Freitag, 26. Juni 2015

Steilvorlagen verwandeln.

Manchmal haben Parteien einfach unverschämtes Glück.

Zum Beispiel 1988/89 als die CDU so abgewirtschaftet hatte, daß die eigenen Leute den tumben Kohl beim Bremer Parteitag im September 1989 stürzen wollten. Lothar Späth nässte sich überraschend ein, zog seine Gegenkandidatur zurück. Kohl gelang es seinen Widersacher Geißler zu stürzen und zurück blieb eine völlig orientierungs-, plan- und lustlose CDU, die sich verzweifelt fragte, wie es mit der Inkarnation des Reformstaus als Kanzler bloß weitergehen könne.
Wenige Wochen später implodierte die DDR und Kohl brauchte nur die Ernte einfahren. So blieb er im Einheitsrausch weitere acht Jahre Kanzler – dank der Ossis.

Kohls Nachfolger Schröder hatte auch einmal Glück. Nicht ganz so extrem wie die CDU 1990, aber auch 2002 halfen ihm äußere Umstände, die er nicht beeinflussen konnte, sich ins rechte Licht zu setzen: Das Nein zum Irakkrieg und das vorbildliche Handeln bei der Oderflut machten es möglich. Um ganz präzise zu sein, müßte man allerdings eher das Versagen der CDU/CSU als Ursache für Schröders Wahlerfolg von 2002 nennen: Stoiber wollte sich im wahrsten Sinne nicht die Füße schmutzig machen; kümmerte sich nicht um die Flutopfer in Bayern. Und wieso die gesamte Union so begeistert an der Seite GWBs stand, um in einen illegalen Angriffskrieg zu ziehen, kann sie bis heute nicht erklären.

Die Kernschmelzen von drei Reaktorblöcken in Fukushima am 11. März 2011 waren wieder so eine Steilvorlage. Diesmal für die Grünen, die noch nie dagewesenen Rückenwind für die Wahl in Baden Württemberg am 27. März 2011 erhielten.
Am 28. Oktober 2010 war Bundeskanzlerin Merkel aus dem Atomausstieg ausgestiegen und hatte großzügige Laufzeitverlängerungen für die AKWs durchgesetzt. Ministerpräsident Mappus galt zudem nicht nur als glühendster Atom-Fan unter den CDU-Größen, sondern hatte auch noch in einem halbseidenen Coup am Parlament vorbei ohne haushaltsrechtliche Grundlage Ende 2010 für knapp fünf Milliarden Euro den Atomkonzern EnBW aufgekauft.
In der Parteizentrale der Grünen in Stuttgart müssen unablässig die Sektkorken geknallt haben. Die Wahl war gar nicht zu verlieren.

Auch die von Steinmeiers Narkolepsie-Wahlkampf 2009 in beispiellose Tiefen geschrumpfte SPD bekam Geschenke.
Ende 2009 orakelte man über das Ende der SPD, die sich fast auf demoskopischer Augenhöhe mit Westerwelles kraftstrotzender 15%-FDP befand.
Merkel hatte nun endlich ihre schwarzgelbe Wunschkoalition mit breiter Mehrheit und konnte durchregieren.
Kaum einer konnte sich vorstellen, daß das CDU-FDP-Wunschprojekt binnen kürzester Zeit zu einer Wildsau-Gurkentruppe-Chaotengang mutieren würde.
Der SPIEGEL druckte eine Titelgeschichte mit dem flehenden Titel „AUFHÖREN“.
Von 2009 bis 2013 amtierte unstrittig die schlechteste Regierung, die Deutschland seit 1945 hatte.
Ein Opposition hätte nur die Rockschöße ausbreiten müssen und all die Geschenke einsammeln können.
Nach elf Jahren in der Bundesregierung hätte die SPD Professionalität demonstrieren können und der erbärmlich dilettierenden schwarzgelben Laienschar aus politischen Versagern und akademischen Betrügern mit den besseren Konzepten entgegentreten sollen.
Bei jeder Fehlleistung des Loser-Kabinetts Merkel II, hätte ein SPD-Fachmann vor die Presse gemußt, der unverzüglich zu dem jeweiligen Thema ein durchdachtes Alternativkonzept vorgelegt hätte:

„Der schwarzgelbe Minister xy versagt hier. Richtig wäre stattdessen Folgendes: abc..“

Aber anders als Kohl 1990, Schröder 2002 und Kretschmann 2011 ergriff die SPD-Opposition damals nicht eine der unendlichen vielen Chancen. Dabei bekam sie kontinuierlich Steilvorlagen geliefert, die man nur eintüten mußte.

