Während ich täglich mehr zweifele, ob der rechte Poltergeist Merz eine Regierungskoalition zusammenbringt, während er von Fehler zu Fehler debakuliert, telefonierte ich mit meinem Hamburger Wahlamt.
Vor zwei Wochen hatte ich meinen Antrag auf Briefwahl abgeschickt und bisher keine Reaktion erhalten. Ja, auch wenn der Rest Deutschland es vergessen haben mag: In drei Tagen findet eine weitere Wahl statt; eine Landtagswahl. Nämlich die Bürgerschaftswahl in Hamburg. Die Erste, bei der ich nach über einem halben Jahrhundert in der Stadt, Wahlrecht habe. In meiner Unerfahrenheit, war ich nur mittelbeunruhigt, da ich im Zweifelsfall auch am 02.03.2025 in mein Wahllokal gehen könnte. Ausgerechnet das trutschige „Abendblatt“ klärte mich aber darüber auf, daß genau das eben nicht möglich ist.
[…] Die Briefwahlunterlagen sind nicht angekommen, dann halt einfach am Sonntag ins Wahllokal gehen? Als einige Hamburger dies am vergangenen Wahlsonntag für die Bundestagswahl versuchen wollten, erlebten sie eine herbe Enttäuschung: Sie durften nicht wählen. Eine Leserin des Abendblattes hat genau das erlebt, sie konnte ihre Stimmen aus diesem Grund nicht abgeben. Damit es anderen nicht genauso ergeht, hat sie einen wichtigen Rat: „Alle, die ihre beantragten Briefwahlunterlagen noch nicht erhalten haben, sollten das zeitnah melden, ansonsten wird ihnen die Stimmabgabe im Wahllokal nämlich verweigert.“ Wenn die Briefwahl einmal beantragt ist, kann man nicht mehr einfach im Wahllokal wählen. [….]
Das erscheint natürlich auch deutscher Sicht logisch: So vermeidet man doppelte Stimmabgabe, weil die Wahlämter technisch überfordert sind, festzustellen, wer schon gewählt hat. Hätte mir auch selbst einfallen können.
Aber ich bin anderes aus den USA gewöhnt. Da bekomme ich, neben den Briefwahlunterlagen auf Papier, sicherheitshalber auch noch ein vollständiges Wahl-Set zum selbst ausdrucken. Es wird empfohlen, beides zu nutzen. Theoretisch kann ich auch den Online-Wahlschein zehnmal ausdrucken und elfmal meine Stimme abgeben. In Deutschland würde die Stimme elfmal gezählt. In den USA werden aber eingegangene Stimmen codiert registriert. Es gibt ein Online-Tool, mit dem ich einfach nachsehen kann, ob meine Stimme in meinem voting-district eingegangen ist. Ist das einmal geschehen, wird mein Code automatisch deaktiviert. Ich konnte bei der letzten Präsidentschaftswahl also meine beiden Harris-Stimmabgaben verfolgen. Die Erste wurde gezählt, die Zweite selbstverständlich nicht!
Offenbar ist Deutschlands Digitalisierung nicht so weit fortgeschritten. Hier ist bekanntlich auch keine Online-Zusendung des Wahlzettels möglich.
Also rief ich heute in meiner örtlichen Wahlstelle an; ursprünglich mit wenig Hoffnung durchzukommen. Aber es ging sofort, nach einmal Klingeln, eine nette Dame ran, fand mich in ihrem PC.
Die Wahlstelle ist keineswegs im Verzug, alle Briefwahlunterlagen wurden sofort nach dem Eingang des Antrags rausgeschickt. Hamburg ist personell vorbildlich ausgestattet. Aber mein Antrag auf Briefwahl (per Post) kam nie an.
"Da sind Sie nicht der einzige, Sie glauben gar nicht, wie viele hier deswegen anrufen!"
Offenbar liegt es an der Post. Die haben jede Menge Briefe verbummelt.
Man kann Briefwahl per Email, per Post und über den QR-Code beantragen.
Laut der Auskunft in Hamburg-Mitte, funktioniert das aber nur per Email zuverlässig. Bei den Anträgen von denjenigen, die über den QR-Code gekommen sind, gingen auch Anträge verloren. Behörden und Digitales sind in Deutschland inkompatibel.
Glück im Unglück: Da mein Briefwahlantrag nie angekommen ist, wurde ich auch nicht im Wahllokal auf der Wahlliste gesperrt und kann Sonntag in mein Wahllokal gehen. Briefwahl scheint zu modern zu sein. Die nette Dame am Telefon mutmaßte, die Post sei überfordert, weil schließlich eine Woche vorher so viel Briefe wegen der Bundestagswahl unterwegs waren. Und für Online wählen wäre Deutschland nun mal viel zu rückständig - "dafür haben wir einen viel zu alten Bundeskanzler".
Aber wenn bald wieder ein Genie, wie Spahn oder Dobrindt, für Digitalisierung zuständig wird, geht es sicher blitzartig voran in Deutschland.
Wenigstens bleibt es eine einfache Entscheidung, wo ich meine ZEHN Kreuze mache: 10 mal SPD, wir haben schließlich den besten der 16 Ministerpräsidenten.
Die Stadt funktioniert besser, als andere Bundesländer. Wir sind die rote Hochburg, die von dem Merz/AfD-Rechtsruck angewidert ist. Hamburg, bekanntlich westdeutsch und sehr reich, votierte vor vier Tagen dann auch mit einem Rekordergebnis von 56,4% für RRG.
14,4% für die Linke in DER Millionärsstadt sind beachtlich.
Traditionell ist Hamburg auch die Grünen-Hochburg. Schon lange versucht die zweite Bürgermeisterin Katherina Fegebank von den Grünen, mit ihrem extrem CDU-affinen Kurs selbst zur Ersten Bürgermeisterin aufzurücken. Bei der in Hamburg sehr rechten CDU bleibt in der Tat bei den reichen Vorstadt-Ökos eine Art „Merkel-Lücke“. