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Sonntag, 7. September 2025

Zukunft brauchen wir nicht

Ezra Klein und Derek Thompson, linksliberale Stars unter den US-Journalisten, legen den Bestseller »Der neue Wohlstand: Was wir für eine bessere Zukunft tun müssen« (Originaltitel: »Abundance«) vor und fragen im SPIEGEL-Gespräch, was nun einmal auf der Hand liegt, wenn man an die Zukunft denkt, in einem Land, das so offensichtlich, wie Deutschland alle Weichen falsch stellt.

[….] Klein: Aber mich interessiert gerade etwas ganz anderes: Was ist eigentlich mit Europa los? Wo ist euer Starlink (ein Satelliten-Internetzugangsdienst, angeboten von Elon Musks Firma SpaceX –Red.), wo ist euer Tesla, was ist mit eurer Wirtschaft passiert?  [….]

(DER SPIEGEL 37/2025, 06.09.2025)

Nun, das kann man erklären. Deutschland hat durchaus innovative Phasen, in denen es technisch international vorn mitspielt. Zum Beispiel während der Schröder/Fischer-Regierung in der Windkraft und Solar-Branche. Aber das geschieht immer nur unter SPD-Kanzlerschaften, die eher selten sind und vom Urnenpöbel gern durch bräsige Technik- und Zukunftsfeindlichkeit mit CDU-Kanzlern ersetzt wird.

Die deutschen Christdemokraten sind traditionell ökonomisch vollkommen ahnungslos und schlagen den genau falschen Weg ein.

Drei Beispiele:

Kupfer statt Glasfaser Dank des Kohl/Merkel-Kabinetts.

(….) Der weise und weitsichtige Bundeskanzler Helmut Schmidt beschäftigte sich schon in den späten 1970er Jahren mit modernen Kommunikationstechniken und kam zu dem Schluß; ein modernes Glasfasernetz könne Deutschland enorme Wettbewerbsvorteile liefern.

[…..] Altkanzler Schmidt wollte Glasfaser-Spitzenreiter werden. [….] Die sozialliberale Koalition unter Bundeskanzler Helmut Schmidt hat bereits Anfang der Achtzigerjahre beschlossen, alle alten Telefonleitungen durch schnellere Glasfaser zu ersetzen. Das geht aus bisher unveröffentlichten Dokumenten einer Kabinettssitzung vom 8. April 1981 hervor, die der WirtschaftsWoche vorliegen.  „Sobald die technischen Voraussetzungen vorliegen, wird die Deutsche Bundespost aufgrund eines langfristigen Investitions- und Finanzierungsplanes den zügigen Aufbau eines integrierten Breitbandglasfasernetzes vornehmen“, heißt es in einem Sitzungsprotokoll, das unter dem Aktenzeichen B 136/51074 im Bundesarchiv liegt. Wäre der Plan durchgezogen worden, könnte die Bundesrepublik heute das beste Glasfasernetz der Welt haben.  Fünf Wochen nach der Kabinettssitzung legte der damalige Bundespostminister Kurt Gscheidle (SPD) dem Bundeskabinett einen 30-Jahres-Plan vor. Ab 1985 sollte die Bundespost in jedem Jahr ein Dreißigstel des Bundesgebiets mit Glasfaser verkabeln. „Für den Ausbau ist bei einem jährlichen Investitionsvolumen von drei Milliarden Mark ein Zeitraum von 30 Jahren zu veranschlagen“, erklärte der Postminister damals. [….]

(Wirtschaftswoche, 04.02.2018)

Was dann aber kam, ist bekannt: Helmut Kohl wurde 1982 Bundeskanzler, acht Jahre saß in seinem Kabinett eine promovierte Physikerin als Ministerin: Angela Merkel.   Mit diesem Glasfaserzeug könne man nichts anfangen, befanden die beiden CDU-Größen.

Wichtiger wäre es gegen den „Rotfunk“ (CDU-Postminister Schwarz-Schilling über die ARD-Regionalsender) vorzugehen und Kohl ultrakonservativen Amigo und Millionenspender den Aufbau eines konservativen Privatfernsehens aufzubauen.

Sat1 als „geistig-moralische Wende“ – darauf ist Schwarz-Schilling auch heute noch stolz.

[….] Die sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt hatte bereits 1981 Pläne für einen bundesweiten Glasfaserausbau beschlossen. Ein Jahr später kam Helmut Kohl an die Macht, legte die Pläne aufs Eis und förderte lieber das Kabelfernsehen. 35 Jahre Jahre später gibt es immer noch kein flächendeckendes Glasfasernetz. [….] 1982 wurde Helmut Kohl Kanzler einer schwarz-liberalen Koalition und der hatte andere Pläne. Statt Glasfaserausbau gab es Kabelfernsehen.

2017 warten viele Menschen noch immer auf den versprochenen Breitbandausbau. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland beim Glasfaserausbau fast am Ende.

 Der Deutschlandfunk berichtete vor wenigen Tagen in der Sendung Hintergrund über die Motivation, warum die Union auf Kabelfernsehen setzte. Dort erklärte der damalige Post-Minister Schwarz-Schilling (CDU):

    „Das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen war in dieser Zeit mit einer absoluten linken Schlagseite versehen.“ Das Kalkül der Union: Wenn man schon nicht Sendungen wie „Monitor“ und „Panorama“ beeinflussen kann, dann soll es zumindest Konkurrenz von außen geben: durchs Privatfernsehen, eingespeist in die Kabelnetze. Also wurde die Bundesrepublik aufgebuddelt, und es wurden von der Bundespost Kupferkabel verlegt. Die kosteten damals weniger als ein Drittel der Glasfaser. [….]

(Netzpolitik.org 04.01.2018)

Selbst Ende der 1990er Jahre wehrte die CDU-FDP-Regierung hartnäckig alle Investitionen in die digitale Infrastruktur ab.

Legendär wurde eine Wahlkampfdiskussion im Jahr 1994 mit Helmut Kohl, als er vom Microsoft-Deutschland-Chef gefragt wurde, was der in Sachen "Datenautobahn" zu tun gedenke, aber noch nicht einmal den Begriff verstand, sondern von Autostraßen fabulierte – immerhin 13 Jahre nachdem sein Vorgänger schon ein entsprechenden Kabinettsbeschluss gefasst hatte. (….)

(40 Jahre schlafen, 28.06.2020)

Die Altmaier-Delle. 

Aus ideologischer Verblendung und/oder kurzfristiger Raffgier wollen Merz, Spahn und Reiche uns in den Hitzetod treiben. Nach dem Ende der ersten und einzigen rotgrünen Bundesregierung 2005, sorgte Merkels Lieblingsminister Altmaier in der Westerwelle-Merkel-Horrorregierung ab 2009 dafür, 60.000 Topjobs in der Windenergiebranche und 100.000 Jobs in der Solarbranche zu vernichten, um wieder auf billiges klimaschädliches russisches Gas zu setzen und sich in die Abhängigkeit von Putin zu begeben. Das passiert, wenn man Schwarz und Gelb wählt, Urnenpöbel.


[….] Die Reaktion insbesondere unionsgeführter Regierungen der vergangenen Jahrzehnte war verlässlich die gleiche: erst mal bremsen (egal, ob die anderen das auch tun). Deutschland setzte auf Kupferkabel statt Glasfaser, das mobile Internet galt lange als etwas alberne Spielerei, das Smartphone auch. Die Digitalisierung der Verwaltung steht als Ziel in jedem Koalitionsvertrag. Immer wieder.

Beim Thema künstliche Intelligenz war es das Gleiche: spätestens mit dem Sieg von AlphaGo gegen den Go-Meister Lee Sedol im Jahr 2016 hätte eigentlich klar sein müssen, dass gerade eine neue Ära der Technikgeschichte begonnen hat. Exemplarisch für die Bräsigkeit deutscher Regierungen im Umgang mit Transformationsprozessen war ein Satz des damaligen Wirtschaftsministers Peter Altmaier, gesprochen im Jahr 2018 bei einem der zahllosen, stets folgenlosen »Digitalgipfel«: Er freue sich auf eine Zukunft, scherzte Altmaier damals, in der ihm ein in Deutschland hergestellter Digitalbutler das Bier aus dem Kühlschrank hole. So stellen Unionsminister oft die Zukunft dar: wie die Vergangenheit, nur noch ein bisschen bequemer. [….] Unionsgeführte Regierungen reden immer viel von Strategie und Veränderungswillen und tun gleichzeitig möglichst viel dafür, den armen Deutschen die Veränderung möglichst lang vom Leib zu halten. Verbrenner retten! Gasheizung erhalten! Man versucht jetzt, das absolut unausweichliche Ende des Verbrennungsprozesses als zentraler Energiequelle zu ignorieren, zu vertagen, zu bremsen, zu verschieben. Das wird sich ebenso rächen wie bei den Themen Digitalisierung, Internet, künstliche Intelligenz. Denn die anderen warten nicht. [….] Huch, Elektroautos! Huch, Batteriespeicher! Huch, Wärmepumpen! Huch, billiger Strom aus Sonne und Wind! Huch, China! Huch, exponentielles Wachstum!

Man kann gerade live beobachten, wie eine unionsgeführte Regierung erneut versucht, die Fehler der Vergangenheit sehenden Auges zu wiederholen. Die Parallelen sind verblüffend. Aber die geopolitischen Gefahren womöglich noch größer.

Konkret zeigt sich das an der Kommunikation der Wirtschaftsministerin: Katherina Reiche (CDU) hat in den ersten zehn Wochen ihrer Amtszeit zum Thema Energiewirtschaft praktisch ausschließlich Dinge gesagt und getan , die fossilen Geschäftsmodellen nutzen und Elektrifizierung und erneuerbaren Energien schaden sollen. Gas wird billiger, Strom bleibt teuer, Gasheizungen sollen so lang wie möglich weiterlaufen, der Vorrang für grünen Wasserstoff wird gekippt, in der Nordsee soll Gas gefördert werden, und Reiche will so viele Gaskraftwerke bauen lassen, dass die EU zweifellos intervenieren wird.

