Mittwoch, 11. April 2012

Destruktivismus



Die Griechen sparen bekanntlich dermaßen, daß es quietscht. 
Große Teile Athens mutieren zu Slums, Nierenpatienten können sich ihre Dialyse nicht mehr leisten und Hunger wird wieder alltäglich.
Es trifft, wie immer im Kapitalismus, diejenigen, die nichts dafür können.

Deutschland ist der große Profiteur der Schande von Griechenland.
 Dort wird das einfache Volk ausgepresst nachdem die griechische Regierung Deutschen Rüstungsfirmen Milliarden-Aufträge erteilt hatte, hunderte Panzer kaufte, U-Boote bestellte. 
Deutsche Anleger freuen sich über die Dividenden, die ihnen griechische Staatsanleihen bringen. Deutsche Banken, als die griechischen Kreditgeber verdienen üppig am Hellas-Desaster. 
Ganz Griechenland fungierte als Absatzmarkt für deutsche Waren, die mit hartem Euro bezahlt wurden. 

Aber der Krug ist inzwischen doch gebrochen.
 Nun breitet sich Elend aus, während es Deutschland gut geht.

Nachdem immer mehr Berichte aus griechischen Schulen auftauchten, in denen Kinder vor Hunger in Ohnmacht fielen, war die Athener Regierung gezwungen Essensmarken auszugeben.

 Das griechische Bildungsministerium will arme Schüler und Familien mit Lebensmittelmarken unterstützen. Von kommender Woche an sollen an 18 Schulen in neun Arbeitervierteln kostenlos Coupons für Milch, Früchte und Kekse verteilt werden, sagte die Staatssekretärin im Bildungsministerium, Evi Christofilopoulou, dem Parlament nach Angaben der halbamtlichen Nachrichtenagentur ANA. Die Marken bekommen dabei nur jene, die von den staatlichen Sparmaßnahmen am härtesten betroffen sind.
 Seit Monaten steht die Regierung unter Druck diesbezüglich zu handeln. Denn Medien hatten über unterernährte Schüler berichtet, die im Unterricht vor Entkräftung in Ohnmacht fielen.

Die Lehrer können ihren Schülern kaum behilflich sein. Der Durchschnitts-Jahreslohn eines griechischen Lehrers sank aufgrund der Sparanstrengungen von rund € 20.000 auf € 12.000.

Die zynische Reaktion der christlichen Bundeskanzlerin:
Es werde eben noch nicht genug gespart; Athen solle ein EU-Sparkommissar zur Seite gestellt werden.

An dieser Stelle betone ich immer wieder, daß die Merkel/Steinmeier-Regierung für das eigene Volk genau die gegenteilige Kur durchführte. 

Am 05. November 2008 legten Steinbrück und Co das Konjunkturpaket I (Maßnahmenpaket „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“) auf, welches Dutzende Maßnahmen umfasste - darunter die wichtige Verlängerung des staatlichen Kurzarbeitergeldes.

Finanz- und Wirtschaftsministerium betonten stolz:

„Die Maßnahmen der Bundesregierung fördern in den Jahren 2009 und 2010 Investitionen und Aufträge von Unternehmen, privaten Haushalten und Kommunen in einer Größenordnung von rd. 50 Mrd. €. Darüber hinaus gewährleisten Maßnahmen zur Sicherung der Finanzierung und Liquidität bei Unternehmen die Finanzierung von Investitionen im Umfang von gut 20 Mrd. €. Zusammen mit den vom Kabinett am 7. Oktober 2008 beschlossenen Maßnahmen werden allein in den Jahren 2009 und 2010 insgesamt rd. 32 Mrd. € aus den öffentlichen Gesamthaushalten zur Verfügung gestellt.“
(BMWi und BMF Nov 2008)

Der hyperaktive Bundesfinanzminister Steinbrück ruhte aber auch anschließend nicht und schob sofort ein weiteres staatliches Ausgabenprogramm an.

