Montag, 26. Juli 2021

Medizin ohne Grenzen

Wie Proteinbiosynthese funktioniert, lernt man im Biologieunterricht der gymnasialen Oberstufe. Da kommt sie schon seit Jahrzehnten vor, die Messenger-Ribonucleic Acid, m-RNA, von der jetzt alle im Zusammenhang mit Corona-Impfstoffen reden.

Wer sich als Schüler mit Naturwissenschaften schwer tut, sich daher für Biologie als Abiturprüfungsfach entscheidet, weil Physik, Chemie und Mathe noch abstrakter zu sein scheinen, erlebt oft ein böses Erwachen, wenn die großen Moleküle und der wichtigen Stoffwechselzyklen gelernt werden müssen.

Mathe und Chemie sind viel geeignetere Prüfungsfächer für Faulpelze und Desinteressierte, weil man da weniger auswendig lernen muss, wenn man einmal die wenigen Grundprinzipien verstanden hat.

Letztendlich ist Biologie nichts anderes als Chemie+.

Alles ist Chemie; auch Gefühle, Liebe, Denken, Emotionen. Und natürlich ist alles Pflanzliche, Natürliche oder Homöopathische Chemie. Daher ist es so ungeheuer albern, wenn Esoterik-Freaks „die Chemie“ ablehnen und lieber ihre Globuli lutschen oder Kräutersude trinken.

Was die beiden Mediziner Özlem Türeci und Uğur Şahin bei BionTech treiben, ist so gar nicht künstlich, sondern basiert auf den elementar natürlichen Vorgängen jeder Zelle eines Menschen.

Im Zellkern liegen die Gene, die aus langen chemischen Molekülen, der Deoxyribonucleic Acid/Desoxyribonukleinsäure (DNA/DNS) bestehen. Es gibt nur vier verschiedene Nukleotide, deren Abfolge einen Code ergibt.

Dieser Code, von dem kleine DNA-Abschnitte mit der m-RNA abgelesen werden, wird in den Eiweißfabriken der Zellen, den Ribosomen, verwendet, um aus 20 verschiedenen Aminosäure-Bauteilen eine lange Schnur (Polypeptidkette eines Proteins) zu bilden.

Diese 20 Teile haben unterschiedliche Formen und Größen; ziehen sich gegenseitig unterschiedlich stark an. Je nach dem in welcher Reihenfolge sie zusammengesetzt werden, können sie sich falten, verdrehen, zerknäulen, bis eine gewünschte Form entsteht: Das Eiweiß (Protein), das beispielsweise ein Enzym sein kann.

Für Laien; Enzyme sind jene wunderbaren Gebilde, die nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip genau zu bestimmten Stoffwechselprodukten, also Molekülen passen. So kann man im Körper passgenau verschiedene Moleküle bei Raumtemperatur und ohne Gewalt Chemie betreiben, also Moleküle auseinanderschneiden und anders zusammensetzen.

Die Eigenschaften eines Eiweiß-Moleküls, werden von der Reihenfolge ihrer Aminosäuren bestimmt, die wiederum von den simpleren mRNA-Molekülen festgelegt wird.

Das betreiben Chemiestudenten auch im Reagenzglas, aber dabei kann man nicht jedes einzelne Molekül anfassen und zu Recht biegen wie ein Enzym. Also wendet man Gewalt an, erhitzt, gibt Säuren hinzu, setzt Katalysatoren, Druck, Lösungsmittel, Hilfsmoleküle ein.

Das ist die ganze Theorie, die schon seit 60 Jahren bekannt ist, Schulwissen.

Als ich das erste Mal in einem biochemischen Labor die Arbeitsgrundlagen lernte – wie isoliert man DNA, wie reproduziert man sie, zerteilt, sequenziert und analysiert sie – war klar, daß die Praxis natürlich immens viel komplizierter ist und daher dauerte es auch noch 30 Jahre bis  es möglich wurde im industriellen Maßstab, einen maßgeschneiderten mRNA-Code in eine menschliche Zelle zu schicken, damit diese ihre Eiweißfabrik (Ribosom) anschmeißt, um einen erwünschten Antikörper gegen ein Virus herzustellen.

Das praktische Problem war, daß unsere Zellen fremde mRNA erkennen und sofort kaputt machen. Dabei versteckte man sie bei früheren Impfstoffen in toten oder lahmen Viren. Viren sind nämlich Spezialisten dafür, in anderen Zellen einzudringen und dort die Ribosomen dazu zu missbrauchen, etwas herzustellen, das der Zellkern eigentlich gar nicht wollte.

Eleganter und schneller wäre es natürlich, nicht so ein altes totes Virus als Hülle zu benutzen, sondern die mRNA allein in eine Zelle zu bekommen, ohne daß sie sofort attackiert wird.

Dazu fand die US-amerikanische Biochemikerin Katalin Karikó, mittlerweile eine Mitarbeiterin von Özlem Türeci und Uğur Şahin, eine Lösung. Sie fügte einfach etwas Gleitcreme (Lipidhülle) hinzu, damit die mRNA in die Zelle flutscht und dort von einer Schutzschicht umhüllt ist.