Ende August soll ein von Reiches Ministerium in Auftrag gegebener »Monitoringbericht« erscheinen. Er wurde dem Anschein nach mit einem sehr konkreten Ziel bestellt: den Ausbau der erneuerbaren Energien abzubremsen, weil der angeblich zu schnell gehe und damit zu hohe Kosten verursache. »Überzogen« hat Reiche diesen Ausbau schon einmal genannt, jetzt braucht sie Argumente dafür, dass sie damit recht hatte. [….]

(Prof. Christian Stöcker, 17.08.2025)

Maximale Planungsunsicherheit zu Gunsten überholter Uralttechnologien.

Die Schwarzen reagieren mit geradezu nekrophiler Todessehnsucht auf die Herausforderungen der Zukunft und verweigern stoisch moderne Lösungen. Stattdessen klammern sie manisch an 100 Jahre alten, gescheiterten Konzepten (Atomkraft, Otto-Motor) fest. Durch CDUCSU wurde Deutschland technisch international abgehängt. Aus US- oder asiatischer Sicht sind wir nur noch Lachnummern.

[…] Diese populistische Dummschwätzerei des bayerischen CSU-Ministerpräsidenten Markus Söder ist verantwortungslos. Denn sie schadet der deutschen Wirtschaft, vornehmlich der Autoindustrie. Und die hat schon genug Probleme.

Kurz vor dem Start der Internationalen Automesse in München tat sich Söder mit einem 10-Punkte-Plan hervor. Mit dem will er die für Deutschland so wichtige Autoindustrie retten, dürfte aber bei Realisierung genau das Gegenteil bewirken. Mit den meisten dieser zehn Punkte will Söder zurück in die Vergangenheit und das Verbrenner-Auto retten. Damit, das dürfte das Kalkül des Populisten Söder sein, möchte er den Geschmack der meisten deutschen Autofahrer treffen. […] „Stopp des Verbrennerverbots“, „CO₂-Zahlungen aussetzen“, „’Unrealistische‘ CO₂-Ziele neu formulieren“, „Keine Fahrverbote für Verbrennerautos“, „Kein Zwang zu Elektroautos“ – Fünf dieser zehn Punkte enthalten eigentlich dasselbe. […] Experten sind sich einig, dass Deutschland die Entwicklung hin zur E-Mobilität lange Zeit verschlafen hat und jetzt mit großer Verspätung zur Aufholjagd ansetzt. Der Grund dafür lag vor allem darin, dass die Politik hierzulande keinen eindeutigen Kurs vorgegeben hat. Immer wieder wurde – zu Zeiten der Ampel von der FDP – gebremst. Keinesfalls wollte man eindeutig auf die Entwicklung von Elektro-Fahrzeugen setzen. Der Verbrenner sollte unbedingt bleiben. […] So wurden Hersteller wie Verbraucher verunsichert. Andere Länder, allen voran China, setzten hingegen mit Entschlossenheit und zielstrebig auf die E-Mobilität. Dort wurden inzwischen Elektroautos und Batterie-Technologien entwickelt, die deutschen Produkten überlegen sind. Der schleppende und zögerliche Umstieg auf die Elektromobilität hierzulande gefährdete und vernichtete schon tausende Arbeitsplätze in der deutschen Autoindustrie. Und jetzt kommt Söder daher und fängt das Spielchen schon wieder an. […]

(Christoph Lütgert, 07.09.2025)

Man darf C-Politiker unter keinen Umständen ins Bundeskanzleramt lassen. Aber durch die systematische Verblödung, die in unseren völlig maroden und unterfinanzierten Bildungsanstalten herrscht, halten Urnenpöbel und weite Teile der Presse Unionspolitiker hartnäckig und wider jede Realität für „wirtschaftskompetent“. Das bricht bedauerlicherweise nicht nur Deutschland das Genick.

[….] Klein: Dass ihr so schwach seid, ist auch schlecht für uns, für die Vereinigten Staaten.

Thompson: Es gibt viel zu wenige sogenannte Sputnik-Momente, herausragende technologische Innovationen, denen dann alle nacheifern. Eigentlich müssten wir, der Westen, uns durch Chinas Erfolge herausgefordert fühlen – oder eher: bedroht. Stattdessen sieht es so aus, als hätten wir unseren Staat in Ketten gelegt. Auch für Trump scheint die Konkurrenz mit China kein Anreiz zu sein. Wenn wir Trumps Gerede vom »Goldenen Zeitalter« ernst nehmen, das jetzt mit ihm als Präsident anbrechen soll, landen wir wieder beim Öl. […]

Klein: Nichts ist unvermeidlich, alles kann passieren. Trump war ein schlechter Präsident, er hat dieses Land schlecht regiert von 2017 bis 2021. 2024 wurde er dann von noch mehr Menschen gewählt. Fest steht: Trump muss bekämpft werden, wir müssen ihn schwächen, ihn besiegen. Wir wissen nicht, wo dieses Land in zwei oder in vier Jahren stehen wird. Aber die Geschichte lehrt, wie man hier sagt: Wenn die Dinge erst mal schlecht stehen, kann es noch schlimmer kommen. In dieser »Schlimmer«-Phase befinden wir uns gerade. […]

(DER SPIEGEL 37/2025, 06.09.2025)

Samstag, 6. September 2025

Definition von Wahnsinn.

Der schöne Satz „die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten“ wird üblicherweise Einstein zugeschrieben, weil er dadurch noch bedeutungsvoller klingt. Schließlich steht der Name „Einstein“ popkulturell weniger für Physik, als für die ultimative Intelligenz.

Die wahre Quelle ist nicht bekannt; mutmaßlich hat der Physik-Nobelpreisträger das aber nie gesagt.

Der Satz gehört heute zum unverzichtbaren Verbal-Instrumentarium, um die politische Wirklichkeit in Deutschland zu beschreiben. Die Konservativen benehmen sich derart destruktiv, daß man auf starke Sprüche zurückgreifen muss.

Max Liebermanns „Kann jar nich so viel essen, wie ich kotzen möchte“ im Angesicht der aufmarschierenden Nazis, ist ebenfalls nicht verbürgt, wird auch Kurt Tucholsky oder Bertolt Brecht zugeschrieben und kommt in Max Frischs Drama „Biedermann und die Brandstifter – ein Lehrstück ohne Lehre“ vor. Auch dieser Satz ist angesichts der gegenwärtigen Politik in Deutschland, insbesondere ob der täglich auf mich einprasselnden Bilder des „fetischhaften Wurstgefresses von Markus Söder“ unverzichtbar. Der bayerische Lügenbold ist so unerträglich widerlich, daß es mir glatt die Sprache verschlägt. 

Es ist einerseits Empörung und Abscheu, weil derartig exzessives Fleischfressen nicht nur unethisch, sondern auch der Tod des Klimas ist, andererseits werkeln die wahnsinnigen Wurstfresser intensiv an der Zerstörung der parlamentarische Demokratie. Söder, Merz und ihre jeweiligen Parteigrößen scheinen inzwischen nur noch ein Ziel zu kennen: Die Nazis von der AfD zu stärken

Obwohl es in der Forschung keinerlei Zweifel daran gibt, wie das Aufnehmen rechtspopulistischer Themen durch Konservative, IMMER die Rechtsextremen stärkt und die Demokratie schwächt, versuchen es CDUCSUFDP, getreu des Fake-Einstein-Mottos, immer noch  mit intensivem Arschküssen der AfD und wundern sich nach über zehn Jahren immer noch, daß die AfD stärker und stärker wird. Der Wahnsinn.

 […]  Beim zentralen Thema aber habe Schwarz-Rot geliefert: der von ihm ausgerufenen Migrationswende. „Das Ergebnis kann sich sehen lassen“, befand Merz und rechnete vor, dass die Zahl der Erstanträge auf Asyl im August um 60 Prozent im Jahresvergleich gesunken sei[…] Gleich mehrere neue Umfragen machten diese Woche klar, wie stark die in weiten Teilen rechtsextremistische Partei zulegt. In Sachsen-Anhalt kommt sie laut Infratest auf 39 Prozent, Union und SPD schaffen es zusammen gerade mal auf 34. Auch im Bund verschieben sich die Kräfte. […] Entstanden ist eine brisante Lage. Denn in der Regierungskoalition wird hinter verschlossenen Türen längst über die Frage gestritten, ob sich die AfD wirklich mit einem härteren Asylkurs ausbremsen lässt. Oder ob die AfD gar stärker wird, wenn sich andere Parteien von ihr treiben lassen.

Politikforscher haben eine klare Antwort. „Mit Erfolgen im Kampf gegen illegale Migration wird sich die AfD kaum stoppen lassen“, sagt Wolfgang Schroeder, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kassel. „Das Ziel, die Polarisierung der Gesellschaft durch einen härteren Asylkurs zu reduzieren, geht nicht auf.“ Es sei gar nicht entscheidend, wie viele Menschen kämen oder abgewiesen würden, weil die AfD längst viel breitere Narrative bediene, sagt Schroeder: die Themen Wirtschaft und Wohlstand etwa. […] Thüringens Innenminister Georg Maier von der SPD, Befürworter eines Verbotsverfahrens, hält eine noch härtere Gangart für nötig: „Spätestens jetzt sollte uns klar sein, dass der Zeitpunkt gekommen ist, die Mittel gegen die AfD einzusetzen, die das Grundgesetz vorsieht, um unsere Demokratie vor autoritären und gegen die Menschenwürde gerichteten Bestrebungen zu schützen“, sagt Maier der SZ. Inhaltlich stellen lässt sich diese AfD aus Maiers Sicht nicht. Sie strebe „einen autoritären Staat an“ und wolle die Demokratie von innen heraus zerstören. „Sie verbreitet Lügen und Verschwörungsmythen, um Ängste zu schüren und die Menschen gegen ‚die Politik‘ aufzuhetzen.“ Die Themen „ihrer perfiden Hetzstrategie“ seien austauschbar, sagt Maier: Angst vor Überfremdung, Kriegsangst, Antisemitismus, Pandemieleugnung, Homophobie, Leugnung des Klimawandels. […]

(SZ, 05.09.2025)

Und noch mehr Wahnsinn: Das einzige Mittel, den Untergang der parlamentarischen Demokratie aufzuhalten, die Einleitung eines AfD-Parteiverbots, verhindern die AfD-Helferlinge der Christenparteien vehement.

[…] Die Gefahr durch die in Teilen rechtsextreme Partei wächst, mancherorts fürchten Grüne oder Linke sich gar vor dem Plakatieren. Nur von der demokratischen Gegenwehr hört man seltsamerweise immer weniger. […] Die AfD ist nicht einfach nur eine Partei, die das politische Ruder nach rechts ziehen möchte, was ja legitim wäre. Sie ist eine Partei, die bereit ist, mit anderen, schmutzigeren Methoden zu arbeiten, als man dies bisher in der Geschichte der Bundesrepublik kannte. Die AfD ist außerdem eine Partei, die von ihrer Stoßrichtung her […] auf eine Deklassierung von deutschen Staatsbürgern je nach Abstammung abzielt. Das ist nicht einfach nur rechts; es ist demokratiefeindlich. Denn es bedeutet: Demokratische Rechte sind dann vom Stammbaum abhängig.

Nun wollen die Grünen im Bundestag wieder darüber sprechen, ob man nicht das Bundesverfassungsgericht einmal befragen müsste, was es zu all dem sagt. Dies zu einem Zeitpunkt, da die AfD in der jüngsten Wahlumfrage in Sachsen-Anhalt bei 39 Prozent steht, mit weitem Abstand vor der Union, die nur auf 27 Prozent kommt. Auch das löst schon lange nicht mehr das Entsetzen aus, das es eigentlich auslösen müsste. […] […] Demokraten, die sich in großer Not schwach verhalten, weil sie die Sorge haben, schwach zu wirken: Es ist zu hoffen, dass die gegenwärtige Wahlperiode nicht eines Tages für diese seltsame Haltung in den Geschichtsbüchern stehen wird. [….]

(Ronen Steinke, 05.09.2025)

Freitag, 29. August 2025

Ein deutscher Wahn

Alexander Dobrindt, die CDU, die CSU, die AfFDP und leider auch die meisten Deutschen stellen sich Deutschland, von außen betrachtet, wie das Paradies vor. Ein Magnet für alle anderen Menschen. Wir werden bewundert für unseren Fleiß, die Kultur, den Erfindergeist, die tollen Autos, den Fußball und außerdem ist alles so schön sauber und ordentlich. Da will jeder hin und wenn man die alle ließe, platze Deutschland bald aus allen Nähten. Daher wäre es oberste politische Pflicht, den „Zustrom“ zu begrenzen, die „Flut aufzuhalten“, Grenzen zu schließen, zu kontrollieren, uns unattraktiver zu machen, bürokratische Hürden zu schaffen.

Und so würgt die Merz-Regierung mit EU-feindlichen, illegalen, extrem teuren Grenzkontrollen, die eine aberwitzige Zahl an Polizei-Überstunden generieren, die Wirtschaft ab, indem sie für Frust Kollaps des Warenverkehrs sorgen. Nur die wirklich bösen Buben hält das nicht auf, denn die Deutsche Staatsgrenze hat eine Länge von 3.876 Kilometern. Dobrindt kontrolliert an den offiziellen Grenzübergängen. Kriminelle werden kaum so doof sein, ausgerechnet da einzureisen, sondern latschen dort herüber, wo nicht bewacht wird. Bekanntlich haben wir glücklicherweise keine Mauer um unser Land.

Die Merz-Politik ist aber nicht nur teuer, sinnlos, populistisch und wirtschaftsschädigend, sondern fußt auf Wahn.

Tatsächlich gibt es nicht zu viele Ausländern in Deutschland, sondern viel zu wenige. Alle Wirtschaftsfachleute sind sich von links bis rechts diesbezüglich einig: um den Wohlstand zu erhalten, müssen jährlich mindestens 400.000 Migranten nach Deutschland einwandern. Aber die wollen gar nicht, denn Deutschland gilt international als unfreundlich und technisch rückständig. Es gibt keine Willkommenskultur. Insbesondere die Ossis und AfD-Hochburgen schrecken ab.

[…] Die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier hat vor gravierenden Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland gewarnt, sollte sich der Aufschwung der AfD fortsetzen. "Unser Land braucht ganz dringend nicht nur Fachkräfte, sondern Arbeitskräfte auf allen Ebenen, damit der Wohlstand erhalten werden kann", sagte die Ökonomin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Die Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland wird nicht in ausreichendem Umfang gelingen, wenn eine Abschottungspartei wie die AfD immer größeren Zuspruch findet - und Polarisierung in den Vordergrund rückt."  Deutschland mit seiner komplizierten Sprache, seiner Bürokratie und seiner unzureichenden Kinderbetreuung habe es ohnehin schwer, Fachkräfte zum Kommen und zum Bleiben zu bewegen, sagte das Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Die AfD sei nun ein weiterer Faktor: "Das, wofür die AfD steht, schreckt ausländische Fachkräfte ab."  […]

(TS, 15.07.2023)

Gerade dort werden zwar wegen der demographischen Krise dringend Einwanderer gebraucht, weil sonst ganz Branchen kollabieren. Aber wer will schon freiwillig dahin? Mit ihrem Wahlverhalten, schadet sich die rechte Mehrheit am meisten selbst. Machen wir uns keine Illusionen: Der Urnenpöbel ist dumm.

Deutschland ist dringend auf internationale Fachkräfte angewiesen, erzielt aber die schlechtesten Bewertungen unter den insgesamt 53 bewerteten Staaten weltweit, so die InterNations-Staistik. 

Die Doofheit der C-Minister würgt ohnehin die Wirtschaft in Deutschland stark ab. Nun schlägt es auch auf den Arbeitsmarkt durch – die Massenarbeitslosigkeit kommt zurück; danke Bundeskanzler Merz! 

Sehr viele nicht besetzte Stellen führen zu weniger besetzten Stellen: Was in der ersten Sekunde unlogisch klingt, erschließt sich schnell. Unternehmer, die einige Jahre vergeblich nach Fachkräften suchten, resignieren irgendwann, wickeln die entsprechende Abteilung ganz ab, so daß weitere Arbeitsplätze wegfallen.

[….] Nicht nur einfache Jobs fallen weg – jetzt trifft es auch die Fachkräfte und Spezialisten. Das liegt auch an politischen Versäumnissen.  Was sich schon lange abzeichnete, ist jetzt offiziell: Im August ist die Zahl der arbeitslos gemeldeten Menschen in Deutschland auf über drei Millionen gestiegen – zum ersten Mal seit Februar 2015. [….]  Einerseits ist da der enorme ungestillte Bedarf an Arbeits- und Fachkräften vieler Unternehmen angesichts des demografischen Wandels. Zugleich steigen aber Stellenabbau und Arbeitslosigkeit. Die Paradoxie löst sich auf, wenn man versteht, dass sich beide Entwicklungen zumindest teilweise beeinflussen.

Noch immer gibt es mehr als 630.000 unbesetzte Stellen in Deutschland. Doch bereits seit Mai 2022, als der Stellenindex der Bundesagentur für Arbeit (BA) mit 138 Punkten seinen Allzeit-Höchstwert erreichte, sinkt die Arbeitskräftenachfrage kontinuierlich, im August auf 98 Punkte. Im Vergleich zum Vorjahresmonat sank die Zahl der bei der BA offenen gemeldeten Stellen in fast allen Wirtschaftsbereichen, teilweise in zweistelliger prozentualer Höhe.

Das Minus an angebotenen Stellen kommt nicht allein durch die konjunkturelle Schwäche der Wirtschaft oder verschlechterte Wettbewerbsbedingungen. Wenn Unternehmen trotz intensiver Bemühungen keine Arbeitskräfte oder Auszubildende finden, stellen sie die Suche irgendwann ein. Die geplanten Investitionen dafür werden gestrichen oder sie fließen in andere Weltregionen. Es ist der Verlust von Arbeitsplätzen, die gar nicht mehr entstehen. Die Folge ist ein Weniger an Innovationskraft, Wachstumschancen und Wohlstand für die Gesellschaft. Eine Entwicklung, die auch bestehende Arbeitsplätze gefährdet, weil sie die Zukunftsaussichten der betroffenen Unternehmen beschränkt.

Die deutsche Wirtschaft und damit auch der Arbeitsmarkt stecken mitten in einer gewaltigen Transformation. Die Digitalisierung und der Umbau zu einer klimaneutralen Ökonomie, die Energiewende – all das sind tiefgreifende strukturelle Veränderungen. Der demografische Wandel beginnt mit seinem Schwund an inländischen Arbeitskräften seine volle Kraft zu entwickeln. Zugleich steckt die Bundesrepublik in einer der längsten wirtschaftlichen Flauten ihrer Geschichte. Die konjunkturelle Schwäche verschärft die Probleme und nagt an der Substanz der Unternehmen, die sie dringend für ihren Umbau benötigen. Vielen droht die Luft auszugehen, bevor sie ihn abgeschlossen haben. [….] Und die Statistik der Bundesagentur zeichnet nicht einmal das volle Bild. Noch schrumpfen viele Industrieunternehmen ihre Belegschaften entlang der »demografischen Linie«, das heißt: Die Stellen der Alten, die den Betrieb verlassen, werden nicht neu besetzt. Doch diese tauchen nicht in der Arbeitslosenstatistik auf, sondern verabschieden sich in die Rente oder den Vorruhestand.

