Mittwoch, 12. Oktober 2016

Der Mäandertaler



Wenn man sich das ständige Lavieren, Nichtentscheiden, Abtauchen, wolkig Reden, Allgemeinplätzchen von sich geben der Kanzlerin vergegenwärtigt, wünscht man sich in der Tat gelegentlich einen richtigen Entscheider zurück.
Somebody, who gets things done.
Einen, der weiß was los ist und zeigt wie es gemacht wird.
Basta-Schröder wird vermisst.

Sigmar Gabriel ist nicht doof und hat in dem Entscheidungsvakuum seine Chance erkannt sich gegen die übermächtige Merkel zu profilieren.
Er beklagt öffentlich, daß es wegen der zerrissenen Union und der abwesenden Merkel nicht voran geht. Gabriel schlägt immer mal wieder selbst ordentlich auf den Tisch. Man merkt das auch habituell an seinem berühmten Stinkefinger gegenüber des rechten Ost-Pöbels und der Bezeichnung „Pack“ für krakeelenden Peginesen.

Er wirft sein politisches Gewicht in die Waagschale, geht Risiken ein.
Gabriel war mutig, als er der Basis 2013 die Entscheidung zur GroKo vorlegte, als er gegen den überwältigenden Widerstand der Partei letztes Jahr plötzlich die Vorratsdatenspeicherung guthieß, als er vor ein paar Wochen seinen Verbleib im Amt de facto von der Zustimmung des SPD-Konvents zu CETA abhängig machte.

Nun stellt sich nur die Frage wieso ein mutiger und durchsetzungsstarker SPD-Parteichef, Vizekanzler und Superminister in seiner eigenen Partei unbeliebt ist und bei der Gesamtbevölkerungszustimmung meilenweit hinter Angela Merkel zurückliegt.

Die Ursache für die miesen Zustimmungswerte liegt in der mangelnden Kongruenz von Basta-Entscheidungen und Autorität.

Autorität kann aus verschiedenen Quellen generiert werden.

1.   Putin und Erdogan schöpfen Autorität aus der enormen Macht ihres Amtes in einer Autokratie.

2.   Helmut Schmidt schöpfte seine Autorität aus der fast allen anderen Menschen überlegenen Intelligenz und Bildung.

3.   Gerhard Schröder hingegen war ein begnadeter Wahlkämpfer, der das 6-Stimmen-Bundesland Niedersachen der CDU abgejagt und zweimal die absolute Mehrheit für die SPD geholt hatte, anschließend sogar - einmalig in der bundesrepublikanischen Geschichte – 1998 alle drei die Bundesregierung tragenden Parteien auf einmal aus dem Amt fegte und die SPD mit 41% zur größten Fraktion machte und die Regierung übernahm. Wer solche überwältigen parteipolitischen Erfolge vorlegt muß in der SPD Autorität gewinnen.

4.   Autorität kann schließlich auch noch aus Zuneigung generiert werden. Da sind Namen wie Willy Brandt, Olof Palme oder Nelson Mandela zu nennen, die von ihrer Basis so verehrt wurden, daß man ihnen in jede politische Richtung gefolgt wäre.

Unglücklicherweise mangelt es Sigmar Gabriel an allen vier genannten Autoritätsquellen.
Gabriel ist schlau, aber so unstet, daß er so oft die Richtung wechselt, daß ihm dabei auch sehr unschlaue Gedanken unterlaufen.
Ich bin ausdrücklich nicht der Meinung, daß die Basis und die Mehrheit immer Recht haben, lehne daher die direkte Demokratie ab.
Aber wenn man wie Gabriel über mangelnde Autorität verfügt und trotzdem bei der Basis so unbeliebte Dinge wie Rüstungsexporte, CETA, VDS und TTIP durchdrückt, macht man sich selbst unbeliebt.
(Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß ich bei den Themen Rüstungsexporte, CETA, VDS und TTIP zufälligerweise auch auf Seiten der Basis bin.)

Ein unbeliebter Parteichef, der auch noch bei den Wahlen 2003 (als er als Niedersächsischer MP krachend die von Schröder geholte absolute Mehrheit und auch gleich die gesamte Regierung an Christian Wulff verlor), sowie den Bundestagswahlen 2009 und 2013 unterging, kann schlecht zum Hoffnungsträger zur Bundestagswahl 2017 aufsteigen.

Gabriel weiß das und wird aus Verzweiflung immer mehr zum Zickzack-Sigi, der seiner eigenen Partei auch noch durch seine Zögerlichkeit auf die Nerven geht.
Ja, der Vorsitzende hat das erste Zugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur, aber wird er wie schon 2013 darauf verzichten, als durch die sagenhafte Underperformance der Generalsekretärin Nahles auf einmal völlig unvorbereitet Steinbrück gekürt wurde, indem er einfach übrig blieb?
Wer würde den Job überhaupt noch machen wollen außer vielleicht Martin Schulz?
Da müßte man mal etwas strategisch planen und festlegen; aber das ist mir Zauder-Sigi nicht zu machen. Gabriel nervt.

Es muß ab und zu gesagt werden, weil es sonst ganz in Vergessenheit gerät:
Sigmar Gabriel ist eigentlich ein Guter, der zuhören kann und sehr klug abwägt.
Er ist ein Engagierter, der im Kabinett Merkel I als einziger mutig SPD-Politik durchsetzte.
Man soll nicht den Stab über den Vizekanzler brechen.

Nach der Mega-Niederlage von 2009 brauchte die psychologisch niedergeschmetterte Partei, deren baldige Auflösung schon von vielen Zeitungen kolportiert wurde, jemand, der sie wieder aufrichtet. Jemanden, der Mut machen kann.
Sigmar Gabriel hat viele Talente und dazu gehört, daß er gelegentlich sehr gute bis brillante Reden hält. Darin ist er Merkel weit überlegen.
Zudem ist Gabriel intelligent und in der Lage in kleineren Kreisen extrem sensibel und tiefgründig zu argumentieren.
Er kann beeindrucken; beispielsweise so geschehen auf der ZEIT-Matinee im Juni 2011, als er so brillierte, daß die gesamte feine Gesellschaft Hamburgs schwor bei der nächsten Bundestagswahl SPD zu wählen.
Ich habe ihn gelegentlich in Talkshows zu Randthemen gesehen, bei denen er mich absolut überzeugte.

Der SPD-Vorsitzende ist allerdings nicht nur wankelmütig bezüglich der vertretenen politischen Inhalte, sondern weist auch charakterlich enorme Schwankungen auf.
Er kann die leisen, behutsamen Zwischentöne und poltert im nächsten Moment wie eine Dampfwalze los.
Er bohrt einerseits mit Engelsgeduld dicke Bretter, bereitet Jahre lang vor und dann reißt ihm abrupt doch die Hutschnur.
Er argumentiert manchmal hochseriös und überzeugend, um dann im nächsten Moment seine Gegner für dumm zu verkaufen.
Er war seit Jahrzehnten durch seinen Vater extrem für Rechtsradikalismus sensibilisiert, engagierte sich persönlich für den Erhalt von KZ-Gedenkstellen, leistete Aufklärungsarbeit gegen Neonazis. Plötzlich aber lässt er seinen vorbildlich gegen rechts engagierten Justizminister Maas im Regen stehen und besucht als Vizekanzler den menschlichen PEGIDA-Abschaum.

Gabriels 2016er Performance fällt bisher dumpf und dunkel aus.
Das erbärmliche Hickhack um das sogenannte Asylpaket II, mit dem die SPD Kinder zu Waisen macht und noch mehr Menschen in die seeuntüchtigen Schlepperschlauchboote auf die ungewisse Reise durch die Ägäis schickt, lobt der Superminister a posteriori als stringente SPD-Regierungspolitik.

Ähnlich absurd entwickelte sich Gabriels Versprechen für Transparenz bei den TTIP-Verhandlungen zu sorgen.
Nachdem er den berüchtigten „TTIP-Leseraum“ eingerichtet hatte, erstarb das letzte bißchen Offenheit, weil die kritischen Bundestagsabgeordneten nun mit einem Maulkorb versehen sind.

Was ist los mit Gabriel?
Dazu zitiere ich mal eine dezidiert linke Stimme, nämlich Ulrich Schulte, den Leiter des Parlamentsbüros der taz.

[….] Besser als sein Ruf
Das Image von Sigmar Gabriel ist mies. Die SPD leidet unter ihrem Chef, bei den Deutschen ist er nur mäßig beliebt. Warum eigentlich?
[….] Gabriel und die Deutschen, das ist keine Liebesgeschichte. Die Sprunghaftigkeit des SPD-Vorsitzenden und Wirtschaftsministers ist legendär, seine Neigung zu Ungeduld und schlechter Laune auch. Die SPD leidet, oft still und immer öfter laut. (……)

Gabriel, der Gute. [….]

