Montag, 1. Juni 2015

Impudenz des Monats Mai 2015



Und schon wieder einmal zeigt der Kalender eine „1“ - hohe Zeit für mich den Blödmann des Monats zu küren.

Impudenz des Monats Mai 2015 ist die neue Verehrung Heiner Geißlers.

Ach ja, eigentlich fühle ich mich zwar körperlich gebrechlich, aber geistig durchaus noch jung. Ich glaube, ich kann mich auch ganz gut mit Menschen unterhalten, die halb so alt wie ich sind.
Auffällig wird mein Gerontentum allerdings immer dann, wenn ich mir völlig gegenwärtige Dinge erwähne, von denen mein Gesprächspartner noch nie etwas gehört hat, oder die er meines Erachtens unterkomplex bewertet.

So ist für heutige Studenten der Name Heiner Geißler durchaus bekannt, aber er wird eigentlich nur als der lustige Attack-Opa wahrgenommen.
Für sein Alter von 85 Jahren ist er noch ganz fit und scheint so eine Art CDU-Querulant zu sein.

Ich verstehe sogar wieso der Pfälzer Jesuit heute so wirkt.
Als ich im Teenageralter politisiert wurde, spielten wir immer das heute noch spannende Spiel „wer ist eigentlich der allerschlimmste von den Rechten?“.
Mal abgesehen von den Bayern, die in einer ganz anderen Liga stattfinden, wurde fast immer CDU-General Geißler (1977-1989) genannt. Neben Dregger, Schäuble, Lummer und später Kanther.
Kohl hatten wir lange Zeit gar nicht ernst genommen und Roland Koch war noch nicht auf der Bühne aufgetaucht.
Offensichtlich ist das für heutige Twens gar nicht mehr vorstellbar was für ein grauenhaft verlogener Wadenbeißer Geißler war.
Er war aber nicht nur einer, den man zufällig unsympathisch fand, sondern jemand, vor dem man sich ernsthaft fürchtete.
„Der Intrigant“ hieß Reimar Oltmans 1986 erschienenes Buch über ihn, das wir damals alle gelesen hatten.


Seine Standards fügen sich kontinuierlich aus "Lügner, Umfaller, Falschspieler, Verbrecher, Täuschungsmanöver, Vernichtungsfeldzug, Racheakt, Anschlag auf die Verfassung, Rufmordkampagnen, Moskau-Fraktion und Staatsbankrott" zusammen.
Unter Geißlers Regie entstand im Jahre 1977 eine Broschüre, in der er viele linke und liberale Intellektuelle in Deutschland als "Sympathisanten des Terrors" beschuldigte. Als es im Jahre 1983 um die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Europa ging, machte Geißler in der Sozialdemokratie gar die "Fünfte Kolonne der anderen Seite" aus, womit der Warschauer Pakt gemeint war. - Brunnenvergiftungen.
[….]  Wie konnte es passieren, dass aus einem Idealisten "seit Goebbels [….]  der schlimmste Hetzer in diesem Land" (laut SPD-Chef Willy Brandt) wurde?
[….]  Nichts kennzeichnet den Verlust an Wirklichkeit, die Deformation der eigenen Person, die Verschiebung politischer Wahrnehmungsebenen deutlicher als das Politiker-Beispiel Heiner Geißler. Ein Mann, der von sich sagte, in Bonn sei er schmerzfrei geworden. Ein Jesuitenschüler, der ohne knallharte Konfrontation nicht mehr leben konnte. Diagnose: Suchtkrank. [….]  

Unvergessen natürlich Geißlers heftige Attacken auf Hildegard Hamm-Brücher, die 1981 nicht mit dem Rest der FDP umkippen will.
Sie stimmte NICHT für Kohl und begründete in einer bis heute absolut legendären Rede ihren Schritt mit dem einprägsamen Satz:
Das haben Sie beide nicht verdient, meine Herren. Sie Helmut Schmidt, auf diese Art aus dem Amt zu scheiden und Sie Helmut Kohl auf diese Weise ins Amt zu gelangen. (Aus dem Gedächtnis zitiert).
Geißler rastet daraufhin aus.

Zu einem scharfen Wortwechsel kommt es bei der Rede der FDP-Abgeordneten Hildegard Hamm-Brücher, die den Machtwechsel in dieser Form ablehnt, weil er das "Odium des verletzten demokratischen Anstands" trage. CDU-Generalsekretär Heiner Geißler bezeichnet diese Äußerung als "Anschlag auf unsere Verfassung". Helmut Schmidt nimmt die Gegenbemerkung zum Anlass, zu fragen, ob die FDP-Führung "wirklich mit solcher Illiberalität und Intoleranz", wie sie sich hier gegenüber der freien Meinungsäußerung einer Abgeordneten zeige, eine Verbindung eingehen wolle.
(Wissen.de)

Der SPIEGEL, der in den 1980ern deutlich weniger devot auftrat, sekundierte im selben Jahr:


Dieser 56jährige mit dem faltigen Gesicht und der bösen Zunge, der wie kein zweiter die Wähler aufzuhetzen vermag und polarisieren kann, hat den Wendewahlsieg '83 organisiert. Ihm ist Kohl verpflichtet, auch weil Geißler in letzter Minute den niedersächsischen Landtagswahlkampf im Juni herumgerissen und damit die CDU in Land und Bund vor dem Absturz bewahrt hat.
[….]  Er sei der "geschäftsführende Parteivorsitzende", pflegt er schon seit einiger  Zeit Kohl zu ärgern und dabei leicht abgewandelt das CDU-Statut zu zitieren: "Der Generalsekretär führt die Geschäfte der Partei." Den Zusatz "im Einvernehmen mit dem Vorsitzenden", wie es in Paragraph 37 heißt, läßt er gerne weg. [….]  
Der CDU-General, ein gefährlicher Mann von und für Kohl, hat sich vorgenommen, "so richtig zuzuschlagen". Noch sind in der Parteizentrale, dem Adenauer-Haus, die Offensivpläne nicht abgeschlossen, aber sicher - "die treffenden Sottisen fallen uns noch ein". Die Grundlinie steht: härteste Konfrontation nach Geißlers Art.
[….]  Da wird der sicherheitspolitische Sprecher der SPD, der frühere Verteidigungs-Staatssekretär Andreas von Bülow zu einer "Gefahr für unsere Freiheit und für unsere Sicherheit", Johannes Rau zu einem Kandidaten, dessen "Durcheinander im Kopf" dem sozialdemokratischen "Chaos in der Energiepolitik" entspricht, die SPD insgesamt zu einer Partei, die "wie Korken auf den Wellen einer Stimmungsdemokratie" schwimmt.
Schon ein irrer Typ, dieser Heiner Geißler. Seit Franz Josef Strauß und Herbert Wehner hat keiner mehr in der Bonner Szene so viel Feindschaft bis hin zu offenem Haß und fast zeitgleich so viel Anerkennung auf sich gezogen - dies zuweilen bei denselben Leuten. Die einen sehen in ihm den abstoßenden verbalen Gewalttäter, einen politischen Sittenstrolch. [….]  Geißler hat, wie keiner seiner Vorgänger, Gräben aufgerissen zwischen den beiden großen Volksparteien, Freund-Feind-Kategorien in den politischen Alltag eingebracht. Die Sozialdemokraten suchten ihn schon als Unperson zu ächten, verweigerten den Gruß, boykottierten seinetwegen Ausschußsitzungen des Bundestags. [….]  
Das Schwergewicht aber legt der General in seiner Wahlkampfplanung, an dessen Ende die CDU trotz Kohl gewählt werden soll, auf hemmungslose Konfrontation. Davon versteht er etwas, da ist ihm jeder Hammer recht.
"Unanständig und unmoralisch" hat er die SPD schon genannt, sie als "fünfte Kolonne" Moskaus denunziert, ihr "fast hysterischen Anti-Amerikanismus" vorgehalten. Die Friedensbewegung und ihre Anhänger hat er besonders niederträchtig herabzusetzen versucht: "Der Pazifismus der 30er Jahre, der sich in  seiner gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem unterscheidet, was wir in der Begründung des heutigen Pazifismus zur Kenntnis zu nehmen haben, dieser Pazifismus der 30er Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht."
[….]  Die Sozialdemokraten bekamen schon einen Vorgeschmack, was der christliche Propagandachef jetzt gegen Rote und Grüne auf der Pfanne hat. Die Grünen seien der "Volkssturm der SPD". Und er rückte die potentiellen Verbündeten der Genossen unbekümmert in die Nähe von Kindermördern. Mit ihrer Forderung nach Aufhebung des Paragraphen 218 wollten die Grünen, so Geißler, "Abtreibung bis zum achten Monat" möglich machen. Am vorigen Dienstag, Wahlkampfparole, diffamierte Geißler die SPD als "Partei des Werteneutralismus, die nicht mehr die Kraft und auch nicht mehr die geistige Klarheit besitzt, dem deutschen Volk zu sagen, welche Werte wir haben, worin sich unsere Werte von denen der kommunistischen Diktaturen unterscheiden, welche Werte wir verteidigen und wer unsere Freunde sind". Und diese Entwicklung sei "von einem großen Teil der Sozialdemokratischen Partei auch beabsichtigt".
[….]  Als er im Juli in der Bonner Universität auf einem Strategiekongreß des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) redete, rückte er Nazis, Kommunisten und Sozialisten in eine Ecke: Alle mißachten die Menschenrechte. Die Marxisten machten den Menschen zum Objekt des Klassenkampfes, die Nationalsozialisten hätten ihn ihrer Rassenideologie untergeordnet. "Der Sozialismus will", so Geißler, "den entwurzelten Menschen, dann kann er ihn besser manipulieren."
[….]  In Mittelamerika wollen die Sozialisten auch nur Übles. Die Völker in Nicaragua oder El Salvador "haben leiden müssen, weil die Sozialistische Internationale eben nicht Demokraten, sondern Antidemokraten unterstützt hat".[….]  
(„Kohls gefährlicher Gehilfe“ 29.09.1986)

Und das ist noch euphemistisch und mild ausgedrückt im Vergleich zu dem was ich damals über Geißler dachte.

1989 allerdings scheiterte Kohls General daran, daß er drohte den Stern seines Chefs zu überstrahlen.
Kohl, mit Sicherheit weniger intelligent als Geißler, spielte dann seinen größten Trumpf aus; seinen unerreichten Machtinstinkt.
Er sägte den Parteisekretär ab und beerdigte dessen politische Ambitionen für immer.
Der Kaltgestellte bekam erst 1999/2000 wieder Oberwasser, als Kohl im Spendensumpf versank und sein alter Rivale nach Herzenslust nachtreten konnte.
Die beiden Männer werden in dieser und den nächsten drei Welten keine Freunde mehr.
Seiner CDU und seiner Kirche blieb Heiner Geißler bis heute treu.

Heiner Geißler im SZ-Magazin 29.05.2015
Aber Linientreue ist seine Sache nicht mehr.
Mein Onkel, der Geißler viele Dekaden leidenschaftlich verachtet hatte, rief mich während der Stuttgart21-Schlichtung 2010/2011 an beichtete mir fassungslos,  er säße ständig vorm Fernseher und erwische sich dabei Geißler richtig gut zu finden; auch sein Gesicht sei im Alter so ausdrucksstark geworden.

So weit, öffentlich „ich mag Geißler“ zu sagen, gehe ich nicht.
Aber ich gebe doch zu, daß mich seine Interviews gelegentlich sehr amüsieren.

Da haut er mal eben so raus, daß er mehrfach (unwissentlich) für Südtiroler Separatisten Dynamit transportiert hatte, um Strommasten zu sprengen.

Oder was er über Berliner Denkmäler denkt:

"Die Siegessäule in Berlin würde ich sofort sprengen. Dieses Denkmal beleidigt meinen Intellekt", so der 85-Jährige, der von 1982 bis 1985 Familienminister war. Und er geht noch weiter: "Die Goldelse oben drauf ist eine unproportionierte saublöde Figur."
[….]  Für ihn sei das Denkmal historisch gesehen überholt. "Und in der Säule sind Kanonenrohre eingelassen aus den Kriegen der Preußen gegen die Württemberger, Österreicher und Franzosen. Unten auf dem Relief schlitzt ein preußischer Ulan einem französischen Kurassier mit dem Bajonett den Bauch auf, die Gedärme quellen raus, und die Umstehenden lachen", beschreibt der ehemalige CDU-Generalsekretär im Interview mit dem SZ-Magazin. "Das steht mitten in Berlin, und kein Mensch ist in der Lage, das zu beseitigen." [….]  
 (Zitiert nach Berliner Zeitung 29.05.2015)

Primitive Luther-Epigonen wie Bizarra Käßmann ärgern Heiner Geißler.
Im aktuellen SZ-Magazin stellt er einiges klar.

Heiner Geißler im SZ-Magazin 29.05.2015
  
Lokführer und KITA-Mitarbeiter unterstützt er.


Heiner Geißler im SZ-Magazin 29.05.2015