Obwohl die jungen Jahrgänge immer kleiner werden, dürfte sich die Zeit der unbegrenzten Möglichkeiten bei der Arbeitsplatzsuche dem Ende neigen. Denn Arbeitsplätze, die gar nicht erst aufgebaut oder nicht neu besetzt werden, verringern das Angebot. Die Jobsuche dürfte für die Jungen schwieriger werden, und manche spüren dies bereits. [….]

(Markus Dettmer, 29.08.2025)

Deutschland sitzt also keineswegs (nur) wegen der schwer zu beeinflussenden Makro-Einflüsse (Kriege, Zölle) in der Scheiße, sondern auch wegen der ureigenen Doofheit. Unternehmer, die zukunftsblind, von kurzfristiger Gier getrieben, Innovationen verpassen, auf Verbrenner-Uralttechnologie setzen, keine Smartphones oder Computer fertigen können, den Anschluss bei Software und KI längst verpasst haben, sind ein Teil des Problems. Rechts wählende Hygge-sehnsüchtige Bürger, die jede Veränderung ablehnen und auf Politiker reinfallen, die einfache Lösungen versprechen und Sündenböcke präsentieren.

Verantwortungslose C-Politiker, die intellektuell von globaler Ökonomie völlig überfordert sind. Und schließlich die konservative Arbeitgeberlobby, die nach Hilfen vom Staat schreit, aber ihre Hausaufgaben nicht macht.

Ja, Fachkräftemangel killt die deutsche Wirtschaft, aber man muss sich auch um den Nachwuchs bemühen und ausbilden, statt zu erwarten, daß genügsame, familienlose Hochqualifizierte vom Himmel fallen und darum betteln, für unter Mindestlohn arbeiten zu dürfen. Über die Hälfte der deutschen Krankenhäuser haben gar keine Azubis! Ein der am meisten über Nachwuchsmangel klagende Branche!

Unfassbare 81% der deutschen Betriebe bilden gar nicht aus!

[….] Arbeitgeber müssten aber dringend mehr ausbilden, mahnte DGB-Vize Elke Hannack. Denn die Zahl der Neuverträge habe 2024 noch immer um 38.000 unter dem Vor-Corona-Niveau gelegen, „von einer Erholung kann keine Rede sein“.  Zudem sei der Anteil der Betriebe, die überhaupt noch ausbilden, auf den Negativrekord von 18,8 Prozent gefallen. Das passe nicht zu den Klagen der Wirtschaft über Fachkräftemangel.  [….]

(Handelsblatt, 22.08.2025)

Immer wieder machen Blind-Bewerbungstest die Runde, bei denen Menschen mit exakt der gleichen Qualifikation abgelehnt werden, weil ihr Name türkisch oder arabisch klingt.

Eine ganze Generation von in Deutschland geborenen Kindern türkischer Migranten, die hier studiert hat – Akademiker! - wanderte nach zig abgelehnten Bewerbungen frustriert nach Istanbul ab, arbeitet als Ärzte in Skandinavien oder Ingenieure in England, weil die dumpfdeutschen Chefs sie hier nicht einstellen wollen und die dumpfdeutschen Vermieter ihnen keine Wohnungen geben.

[….] Beeinflusst der Name die Chancen auf einen Ausbildungsplatz? Eindeutig ja, sagen Forscher der Uni Siegen. Ein "Lukas Becker" erhält deutlich mehr Antworten auf eine Bewerbung als eine "Habiba Mahmoud" - auch wenn die bessere Noten hat.

Wer einen migrantisch klingenden Namen hat, hat es einer Studie zufolge bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz schwerer als vermeintlich deutsche Bewerberinnen und Bewerber. Besonders gilt das für Menschen mit arabischen Namen, so das Ergebnis der Untersuchung der Universität Siegen.

Die Forschenden hatten mehr als 50.000 Bewerbungen von fiktiven Schülerinnen und Schülern an Betriebe verschickt, die Ausbildungsplätze ausgeschrieben hatten. Bewerberinnen und Bewerber mit deutsch klingenden Namen erhielten in 67,8 Prozent der Fälle eine Rückmeldung von den Betrieben. Bei Bewerbungen mit arabisch klingenden Namen waren es hingegen nur 36,8 Prozent.

Auch andere fiktive Interessenten mit migrantisch klingenden Namen erhielten weniger Antworten als etwa der deutsch klingende "Lukas Becker", der 67 Antworten auf 100 Bewerbungen bekam. So erhielt der russisch klingende "Ivan Smirnov" 56 Antworten, der hebräische klingende "Ariel Rubinstein" 54 und der vermeintlich türkische Bewerber "Yusuf Kaya" 52. Die mit Abstand wenigsten Rückmeldungen bekam aber der arabisch klingende Name "Habiba Mahmoud" - nur 36.  Die Ökonomin Dilara Wiemann vom Siegener Zentrum für Ökonomische Bildung erklärte, Betriebe ließen so Potenzial ungenutzt. Für die Benachteiligten sei es eine "Katastrophe, denn selbst deutlich bessere Schulnoten oder soziales Engagement ändern nichts daran, dass Herkunft Leistung schlägt". Auch vorherige Praxiserfahrungen erhöhten nicht die Chance auf eine Rückmeldung, so ein weiteres Ergebnis der Studie.

"Wir können es uns nicht leisten, Potenziale zu verschwenden", warnt Ekkehard Köhler, Professor für Wirtschaftsdidaktik und sozioökonomische Bildung an der Uni Siegen. "Besonders im Handwerk, das unter Nachwuchsmangel leidet, ist dies problematisch."

Die Benachteiligung war laut der Forschungsgruppe in kleinen Betrieben und im Handwerk besonders deutlich, in ländlichen Regionen fiel sie zudem deutlich stärker aus als in Großstädten.   [….]

(TS, 29.07.2025)

Die CDU-affinen Unternehmer, die mit Millionen Euro die rechte Propagandamaschine INSMfinanziert, gräbt sich damit ihr eigenes Grab.


Indem die rechtskonservativen Unternehmer die migrantenfeindliche Technik-von-Vorgestern, Grenzen-Zu-CDU unterstützen, ziehen sie sich selbst den Boden unter den Füßen weg.


Sie jammern über Fachkräftemangel, müssen wegen Unterbesetzung ganze Abteilungen schließen, verzichten auf Innovationen, erfinden nichts mehr, melden keine Patente mehr an, fallen dramatisch hinter die Konkurrenten in Asien und den USA zurück. Sie bilden aber nicht aus und schrumpfen sich lieber tot, als Frauen, Dunkelhäutige, Migranten oder gar Schwule einzustellen.

[….] Sexismus im Handwerk: Der Lübecker Tischler-Azubi Linus rechnet anlässlich seiner Freisprechungsfeier mit seiner männlich dominierten Branche ab. [….]

taz: Linus, Sie setzen sich für Frauen und queere Personen im Tischlerhandwerk ein. Warum ist das wichtig?

Linus: Es wird totgeschwiegen, dass es hier eine strukturelle Diskriminierung gibt. Den Personen werden einfach Kompetenzen abgesprochen. Es wird von Grund auf gesagt, sie seien zu schwach für den Job, oder zu klein. Diskriminierung wird im Handwerk überhaupt nicht aufgearbeitet. Stattdessen heißt es: „So ist eben das Handwerk – da muss man halt durch.“

taz: Ihre Handwerksausbildung haben Sie nun offiziell beendet. Was wollen Sie jetzt machen?

Linus: Ich gehe meinen Weg weiter und werde Sozialpädagogik studieren. Ich fühle mich mega unwohl, in einem Umfeld zu arbeiten, das überhaupt nicht offen für Reflexion ist. [….]

Linus: [….] Mehrere Frauen erzählten mir, dass sie sich bei Tischlereien beworben hatten und sie teilweise direkt zurückbekommen hatten: „Tut mir leid, wir nehmen keine Frauen.“ Oder auch, dass Betriebe am Telefon gesagt haben, dass sie nicht ausbilden, nachdem klar war, dass die bewerbende Person eine Frau ist. [….] Bei mir im Betrieb ist mehrmals vorgekommen, dass weiblichen Auszubildenden gesagt wurde, dass sie zu schwach seien. Auch dass der Arm irgendwie festgehalten und geschüttelt wurde, um zu zeigen, wie schwach die Person doch ist, passierte mehrmals. [….] Die Atmosphäre in der Werkstatt ist für queere Menschen einfach unerträglich. Von Anfang an wird das Leben lächerlich gemacht. Es wird über Sexualität und sexuelle Orientierung gelacht. Es gibt auch Begriffe, die einfach in anderem Kontext benutzt werden. [….] Ein transparentes Silikon wird gerne Transe genannt. Darüber wird sich dann lustig gemacht. Als ein queerer Mensch, der vielleicht auch gerade in seiner Transition ist, ist eine Ausbildung im Handwerk einfach mega hart. Man kriegt von allen Seiten zu hören, dass man nicht richtig sei. Als ich mir Ohrringe stechen ließ, musste ich mir Kommentare anhören, dass ich schwul sei. [….]

(Taz, 28.08.25)

Die rechten Regierungsparteien sind ökonomisch ahnungslos, der Urnenpöbel ist ökonomisch borniert, aber große Teile der Arbeitgeber sind bedauerlicherweise auch nicht schlauer.

