So eine Stadtteil-Gruppe auf Facebook ist gar nicht so sinnlos. Man erfährt von neuen Läden, Baustellen, nervtötenden „Events“, die man unbedingt meiden will, oder wenn der Gemüsemann um die Ecke zwei Wochen Urlaub macht. Dinge, die für eine regionale Zeitung zu unwichtig sind, die einem als Anwohner aber interessieren.
Bedauerlicherweise musste ich meine FB-Nachbarschaftsgruppe verlassen, weil die aufdringliche Pfäffin der Kirche ein paar hundert Meter von mir entfernt, den Feed täglich spampostet mir irgendwelchen sinnlosen „Gemeindeveranstaltungen“.
99% der Hamburger gehen nicht regelmäßig in den Gottesdienst; hier in der Single-lastigen Innenstadt, sicher noch weniger. Völlig realitätsblind hält sich diese dubiose Kanzel-Frau aber hartnäckig für eine relevante Größe und anmaßt sich durch die Facebook-Gruppe.
Dennoch bin ich nachsichtig mit den antisemitischen Lutheridioten. Schließlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie endlich ganz aus dem Stadtleben verschwinden. Wäre die Pfäffin keine egomane selbstverliebte Spinnerin, hätte sie auch keinen Job, bei dem sie annimmt, das Volk ströme in Scharen zu ihr, um ihren Predigten zuzuhören. Sekundenweise tut sie mir fast schon Leid, weil sie auf so verlorenem Posten steht, aber dann fällt mir wieder ein, daß sie von Steuerzahlergeld lebt und einen Kinderfi**erverein vertritt, der sich nach dem zweitgrößten Antisemiten der Weltgeschichte benannt hat, effektivster Unterstützer Hitlers war und nach 1945 noch 800.000 bis eine Million Kinder und Jugendliche in Kirchlichen Heimen quälte und folterte.
Nein, mit solchen Typen habe ich doch kein Mitleid, wenn ihre Gemeinden verwaisen und die Gebäude verfallen.
Schön, daß eine der Hauptkirchen, die Jacobikirche, erst mal zumacht.
Die Jacobikirche ist übrigens die erste, die ich namentlich kannte. Meine Großeltern betrieben nämlich ab den 1920er Jahren ein Geschäft genau nebenan und während der Bombennächte des zweiten Weltkriegs befürchteten sie immer, die Kirche könnte getroffen werden, so daß der Turm direkt in ihren Laden krachte und alles vernichtete. Meine Familie lebte während des Krieges in den sogenannten „Walddörfern“. Der Weg zur Jacobikirche beträgt 15 km und meistens war es meine Tante, die mit dem Fahrrad losfahren musste, um zu gucken, ob der Jakobikirchturm noch stand.
Ich war ein Oma-Kind, saß in den frühen 1970er Jahren sehr viel bei ihr und liebte es, wenn sie erzählte. Das Haus in den Walddörfern verfügte über einen ungewöhnlich großen Keller. Opa stand oft an der Straße und winkte die zu Fuß aus der zerbombten Stadt laufenden Gestalten hinein. Natürlich verfügte meine Familie nicht über genügend Lebensmittel und so waren Oma und Opa 24/7 beschäftigt, irgendwie das Allernötigste herbei zu schaffen, wenn der Keller voller fremder Leute war. Dabei dirigierten sie die kleinen Kinder – darunter meine Mutter - und meine Tante fuhr mit dem Fahrrad los, um nach der Jacobikirche zu sehen. Mit Glück, war sie in knapp drei Stunden wieder da. Oft dauerte der Weg aber deutlich länger, wenn neue Trümmer im Weg lagen oder wieder „Fliegeralarm“ war, so daß sie sich unterwegs noch irgendwo verkriechen musste. Als Kind fand ich das furchtbar ungerecht und fragte meine Tante, „wieso musstest DU denn immer den langen gefährlichen Weg fahren, wenn der Keller voller Leute war?“
Sie erklärte das ganz pragmatisch. Mutti und Vati wurden zu Hause gebraucht. Die Geschwister waren noch zu klein, die Männer waren tot oder im Krieg. Die Frauen heulten und die wenigen Männer, die noch da waren, mussten die heulenden Frauen trösten. Also blieb nur meine Tante. Ungefähr ab 1945 gab es dann auch kein Fahrrad mehr. Nun musste der Weg zu Fuß absolviert werden. Wie so viele Familien, hatten auch meine Großeltern ein paar Habseligkeiten, wie Silberbestecke, in einem Köfferchen vergraben. Meine Oma „verbrauchte“ die Dinge peu à peu, indem sie zu Fuß den langen Weg in die Innenstadt ging, um auf dem Schwarzmarkt das Familiensilber gegen Lebensmittel einzutauschen.
