Mittwoch, 11. September 2024

Die Apotheose des Abstiegs der USA

Es ist psychisch so anstrengend, sich dieses orange Desaster anzugucken. Dieser blanke Hass, das manische Lügen, die Primitivität, diese Borniertheit, die Brutalität.

Ich bin völlig erschöpft von der US-Debatten-Nacht.

Die meisten perfiden Hetz-Märchen kennt man ja von ihm. Einiges ist auch relativ neu, wie beispielsweise das rassistische Fearmongering von den schwarzen Immigranten, die durch Pennsylvania marodierten und die Haustiere der Amerikaner auffräßen.

Dazu noch diese extrem Ungerechtigkeit, daß Trump mit seinem Gebrüll erfolgreich deutlich mehr Redezeit als Kamala Harris bei der mutmaßlich einzigen Präsidentschaftsdebatte erzielt.

Zudem ist die schiere Masse der Trumpschen Lügen ein Problem. Demokratische Wähler und jeder Menschen mit einem IQ über Zimmertemperatur wissen natürlich, daß nichts von dem stimmt, was der 78-jährige Verbrecher und Vergewaltiger behauptet. Aber nur diese eine Gelegenheit, bei der beide Kandidaten zusammentreffen, bietet Harris die Möglichkeit auch die Trump-Wähler anzusprechen, die ihr sonst nie zuhören und die nicht wissen, daß sie von ihrem Messias verarscht werden.

Man müßte sie natürlich aufklären und jede einzelne Lüge richtigstellen. Aber dann ginge man ihm auf dem Leim, weil man nur noch über seine Thesen spräche.

Harris ging smart mit diesem Dilemma um, indem sie gleich am Anfang das Publikum warnte, von ihrem Konkurrenten „a bunch of lies“ zu hören und fürderhin während seiner Redezeit allein mit ihrem Mienenspiel ausdrücken konnte „Guck mal, schon wieder eine Lüge – wie ich es euch prophezeite“.

 

Daher bestand die US-Vizepräsidentin viel besser gegen Donald Trump, als Hillary Clinton, Joe Biden und seine früheren republikanischen Konkurrenten um die Nominierung.

Ermutigt von dem guten Abschneiden ihrer Kandidatin, schlugen die Demokraten unmittelbar nach Ende der gestrigen Debatte, mindestens ein weiteres TV-Duell vor.

Der verängstigte Trump lehnte sofort ab, weil er wußte, dabei erneut zu verlieren, auch wenn er es getreu seines Charakters, natürlich in eine große Lüge verpackte: Er habe das Duell haushoch gewonnen und wolle daher Harris keine Chance auf ein Re-Match geben.

Hinter verschlossenen Türen räumen auch Republikaner ein, wie gut es Harris gelang, Trump aus der Fassung zu bringen und ihn bei seinem Gebrüll unsympathisch erscheinen zu lassen.

Für die urbanen Wähler wurde Trump dadurch einmal mehr zur Witzfigur und das kann er gar nicht leiden.