Donnerstag, 28. August 2025

Wieso ich mich so sehr für Deutschland schäme

Zeitgeschichte, die NS-Zeit, der Holocaust sind schon seit meiner Teenagerzeit neben der Religion, die großen Themen für mich.

Themen, die auf gruselige Weise immer aktueller werden, da die Nazis zurückkommen. Der Antisemitismus in Deutschland wird gewalttätiger, Israel-Kritik immer ätzender und beide C-Parteivorsitzende leisten sich antisemitische Stunts, die Jahrzehntelang in Deutschland undenkbar gewesen wären:

Söder hält öffentlich zu seinem antisemitischen, Hitler-imitierenden Vizeministerpräsidenten, Merz sucht xenophobe Mehrheiten mit den Nazis im Parlament.

Erstaunlich, auch 80 Jahre nach Kriegsende, werfen nicht nur die meisten Bürger berechtigte Israel-Kritik, scharfe Attacken auf Bibi Netanjahu und indiskutablen Antisemitismus wild durcheinander.  Nein, auch die Top-Regierungsmitglieder und Parteivorsitzenden sind, bis an die totale Verdummung grenzend, ahnungslos.

Merz plappert bar jeder Grundkenntnis antisemitische Codes von der „Judenfahne“ nach.

[….] Totalausfall von Friedrich Merz: [….]

Der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat mit gleich mehreren Äußerungen in seiner letzten Wahlkampfrede für Empörung gesorgt. Unter anderem bezeichnete er die israelische Fahne als „Judenfahne“ und verbreitete Lügen über die Demonstrant:innen, die gerade im ganzen Land gegen rechts auf die Straße gehen. Nicht nur in den sozialen Medien hagelte es Kritik.

Wörtlich stelle Merz in seiner Rede bei der Wahlkampf-Abschlussveranstaltung in München die rhetorische Frage, wo der „Aufstand der Anständigen“ geblieben sei, „als in diesem Land Palästinenserflaggen geschwenkt wurden, ‚From the River to the Sea‘ gesungen wurde, als Judenfahnen, als Fahnen des Staates Israel verbrannt wurden?“ [….] Die Berliner Grünen-Politikerin Bettina Jarasch kommentierte das am Wahlsonntag auf X: „‚Judenfahnen‘, Herr @FriedrichMerz? Echt jetzt? Noch alle Tassen im Schrank?“, schrieb die Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der vergangenen Landtagswahl in der Hauptstadt. Sie bezog sich damit auch auf Merz' Äußerung, dass die CDU eine Politik für „die Mehrheit“ mache, also für jene, die noch „alle Tassen im Schrank“ hätten.

Der Soziologe Jules El-Khatib, ehemaliger Linken-Politiker und bei der Landtagswahl 2022 Spitzenkandidat der Partei, schrieb: „Die Gleichsetzung von Israel und Judentum stellt Antisemitismus dar. Stellt euch vor, so etwas hätte Mohammed gesagt, es gäbe einen Aufschrei, doch wenn Friedrich von der CDU es sagt, ist es kein Problem.“

Laut der International Holocaust Remembrance Alliance stellt es eine Form von Antisemitismus dar, den Staat Israel mit dem Judentum gleichzusetzen. In rechtsextremen Kreisen ist es weit verbreitet, die israelische Fahne als „Judenfahne“ zu bezeichnen. [….]

(Daniel Bax, 23.02.2025)

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, der Mann, der sich von Amtswegen auskennen sollte, debakuliert sogar noch peinlicher als sein Herr.

 […] Kulturstaatsminister Weimer [lässt] in einem Post auf Instagram diese seine Worte verbreiten: „Wer die Kultur eines Volks zerstören will, zielt auf seine Seele.“ Weimer will damit an den Jahrestag des Warschauer Aufstands von 1944 erinnern, so die Unterzeile.

Unterlegt ist sein Zitat von einem Foto, das eine Gruppe Zivilisten mit erhobenen Händen in Begleitung eines Wehrmachtsoldaten zeigt. Das Foto ist in der polnischen Hauptstadt Warschau entstanden. Flüchtig betrachtet könnte man meinen, Weimer setze damit die so dringend notwendige Erinnerung an die Nazi-Verbrechen fort.

Bei der Auseinandersetzung mit der Geschichte genügt es freilich nicht, mit gutem Gewissen die moralisch richtigen Ansprüche zu vertreten. Es ist schon notwendig, diese Geschichte und ihre Fakten auch zu kennen. Sonst kann es passieren, dass sich eine gut gemeinte Aussage just in ihr Gegenteil verkehrt. So wie bei dem Zitat Weimers mit dem Bild aus Warschau.

Dieses Bild ist nämlich mitnichten im Rahmen des Warschauer Aufstands entstanden, bei dem die Polnische Heimatarmee vom 1. August 1944 an versuchte, die Stadt von der NS-Herrschaft zu befreien. Der Aufstand endete in einem Blutbad, Zehntausende polnische Zivilisten wurden dabei ermordet.

Das Bild zeigt in Wirklichkeit eine Szene aus dem Warschauer Ghetto-Aufstand vom April 1943, bei dem todesmutige jüdische Aktivisten verzweifelt versuchten, sich der vollständigen Vernichtung ihres Volkes zu erwehren. Auch wenn die Nazis den Aufstand niederschlugen, so gilt er doch bis heute als ein Symbol dafür, dass sich die Jüdinnen und Juden keineswegs wie die Lämmer zur Schlachtbank führen ließen, sondern kämpften.

Weimers Behörde hat aber nicht nur zwei historisch höchst wichtige Ereignisse in der polnischen und jüdischen Geschichte vertauscht. Es hat auch Nazi-Propaganda verbreitet, ohne diese in einen Kontext zu setzen. Das Bild von den Zivilisten mit erhobenen Händen stammt nämlich nicht von einem unabhängigen Reporter. Die gab es damals gar nicht.

Es ist vielmehr Teil des sogenannten Stroop-Reports, benannt nach dem Warschauer SS- und Polizeiführer Jürgen Stroop. Der war für die Unterdrückung des Aufstands verantwortlich und stellte ein Album über dessen Niederschlagung mit den entsprechenden Fotos zusammen.

Das bedeutet: Dieses Foto ist ein Bild aus der Täterperspektive. Es zeigt die Opfer so, wie es sich die deutsche NS-Propaganda wünscht. Die Aufständischen werden abgeführt (und ermordet, aber das ist hier nicht zu sehen). Der Wehrmachtsoldat steht seinen Mann. Die Situation ist bereinigt, die Nationalsozialisten haben gesiegt. […]

(Klaus Hillenbrandt, 04.08.2025)

Damit wandelt Weimer auf den Spuren des peinlichen und völlig zu Unrecht verehrten Bundespräsidenten Herzog.

(….) Als Martin Walser am 11.10.1998 in seiner skandalösen Paulskirchenrede verkündete, die Juden seien schuld, wenn er leide, blieben Ignatz und Ida Bubis, geschockt und versteinert sitzen. Sie hatten es nicht für möglich gehalten so öffentlich als Juden wieder gedemütigt zu werden.

Roman Herzog, der nur zwei Plätze weiter saß, hatte natürlich nicht im Geringsten die Brisanz der Walser-Keule begriffen und sprang begeistert applaudierenden von seinem Sitz.

Man möge sich das gerade gestern in der ARD gelaufene „Letzte Gespräch“ Ignatz Bubis‘ noch einmal ansehen, um diese entsetzliche Kaltherzigkeit des Bundespräsidenten noch mal vor Augen zu halten.

Unfassbar peinlich auf Herzogs Fauxpas bei seinem Staatsbesuch 1994 in Polen, als er, ausgerechnet der DEUTSCHE Präsident scheinbar gar nicht den Unterschied zwischen dem Aufstand im Jüdischen Ghetto Warschaus und dem Warschauer Aufstand kannte.   Der Warschauer Aufstand fand statt vom 01. August bis 03. Oktober 1944, als die deutschen Truppen die gesamte Polnische Hauptstadt dem Boden gleichgemacht, 20 % aller Polen getötet und dabei noch nie dagewesene Grausamkeiten begingen.

[….] Himmler hatte im Sinne Hitlers bereits Tage zuvor den Befehl gegeben, sämtliche nichtdeutschen Einwohner Warschaus ohne Ansehen von Alter, Geschlecht oder Beteiligung am Aufstand zu töten und die Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Durch diese Anordnung wollte er den Widerstand des polnischen Volkes gegen die NS-Herrschaft ein für alle Mal brechen. Infolgedessen endete der Angriff der „Kampfgruppe Reinefarth“ gegen den westlichen Stadtteil Wola mit einem Massaker an der Zivilbevölkerung. Schätzungen zufolge töteten die deutschen Einheiten zwischen 20.000 und 50.000 polnische Zivilisten. Die Einheiten vermieden es sogar, den Kampf gegen die Heimatarmee aufzunehmen. Der Kommandeur der in Wola liegenden AK-Einheiten bezeichnete seine Verluste an Soldaten mit 20 Toten und 40 Verwundeten. Reinefarth beschwerte sich unterdessen bei seinen Vorgesetzten, dass die ihm zugeteilte Munition nicht ausreiche, um alle gefangenen Zivilisten zu erschießen. [….]

(Das Massaker von Wola)

Wieso ausgerechnet der 03.10. später zum deutschen Nationalfeiertag erhoben wurde, weiß wohl nur der Historiker Helmut Kohl.

Der Aufstand des Jüdischen Ghettos in Warschau fand zwischen dem 19. April 1943 und dem 16. Mai 1943 statt. Die Warschauer Bevölkerung hatte damals noch relativ teilnahmslos zugesehen wie die deutschen Besatzer das gesamte Ghetto zerstörten und alle Juden umbrachten.

Roman Herzog kannte aber den Unterschied gar nicht so genau.

