Samstag, 4. Januar 2020

40 sind viel

Den Überblick über die Kontaktanbahnungsseiten im Internet, die Datingshows im TV, penetrante Werber wie „Parship“, Vögel-Apps wie „Tinder“ habe ich längst verloren.
Offensichtlich gibt es im Jeder-kommuniziert-mit-jedem-Zeitalter nur noch einen Maßstab für menschliches Glück. Die Verpaarung.
Wer auf RTL nicht vor der Kamera kopuliert und ohne Rose/Partnerin/Krawatte bleibt, ist der Loser. Hat verloren. Muss in Schimpf und Schande den Kegel der Aufmerksamkeit verlassen.
Der Wert eines Menschen bemisst sich heute an seinem Beziehungsstatus, der weltweit abrufbar in den sozialen Medien als Monstranz präsentiert wird.
Und die subhumanen Rudimente, die durchs Paarungsraster fielen, sammeln sich schließlich in Depressions-Facebook-Gruppen, in denen sie alle Varianten der Wein-Emojis durchdeklinierend ihre Einsamkeit beklagen. Stets von anderen Einsamen bedauert, die ihnen versichern, der oder die Richtige warte noch auf sie. Nicht aufgeben, kämpfen.
Der Paarungs-Popanz zeigt sich schon in unserer drastischen Sprache. Wenn sich jemand scheiden lässt, gilt seine Ehe als gescheitert. Das ist nicht weit entfernt von „die Person ist gescheitert, das Leben ist gescheitert“.
Ein sagenhafter Unsinn, der Paarungen nur quantitativ misst. Vor 100 oder 200 Jahren scheiterten fast gar keine Ehen. Das lag aber weniger an den harmonischen Partnerschaften, als an der Rechtlosigkeit und Mittellosigkeit der Frauen, der gesellschaftlichen Ächtung.
Der Gatte konnte seine Angetraute verprügeln, vergewaltigen ohne daß sie die Möglichkeit gehabt hätte zu entkommen und so bis zum bitteren Ende bei ihm blieb. Das waren die glücklichen Ehen in der Zeit ohne Scheidungen.
Im 21. Jahrhundert haben Frauen gleiche Rechte und immerhin wurde vor gut 20 Jahren gegen die überwältigende Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion auch Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt.
Ginge es nach Merkel, Seehofer und Co hätten Männer immer noch das Recht gewaltsam Geschlechtsverkehr einzufordern. Die Zeiten sind aber wegen der Linksgrünversifften vorbei. Wird die Ehe zur Hölle, kann man, kann aber auch Frau gehen.
Da sich Menschen weiter entwickeln können Paare sich aber auch friedlich und in völliger Übereinstimmung trennen. In meiner Jugend wunderten sich meine Freunde noch darüber, wenn mein Vater zu Besuch war und den Tag lachend mit meiner Mutter verbrachte. Schließlich waren die beiden geschieden und hatten neue Partner.
Damals galt Scheidung noch als Makel und wenn es dennoch passiert war, hatte man sich dafür auch gegenseitig zu hassen. Meine Eltern pflegten zu sagen, sie hätten sich getrennt, bevor der Hass kam und so hatte ich immerhin in der Hinsicht eine harmonische Kindheit.
Inzwischen werden Scheidungskinder nicht mehr diskriminiert und immer mehr Menschen gehen entspannt mit ihren Exen um.
Eine Ehe ist eben nicht gescheitert, weil es irgendwann eine Trennung gab. Meine Mutter hat das vehement bestritten. Es war eine Liebesheirat und es waren wundervolle Jahre, so lange es dauerte. Es war also nicht nur keine gescheiterte, sondern eine erfolgreiche Ehe. Man kann auch mehrere erfolgreiche Ehen führen oder aber völlig gescheiterte Ehen führen, die nie geschieden werden und bis zum Tode andauern.
Unser vernünftigerer Umgang mit dem Thema liegt einerseits natürlich am begrüßenswerten Schwinden des kirchlichen Einflusses.
Wieviel Elend und Kummer haben Pfaffen durch ihre „bis daß der Tod euch scheidet“-Ideologie in die Welt gebracht. Welch brutalen Druckhaben sie durch die Einstufung des Ehebruchs als Todsünde auf Abermillionen Frauen ausgeübt? Wie brutal und herzlos ist eine christliche Ideologie, die bis heute Geschiedene ächtet? Die Scheidung als Kündigungsgrund und Kommunionsausschlussgrund ansieht? Welche Schuldgefühle und unerträglichen Gewissensbisse haben sie Milliarden Gläubigen durch ihren Sex-nur-in-der-Ehe-Wahn aufoktroyiert?
Die zölibatären Geistlichen sind Sadisten und sollten schon allein wegen ihres Eheterrors für immer Berufsverbot bekommen.
Glücklicherweise werden Pfaffen immer mehr ignoriert.
Jugendliche masturbieren nach Herzenslust, ohne unter Scham und Angst zu leiden. Erwachsene genießen Sexualität und Erotik vor, während und nach der Ehe – ganz ohne daß sie der Todesblitz aus dem Götterhimmel trifft.

