Dienstag, 27. Dezember 2016

Same procedure as…



Kaum einer war so gut auf eine Wahl vorbereitet wie Joschka Fischer 1998.
Systematisch hatte er sich über Jahre in die Details der Außenpolitik vergraben, ein Buch darüber geschrieben, sich als Oppositionsführer mit brillanten Reden profiliert und zudem auch noch mit einer radikalen Abmagerungskur äußerlich alles dafür getan oberster Diplomat Deutschlands zu werden.
Es klappte. Er wurde für sieben Jahre Außenminister und Vizekanzler mit gigantischen Zustimmungswerten und Anerkennung in aller Welt. Elf Jahre später zeigte ein an Außenpolitik desinteressierter und vorbereitungsfauler Westerwelle wie man mit denselben Ämtern eine gewaltige Bruchlandung hinlegt.
Westerwelle war zuvor nur Krawattenmann des Jahres 2001 gewesen und zu mehr fehlte ihm Zeit Lebens die Qualifikation.
Vorbereitung ist alles.

Wie man hört, unterzog sich Sigmar Gabriel vor zwei Wochen einer Magenband-OP. Nachdem er 1999-2003 dicker Ministerpräsident in Hannover, 2005-2009 dicker Bundesumweltminister und seit 2013 dicker Vizekanzler ist, scheint er also als Kanzlerkandidat 2017 rank und schlank antreten zu wollen.

Viele Spitzenpolitiker sind dick; das liegt in der Natur der Sache. Endlose Sitzungen, ständig Stress, extrem unregelmäßige Tagesabläufe, ungesunde Lebensweise. Da erfordert es schon besonders strapazierfähige Gene oder extreme Disziplin, wenn man so rank und schlank wie beispielsweise Obama bleibt.
Üblicher ist eigentlich die klassische Lachs-Figur à la Trump.
Viele Jahrzehnte störte sich auch niemand an adipösen Regierenden; im Gegenteil, die Superfettsäcke Erhardt, Strauß und Kohl strahlten Macht und Stärke aus.
Inzwischen hat sich das etwas verändert. Man assoziiert bei prallen Typen wie Altmaier Schwäche, unterstellt ihnen sich gehen zu lassen.
Wer nicht mit Witz, Charme oder Können überzeugt, versucht zumindest fit auszusehen.
Die pfälzische Wuchtbrumme Julia Klöckner hungerte sich 2013 fast 20 Kilo runter, um Ministerpräsidentin zu werden.

Während also der SPD-Parteichef seit der letzten Bundestagswahl offensichtlich unfähig ist das kontinuierliche demoskopische Abschmelzen seiner Partei mit inhaltlichen Positionierungen zu stoppen, versucht er sich nun auf anderem Wege neu zu erfinden.

Sollte es mit der Traumfigur klappen und Gabriel stünde im Herbst so dünn und perfekt angezogen wie Heiko Maas in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfes, könnte ihm das womöglich entscheidend helfen.
Man darf die Doofheit des Urnenpöbels nicht unterschätzen. Gut möglich, daß ihm für eine physische Metamorphose Respekt gezollt wird.
Mit Gewichtsproblemen können sich viele identifizieren.

Ich bin vielleicht ein bißchen altmodisch, aber eigentlich ist mir Gabriels Figur egal. Ich will schließlich nicht mit ihm ins Bett gehen.
Überzeugende Politik und ein gutes Wahlprogramm wären mir schon irgendwie wichtiger.

Aber in der Realpolitik kommt es immer auch auf taktische Fähigkeiten an. Das ist eben der Mist bei der SPD. Taktisch versagt sie sowieso immer.
Insbesondere in Wahljahren gibt sie sich die größte Mühe jeden Fettnapf mitzunehmen.
2013 war das Management selbst für SPD-Verhältnisse extraschlecht, weil die fromme Nahles den Wahlkampf organisieren sollte. Selbstredend missglückte ihr das in jeder erdenklichen Hinsicht. Die Kür des Kanzlerkandidaten (die Personalie Steinbrück sickerte Monate früher durch), das Wahlprogramm (nicht zum Kandidaten passend), der Wahlkampfslogan (von einer ausbeuterischen Leiharbeitsfirma geklaut) – kurzum; alles was Nahles anfasste, endete wie immer im Desaster.
Aber auch vor dem Wahljahr 2017 steuern Barley und Gabriel mit sicherem Instinkt in Richtung Klo.

Aber wie immer, wenn es um Macht geht, hat die Partei die Hosen voll und verfällt daher in den bekannten Hühnerhaufen-Modus.