Das Konjunkturpaket II („Pakt für Beschäftigung und Stabilität in Deutschland zur Sicherung der Arbeitsplätze, Stärkung der Wachstumskräfte und Modernisierung des Landes“) wurde im Januar 2009 beschlossen und hatte sogar einen noch größeren Umfang. 

Es umfasste 13 Beschlüsse - darunter die berühmt-berüchtigte „Abwrackprämie“, den „einmaligen Kinderbonus“ von 100 Euro, massive Investitionen in den Breitbandnetzausbau und einen zehn Milliarden-Euro-Zuschuss für kommunale Investitionen.

Fast alle Parteien und Wirtschaftswissenschaftler sahen die Maßnahmen als notwendig an - außer der FDP, die heftig gegen die Maßnahmen wetterte.

Schließlich führten die staatlichen Ausgaben dazu, daß kein anderes EU-Land (außer Polen) so gut wie Deutschland durch die Krise kam.

Die damaligen Wohltaten gönnte Merkel aber nur den Deutschen. Von den anderen EU-Problemstaaten verlangt sie das diametrale Gegenteil.

 Sie meint, daß man die Verhungernden am besten durch Essensentzug heile.

Dieser konservative Wahnsinn hat inzwischen dazu geführt, daß ein kürzlich noch gut dastehendes Land wie Spanien durch die sogenannten „Eurorettungspolitik“ zum zweiten Griechenland zu werden droht.

Die Deutsche Kanzlerin (Schuldenquote Deutschland = 82%) verlangt von der spanischen Regierung (Spanische Schuldenquote = 69%) dringend Schulden abzubauen, während ihre Chaos-Koalition zu Hause sinnlos geliehene Milliarden aus dem Fenster wirft - siehe Pendlerpauschale, siehe Herdprämie, …

Die spanische Regierung hat vergangene Woche einen Haushalt vorgeschlagen, der in diesem Jahr 27 Milliarden Euro einsparen soll. Das Problem ist, dass Spanien schon jetzt in einer Rezession steckt. Die Arbeitslosenquote beträgt 23 Prozent, die der Jugendlichen liegt bei mehr als 50 Prozent.
Spanien ist jetzt da, wo Griechenland vor zwei Jahren war.
Wer in Zeiten fallender Wirtschaftsleistung spart, verhält sich prozyklisch. Das heißt, die Haushaltspolitik verstärkt die Rezession. Der Mechanismus besteht aus einer Interaktion zwischen staatlichem Sparen, privatem Sparen, einem weiteren Verfall der Häuserpreise, dadurch ausgelösten weiteren Verlusten der Banken, einer weiter andauernden Kreditklemme, einer schärferen Rezession, geringen Steuereinnahmen, höheren Defiziten und erneuten Sparprogrammen. Es kann viele Jahre dauern, bis man aus einem derartigen Teufelskreis ausbricht. Für Spanien erwarte ich eine Depression, die ein ganzes Jahrzehnt dauern wird.
Die Ironie ist, dass Spaniens Schuldenquote steigt, obwohl das Land seine Schulden zurückzahlt. Der Grund ist, dass die Quote ein Quotient ist: Wenn der Nenner - die Wirtschaftsleistung - stärker fällt als der Zähler - die Schulden -, dann geht die Quote hoch.

Wen wundert es?

Nach der antibritischen Attacke des Kettenhundes Kauder, maßte sich Merkel persönlich an Spanien Vorschriften zu machen.

Merkel verlangt von Rajoy 'radikale Reformen'.
Das alles müsse "unverzüglich" geschehen, schrieb die Bundeskanzlerin in einem Telegramm.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den konservativen Sieger der Spanien-Wahl, Mariano Rajoy, eindringlich gebeten, "radikale Reformen" einzuleiten. In einem am Mittwoch bei der Volkspartei-Führung eingegangenen Telegramm hieß es, dass dies möglichst "unverzüglich" geschehen solle. Merkel verwies darauf, dass Rajoy einen "klaren Wahlauftrag" vom spanischen Volk bekommen habe.
(Mallorcazeitung 23.11.11)

Eine Unverschämtheit.
Man stelle sich vor ein anderes EU-Land hätte Merkel und Westerwelle nach der Bundestagswahl 2009 diktiert, was sie zu tun hätten!
Angie prahlt international mit der deutschen Finanzpolitik. Aber das ist ein Popanz. Ohne Inhalt.

