Mittwoch, 16. November 2022

Umgang mit Medienmeldungen.

Herkömmlicher Wahlkampf ist ein Stück weit unmöglich geworden, weil man in Deutschland etwa 15-20% der Menschen nicht mehr erreicht.

Homöopathie-Anhänger, Covidioten, Nazis, Esoterixe, Chemtrails-Gläubige, Reichsbürger, Great-Replacement-Fasler, Identitär Bewegte, „Lügenpresse“-grölende Sachsen oder Flat-planet-Überzeugte sind längst in ihre braunen Info-Blasen hinweggedriftet, in denen sie wie in einer Sekte immer mehr gebrainwashed werden. Dort denken alle wie sie, bestätigen sich gegenseitig und radikalisieren sich, weil sie gar keinen anderen Input mehr wahrnehmen. Treffen sie außerhalb ihrer Internet-Parallelwelt auf die Realität, die ihren Wahnideen widerspricht, missverstehen sie es lediglich als Beweis dafür, daß „die Mainstreampresse“ lüge.

In den USA gilt das in verschärfter Form, nachdem ein extremer Lügner und Verschwörungstheoretiker seit sieben Jahren die politische Szene bestimmt und vier Jahre davon US-Präsident war.

Zudem werden weite Teile der US-Medien ebenfalls von ultrarechten Verschwörungstheoretikern beherrscht.

Statt 15 oder 20% dürfte der Prozentsatz der komplett enthirnten US-Amerikaner eher bei knapp 50% liegen. Man kann sich immer wieder kopfschüttelnd darüber amüsieren, wie fanatische Trumpianer sagenhaften Unsinn in TV-Kameras plappern, ohne zu merken, wie sie sich selbst dauernd widersprechen.

Diese Info-Blasen und das damit verbundene Misstrauen gegenüber ganz normalen Fakten werden wir generell schlecht wieder los. Solche Typen können durch ihr Smartphone so wegdriften, daß sie nie mehr zu erreichen sind.

Wir könnten vielleicht noch einiges mit viel Sozialarbeit und enorm verbesserter schulischer Ausbildung wieder gut machen.

Aber das käme erst bei der nächsten Generation zu tragen. Die jetzigen Spinner müssten erst aussterben und so viel Zeit hat der Planet gar nicht mehr. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, dieses Apfelbäumchen noch zu pflanzen.

Es wäre wünschenswert, wenn in frühen Schulklassen Medienkompetenz gelehrt würde, so daß auch ein durchschnittlicher Hauptschüler die Seriosität von Quellen im Internet ein bißchen einschätzen kann.

Wir alle können mithelfen, indem wir auch in unseren Blasen auf Facebook und Co stets die Quellen überprüfen, Artikel lesen, bevor wir sie teilen, die Angaben in Memes überprüfen und unsere Freunde konfrontieren, wenn sie sich auf die BILD-Zeitung beziehen, oder ungeprüfte Zitate verwenden.

Auch im Privatleben gilt: „habe ich im Internet gelesen“ ist kein hinreichender Beleg für die Wahrheit.

Was zum Beispiel gar nicht geht, ist die Verwendung erster aufpoppender Meldungen als Beleg für eigene Thesen, solange niemand verifizieren konnte, was eigentlich passiert ist:

(….)  Es wird mit Nadelstichen beginnen. Kleine Vorkommnisse, die man zur Not als „Versehen“ darstellen kann, um die NATO maximal aufzuregen. „Hey Biden, nachdem das House nun republikanisch ist, müssen die US-amerikanischen Waffen und Finanzhilfen an Kiew aufhören, sonst mache ich Dir das Leben richtig schwer!“

[…]  Bei einer Explosion in Polen nahe der ukrainischen Grenze sind nach Angaben der Feuerwehr am Dienstag zwei Menschen ums Leben gekommen. »Feuerwehrleute sind vor Ort, es ist unklar, was geschehen ist«, sagte der diensthabende Beamte. Demzufolge ereignete sich die Detonation auf einem landwirtschaftlichen Betrieb.  Der polnische Hörfunk-Sender ZET berichtete in diesem Zusammenhang, dass zwei verirrte Raketen in Przewodów eingeschlagen und dabei zwei Menschen ums Leben gekommen seien. Einzelheiten wurden nicht genannt. Auch die Nachrichtenagentur AP berichtete unter Berufung auf einen hochrangigen US-Geheimdienstmitarbeiter, dass fehlgeleitete russische Raketen in Polen niedergegangen seien.  [….]

(SPON, 15.11.2022)

Wie schon die Sabotageakte auf die Deutsche Bahn und die Nordstream-Leitungen, soll auch dieser „Vorfall“ offenbar eine Putinsche Warnung an die westeuropäischen Hauptstädte sein: „Ich kann noch viel fieser werden; Ihr auch?“

Die Taktik scheint zunächst einmal im Sinne des Kremls zu funktionieren. Chaos in den NATO-Staaten. Die wichtigen Leute sind gerade nicht zu Hause, sondern weilen im fernen Bali, beim G20-1. Man verfällt in den Hühnerhaufenmodus.  (….)

(Eskalation nach Plan, 15.11.2022)

Puh, da hat sich ein gewisser Tammox aber hinreißen lassen und zwei Raketeneinschläge in Polen als russische Raketen beschrieben und noch dazu als gezielte Putin-Provokation gedeutet.

Das darf auch in einem winzigen privaten Blog nicht passieren. Auch wenn das Posting in einem offensichtlich sarkastischem Zusammenhang erschien:

„Denn ein Atomweltkrieg wird gerade wahrscheinlicher. Damit wären Überbevölkerung, Entdemokratisierung und CO2-Ausstoß erst mal erledigt.“

Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich gestern tatsächlich Recht hatte, aber dafür gibt es derzeit keinen Beleg. Es sieht eher so aus, als ob Ukrainische Abwehrraketen, die aber in Russland gebaut wurden, versehentlich auf polnischem (und damit NATO-) Territorium gelandet sind.

Seit Jahren predige ich, wie wichtig die Gatekeeper der klassischen Medien sind, die aus einem Wust von Meldungen, die wahren und wichtigen herausfiltern.

Da schmerzt es mich doppelt, mir ausgerechnet von Arno Frank, einem der SPIEGEL-Redakteure, den ich nicht übermäßig liebe, folgendes sagen lassen zu müssen:

[….] Hin und wieder ist es doch ganz beruhigend, dass die Welt – noch! – nicht von sozialen Medien regiert wird. Sondern von Politikerinnen und Politikern. Als am Dienstagabend die ersten Meldungen über Explosionen im polnischen Weiler Przewodów auf Twitter die Runde machten, hatte man den Eindruck gewinnen können, dass erstens russische Raketen am Werk waren und zweitens Polen deshalb sich sehr bald auf Artikel 5 des Nordatlantikvertrages (Bündnisfall der Nato) berufen werde. Drittens, logische Folge: dritter Weltkrieg.

Im Englischen nennt man dieses Überdrehen »jumping to conclusions«. Überraschend und erfreulich oder auch, wenn man’s klassisch mag, erwartbar und professionell besonnen waren hingegen die Reaktionen aus der Politik. [….] Bundeskanzler Scholz verwies dankenswerterweise darauf, dass man ohne einen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine überhaupt nicht über Raketen (und woher sie genau gekommen sein mögen) diskutieren müsste – die beiden Todesopfer folglich durchaus auf das Konto von Putin gehen.  [….]

(SPON, 16.11.2022)

Mea Culpa. Frank hat Recht. Scholz hat Recht. Ich habe gestern Mist gebaut.