[…..] Eindrücke vom Public Viewing in der demokratischen Hochburg Manhattan. […..] Es geht auf drei Viertel elf zu im „Wicked Willy’s“ in Manhattan, und die Stimmung könnte kaum besser sein. In der Bar in der Bleecker Street haben sich gut und gerne 100 New Yorker versammelt, um gemeinsam die TV-Debatte der Präsidentschaftskandidaten zu schauen. […..] Wer hier ist, starrt auf einen der zwölf Bildschirme, die tatsächlich irgendwie in diese Kneipe hineingepasst haben. Donald Trump soll gerade die Frage beantworten, was er gegen die Klimakrise unternehmen will, und er verliert sich dabei in einem Satzbandwurm, der von Mexiko über Joe Bidens Sohn Hunter führt und schließlich bei der Frau des Bürgermeisters von Moskau endet.  Die Menge im „Wicked Willy’s“ stößt an dieser Stelle einen kollektiven Schrei aus, der irgendwo zwischen Irritation und Verzückung changiert. Offenbar hat niemand verstanden, was Trump da sagen wollte. Aber alle verstehen, dass dies ein gutes Zeichen für Kamala Harris ist. […..] Taylor Swift, der größte Popstar aller Sphären und Galaxien, schreibt wenige Minuten nach dem Ende dieses TV-Duells auf Instagram, jetzt sei ein sehr guter Moment, um zu erklären, dass sie im November für Kamala Harris stimmen werde. „Ich halte sie für eine besonnene, begabte Führungspersönlichkeit und glaube, dass wir in diesem Land so viel mehr erreichen können, wenn wir von Ruhe und nicht von Chaos geleitet werden.“ […..] In Manhattan sind die Wahlpräferenzen sicherlich nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung der USA, aber Manhattan ist aus Sicht von Donald Trump nicht irgendeine demokratische Hochburg. […..] Hier hat er einen Wolkenkratzer errichtet und nach sich selbst benannt, den Trump Tower in der 5th Avenue – und trotzdem bringen ihm die Leute hier nicht die Wertschätzung entgegen, die er aus seiner Sicht verdient. Als er 2016 zum Präsidenten der USA gewählt wurde, erhielt er in Manhattan nicht einmal zehn Prozent der Stimmen. 

 […..] Eine der Debattenregeln im „Wicked Willy’s“ lautet: Immer wenn einer der Kandidaten einer Frage der Moderatoren ausweicht, müssen alle Gäste einen großen Schluck aus ihren Biergläsern nehmen. […..] Aber schnell wird klar: Man kann dieses Spiel an diesem Abend mit dieser TV-Debatte nicht ernsthaft durchziehen. So viel Bier kann niemand trinken. Denn Donald Trump gibt praktisch nie eine Antwort auf eine ihm gestellte Frage. Er sagt einfach immer das, was er gerade sagen will: etwa dass Harris eine Marxistin sei, dass die Demokraten die Tötung bereits geborener Kinder befürworten würden, dass die Migranten aus Haiti den Leuten in Springfield, Ohio, die Haustiere wegessen würden, die Hunde und die Katzen.

Die Gäste in der Bar wissen angesichts all dieser Lügen und Unwahrheiten bald nicht mehr, ob sie lachen oder entrüstet sein sollen. Immer wieder halten sich welche ungläubig eine Hand vor den offenen Mund. Brianna Carney sagt: „Es ist einfach nur noch peinlich.“ […..]

(Boris Herrmann, 11.09.2024)

Sicher, die Leute in Manhattan wählen ohnehin nicht Trump und außerdem kann es Trump völlig egal sein, wie die New Yorker stimmen, weil die Farbe der Wahlmänner des Bundesstaates NY ohnehin feststeht. Es ist einerlei, ob 55%, 70% oder 90% für Harris stimmen.

Aber es gibt Internet, Social-Media und Memes, die Stimmungen transportieren. Emotionen sind eine wertvolle Währung im Präsidentschaftswahlkampf.

Die US-Wahl wird in sechs bis acht Staaten von 50 entschieden. In den allermeisten Gegenden spielt es keine Rolle, wie man abstimmt. In den wenigen Battleground States, auf die es ankommt, sind aber auch 95% der Wähler bereits auf einen Kandidaten festgelegt. So sind es jeweils nur wenige Tausend oder Zehntausend Wähler, auf die es ankommt. Ein paar Myriaden US-Amerikaner also, die offenkundig weitgehend debil sind, wenn sie nach neun Jahren Trump in der Politik immer noch nicht wissen, ob sie für oder gegen ihn stimmen sollen.

Diese Halbidioten gilt es zu überzeugen. Ob man sie mit Fakten und  Sachanalysen überzeugt? Ihn öffentlich dazu zu bringen, sich selbst zu blamieren, ist womöglich eine bessere Idee.

[…..] Großangriff auf Trumps Ego

Kamala Harris trifft ihren Kontrahenten in seiner offensichtlichsten Schwäche: seiner maßlosen Eitelkeit. Das bringt ihn aus dem Konzept.

Auch am Morgen danach erwachen die Vereinigten Staaten als geteiltes Land, aber in dieser Nacht hat sich etwas verschoben. Es ist der Tag nach der Partie, auf die Amerika gewartet hatte wie auf den Super Bowl. Kamala Harris gegen Donald Trump, live bei ABC. Entschieden wird das Rennen erst bei der Präsidentschaftswahl am 5. November. Doch die Demokratin Harris hat den Republikaner Trump schwer in Bedrängnis gebracht, so viel steht fest.

Die meisten Beobachter sind sich einig, dass sie dieses TV-Duell gewonnen hat. Selbst der rechte Sender Fox News räumt ihren Erfolg ein. Es konnte ja 90 Minuten lang jeder sehen und hören. Sie wirkt nach nervösem Start selbstsicher und bringt ihn mehrmals in Verlegenheit. Er stolpert teilweise durch die Sendung, als hätte ihm seine Rivalin Fallen gestellt, die Defensive behagt einem Angreifer wie ihm gar nicht.

Gleichzeitig weiß niemand, was der Eindruck wert ist. 2016 galt Hillary Clinton als Siegerin der Debatten und verlor trotzdem. […..] Jedenfalls ist die Kandidatin Harris besser in Form als Ende Juni bei CNN in Atlanta der damalige Kandidat Joe Biden. […..]  Im National Constitution Center von Philadelphia hat sie nun ihren vielleicht besten Auftritt.

Das hatten Kritiker nicht erwartet: Dass sie spontan sein kann, ohne Teleprompter oder Skript. Zupackend erleben sie Millionen Menschen vor den Bildschirmen bereits zur Begrüßung. Sie geht auf Trump zu, reicht ihm die Hand und stellt sich vor: „Kamala Harris“ – kleiner Scherz, noch nie waren sich die beiden begegnet. Sie agiert, er reagiert, wobei die Freundlichkeiten gleich vorbei sind.

Es folgt ein Wortgefecht. Sie wirkt an ihrem Pult rechts angriffslustig und gelöst, er kneift links die Lippen zusammen. Diesmal ist Trump der alte Mann, anders als gegen Biden. „Weltpolitiker lachen über Donald Trump“, sagt seine fast zwei Jahrzehnte jüngere Rivalin. Führende Militärs hielten ihn für eine Schande. […..] Sie packt ihn bei seiner Eitelkeit, seiner offensichtlichsten Schwäche. Man müsse „die Seite mit der gleichen alten müden Rhetorik umblättern“, sagt Harris, sie lässt ihn wie eine Figur von gestern aussehen. Als Egomanen, der sich lediglich um sich selbst dreht. […..] Er verliert sich in Apokalypse und Absurditäten. Zuweilen wirkt Trump wie ein Angeklagter und sie wie die Anklägerin, eine frühere Strafverfolgerin trifft auf einen verurteilten Straftäter. […..] Harris grinst und lächelt oft, wenn er spricht. Manchmal schüttelt sie den Kopf oder legt die Finger ans Kinn und starrt ihn ungläubig an. Trump schaut eher finster drein und spult sein Programm ab. […..]

(Peter Burghardt, 11.09.2024)

Es führt aber kein Weg daran vorbei, einzuräumen, daß die US-Wähler ganz offenkundig nicht Wahl- und nicht Demokratie-tauglich sind.

Wären sie es, müsste ein Rassist und manischer Lügner, der in seiner ersten Amtszeit über 30.000 mal log, vor des Wiederwahl nahezu alle seine ehemaligen engen Mitarbeiter warnen, zweimal impeached wurde, einen bewaffneten Angriff auf den Kongress anzettelte, als Verbrecher und Sexualstraftäter vielfach verurteilt wurde, sich mit oranger Schminke bemalt und wie ein garstiges Kleinkind mit unflätigen Schimpfworten um sich wirft, in den Umfragen mit 1% zu 99% hinten liegen. Es steht aber eher 50:50. Ein so offenkundig amoralisch und verblödet entscheidendes Wahlvolk illustriert mustergültig den Abstieg der USA.