Islamischen Gesellschaft ging
Freiheit einher.
Die Kalifen gewährten Juden und Christen nicht nur
Aufenthalt und Toleranz in ihren Reichen, sondern ließen sie sogar direkt bei
Hofe Karriere machen.
Das demokratische Prinzip stammt in Wirklichkeit von den Griechen und wird
wiederbelebt durch die Renaissance und die Aufklärung. Ohne die Renaissance
wäre die Aufklärung wahrscheinlich nicht zustande gekommen. Und die Renaissance
wäre wahrscheinlich nicht zustande gekommen ohne den enormen Einfluss des Islam
und dessen nahezu phantastische Übersetzertätigkeit. Aristoteles und die
anderen großen griechischen Philosophen haben wir ja in Europa dadurch
empfangen, dass in Bagdad und in Córdoba unter islamischer Oberherrschaft
gleichberechtigt nebeneinander Christen, Muslime und Juden riesenhafte
Übersetzerschulen gebaut haben, die die alten griechischen Autoren aus dem
Arabischen ins Lateinische übersetzten. Deshalb konnte Thomas von Aquin konnte
die alten Griechen auf Lateinisch lesen. Hoffentlich wissen die heutigen
Theologen das.
Der heutige „Kalif“, IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi
verhält sich diametral entgegengesetzt zu den historischen Kalifen, auf die er
sich bezieht:
Minimierung der Bildung und Entzug der ökonomischen
Existenz durch Zerstörung.
So kann er die intoleranteste, strengste Form des Islam durchsetzen.
Auf der anderen Seite
leisten die ultrapuritanischen IS-Dschihadisten heute auch ein gutes Stück
Verdrängung. Nicht nur Homosexualität wurde im historischen Bagdad goutiert.
Auch Wein.
Begrabt mich, wenn ich
sterbe,
am Stamme eines
Weinstockes,
damit dessen Wurzeln
in der Erde
meine Knochen tränken!
Begrabt mich nicht in
der Wüste;
denn ich fürchte, den
Wein
nicht mehr zu kosten,
wenn ich einmal
gestorben bin.
Der irakische Dichter
Abu Mihdjan, von dem diese Zeilen stammen, war im siebten Jahrhundert einer der
Begründer der reichen bacchischen Dichtung, welche das Abbasiden-Reich in Fülle
hervorbringen sollte; sein deutscher Übersetzer Gerhard Hoffmann nennt ihn
liebevoll einen "bekannten Zecher und Poeten". Heute lässt der IS in
seinem "Kalifat" echte oder vermeintliche Schwule mörderisch jagen,
Alkohol und Zigaretten sind bei Strafe verboten, Musik und Lieder "in
Autos, bei Feierlichkeiten, in der Öffentlichkeit sowie in Geschäften"
untersagt, wie den Bewohnern der irakischen Stadt Mossul im Januar 2014
mitgeteilt wurde, nach der Eroberung durch den IS.
So kann er die intoleranteste, strengste Form des Islam durchsetzen.
In Frankreich, Belgien und Deutschland gedeiht der extremistische Islam
auch genau dort, wo den Jugendlichen keine beruflich-sozialen Perspektiven
haben und ungebildet sind.
Als 100%iger Atheist bringe ich Verständnis dafür auf,
daß Menschen, die Jahrelang Terror und Bürgerkrieg erlebten, ihre materielle Existenz,
ja sogar oft Freunde und Verwandten verloren, sich verstärkt der Religion
zuwenden.
Das ist die einzige Struktur, die ihnen Hoffnung
verspricht, die man ihnen nicht nehmen kann.
Als Atheist wünsche ich mir, daß sich die Elenden
dieser Welt, die sich der Religion verschrieben haben, auch wieder davon lösen.
Genau das wird aber automatisch geschehen in dem Maße,
in dem sie beispielsweise in Deutschland ökonomisch Fuß fassen und sich Bildung
aneignen.
Schwer vorstellbar, daß ein Flüchtlingsnachfahr, der
wie Obama einen exzellenten akademischen Abschluss und eine gesicherte
beruflich-soziale Existenz aufweist, auf Dauer einer strengen Islam-Auslegung
anhängen wird.
Leider dauert das alles lange.
In Deutschland brauchten wir auch 70 Jahre, um von der
99%-Kirchenmitgliedschaft direkt nach dem Krieg auf die heutigen 62%
abzuschmelzen.
Es ist noch ein weiter Weg bis wir in Westeuropa die
Religionen endlich losgeworden sind.
Im unsichereren Rest der Welt wird es noch viel länger
dauern.
Gut möglich allerdings auch, daß sich Religioten nicht
nur im Oval Office Kontrolle über die „nuclear codes“ verschaffen.
In Jerusalem und Islamabad und P'yŏngyang sind jetzt
schon recht zweifelhafte Typen am Drücker der Atombomben.
Vielleicht erleben wir sogar in absehbarer Zeit, daß
Marine Le Pen die Force de frappe kommandiert.
Möglicherweise erlebt Homo Sapiens das Ende der
Religionen also nie mehr, weil Religioten vorher das Ende des Homo Sapiens herbeiführen.
Das wäre dann der ultimative Sieg Gottes über die
Atheisten.
Dann wären alle Seelen im Jenseits.