Ich fand es einfach ungeheuerlich, daß meine arme alte Oma diese endlose Strecke zu Fuß gehen musste. Aber ich verstand als Kind offenbar nicht so richtig, daß sie 1945 auch dreißig Jahre jünger war. Der Fußweg war ihr kleinstes Problem.
Der älteste Sohn war tot und der zweitälteste Sohn auf dem Weg „an die Ostfront“ ohne je einen Schuss abgefeuert zu haben, direkt in sowjetische Gefangenschaft geraten. Meine Tante traf Jahrzehnte später auf Mitgefangene, die mit ihm in Sibirien waren und berichteten, er sei froh gewesen, gar nicht erst zum Einsatz gekommen zu sein. Bis 1955 lebte er in einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager und war offenbar recht guter Gesundheit, weil er eine Feinmechanikerlehre abgeschlossen hatte und in der Gefangenschaft ständig für irgendwelche Reparaturen eingesetzt wurde. Anschließend verliert sich seine Spur. Trotz Jahrzehntelager intensiver Suche, konnte meine Familie ihn nie wieder finden.
Meine Tante war in den 1990er Jahren einmal mit einer russischen Hobbyhistorikern an dem Ort, wo das Lager war, in dem ihr Bruder interniert war. Aber da ist absolut nichts mehr. Die Baracken und Zäune wurden vollständig abgetragen. Alle Unterlagen vernichtet.
Marion Dönhoff beschreibt etwas ähnliches, als sie schließlich 1992 beschließt, das gewaltige Schloß Friedrichstein ihrer Familie, das größte Bauwerk Ostreußens aufzusuchen. Es war allein 100 Meter breit und war Zentrum eines Gutes von 10.000 Hektar.
Im Januar wurde es von der Roten Armee in Brand gesteckt und 1957 vollständig abgetragen. Marion Dönhoff und ihr Großneffe finden 1992 rein gar nichts mehr vor. Das gewaltige Schloß – einfach weg.
So ein Krieg kann viel vernichten. Das trifft, viele Dimensionen, sehr viele Dimensionen kleiner, auch auf meine Familie zu.
Natürlich wurde Opas Laden doch irgendwann ausgebombt. Nur der Jacobikirchturm blieb auf wundersame Weise völlig unbeschadet, obwohl die Kirche ausbrannte und teilweise einstürzte, aber die Trümmer fielen innerhalb des Turmes in den Innenraum.
Jedes Mal, wenn meine Tante oder meine Oma dorthin radelten oder zu Fuß gingen, stand der Turm immer noch da.
Bis jetzt.
[….] Ausgerechnet in der Advents- und Weihnachtszeit muss die Hamburger Hauptkirche St. Jacobi ihre Pforten komplett schließen, um weitere Schäden am Turm zu verhindern. Bei Voruntersuchungen zur geplanten Generalsanierung hatte sich herausgestellt, dass eine schnelle Schließung der sicherste Weg sei, sagte ein Kirchenkreis-Sprecher der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg.
Damit das gebeutelte Mauerwerk zunächst stabil genug bleibt, soll es nun vernünftig abgestützt werden. Zudem läuten die Glocken seit einigen Tagen nicht mehr, um den Turm nicht unnötig in Schwingung zu versetzen.
In den kommenden Wochen sollen auch Vergleichsmessungen in der Kirche gemacht werden. Der Turm ist bereits seit Jahrhunderten ein Problemkind der Kirche. Ursache dafür ist das sehr alte Gestein im Grund des Gotteshauses. Auch das soll von 2025 an bei der Generalsanierung mit angegangen werden.
Hauptkirche St. Jacobi bleibt bis Februar geschlossen
Die Kirche werde vorübergehend bis Ende Februar geschlossen bleiben. Alle geplanten Gottesdienste und Veranstaltung sollen so gut es geht verlegt werden. [….]
(Hamburger Morgenpost, 28.11.2024)
Nun muss man sich nicht wirklich Sorgen um das Gebäude machen – egal wie wackelig es ist und wie wenig Christen es noch gibt. Die Jacobikirche gibt es schon seit dem 12. Jahrhundert, ein große Erweiterung erfolgte im 14. Jahrhundert, zwischen 1587 und 1589 wurde ein ikonischer Turmhelm geschaffen, welcher aber in der Napoleonischen Zeit neugotisch umgestaltet wurde. 1963 wurde die Jacobikirche mittelalterlich wieder hergestellt. Nun bröckelt es aber gewaltig.