[….] Alle vier Jahre widmet sich die SPD-Spitze einem sonderbaren Ritual. Zunächst versichern die obersten Genossen, sich in der Frage der Kanzlerkandidatur von nichts und niemandem unter Druck setzen zu lassen, sondern zu gegebener Zeit eine Entscheidung zu treffen. Es steigen dann allmählich Druck und Nervosität, bis am Ende alle Zeitpläne über den Haufen geworfen werden und es zur Sturzgeburt eines Kandidaten kommt. So war es vor den Wahlen 2009 und 2013. Und so könnte es nun wieder kommen.
[….][Die SPD sollte] mindestens den November abzuwarten, in dem Angela Merkel erklären könnte, ob sie noch einmal antritt. Stünde der SPD-Kandidat vorher fest, wäre er ein Herausforderer, der noch gar nicht endgültig weiß, wen er herausfordert. Doch die SPD tut gerade alles dafür, diesen von der politischen Vernunft vorgegebenen Zeitplan hinfällig zu machen.
Keine Woche vergeht derzeit, ohne dass Klagen über die Fehler und Schwächen eines möglichen Kandidaten Gabriel nach außen dringen. [….] Wenn das noch zwei, drei Wochen so weitergeht, dann hat die SPD einen beschädigten Vorsitzenden, der schon deshalb nicht mehr als Kandidat infrage kommt, weil endgültig hinterlegt ist, dass ihm nicht einmal die eigenen Leute vertrauen. Was wäre in dem Fall eigentlich, wenn Martin Schulz zwischenzeitlich zu dem Schluss kommen sollte, doch lieber in Brüssel zu bleiben? [….]

Der gelegentlich so kluge Mäandertaler Sigmar Gabriel, der sich einfach nicht entscheiden kann, wird es vermutlich auch dieses mal versaubeuteln. (…..)

Erstaunlich, immerhin haben es die Präsidiumskasper geschafft bis zur offiziellen Nominierung Merkels dicht zu halten.
Hannelore Kraft allerdings tat mit ihrem Geraune, sie wisse sowieso schon wer es werde, alles dafür, um ihre Partei zu blamieren.
Es macht die SPD; mittlerweile in Umfragen wieder aus blamable 20% weggesackt; sympathisch, daß sie kein Kanzlerwahlverein ist, der ohne zu murren alles schluckt, was der Parteichef vorgibt.
Mir gefällt der sozi-immanente anarchische Impuls. Die Mädels und Jungs sind nicht auf den Mund gefallen. Unvorstellbar, daß sie wie ein CDU-Parteitag nach einer ultralahmen Rede einer Vorsitzenden, deren Kurs ohnehin alle ablehnen, dennoch 15 Minuten Standing Ovations mit Messer in der Tasche folgen könnten.

So ganz ohne Disziplin geht es allerdings auch nicht. Aus Angst vor dem Wahl-Tod im Herbst 2017 den eigenen Vorsitzenden in den Suizid zu treiben, ohne daß eine Alternative ins Sicht ist, sollte man nicht tun, wenn man irgendwann mal wieder eine Bundesregierung führen will.

Am liebsten ist es der SPD, wenn sie nicht regiert. Also tut sie alles, um Gabriel als Kanzler-Kandidaten zu demontieren.
Wer an die Macht will, muss die Macht wollen. Die deutschen Sozialdemokraten wollen sie eindeutig nicht. Jedenfalls nicht auf der nationalen Ebene, denn hier ist die Oppositionsrolle traditionell ihre optimale politische Daseinsform. Hier fühlen sie sich wohl, hier sind sie zu Hause. Grundsätzlich gilt das zwar für alle organisierten linken Bewegungen. Aber keine von ihnen hat eine derart gründliche oppositionelle Sozialisation hinter sich wie die SPD. […..]
Und weil die CDU, deren Gründung mit der Geburt der Bundesrepublik im Jahr 1949 zusammenfällt, von Anfang an den Anspruch erhob, dass nur sie fähig, wenn nicht sogar legitimiert sei, in Bonn beziehungsweise Berlin zu regieren, fiel es den Genossen auch besonders leicht, nach dem Krieg genau dort weiterzumachen, wo sie 1933 hatten aufhören müssen: in der Opposition.
Wobei die Oppositionsrolle von keiner zweiten Partei so großzügig interpretiert wird wie von der SPD. Die Juniorpartnerrolle in einer großen Koalition, in die sich die SPD von 1966 bis 1969, von 2005 bis 2009 und jetzt wieder seit 2013 spielend leicht einfand, ist aus Sicht vieler Genossen die ideale Variante der Opposition. Denn hier kann man an der Machtausübung mit allen ihren Privilegien partizipieren, ohne sich vor den Augen der staunenden Öffentlichkeit selbst zerlegen zu müssen.
[…..] Ähnlich ergeht es jetzt Gabriel. Anders als seine beiden Vorgänger in der Kandidatenrolle will er tatsächlich ins Kanzleramt. […..] Nein, der Mann ist für viele Genossen erledigt, seit er sie wissen ließ, dass er nicht nur Vorsitzender zu bleiben, sondern auch ins Kanzleramt einzuziehen gedenkt. Dabei können sie sich eigentlich ziemlich sicher sein, dass ihr Vorsitzender sein Ziel so oder so nicht erreichen wird: Die politische Mitte, einst von Willy Brandt entdeckt und jetzt von Sigmar Gabriel erneut ins Visier genommen, ist längst durch die CDU besetzt.
Um aber ganz sicherzugehen, rollen die innerparteilichen Gegner ihrem Vorsitzenden einen Stein nach dem anderen in den Weg, sie ermutigen zum Beispiel Martin Schulz, seinen Hut in den Ring zu werfen. […..]