Fast genauso unfassbar ist das Totalversagen der AfD-Gurkentruppe, die 2014/2015 fast ohne eigenes Zutun durch einen allgemeinen Trend in mehrere Parlamente gespült wurde.
Parlamentssitze bedeuten Geld und Medienaufmerksamkeit.
Natürlich kann eine neue Partei nicht auf erfahrene Parlamentarier zurückgreifen. Aber dafür ist die politische Großwetterlage wie eine konzentrierte AfD-Nährlösung. Jeden Tag wird der Urnenpöbel mit neuen Euro-Griechenland-Meldungen überhäuft. Jeden Tag geht es um Flüchtlinge, die aus aller Welt nach Deutschland kommen.
Sie müßte das alles nur tumb aufsaugen und würde weiter wachsen.
Nicht so die AfD.

Alternative für Dilettanten [….]
Festtage könnten diese Tage sein für die Partei AfD, die mal als radikalbürgerliche Opposition gegen die Euro-Rettung antrat. Gelegentlich versuchen Bernd Lucke oder Frauke Petry auch, zum Drama um Griechenlands Zukunft zu Wort zu kommen. Aber der Lärm, den ihr Machtkampf in der AfD macht, übertönt alles. Jetzt hat also das Bundesschiedsgericht der AfD beschlossen, dass der Verein "Weckruf 2015" aufgelöst gehört. [….]

Das politische Totalversagen der AfD ist übrigens kein Spezifikum der Bundesspitze, sondern zeigt sich auch auf den unteren Ebenen.

Nicht auszudenken, wenn wir einen charismatischen Rattenfänger-Typen wie Haider in Deutschland hätten.

Eins ist  aber an den deutschen Rechten tatsächlich besser, als an ihren Neo-Nazi-Freunden aus anderen Ländern:
Sie sind noch doofer.
Sie sind sogar so dermaßen unterbelichtet, daß sie kaum jemals in ein Landesparlament gewählt werden und dann eine volle Legislaturperiode durchhalten, ohne sich selbst aufzulösen.
Sie sind von der alltäglichen politischen Arbeit intellektuell hoffnungslos überfordert und beginnen dann aus Frust sich gegenseitig zu hassen.
Sie sind, einmal im Parlament angekommen, eigentlich nur noch Futter für die Satiresendungen.
Sie sind ein ewiger Quell der Belustigung, da man zwar ahnt wie geistig unterbelichtet Rechtsradikale sind, aber die Realität übertrifft die Erwartungen immer wieder.

[…………….]
Was die NPD in den Parlamenten Mecklenburg-Vorpommerns und Sachsens waren, spielen jetzt die braunen Ost-AfD-Fraktionen nach.
Schon am Abend der Thüringer Landtagswahl hatte der völkisch-rechtsextreme AfD-Chef Björn Höcke mit seinem schrillen Tonfall offensichtlich Hitlers Redestil imitiert.
Inzwischen sind weite Teile der Ost-AfD so weit in den braunen Sumpf abgedriftet, daß die westlichen alten Herren Henkel und Lucke, die schon selbst stramm rechts denken, sich kontinuierlich distanzieren müssen.
Die Partei löst sich auf.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie das Schicksal der Piraten-Polit-Pappnasen teilen werden.

In Hamburg vollführt die erste westdeutsche AfD-Fraktion die morialogische Wende in Perfektion.
Zuerst bewiesen sie ihre völlige Konzeptionslosigkeit, Unfähigkeit und Faulheit:

Acht Abgeordnete um ihren Chef Jörn Kruse sitzen für die AfD seit Wochen in der Hamburger Bürgerschaft. Seitdem sie im Parlament mitreden dürfen, schweigen sie eisern und machen durch komplette Arbeitsverweigerung auf sich aufmerksam. Zu den Koalitionsverhandlungen, der neuen Regierung, den Plänen für diese Legislatur gibt es nicht nur keine Stellungnahme im Parlament, sondern überhaupt keine Kommentare der acht stummen AfD-Strohpuppen.
Während die CDU allein bei der letzten Bürgerschaftssitzung zehn Anfragen an den Senat stellte, tat die gesamte AfD rein gar nichts. Keine Wortmeldungen, keine Anfragen, keine Kommentare.
Journalisten von der Morgenpost haben sich bemüht die AfD-Parlamentarier zu erreichen, um wenigstens irgendetwas von ihren zu hören, wenn sie schon von allein nichts sagen wollen.
Aber kein Telefon ist besetzt. Es gibt nur Mailbox-Texte: „Zur Zeit ist niemand erreichbar!“

Das ist ein gutes Zeichen. Wenn man sich schon damit abfindet, daß rechtes Pack immer wieder in Landesparlamenten landet, ist es schön zu wissen, daß sie dort wenigstens rein gar nichts bewirken und ihre Ideologie vollständig verpufft.

