Hans-Ulrich
Klose, 75, SPD-Urgestein, ehemaliger Hamburger Bürgermeister und
Fraktionsvorsitzender im Bundestag, bekleidete bis 2011 das Amt des Koordinators
für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit der Bundesregierung.
Viel
Zusammenarbeit war nicht mehr in letzter Zeit und daher blickt der
Amerika-Experte und Amerika-Fan Klose auch äußerst skeptisch auf die USA.
„Amerika
wähnt sich im Krieg“ erklärt er im Interview mit dem aktuellen Vorwärts.
Amerika schotte sich ab und wandele sich „von einem Einwanderungsland zu einem
Einwanderungverhinderungsland.“
Dabei
„liebt“ Klose die Staaten, seit er als 17-Jähriger Austauschschüler das erste
Mal da war.
Amerika ist meine gefühlte zweite Heimat. Wenn man mir damals, im Jahre 1955, erlaubt hätte zu bleiben, wäre ich wohl dort geblieben. Heute aber bin ich froh darüber, hier zu sein, denn ich lebe gern in Europa und in Deutschland. Kontakt zu meiner Gastfamilie habe ich immer noch. Mein American Brother ist 72 Jahre alt, Anwalt in Cleveland/Ohio und war eben erst wieder hier. Ich bin wohl 100 Mal in Amerika gewesen, kenne mich da aus. Ich mag die Amis. Als Gastschüler habe ich damals viel gelernt, als einziger Nicht-Amerikaner dort. Meine Mitschüler fragten mich nach Deutschland aus. Einige Fragen waren wirklich schwer zu beantworten, etwa: Ist die lutherische Kirche eine Kirche oder eine Sekte? Oder: Warum gehen Jungen und Mädchen in verschiedene Schulen? Oder: Warum lernt Ihr neun Jahre lang eine tote Sprache, also Latein? All dies ließ mich mein Land mit den Augen der anderen zu betrachten. Das übrigens ist jede Grundlage von Außenpolitik. […] Ich habe immer gesagt, wenn ich mal ins Exil muss, gehe ich nach San Francisco. Das ist vor allem der Landschaft geschuldet. In Chicago bin ich auch immer gern gewesen, es ist das klassische Amerika. Sie denken, die Schlachthöfe seien noch immer dort. […] Ich durfte das Präsidentenpaar persönlich erleben. Die beiden sind hinreißend. Wenn die Obamas anfangen zu lächeln, verändern sie sich völlig. Ich wünsche und glaube, dass Obama gewinnt. Die Demografie spricht für ihn, die Zunahme von Latinos und Afrikanern. Auch die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung und der Frauen wird Obama wählen. Das könnte reichen. Aber eines ist klar: Der Kongress wird republikanisch werden. Was geht dann noch in Amerika vier Jahre lang?
Das könnte schon sein, daß Mitt Romney, für den
eigentlich der mangelnde ökonomische Erfolg des Amtsinhabers spricht, bei den
Debatten (beginnend am 03.10.12) so rumstümpert wie üblich und Obama irgendwie
gerade eben noch knapp ins Ziel stolpert.
Aber was kann er dann noch hinkriegen, wenn der
Kongress alles blockiert und vollständig auf Obstruktion setzt?
So beeindruckend war es ja schließlich nicht, was Obama in den ersten beiden Jahren seiner Präsidentschaft bewirkte, als er noch beide Kongresskammern FÜR sich hatte und mit großem Vertrauensbonus ausgestattet war.
So beeindruckend war es ja schließlich nicht, was Obama in den ersten beiden Jahren seiner Präsidentschaft bewirkte, als er noch beide Kongresskammern FÜR sich hatte und mit großem Vertrauensbonus ausgestattet war.
Amerikas Macht wird gewaltig bröckeln und die neuen
starken Nationen China, Indien und Brasilien werden sich immer weniger sagen
lassen.
Die ökonomischen Pfunde, mit denen Amerikas
Wahlkämpfer permanent wuchern, sind Firmen wie Apple, die ohnehin schon fast
100% ihrer Arbeitsplätze nach Asien verlegt haben.
Und die Wiederauferstehung von GM und Ford?
Ich weiß
ja nicht.
Benzin könnte so richtig teuer werden, weil es am Golf
kracht, OPEC-Staaten sich möglicherweise auf die Seite eines angegriffenen
Irans stellen und China mit seiner gewaltigen Finanzmacht seinen ebenso
gewaltigen Energiehunger stillt.
Ob dann nicht auch die ach so patriotischen
Amerikaner lieber einen kleinen FIAT mit 3-Liter-Verbrauch kaufen - zumal die
Dinger dann so praktisch über das Chrysler-Händlernetz vertrieben werden?
Wir werden sehen.
Ein paar Stärken bleiben den Amerikanern ja noch.
Da ist zum Beispiel das Film-Business.
Ich bin
tatsächlich der Meinung, daß die Amis ein Quasi-Monopol bei Drama-Serien haben.
Das kann niemand so gut wie amerikanische Produzenten.
Nur dort verfügt man
über eine Infrastruktur aus wirklich guten Drehbuchautoren, Filmausstattern
und Schauspielern.