Das Märchen vom deutschen Sparweltmeister.
Die Bundesregierung verkauft Deutschland in der Krise als Hort der Stabilität - und die Finanzmärkte glauben ihr das sogar. Doch in Wahrheit stehen wir kaum besser da als die meisten anderen Länder. Die öffentliche Zuchtmeisterrolle ist arrogant und gefährlich. Wer auch nur ein bisschen genauer hinschaut, merkt natürlich, dass es um Länder wie Spanien oder Italien keineswegs so schlecht steht, wie es die hohen Zinsaufschläge signalisieren. Erst recht wird er aber feststellen, dass Deutschland nicht der Sparmusterknabe ist, der es vorgibt zu sein.
Spanien hat weniger Schulden als Deutschland.
Die EU-Kommission rechnet in ihrer jüngsten Prognose für Deutschland 2011 mit einer Schuldenquote von 81,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist deutlich mehr als die 60 Prozent, die der europäische Stabilitätspakt als Schuldenobergrenze vorgibt - jener Pakt also, den die Bundesregierung den südeuropäischen Staaten regelmäßig um die Ohren haut - und den sie am liebsten noch verschärfen will. Wer anderen harte Regeln vorgeben will, täte gut daran, sich erst mal selbst daran zu halten. Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker hat deshalb Recht, wenn er sich über die deutsche Bevormundung aufregt. Das Krisenland Spanien zum Beispiel ist mit einer Schuldenquote von 69,6 Prozent deutlich näher dran, den Stabilitätspakt einzuhalten als Deutschland. Auch die Niederländer (64,2 Prozent) oder die Finnen (49,1 Prozent) haben wohl größeres Recht als europäische Zuchtmeister aufzutreten als die Deutschen.
[…] Deutschland spart nicht. Die Ausgaben im Bundeshaushalt sind zuletzt sogar gestiegen und werden laut Finanzplanung in den kommenden Jahren relativ konstant bei etwa gut 300 Milliarden Euro liegen.
[…] Wenn die Politik überhaupt einen Anteil daran hat, dass die hiesige Wirtschaft so glänzend dasteht, dann nicht wegen der Sparkultur, sondern wegen deren Gegenteil: Deutschland hat die Rezession 2009 auch deshalb so schnell überstanden, weil die damalige Große Koalition Geld in die Hand nahm, um mit Kurzarbeit und Konjunkturprogramm den Nachfrageschock abzufedern. Die aktuelle Regierung dagegen macht mit ihren überheblichen Lobgesängen auf die deutsche Staatsdisziplin vieles kaputt in Europa.
(Stefan Kaiser 17.11.11)

Merkel macht eine reine St. Florians-Politik. Sparen sollen bitte immer die anderen.

Was sich eigentlich jeder Hauptschüler an fünf Fingern ausrechnen kann, ist in den Hirnen der schwarzgelben Destruktionsarbeitern noch nicht angekommen. Fachleute dringen nicht durch zur Kanzlerin.

Der US-Ökonom Joseph Stiglitz hat Europas Regierungschefs davor gewarnt, die Krisenstaaten zu noch größeren Sparbemühungen zu drängen. "Demokratien können nur ein begrenztes Maß an Einschnitten vertragen, ohne dafür Erfolge zu sehen", sagte der Wirtschaftsnobelpreisträger von 2001 im Interview mit der Süddeutschen Zeitung.
 Der harte Sparkurs in vielen Ländern verstärke den Abschwung, Europa drohe deshalb die zweite Rezession in kurzer Zeit. "Eine Überdosis Sparen macht alles nur schlimmer", sagte der frühere Chefökonom der Weltbank. Weltweit gebe es kein Beispiel dafür, dass Kürzungen von Löhnen, Renten und Sozialleistungen ein krankes Land genesen ließen.