[….]  Die Hamburger AfD ist – kaum ins Parlament gewählt – wie vom Erdboden verschluckt.
[….]  Kein Lebenszeichen hat die neue Fraktion bislang von sich gegeben, keine Anfragen, keine Initiativen, keine Pressemitteilungen. Bezüge, Gehälter und Zuschüsse werden dagegen gerne kassiert.
Markige Sprüche, aber nichts dahinter: Erstaunlich, wie schnell die Rechtspopulisten sich selbst entlarven – und beweisen, dass sie in unserem Parlament schlicht überflüssig sind.

Inzwischen wurde Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz mit mehreren Oppositionsstimmen gewählt.
Es folgte eine generelle Aussprache, bei der CDU, FDP und Linke sich ordentlich aufplusterten.
Die AfD nicht. Sie schwänzte die komplette Bürgermeisterwahl.
Entweder alle acht Abgeordneten der AfD waren zufällig an dem Tag krank, oder aber sie haben sich auf dem Weg in die Bürgerschaft verlaufen.
Auch das ist angesichts der zweistelligen Intelligenzquotienten der braunen Trottel durchaus denkbar.
Vielen Dank an die AfD-Wähler, daß solche Polit-Simulanten nun vom Steuerzahler alimentiert werden.

Schneller als erwartet, setzten nun bei der Hanseaten-AfD nach der Konzeptionslosigkeits-, Unfähigkeits- und Faulheitsphase bereits Phase IV und V ein:
Dekonstruktion und Lyse.

Dirk Nockemann, der braune Bewunderer des SAT1-Penisschwenkers Schill, pumpte sich erfolgreich zum Anus des Parlaments auf.

[…] Er stichelt gern, wird bei seinen Reden in der Bürgerschaft zur Mäßigung ermahnt: Dirk Nockemann, Ex-Schillianer und stellvertretender Fraktions-Chef der Hamburger AfD. Wenn er im Rathaus ans Pult tritt, rollen viele Abgeordnete mit den Augen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Nockemann nun schon zum zweiten Mal mit seiner Kandidatur für die Härtefallkommission gescheitert ist.
[…] Dass ausgerechnet der rechtskonservative Hardliner Nockemann Mitglied dieses Gremiums werden will, scheint dem Großteil der Bürgerschaftsabgeordneten Bauschmerzen zu bereiten: Gerade einmal elf Stimmen konnte der Ex-Schillianer für sich gewinnen – von 109!
Auch unabhängig von der wiederholten Wahlniederlage ist der 57-Jährige wohl schon jetzt der unbeliebteste Redner im Rathaus. […] Gleichzeitig verschwindet Parteichef Jörn Kruse immer mehr im Schatten des Ex-Schillianers. […] Für ein Gespräch war Nockemann gestern nicht erreichbar. Und auch bei der AfD-Pressestelle ist niemand ans Telefon gegangen. Wie üblich.

Die AfD-Erbsenhirne machen sich aber nicht nur bei allen anderen Parteien unbeliebt, sondern sie hassen sich bereits auch gegenseitig wie die Pest.

AfD-Chef Kruse und sein Vize Nockemann grüßen sich nicht mehr und gehen mit ihrem Zwist den bei Braunen üblichen unprofessionellen Weg:
Sie fahren die Fraktion an die Wand, legen es auf eine Spaltung an, statt zu Gunsten „der Sache“ persönliche Streitigkeiten zu überwinden.