Ein großes Problem teilt Sigmar Gabriel mit der Kanzlerin.
Er hat kein Händchen für Personal.
Den einzigen Minister mit Star-Potential, nämlich Heiko Maas, stutzte er eigenhändig zurecht, in seine Umgebung holt er höchst umstrittene CDU-Leute, setzte eine blasse und erfolglose Jasmin Fahimi als Generalsekretärin ein und vertraut in der Parteizentrale den Wahlkampf einem CDU-Mann an.

Merkel steht gerade vor einem großen Personalproblem. Zur Unzeit muß sie bei unklaren Mehrheitsverhältnissen einen Nachfolger für Joachim Gauck benennen.
Ein enormes Risiko für die Frau, die es vermocht hat zweimal einen Mann zum Präsidenten zu machen, der sich als so eine Fehlbesetzung erwies, daß er zurücktreten mußte.
Nach dem Köhler- und Wulff-Debakel und der Gauck-Überrumpelung muß Merkel unbedingt das Heft des Handelns in der Hand behalten.
Allein, sie hat keinen Plan, weiß keinen Kandidaten.

Das könnte Gabriels Stunde sein, um sich zu profilieren.
Er könnte zu dem Macher werden, der das erreicht, was die Kanzlerin offensichtlich nicht schafft.
Könnte.

In einer sagenhaften Doppeldoofheit, griff der Vizekanzler gleich zweimal ins Klo.

Zunächst einmal nominierte er die so ziemlich unfähigste und dämlichste Person, die man sich in Deutschland vorstellen kann.

Der SPD-Vorsitzende Gabriel will die evangelische Theologin Käßmann als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten gewinnen.
(Deutschlandfunk 12.10.16)

Käßmann ist aber nicht nur dumm wie Bohnenstroh; das wäre ja noch kein Hindernis für das Bundespräsidentenamt; sondern inzwischen bei großen Teilen der Bevölkerung extrem unbeliebt.
Zudem sollte nicht gerade in Deutschland eine Staatschefin gewählt werden, die für Hitlers größte Inspiration, den zweitgrößten Antisemiten der Geschichte Martin Luther als Botschafterin fungiert.

Frau Käßmann zeichnet sich für diesen Posten besonders durch ihre profunden Kenntnisse der jüngeren Geschichte aus: Ihrer Auffassung nach wurde der Fall der Mauer durch Gebete erreicht und gegen den Terror des "Islamischen Staates" helfen ebenfalls Gebete besser als Waffen.
Mit diesem ihrem Generalkonzept wird Frau Käßmann vermutlich auch soziale Ungerechtigkeiten, jedes außenpolitische Problem sowie ihre Kritiker wegzubeten versuchen. […]

Die Personalie Käßmann könnte sogar mich aus der SPD treiben; genug ist genug.
Unfassbar, was sich Sigmar Gabriel dabei denkt.

Gabriels Dämlichkeit wird aber noch dadurch getoppt, daß er hier öffentlich eine Kandidatin ins Spiel bringt, ohne sie vorher gefragt zu haben.
Nachdem Käßmanns Grinsebilder heute auf den Titelseiten der FUNKE-Medien erschienen, sagte die Frau auch noch ab.
(Meine erste inhaltliche Gemeinsamkeit mit ihr. Wir wollen also beide nicht, daß sie Bundespräsidentin wird.)

Die evangelische Theologin Margot Käßmann hat Spekulationen über eine Kandidatur als Nachfolgerin von Bundespräsident Joachim Gauck zurückgewiesen. "Es ehrt mich, dass mein Name im Zusammenhang mit dem höchsten Amt im Staat genannt wird. Allerdings stehe ich für dieses Amt nicht zur Verfügung", sagte sie nach Angaben ihres Büros. [….]
(Spon 12.10.16)

Gabriel hat sich nun gleich mehrfach blamiert:
Mit der Auswahl einer völlig falschen Person, mit dem Lancieren an die Presse und auch noch mit Käßmanns prompten Absage.

Diesen personalpolitischen Meisterstrategen muß Merkel nicht fürchten.

Zum Glück habe ich Gabriels Probleme nicht und bleibe bei meiner Bundespräsidenten-Favoritin, von der ich nach wie vor zu 100% überzeugt bin.