Beziehungen in Großstädten wie Hamburg sind aber nicht nur wegen der geschrumpften Kirchen volatiler, sondern schlicht und ergreifend, weil wir es uns finanziell leisten können.
Der eingangs beschriebene Verpartnerungswahn auf allen Ebenen ist auch ein Werbekonstrukt. Eine Hoax.
Nur sehr wenige öffentliche Personen trauen sich gegen das Single-Tabu zu argumentieren. Ein löbliche Ausnahme ist die großartige Anja Rützel mit ihrem Buch „Lieber allein als gar keine Freunde“.Wenige trauen sich das. 99% der Multiplikatoren frönen dem Paarungsleitbild.
Ein Bild, daß offenbar insofern nicht stimmt, als bei finanziellen und räumlichen Möglichkeiten die Menschen nach Individualität und Alleinsein streben. In Hamburg und anderen Millionenstädten erreicht die Zahl der Single-Haushalte die 50%-Marke. Warum? Weil es möglich ist und man nicht mit anderen zwangsweise zusammenwohnen will, wenn man es sich auch leisten kann sein eigenes Apartment zu haben.
Als meine Eltern schon sehr alt und pflegebedürftig waren, hatte ich einen gewaltigen Grocery-Shopping-Jour Fix eingerichtet. Da lud ich mein Auto bis unters Dach voll, sortierte stundenlang von Waschmittel über Yoghurt bis zu Zeitschriften alles in Beutel unterschiedlicher Farben und klapperte dann drei Haushalte ab – meinen Vater, meine Mutter und schließlich meinen.
Fast jedes Mal, wenn ich die Einkäufe zu meiner Mutter hochschleppte, telefonierte sie gerade mit meinem Vater. Der hatte nämlich als Geront das Kochen für sich entdeckt, saß über den vielen Tüten mit Obst, Gemüse etc, die ich angeschleppt hatte und rief dann meine Mutter an, um sich Tipps und Erklärungen geben zu lassen, wie man beispielsweise Rosenkohl zubereitet. Das Gedächtnis war nicht mehr so toll und so brauchte es in der Regel vier, fünf Anrufe bis er alles verstanden hatte.
Einmal sagte ich scherzhaft zu meiner Mutter „da Ihr sowieso alles besprecht, wie wäre es, wenn er einfach wieder bei Dir einzieht? Das würde mir als Einkäufer das Leben erheblich erleichtern!“
Ihre Gesichtsfarbe wechselte in sehr ungesundes Grün und sie versprach mir in dem Fall sofort aus dem Fenster (im sechsten Stock) zu hüpfen.
Nach über 50 Jahren führten sie nämlich immer noch eine gute Beziehung, sie mochten sich, aber eben unter der Voraussetzung, daß jeder sein eigenes Leben führte und daher natürlich auch seine eigene Wohnung hatte.
Addierte man die Kosten für Heizung, Telefon, Versicherungen, Miete, Lebensmittel aller drei Haushalte (Vater, Mutter, ich), wäre man auf eine verdammt hohe Summe gekommen. Zwei von drei Autos hätten abgeschafft werden können. Ganz zu schweigen von den reinen Pflegekosten, die aufliefen. Natürlich hätten wir sehr viel billiger in einer gemeinsamen Bude leben können und zu anderen Zeiten hätten wir das auch machen müssen, weil es entweder finanziell nicht anders gegangen wäre oder nicht genug Wohnraum gegeben hätte.
Singledasein ist Luxus. Kann aber auch der Schlüssel zu Glück und Frieden sein.