Der Sinn der Sache war mit maßgeschneiderten mRNA-Codes die Zellen dazu zu bringen individuelle Moleküle herzustellen, die beispielsweise gegen eine ganz bestimmte Krebsart wirken.
Einen Impfstoff für SarsCoV2 geht mit diesem Prinzip aber auch, wie wir gesehen haben.
Auch als Laie kann man sich gut vorstellen, welche enormen Möglichkeiten es gibt, wenn man seine Zellen dazu bringen kann, individuelle Medikamente zu erschaffen, die gezielt die eigenen Leiden beheben.

Wer sich einen Eindruck verschaffen will, möge die SPIEGEL-Titelgeschichte von vor einem Monat zum Thema lesen – es ist sagenhaft, was in der Medizin in den nächsten 20 Jahren möglich sein wird.

[…..] Neue Hightech-Medizin gegen Krebs, Demenz und Herzinfarkt

Die Wunderwaffen für ein gesundes Leben.  Der Impfstofferfolg von Biontech und Moderna soll erst der Anfang sein – Ärzte und Forscher wollen mit der revolutionären mRNA-Technologie die größten Menschheitsleiden besiegen. […..]

(Jörg Blech und Claus Hecking, 18.06.2021, DER SPIEGEL 25/2021)

Malaria, MS, Krebs, Alzheimer, Arthrose, Schuppenflechte, Parkinson, Diabetes, HIV, koronare Herzkrankheiten – all das könnten spezielle mRNA-Medikamente von BionTech, Moderna und Co besser denn je behandeln, vielfach sogar heilen.

Die Konsequenzen sind noch gar nicht abzusehen; natürlich werden diese jungen Firmen sagenhaft viel Geld verdienen. Aber vermutlich werden andere Pharmariesen und Therapieanbieter noch sehr viel mehr Geld verlieren, wenn ihre unzulänglichen Methoden nicht mehr gebraucht werden.

Daß die Mainzer sich als Nächstes auf Malaria stürzen, ist angesichts der weltweit rund 230 Millionen Infizierten und über 400.000 Todesfällen jedes Jahr nur naheliegend.

[…..] Klinische Studien für 2022 geplant Biontech will Malaria-Impfstoff entwickeln. Gegen Malaria gibt es bisher nur eine beschränkt wirksame Vakzine. Nun will die Mainzer Firma den weltweit ersten mRNA-Impfstoff gegen die Krankheit erzeugen. Es geht um Milliarden. [….]

(SPON, 26.07.2021)

Die Spiegeltitelgeschichte zu den medizinischen Möglichkeiten der mRNA-Technik halte ich für ein gelungenes Stück Populärwissenschaft.

Da wird für jedermann verständlich, also unterhalb der wissenschaftlichen Expertenschwelle, ausgebreitet was uns erwartet; worauf wir hoffen können.

Aber ich musste auch an die weinende Mittneunzigerin denken, die ich vor ca zehn Jahren mal im Warteraum der Uniklinik tröstete.

Sie fand es so schrecklich das viele Leiden zu sehen. Eine ganze Handvoll Medikamente müsse sie jeden Tag einnehmen, alle ihre Freunde wären krank, hätten kaum noch Lebensfreude, wären nur noch mit ihren Gebrechen beschäftigt.

Als Jugendliche oder junge Erwachsene hätte es nie diese endlosen langen Krankheiten mit monatelangen Kuren und dauerhaften Schmerzen gegeben. Sicher, die Menschen wären selbstverständlich auch damals gestorben, aber sie hätten nie so fürchterlich gelitten.

Was wäre das nur für eine fürchterliche Zeit, in der es nur um Krankheiten ginge, die Gesundheitskosten explodierten, Millionen Menschen bettlägerig in Pflegeheimen lägen.

Die Erklärung ist einfach: Vor hundert Jahren starben die Menschen lange bevor sie so krank wurden.  Wer mit 50 Jahren durch einen Herzinfarkt tot umfiel, dem blieb die Lungenentzündung mit 70, die Arthrose mit 75 und der Prostatakrebs mit 80 natürlich erspart.   Wer aber ständig medizinisch gescannt wird, Blutdrucksenker und Mittel gegen Cholesterin einnimmt, verkalkte Gefäße durch Stents und Katheter-Untersuchungen repariert bekommt, überlebt die Herzbeschwerden, die ihn von 100 oder 60 Jahren final erledigt hätten. Es gibt Antibiotika gegen Meningitis und Lungenentzündung und die meisten Krebserkrankungen sind lange kein Todesurteil mehr. Dadurch verschiebt sich unserer natürlicher Todeszeitpunkt immer weiter ins Alter, so daß wir immer mehr Krankheiten bekommen.

Insofern halte ich die enormen medizinischen Fortschritte für Segen und Fluch zugleich.

Natürlich möchte man nicht seine Angehörigen oder Freunde an Krebs sterben sehen und daher würde ich ein individualisiertes Biontech-Krebsmedikament natürlich begrüßen.

Aber wir werden nicht unsterblich. Je mehr Todesursachen mRNA-Technologie aus dem Weg räumt, desto älter werden wir und mit zunehmendem Alter kommen exponentiell immer mehr Leiden auf uns zu. Wenn wir also länger leben, werden wir automatisch auch kränker. Es wird noch sehr viel mehr Pflegepersonal notwendig sein.

Und die Erde ist jetzt schon dramatisch überbevölkert.

Wäre es nicht wünschenswert, lieber nicht so lang und dafür gesund und autark zu leben?