Er verkündete er werde „am 1. August 1994 aus Anlass des 50. Jahrestages im Warschauer Ghetto" nach Polen reisen.  Er hätte zurücktreten müssen. (….)

(Elitenverachtung, 11.01.2017)

Ich schäme mich in Grund und Boden für Deutschland. Konservative hingegen kennen gar keine Scham mehr.

Es ist ein Jammer, solche peinlichen Deppen in den Top-Regierungspositionen zu sehen, denn es gibt durchaus auch kluge wortgewandte Deutsche. Deswegen zitiere ich so gern Michel Friedman.

(….) In seinem neuen Buch „Judenhass“ (Berlin Verlag 2024) dröselt Michel Friedman die Situation auf und erklärt in leicht verständlichen Worten, was judenfeindliche linke Akademiker und Kunstschaffende bedenken sollten.

[….] Die Documenta in Kassel  hat in aller Deutlichkeit gezeigt, dass BDS* auch ein eliminatorisches Prinzip formuliert. Selbst die bekanntesten Wissenschaftler, Künstlerinnen, Musiker sollen nicht mehr auf­treten dürfen, bekommen also ein lebenslanges Berufsverbot, nur weil sie israelische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sind. Selbst wenn sie sich gegen die Regierung auflehnen, ihre Politik also verurteilen und für eine Zweistaatenlösung kämpfen, ändert das nichts an dem Bann. Sie sind Juden und als solche verdächtigt, angeklagt. Verurteilt. Eine Kollektivstrafe, die der Einzelne nicht aufheben kann. Diese autoritäre, größenwahnsinnige Haltung, die auch von vielen Nichtjuden aus unterschiedlichen Gründen als mutig und konsequent angesehen wird, ist Antisemitismus. Boykott ist immer undifferenziert. Wenn also wie bisher israelische Musiker, Wissenschaftlerinnen und Künstler nicht mehr auftreten dürfen, nur weil sie Israelis sind, und dies als gerecht empfunden wird, ist das für mich ein Ausdruck blinder Selbstgerechtigkeit.  [….]

(M. Friedmann, zitiert aus dem SPIEGEL, 27.01.2024)

* Boycott, Divestment and Sanctions ist eine transnationale politische Kampagne, die den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will. (….)

Wenn man öffentlich Friedman zitiert, kann man gewiss sein, im Internet hämische Kommentare von rechts zu bekommen, die mit unappetitlichen Erinnerungen an sein Skandälchen von 2003 erinnern und meinen, ihn damit für immer desavouieren zu können. Der Mann, der fast seine gesamte Verwandtschaft im Holocaust verloren hat, steckte damals in einer Depression.  Er war als Anwalt, Publizist, CDU-Politiker, Talkmaster und durch seine Positionen im Zentralrat der Juden in Deutschland und als Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses medial äußerst präsent.

Nach 2003 durchlief er eine extreme Karthasis, trat von allen Ämtern und Jobs zurück. Ja, er wandte sich sogar von seiner akademischen Profession, der Juristerei ab und begann völlig neu. Der Einser-Abiturient hatte zunächst Humanmedizin studiert, das Physikum erfolgreich absolviert. Dann wechselte er zu Jura und wurde 1994 an der Universität Mainz zum Dr. iur. promoviert.

2006 begann er ein Studium der Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und wurde 2010 bei Klaus-Jürgen Grün mit der Dissertation Schuldlose Verantwortung. Vorgaben der Hirnforschung für Ethik und Strafrecht zum Dr. phil. promoviert.

Seit 2016 wirkt Friedman als Honorarprofessor an der Frankfurt University of Applied Sciences. Zudem war er von 2016 bis 2022 einer von vier Direktoren des Center for Applied European Studies (CAES), eines Forschungszentrums für Europafragen dieser Hochschule.

Die akademische Mehrfach-Qualifikation des Intellektuellen ist ein Glück für uns Normalos, da wir von seiner Weisheit profitieren können. Soeben erscheint sein neues Buch „Mensch“. Insbesondere wirkt Friedman, der im Januar 2025 aus Protest gegen Friedrich Merz die CDU verließ, als wortmächtiger Streiter wider des Rechtsextremismus‘ in Deutschland.

[….] SZ: „Mensch!“ ist nun ein Buch geworden, in dem Sie vieles mischen: Biografisches, Gegenwartsanalyse, Mahnung und fast schon Pep-Talks für die Demokraten. Konnten Sie sich für keine Variante entscheiden?

MF: Nein, das war eine bewusste Entscheidung. Weil am Ende solche Sachbücher natürlich auch eine subjektive Seite haben, habe ich versucht, von Anfang an Ehrlichkeit reinzubringen. Und einen Text zu schreiben, in dem wir Ursachen und Wirkungen erkennen können, aber auch, wer da aus welcher Motivation spricht.

[….] Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit ist mir wichtig. Ich bin ein Handelsvertreter der Demokratie und will meine Sache an die Menschen bringen.

[….] Leidenschaftliche Demokraten brauchen mich nicht, und leidenschaftliche Hasser haben von mir ohnehin genug. Es geht um die Unentschiedenen.  […..]

(Michel Friedman, 28.08.2025)

In der Tat. Alice Weidel, Spahn, Dobrindt, Söder, Klöckner und ähnliche Zündler wird er nie erreichen. Genauso sicher (und somit sinnlos) hat Friedman Menschen wie mich ohnehin an seiner Seite. Da ist nichts zu gewinnen; nichts zu verlieren.

Aber es lohnt der Versuch, nicht noch mehr im Denken Schwächelnde nach rechts abkippen zu lassen. Der 69-Jährige will sich nicht auf toxischen Plattformen der Jugend tummeln, weil er dort nicht zu Hause ist. Daher ist es wieder ein Buch. Richtig so! Schuster bleib bei deinen Leisten.

[….]  Ich bin in keinen sozialen Medien, sie sind ein brutales Instrument des Kapitalismus. Algorithmen machen aus allem, was wir inhaltlich beschreiben können, eine kommerziell zugespitze Ware. Sie verkaufen uns, denn sie haben nichts dagegen, dass Mächte wie Russland, aber auch China, mit ihnen unsere Demokratien angreifen. Tiktok ist eine Plattform, die primär Propaganda und Lügen verbreitet. Sie lässt ihre Konsumenten manipulieren und verdummen. Für Tiktok oder Instagram werde ich nicht anfangen zu singen oder zu tanzen.

[…] Bei allem, was ich eben sagte, hoffe ich natürlich dennoch, dass meine Inhalte ihren Weg dahin finden. Meine Rede im hessischen Landtag haben auf Youtube Hunderttausende Menschen gehört – und das sind junge Menschen.  […..]

(Michel Friedman, 28.08.2025)

Aber in einem Punkt weiche ich von Friedmans Ansicht stark ab. Er warnt, ruft entschieden zu Engagement auf. Er hat noch Hoffnung. Ich nicht. Ich bin Pessimist.

[….] Nach einer Umfrage haben über 60 Prozent der Deutschen gesagt, dass sie damit rechnen, dass im nächsten Jahr ein AfD-Ministerpräsident gewählt sein wird. Das klingt, als hätten sie bereits aufgegeben, das ist unaufhaltsam. Was für ein Offenbarungseid. Jetzt schon? Alles aufgeben? Und man muss es aussprechen, die Demokratie ist in Ostdeutschland strukturell von autoritären Rechtsextremisten, Antidemokraten und ihren Wählerschichten bedroht. Die Demokratie in Deutschland ist noch nicht zusammengewachsen. Natürlich mit vielen Ausnahmen.  […..]

(Michel Friedman, 28.08.2025)

Dienstag, 19. August 2025

Handyverbot für Eltern

Neulich ließ ich mich einmal hinreißen. Tat etwas, das man als kinderloser Ü50-Mann niemals tun sollte. Ich kommentierte auf Bluesky einen Thread, in dem mehrere sächsische Jungmütter die Preise von Kita-Mahlzeiten und Schulkantinen beklagten. Es sei viel zu teuer, während sich „die Politiker“ in der Landtagskantine besseres Essen leisteten. Als Mütter fühlten sie sich nicht gewürdigt und „die Politiker“ dürften sich dann auch nicht über niedrige Geburtenraten wundern. Zahlreiche weitere Kindererzeuger posteten empört, die Summen, die ihre Brut in den Schulen für das Essen zahle. Ossi-Anspruchsdenken par excellence.

Mütter und Kinder sind ein heikles Thema in der Politik. Jede Partei inszeniert sich als besonders kinderfreundlich; es gibt hunderte verschiedene, sich teilweise widersprechende Familienleistungen in den Etats von Kommunen, Ländern und Bund. Aktuell bereitet die CSU-Mütterrente von 19 Euro dem Finanzminister Kopfzerbrechen.

Es dürfte unstrittig sein, daß es sich für den Staat lohnt, in die Jugend zu investieren, daß Bildung nicht vom Portemonnaie der Eltern abhängen darf, daß Kinder allein zu erziehen, ein enormes Armutsrisiko darstellt.

Ebenfalls unstrittig ist allerdings, daß die wenigsten der finanziellen Maßnahmen zielgerichtet sind; wie Kindergeld und Mütterrente nach dem Gießkannenprinzip auch an die ausgeschüttet werden, die es überhaupt nicht nötig haben. Von dem Ehegattensplitting profitiert man sogar, umso mehr, je reicher man ist, während bedürftige Mütter gar nichts davon haben.

Also, ja, liebe Mütter, die Ihr Euch über Kita-Kantinenpreise echauffiert: Ihr habt da einen validen Punkt; es geht sehr ungerecht zu. Außerdem ist es teurer, sich nicht um Kinder zu kümmern und sie bildungsfern in Prekariatsstrukturen aufwachsen zu lassen. So produziert man die Kriminellen und Transferleistungs-Abhängigen von morgen und nicht etwa, in die Rentenkasse einzahlende Gutverdiener.