Hamburg ist reich und die Jacobikirche zu bedeutend. Schon 2020 machten der Bund 20,4 Millionen Euro und die Stadt noch einmal 21,9 Millionen Euro für die Sanierung locker. Der Steuerzahler, wir Atheisten also, zahlen. Die astronomisch reiche Kirche gibt nichts. Wie sollte es auch anders sein? Das ist die über 2.000 Jahre entwickelte Kernkompetenz der Kirchisten: Sich die eigenen Taschen füllen und andere Leute dazu zu bringen, für sie zu bezahlen.
Aber die allermeisten Kirchen sind nicht so berühmt, wie eine der fünf Hamburger Hauptkirchen.
Das Ding, in dem die penetrante Pfäffin meiner ehemaligen Facebook-Stadtteilgruppe hockt, gilt als architektonisch völlig unbedeutend und besonders aktive Gläubige gibt es auch nicht. Sie ist KATEGORIE C!
In die Gottesdienst möchte keiner mehr kommen, umso lauter nerven die Pastorinnen mit ihrer elenden Bimmelei. Offenkundig verfolgen sie den Ansatz, sich an den 99% Ungläubigen zu rächen, indem sie ihnen wenigstens versauen, Sonntags auszuschlafen. Es beruhigt mich als Anwohner zu wissen, daß der Kirchenkreis die Nerv-Kirche nebenan, genau wie beispielsweise die Kapelle in Hamburg-Todendorf als „nicht förderungswürdig“ ansieht. Ihr Zerfall wird nicht aufgehalten werden.
[….] Architekten schätzten die Sanierungskosten für die kommenden 15 Jahre auf rund 134.000 Euro. Geld, das die zuständige Kirchengemeinde Eichede allein hätte aufbringen müssen. Denn der Kirchenkreis Hamburg-Ost stufte die Kapelle im April 2016 als "nicht förderungswürdig" ein. In einem internen Papier teilte er damals seine 138 Kirchen und 140 Gemeindehäuser in A-, B- und C-Standorte ein. Die Gebäude der Kategorie C, immerhin 35 Prozent, müssen seitdem ohne Hilfe unterhalten werden.
Der Kirchengemeinderat Eichede beschloss daraufhin im Oktober 2016, die Kapelle in Todendorf zu entwidmen. Vorausgegangen seien "viele schlaflose Nächte", betont Pastorin Schumacher bei der Abschiedszeremonie. [….] Die Todendorfer akzeptierten den Beschluss widerstandslos – auch zur Überraschung von Susanne Schumacher. "Ich hatte damit gerechnet, dass sich eine Interessengruppe bildet, die für den Erhalt der Kirche kämpft", sagt sie. "Aber das war nicht der Fall." Zu einem Informationsabend über die Zukunft des Gebäudes seien nur 35 Kirchenmitglieder gekommen – von 2500. So viele Menschen gehören der Kirchengemeinde Eichede an, die für Todendorf und sieben weitere Dörfer zuständig ist. "Ich habe das als Zeichen gewertet, dass ein Erhalt der Kirche nicht gewollt ist", sagt sie. [….]
(Janina Dietrich, Abendblatt, 20.01.18)
Die Kategorie-C-Pfarrerin meiner Nachbarschaft ist ein Paradebeispiel dafür, wie man es nicht macht und die Situation verschlimmert.
Mögen noch viele weitere Lutherische und Katholische Gemeinden schnell verschwinden und ihre Kirchen zumachen.
[….] Für die Kirchen ist die schiere Menge an Gebäuden längst zu einem finanziellen Problem geworden. [….] Knapp 4.000 Kirchen gibt es auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands, das ungefähr die Bundesländer Thüringen und Sachsen-Anhalt umfasst. Für die Kirchen ist die Menge an Gotteshäusern längst auch zum finanziellen Problem geworden, wie Baugeschichtlerin Barbara Perlich-Nitz in einer Podiumsdiskussion in Gera sagt.
Mindestens 26.000 Euro kostet der Erhalt einer Kirche jedes Jahr. Ohne bauliche Maßnahmen allerdings. Inzwischen schieben die Kirchen einen riesigen Investitionsstau vor sich her.
In Gera geht es deshalb auch um die Frage, wie viele Kirchengebäude überhaupt noch gebraucht werden. Ein Thema, das die Ökumenische Akademie Gera-Altenburg schon seit einigen Monaten umtreibt. In mehreren Veranstaltungen diskutierten Fachleute mit den Besuchern über die mögliche - und nötige - Veränderung von Kirche. [….]