Hamburg wird in 20 bis 30 Jahren die 2-Millionen-Bewohner-Marke erreichen. Nach 50 Jahren des Schrumpfens wachsen wir seit einigen Jahren stark
Zuletzt gab es 1964 so viele Einwohner wie jetzt – 1,85 Millionen.
Erstaunlich, denn ob der unzähligen Baumaßnahmen hält jeder Hamburger des Jahres 2020 die Stadt für so voll und eng wie nie. Macht sich Sorgen um Wohnraum, Parkplätze und Segregation.
Platzen wir aus allen Nähten?
Aber der Eindruck täuscht gewaltig. Vor einem guten halben Jahrhundert war Hamburg doppelt so voll – pro Quadratmeter gerechnet.
Die gewaltigen Neubaugebiete  Osdorfer Born (1967-72), Steilshoop (1969) und Mümmelmannsberg (1970-79) wurden mit ihren an die 40.000 Wohnungen erst später gebaut.

[…..] Anfang der 60er Jahre ging es Hamburg längst wieder richtig gut. Das zeigte sich auch an den Geburtenzahlen. Es wurden 27.738 Kinder geboren. Heute sind es nur 21.126 Jungen und Mädchen, die in der Stadt zur Welt kommen.
[…..] Auch wirtschaftlich brummte es. […..] Aber die Menschen mussten sich auf viel engerem Raum zusammenquetschen. Denn es gab 1964 rund 50 Prozent weniger Wohnungen. Während heute jeder Hamburger im Schnitt rund 40 Quadratmeter zur Verfügung hat, waren es in den 60er Jahren laut Statistikamt nur 20 Quadratmeter. Heute leben aber auch doppelt so viele Menschen wie damals allein. Und sie haben größere Wohnungen. […..]
1964 war das Boom-Jahr in Hinsicht auf die Hamburger Bevölkerung. Nie war die Stadt größer – doch sie schrumpfte bereits im Laufe des Jahres langsam. In den 70er Jahren dann zogen deutlich mehr Menschen raus aus der immer lauteren, engeren Stadt ins Umland. Heute wächst Hamburg wieder seit Jahren, zuletzt auch wegen der Flüchtlinge, die in die Stadt gekommen sind. […..]

Wäre der Verpartnerungswahn so groß wie uns suggeriert wird, würden wir so gerne in Gemeinschaft leben, könnten wir wieder zusammenrückten wie 1964. Dann stünden auf einen Schlag hunderttausende Wohnungen leer.
Der menschliche Instinkt geht aber in eine ganze andere Richtung – wir streben auseinander, nach Freiraum.
40 Quadratmeter pro Nase sind eine Menge, wenn man bedenkt, daß immerhin die knappe Hälfte der Haushalte mehre Köpfe zählen.
Vater, Mutter, Sohn – das macht 120 Quadratmeter.
Eine Familie mit drei Kindern teilt sich in Hamburg statistisch 200 Quadratmeter.
Das ist – zumindest aus der Sicht von 1964 – eine Menge Platz!