Fast alle CDUCSUFDP-Politiker beklagen, es würde zu wenig gearbeitet in Deutschland. Die Bürger sind also faule Säcke, die es sich im Bürgergeld gemütlich machen?
Damit fehlinterpretieren Linnemannmerzspahn bewußt die Zahlen. Denn bei der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit, werden die Teilzeitler mit eingerechnet. Oft Frauen, die durchaus mehr arbeiten möchten, das aber nicht können, weil es insbesondere in Westdeutschland, Bayern!, viel zu wenig Kinderbetreuung gibt.

Also ist mindestens ein Elternteil gezwungen, maximal eine halbe Stelle anzunehmen.

Rentenpolitiker, die sich über den demographischen Wandel grämen und überlegen, wie man mehr Beitragszahler generiert, sprechen schon von der Frauen-Reserve. Es gäbe natürlich eine höhere Durchschnittswochenarbeitszeit, wenn es überall genügend Kita-Plätze gäbe. Außerordentlich perfide, wenn ausgerechnet die konservativen Herdprämien-Politiker, die Mütter zu Hausfrauen machen möchten, gleichzeitig über die ihrer Ansicht nach zu geringe Arbeitsleistung in Deutschland klagen.

Die Bluesky-Damen regte ich aber auf, indem ich auf die seit des Pillenknicks konstant niedrigere Geburtenrate verwies. Kita-Essen-Preise haben offenbar keinen Einfluss auf das Gebärverhalten.

Ich wurde nach der Erfindung der Antibabypille geboren und kann über Preise der Schulverpflegung gar nicht mitreden, weil es das zu meiner Schulzeit in den 1970ern und 1980ern selbst im reichen Hamburg schlicht gar nicht gab.

Ich war in keiner Kita und habe weder in der Grundschule, noch im Gymnasium jemals etwas zu essen bekommen. Viele meiner Mitschüler bekamen das typische „Pausenbrot“ mit in den Ranzen gestopft, das sie in den großen Pausen vertilgten. Ich allerdings nicht, weil ich schon damals vormittags ohnehin nie aß. Ab ca der 8. Klasse schlichen wir heimlich in den Pausen vom Schulgelände und liefen zu einem kleinen Supermarkt, der fünf Minuten entfernt war. Man musste schon sportlich sein bei 20 Minuten Pause: 5 Minuten hin, Schlange stehen an der Kasse, 5 Minuten zurück.

Aber der VS, der 11. Klasse, verlagerte sich das Problem. Der Lehrermangel war so enorm, daß die Oberstufe stets Nullte Stunde (Beginn 07.05 Uhr) gefolgt von vielen Freistunden und dann wieder Unterricht oft erst in der 7., 8. Stunde. Gern unterbrochen von einer einzelnen Stunde mittendrin, so daß es sich nicht lohnte, nach Hause zu fahren. Aber in den Freistunden blieb genügend Zeit mit dem Bus ins nächste Einkaufzentrum zu fahren und da sinnlos rumzulungern. Wir kannten natürlich ganz genau die Preise der Kaffeeautomaten in der schäbigen Horten- oder Kaufhofkantine, hockten uns dahin, wo es am billigsten war. Scheußlicher Kaffee, nebenbei bemerkt – kein Vergleich zu dem was die Jugendlichen heute alles bei ihren obligatorischen „Coffee to go“ geboten bekommen.

Mein Mutter arbeitete in meiner Oberstufenzeit nicht, die meisten Mütter meiner Freunde aber schon. Normale Jobs. Allein drei waren Verkäuferinnen in dem EKZ, in dem wir uns vormittags rumtrieben.

Wie kann es also sein, daß ich geboren wurde? Und nicht verhungerte?
Daß die Mütter meiner Elterngeneration arbeiteten, Kinder bekamen ganz ohne Kitas und nachmittägliche Betreuung, daß sie uns Pausenbrot einpackten und wir ganz ohne irgendwelche Zusatzleistung der Schulen den Tag durchhielten?
Es liegt an der mangelnden Zeit, die den Jungmüttern durch ihr ewiges Messen mit anderen Müttern in ihren Whatsappgruppen verloren geht. Mütter und Väter hängen unablässig am Handy. Deswegen lassen sie auch ihre Kinder in Freibädern ersaufen.

So berichtet es Marcus Gross, Bademeister im Hamburger Holthusenbad.

[…] »Ich arbeite seit 2009 für Bäderland. Leider hat sich seitdem an der Unachtsamkeit vieler Eltern nichts geändert. Sie kommen ins Bad, setzen ihre Kinder ab und beschäftigen sich ab da mit ihrem Handy, lesen Zeitung oder trinken Kaffee. Ich erkläre ihnen dann, dass sie bei ihren Kindern sein müssen. Wenn die nicht schwimmen können, haben die Eltern auch im Wasser zu sein, ganz einfach. […] Viele Eltern unterschätzen die Gefahren. Sie glauben, Ertrinken sei laut und auffällig, wie im Fernsehen. Dabei ist es oft ein leiser Tod – gerade bei Kindern. Es ist erschreckend, wie schnell das passieren kann. Deshalb sage ich immer: Behalten Sie Ihr Kind im Blick und in Griffnähe, wenn es noch nicht schwimmen kann.

Einmal ging ein Vater kurz auf die Toilette und ließ sein Kind ohne Schwimmflügel allein. Es lief ins Wasser und trieb kurz darauf mit dem Gesicht nach unten, bis mein Kollege es rettete. Zum Glück ging alles gut, aber solche Fälle beschäftigen uns. In der Regel erfahren wir nachher auch nicht, wie es den Kindern geht. Selten kommt ein Dankeschön. […]

(SPIEGEL, 19.08.2025)

Das Thema spielte in meiner Kindheit eine große Rolle, weil es neben unserem Garten Teiche gab, in dem angeblich mal ein Nachbarskind ertrank. Schon meine Oma achtete daher stets mir Argusaugen auf ihre Kinder und predigte, sie müssten als erstes schwimmen lernen.

Auch ich wurde schon mit drei Jahren in eine Schwimmschule geschleppt. Ich erinnere mich immer noch an den Abschlusstag, als ich dachte, ich könne wirklich ganz gut schwimmen und dann von dem Schwimmlehrer mit allen meinen Klamotten ins Becken geworfen wurde. Erstaunlich, wie enorm die Kleidung unter Wasser nach unten zieht.

Wie im Holthusenbad, beobachte ich es auf dem betreuten Abenteuerspielplatz gegenüber meiner Wohnung. Muttern und/oder Vatern rücken mit ihren SUVs an, geben ihren Blagen einen Tritt in den Hintern und hängen in ihr Klugtelefon vertieft abseits auf den Bänken. Interessieren sich nicht die Bohne für ihre Leibesfrüchte.

Sonntag, 17. August 2025

Vergewaltigung der Realität.

 

Verschwörungstheorien sind für Idioten so attraktiv, weil sie einfache Antworten auf komplexe Fragen liefern. Falsche Antworten zwar, aber dafür passen sie besser zu dem eigenen schlichten Weltbild, als die Fakten.

Deswegen müssen Doofe und Rechte sich auch nicht weiterbilden. Sie sind schließlich mit den simplen (aber falschen) Erklärungen zufrieden und haben immer passende Sündenböcke zur Triebabfuhr. „Die Grünen sind schuld. Die Ausländer sind schuld. Der linksgrünversiffte Mainstream ist schuld. Die Systemmedien sind schuld.“

Gebildete Menschen haben es schwerer, weil ihre Erkenntnis der Realität immer mehr Fragen aufwirft, denen man nachgehen muss.

Leseratten kennen das Phänomen von ihren wachsenden Bücherregalen. Je mehr Bücher man im Leben gelesen hat, desto mehr (und nicht etwa weniger) bleiben übrig, die man unbedingt noch lesen will. Je mehr Naturwissenschaftler unsere Welt entschlüsseln, desto mehr Forschungsfelder tun sich auf.  

Vieles, mit dem wir täglich konfrontiert werden, erweist sich als immer hochkomplexer, je mehr wir darüber wissen. Eine Krebsbehandlung bestand Jahrhundertelang aus Aderlass und Gebeten. Im Jahr 2025 gibt es nicht etwa nur studierte Ärzte, sondern unter ihnen wiederrum als Spezial-Spezialisten Onkologen, die sich aber mittlerweile in Spezial-Spezial-Spezialisten aufteilen: Für jedes Organ gibt es spezialisierte Onkologen; dazu Hämato-Onkologie, Nuklearmedizin, Radiologie, Labormedizin, Pathologie, Psychoonkologie, Stammzellenonkologie, Palliativonkologen, etc.

Lungen- oder Magenkrebs sind daher nicht mehr unbedingt ein Todesurteil, aber die Behandlung ist extrem aufwändig, die Forschung daran enorm teuer.

Glücklicherweise gibt es aber im Alltag der Menschen auch viele überholte Probleme, die technisch hinreichend gelöst sind. Wärmepumpen klimatisieren effektiv unsere Häuser und zur nachhaltigen Energieerzeugung kann man sich Solarpanels auf das Dach legen. Da gibt es jeweils technisch überhaupt keine Probleme mehr und viel Fachwissen ist dazu nicht erforderlich.  Insbesondere in Industriestaaten, die wie die USA wohlhabend genug sind, um diese Techniken anzuschaffen und in denen, wie in Kalifornien, die Sonne kostenlos enorme Energie auf die Dächer brennt, muss man zur Energiegewinnung also kein klimaschädigendes Kohlendioxid in die Luft blasen. Es geschieht aber dennoch, weil in Washington eine ideologische Idioten-Regierung amtiert, weil die Mehrheit der US-Wähler bedauerlicherweise ebenfalls Vollidioten sind. Die SZ-Kolumnistin in Los Angeles berichtet Ungeheuerliches.