[…] Knapp drei Monate nach der Bürgerschaftswahl ist das Verhältnis der beiden bekanntesten Hamburger AfD-Politiker vermutlich irreparabel beschädigt. Die beiden grüßen sich kaum noch und beschränken ihre Kommunikation auch sonst auf das Allernotwendigste – gelegentliche wechselseitige Tiraden per E-Mail eingeschlossen. […] Heute wirft Kruse Nockemann vor, sich im Wahlkampf kaum engagiert zu haben. Und umgekehrt ist Kruse aus der Sicht des Ex-Schillianers im Grunde ungeeignet, die Fraktion zu führen. […]
Mit einem Antrag, einer Großen Anfrage an den Senat und fünf Kleinen Anfragen können die AfD-Abgeordneten keinen Fleißpreis gewinnen.
Schon machen Gerüchte die Runde, dass sich die Fraktion spalten könnte. Mal wird Nockemann unterstellt, er könnte sich mit seinen Getreuen absetzen. Dann heißt es, es gebe Pläne auf der Kruse-Seite, die anderen rauszuwerfen. Dem Nockemann-Lager wird der Arzt Ludwig Flocken zugerechnet, der die Pegida-Demonstrationen unterstützt und die nationalkonservative Erfurter Resolution ("gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands") von AfD-Mitgliedern unterzeichnet hat.
Auch Rechtsanwalt Alexander Wolf, "Alter Herr" der rechten Burschenschaft "Danubia" und Ex-Republikaner, soll dazu gehören. […] Eine Spaltung der kleinsten Fraktion wäre gleichbedeutend mit dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit. […]

Nockemann, Gauland und Höcke (der kackbraune Thüringer AfD-Chef, den Bundeschef Lucke gerade zum Parteiaustritt aufforderte) sind für die AfD das, was Mixa, Tebartz-van-Elst und Müller für die RKK sind: Garanten des Misserfolgs!

Die braune Gurkentruppe an der Alster macht jetzt den Sack zu und wirft sich selbst in den Abfall.

[….] Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die achtköpfige Bürgerschaftsfraktion der AfD auseinanderbricht. Gleich zwei Mal während einer Bürgerschaftssitzung stimmten die Abgeordneten nicht gemeinsam ab, üblicherweise ein untrügliches Zeichen für unüberbrückbare politische Gegensätze: Erst konterkarierte die Mehrheit der Abgeordneten eine Entscheidung des Fraktionsvorsitzenden Jörn Kruse (wir berichteten), dann enthielt sich Kruse bei der Abstimmung über einen Antrag, den seine eigene Fraktion eingebracht hatte.
Es war die letzte Debatte der Bürgerschaftssitzung am Mittwoch, als Fraktionsvize und Ex-Schillianer Dirk Nockemann ans Rednerpult ging. "Keine Umrüstung von Hamburger Wechsellichtzeichenanlagen mit schwulen Ampelmännern und lesbischen Ampelfrauen", lautete der AfD-Antrag, und Nockemann legte sich kräftig ins Zeug.
[….] Nockemann hatte in der Debatte keinen leichten Stand, weil nun die Redner anderer Fraktionen darüber herzogen, dass die AfD das Thema (auf diese Art) behandelte. "Das war einfach nur peinlich. Ich habe mich für Herrn Nockemann und die gesamte AfD-Fraktion geschämt", sagte Kruse am Tag danach dem Abendblatt. "Ein GAU für die gesamte AfD-Fraktion."
Es spricht für das inzwischen völlig zerrüttete Verhältnis der beiden Antipoden Nockemann und Kruse, dass der Fraktionschef seinen Protest sofort sichtbar werden ließ: Er enthielt sich bei der Abstimmung über den AfD-Antrag, der doch nicht zuletzt auch seinen, Kruses, Namen trug.
[….] Der unversöhnliche Grabenkampf zwischen Bernd Lucke und Frauke Petry auf Bundesebene liefert die Folie für die Hamburger Konfrontation. Kruse hat als einziger AfD-Abgeordneter Luckes "Weckruf" unterzeichnet und sein eigenes politisches Schicksal ein Stück weit an den Parteigründer geknüpft. Nockemann neigt eher dem Petry-Lager zu.
Bezeichnend ist, dass Kruses Lebensgefährtin Carola Groppe, ebenfalls Professorin an der Helmut-Schmidt-Universität, die AfD verlassen hat. "Ein paar Verirrte kann jede Partei ertragen, aber es ist eine organisierte Übernahme der Partei durch das rechte Lager im Gange", heißt es mit Blick auf die Bundespartei in Groppes Austrittsschreiben, das dem Abendblatt vorliegt. Es gebe "unklare Abgrenzungen zu Mitgliedern der NPD". Die AfD biete "das Bild einer hoffnungslos nach rechts treibenden Partei der ewig Gestrigen". Denkt Jörn Kruse auch so?