In Deutschland hingegen hält man immer noch hartnäckig die
erbärmlichen Nichtskönner Til Schwaiger und Vroni Ferres für internationale
Stars. Die größten Produzenten sind hierzulande gepamperte Fernsehsender, die
unzählige grottige Daily-Soaps und Scripted-Reality-Formate nach den Prämissen „möglichst
schlecht und billig“ herstellen lassen. Anspruchslose Massenware.
Da wird Amerikas Vorsprung noch lange
halten.
Weltmarktführer sind die USAner auch noch beim
Waffenexport.
Unfassbare 711 Milliarden Dollar Haushaltsmittel
wurden 2011 in die Waffenproduktion geschoben.
Jeder Bundesstaat hat seine
eigene Waffenindustrie, die erbittert von den beiden Senatoren des Staates
verteidigt wird.
Natürlich ist Amerika auch der größte Waffenexporteur der
Erde.
In ganz Europa zusammen wurden 2011 „nur“ 281 Milliarden Dollar für
Rüstung ausgegeben. So unverschämt wie Gods Own Country das Geschäft mit dem
Tod betreibt wird Europa noch lange nicht sein.
Allerdings holt der
Welt-drittgrößten Tötungsmaschinen-Exporteur Deutschland stark auf, seitdem die
zu 100% christliche Bundesregierung so massiv den Waffenexport bewirbt und deutsche
Panzer in so ziemlich jedes Krisengebiet der Erde vertickt.
Ein dritter starker US-Wirtschaftszweig steckt in
Europa noch in den Kinderschuhen - außerdem fehlt es hier massiv an Kunden.
Die Gefängnisindustrie! Sie ist die ökonomische Zukunft Amerikas. Banken wie Goldman-Sachs inverstieren in Gefängnisse.
Mit fast drei Millionen
Gefangenen, die anders als in Europa auch nicht resozialisiert oder auf die
Freiheit vorbereitet werden sollen, kann man gewaltige Umsätze machen.
Alltag in Arizona. Seitdem der Wüstenstaat die Grenzkontrollen massiv verstärkt hat, füllen Latinos die Gefängnisse. Kritiker sehen darin eine Menschenhatz, Befürworter die Durchsetzung von Recht und Ordnung - und Unternehmen einen neuen Markt. Die Freiheit ist ein hohes Gut; und die Unfreiheit ein blühendes Geschäft. So ist das in Amerika. 70 Milliarden Dollar lässt sich das Land seine Gefängnisse pro Jahr kosten. Tendenz: steigend. Kein anderer Staat, über den halbwegs verlässliche Zahlen vorliegen, bringt so viele seiner Bürger hinter Gitter. Ein Viertel der globalen Gefängnispopulation sitzt in den USA ein. Auch Unrechtsregime wie China und Iran kommen da nicht hinterher. Selbst vor den Gefängnismauern hat die Privatisierungswelle in Amerika keinen Halt gemacht. Renditestark und krisenfest - so präsentiert sich die private Gefängnisindustrie gern. […] Die Branche wähnt sich im Aufwind. Und die Börse gibt ihr recht. Der Markt für Schloss und Riegel ist fest im Griff von zwei Konzernen. Zum einen die Corrections Corporation of America, zum anderen die Geo Group. […] Der Corrections Corp gehören 66 Gefängnisse mit 91 000 Betten. Die Geo Group bringt es auf 65 Vollzugsanstalten mit 66 000 Betten. Und wie bei jedem anderen Betrieb geht es dem Management darum, eine hohe Auslastung zu erzielen. Genau hier liegt das Problem. Mit jedem Insassen steigt der Gewinn der Knastkonzerne. Verbrechen sind gut fürs Geschäft. Genau wie Gesetze, die Menschen zu Verbrechern machen. Mehr als 2,6 Millionen Menschen fristen in den USA ein Dasein hinter Gittern, und 130 000 von ihnen verbüßen ihre Strafen in privaten Vollzugsanstalten. […] Weil ihr einziger Kunde der Staat ist, hat die Branche die politische Landschaftspflege perfektioniert. 45 Millionen Dollar flossen in den vergangenen zehn Jahren auf die Konten von Lobbyisten, Parteien und Parlamentariern. Das Beziehungsgeflecht zwischen den Gefängniskonzernen und der Politik ist inzwischen so dicht, dass vom 'prison-industrial complex' die Rede ist. […] Verlässliche Renditen beschert der Branche auch Amerikas erfolgloser 'War on Drugs'. Das Strafrecht kennt spätestens seit den 1980er Jahren kein Pardon mehr. Wer wegen Rauschgiftbesitz vor Gericht landet, wird mit einer Haftstrafe belegt, deren Länge sich nach Art und Menge der Droge richtet. Das Ergebnis ist ernüchternd: Beim Kampf gegen die Sucht sind keine Fortschritte erzielt worden. Dafür hat sich die Zahl der Gefangenen seit 1990 verdoppelt und seit 2000 auch der Umsatz der Gefängniskonzerne. Der drakonische Strafvollzug hat Biografien zerstört, Familien zerrissen, einen Teufelskreis aus Armut, Frust und Kriminalität entstehen lassen. Mit anderen Worten: ideale Rahmenbedingungen für Gefängnisbetreiber.
(Moritz Koch, SZ, 08.09.12)