[….] Wir schwitzen in Kalifornien gerade in einer offiziellen Hitzewelle der Stufe „hochgefährlich“. Die dritte in zwei Monaten. Dazu passt die gute Nachricht des Sommers wie ein Sonnenbrand: Die Umweltbehörde EPA, die bisher die Aufgabe hatte, die Umwelt zu schützen (das EP stand bisher für „Environmental Protection“, ab jetzt für „Extreme Pinocchio“), hat gerade die offiziellen Emissionsziele mit einer bahnbrechenden Erkenntnis gekippt: Treibhausgase seien gar nicht schädlich und auch nicht maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich. Mit dieser frohen Botschaft werde er „einen Dolch durch das Herz der Klimawandel-Religion stoßen“, verspricht fröhlich der oberste Umweltbeauftragte, Lee Zeldin, als handle es sich bei den steigenden Temperaturen um eine Glaubensfrage, die sich mit Knoblauchzehen und einigen Ave-Maria lösen ließe. [….] Kohlekraftwerke in den USA dürfen jetzt weiter lustig vor sich hin rauchen – ganz ohne nervige CO₂-Grenzwerte. Auch mehr Quecksilber in der Luft, Smog in Städten und Chemikalien im Wasser werden die Amerikaner künftig wieder tolerieren müssen, denn die EPA schafft Dutzende Grenzwerte für Gifte ab, selbst wenn das geschätzte 200 000 Menschenleben kosten dürfte. Wer braucht schon saubere Luft, wenn man auch PR-Mitteilungen einatmen kann?

Den wissenschaftlichen Arm der EPA hat Zeldin einfach geschlossen, denn die Wissenschaftler sagen selten, was er hören will. Die Trump-Regierung will sogar zwei perfekt funktionierende Satelliten abschießen, obwohl sie (oder weil sie?) aus dem All die Kohlendioxid-Konzentration zuverlässig messen. Die Abrissbirne macht aus Klimaschutz ab sofort Ermessenssache. [….]

Ich wollte eigentlich Solarpaneele auf unserem Dach installieren. Daraus wird nun nichts, denn die sind hier unglaublich teuer. Die EPA hat sieben Milliarden Dollar für Solarförderung und 20 Milliarden für alternative Energien, die Bidens Regierung längst bewilligt hatte, einfach storniert. Obwohl wir in Kalifornien mehr Sonne haben, als uns guttut: Auch auf den Dächern meiner Nachbarn prallt die sengende Sonne überall auf Ziegel, nirgendwo auf Solarpaneele. [….] Die Regierung hat gerade eine neue Website Heat.gov gestartet, auf der sie Tipps gegen Hitzestress gibt. Die wichtigsten: Klimaanlage einschalten und Wasser trinken. Alles so easy. [….]

(Michaela Haas, 14.08.2025)

Es ist dramatisch, den Kampf gegen Pankreaskrebs zu verlieren; es ist tödlich; muss aber akzeptiert werden, weil solche Tumore nach heutigem technischen Stand trotz Bemühungen oft nicht zu stoppen sind.

Es ist dramatisch den Kampf gegen den Klimawandel zu verlieren; letztlich für alle tödlich; kann nicht akzeptiert werden, weil wir es besser wissen und besser können. Wir wollen aber keine Lösung, obwohl unstrittig ist, daß kein Klimaschutz sehr viel teurer, als der teure Klimaschutz ist.


Die technischen Möglichkeiten haben wir auch in Deutschland, werden aber ebenfalls von einer todessehnsüchtigen Fossillobby-Regierung ausgebremst, die ins Amt kam, weil die Mehrheit der deutschen Wähler Vollidioten sind.

[….] Netzbetreiber nutzen bereits die Reiche-Narrative.

Beispiel aus Reutlingen: Dort dürfen 300 Bürger ihren überschüssigen Strom nicht mehr ins Netz einspeisen. Die FairNetz GmbH, der lokale Netzbetreiber, begründet das so:

"Das Stromnetz hat sich von einem reinen Verbrauchsnetz zu einem dezentralen Erzeugungsnetz gewandelt - schneller, als es in bisherigen Prognosen vorhersehbar war."

Ich würde es eher so ausdrücken:

"Wir haben als Netzbetreiber in den letzten 20 Jahren andere Prioritäten gehabt und Ausbau zum dezentralen Erzeugungsnetz verpennt. Es tut uns total leid, dass jetzt private Anlagenbesitzer hierunter zu leiden haben. Wir entschuldigen uns dafür und entschädigen natürlich auf andere Weise."

Weiter heißt es beim SWR:

"Immer mehr private Erzeuger" würden "immer mehr Strom aus ihren Photovoltaik-Anlagen ins Netz einspeisen" - ja zappalott! Es ist der Job der Netzbetreiber genau das abzufedern.

So seien jetzt 300 Kunden aus #Reutlingen über eine zwangsweise Null-Einspeisung informiert. Aktuell speisen 11.700 Photovoltaikanlagen - und damit jedes fünfte Dach in Reutlingen - Strom in das Netz der FairNetz ein. Weitere Anlagenbetreiber dürfen ihre Anlagen bauen, erhalten die "Einspeisegenehmigung" dann aber später.

Und weiter: "Deshalb muss die FairNetz eigenen Worten zufolge Transformatoren austauschen, neue Ortsnetzstationen errichten und kilometerweit neue Kabel verlegen. Aber gerade, was neue Ortsnetzstationen angehe, so die FairNetz, stehe sie vor Herausforderungen, weil die kommunalen verfügbaren Flächen begrenzt seien. Das Unternehmen sei also dankbar, wenn sich die Besitzer privater Flächen - ab 16 Quadratmetern - melden."

Ernsthaft? Der Ausbau scheitert an kommunalen Flächen von der irren Dimension von 16 Quadratmetern?!?  […..]

(Cleanthinking, 16.08.2025)


Aus ideologischer Verblendung und/oder kurzfristiger Raffgier wollen Merz, Spahn und Reiche uns in den Hitzetod treiben.

[….] Die Reaktion insbesondere unionsgeführter Regierungen der vergangenen Jahrzehnte war verlässlich die gleiche: erst mal bremsen (egal, ob die anderen das auch tun). Deutschland setzte auf Kupferkabel statt Glasfaser, das mobile Internet galt lange als etwas alberne Spielerei, das Smartphone auch. Die Digitalisierung der Verwaltung steht als Ziel in jedem Koalitionsvertrag. Immer wieder.

Beim Thema künstliche Intelligenz war es das Gleiche: spätestens mit dem Sieg von AlphaGo gegen den Go-Meister Lee Sedol im Jahr 2016 hätte eigentlich klar sein müssen, dass gerade eine neue Ära der Technikgeschichte begonnen hat. Exemplarisch für die Bräsigkeit deutscher Regierungen im Umgang mit Transformationsprozessen war ein Satz des damaligen Wirtschaftsministers Peter Altmaier, gesprochen im Jahr 2018 bei einem der zahllosen, stets folgenlosen »Digitalgipfel«: Er freue sich auf eine Zukunft, scherzte Altmaier damals, in der ihm ein in Deutschland hergestellter Digitalbutler das Bier aus dem Kühlschrank hole. So stellen Unionsminister oft die Zukunft dar: wie die Vergangenheit, nur noch ein bisschen bequemer. [….] Unionsgeführte Regierungen reden immer viel von Strategie und Veränderungswillen und tun gleichzeitig möglichst viel dafür, den armen Deutschen die Veränderung möglichst lang vom Leib zu halten. Verbrenner retten! Gasheizung erhalten! Man versucht jetzt, das absolut unausweichliche Ende des Verbrennungsprozesses als zentraler Energiequelle zu ignorieren, zu vertagen, zu bremsen, zu verschieben. Das wird sich ebenso rächen wie bei den Themen Digitalisierung, Internet, künstliche Intelligenz. Denn die anderen warten nicht. [….] Huch, Elektroautos! Huch, Batteriespeicher! Huch, Wärmepumpen! Huch, billiger Strom aus Sonne und Wind! Huch, China! Huch, exponentielles Wachstum!

Man kann gerade live beobachten, wie eine unionsgeführte Regierung erneut versucht, die Fehler der Vergangenheit sehenden Auges zu wiederholen. Die Parallelen sind verblüffend. Aber die geopolitischen Gefahren womöglich noch größer.

Konkret zeigt sich das an der Kommunikation der Wirtschaftsministerin: Katherina Reiche (CDU) hat in den ersten zehn Wochen ihrer Amtszeit zum Thema Energiewirtschaft praktisch ausschließlich Dinge gesagt und getan , die fossilen Geschäftsmodellen nutzen und Elektrifizierung und erneuerbaren Energien schaden sollen. Gas wird billiger, Strom bleibt teuer, Gasheizungen sollen so lang wie möglich weiterlaufen, der Vorrang für grünen Wasserstoff wird gekippt, in der Nordsee soll Gas gefördert werden, und Reiche will so viele Gaskraftwerke bauen lassen, dass die EU zweifellos intervenieren wird.

Ende August soll ein von Reiches Ministerium in Auftrag gegebener »Monitoringbericht« erscheinen. Er wurde dem Anschein nach mit einem sehr konkreten Ziel bestellt: den Ausbau der erneuerbaren Energien abzubremsen, weil der angeblich zu schnell gehe und damit zu hohe Kosten verursache. »Überzogen« hat Reiche diesen Ausbau schon einmal genannt, jetzt braucht sie Argumente dafür, dass sie damit recht hatte. [….]

(Prof. Christian Stöcker, 17.08.2025)