 Muß man erst einen Nobelpreis bekommen, um solche Binsenwahrheiten laut auszusprechen?

SZ: Ihre Prognosen klingen skeptisch. Das einzig Gute an 2011, sagten Sie, sei, dass es besser war, als 2012 sein wird. Kommt das dicke Ende der globalen Krise noch?

Stiglitz: Es gibt jedenfalls eine ganze Reihe von Gefahren für die Weltwirtschaft. Die größten Sorgen macht mir Europa. Die meisten Regierungen sparen. Das verstärkt den Abschwung. Europa droht die zweite Rezession in kurzer Zeit. In den nächsten Jahren wird es wirklich hart. Aber langfristig hat der Kontinent eine große Zukunft.

SZ: Sie sind ein scharfer Kritiker des europäischen Krisenmanagements. Haben sich die Staats- und Regierungschefs wirklich so dumm angestellt?

Stiglitz: Die Politiker haben sich darauf konzentriert, Südeuropa zum Sparen und Reformieren zu drängen. Demokratien können aber nur ein begrenztes Maß an Einschnitten vertragen, ohne dafür Erfolge zu sehen. Doch das versprochene Licht am Ende des Tunnels ist noch immer nicht zu sehen. Wut und Unzufriedenheit werden in den Krisenländern also weiter zunehmen. Erst recht wegen der Rezession. Denn durch den Abschwung sind die Steuereinnahmen geringer als erwartet und die Sozialausgaben höher. Immer wieder werden die Sparziele verfehlt.

SZ: Brüssel fordert deshalb noch härtere Einschnitte. Ein Fehler?

Stiglitz: Dieser Kurs muss scheitern. Es gibt weltweit nicht ein einziges Beispiel dafür, dass Kürzungen von Löhnen, Renten und Sozialleistungen ein krankes Land genesen lassen. Die Chancen, dass weitere Einsparungen die Probleme lösen, liegen nahe null. Länder wie Griechenland und Portugal brauchen eine glaubwürdige Perspektive für neues Wachstum. Die Politiker wissen das, doch sie haben bislang nichts dafür getan, dass die Lage besser wird.

SZ: Was muss geschehen?

Stiglitz: Die Regierungen sollten in schlechten Zeiten die Staatsausgaben nicht senken, sondern erhöhen. Das Haushaltsdefizit muss nicht einmal größer werden, wenn gleichzeitig die Steuern steigen. Dann kann die Wirtschaft um ein Vielfaches des eingesetzten Geldes wachsen. Ich denke etwa an die Einführung einer Finanztransaktionsteuer, wie sie in Deutschland und anderen Ländern diskutiert wird. Zudem könnte die Europäische Investitionsbank kleinen und mittelständischen Unternehmen verstärkt Kredite geben. Viele Banken geizen damit, obwohl sie von der Europäischen Zentralbank mit reichlich Liquidität versorgt werden.

SZ: Glauben Sie ernsthaft, dass Europas Politiker zu einem solchen Kurs bereit sind - Bundeskanzlerin Angela Merkel pocht auf einen strikten Sparkurs.

Stiglitz: Die Politiker müssen erkennen, dass dies der falsche Weg ist. Eine Überdosis Sparen macht alles nur schlimmer. Das ist fast wie im Mittelalter. Wenn der Patient starb, hieß es: Der Arzt hat den Aderlass zu früh beendet, es war noch etwas Blut in ihm. Mit dieser Kur wurden jahrzehntelang viele überschuldete Schwellenländer behandelt. Oft endete das tödlich. Nun besteht die Gefahr, dass sich Ähnliches in Europa wiederholt.
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 (Markus Balser und Catherine Hoffmann Süddeutsche Zeitung 11.04.12)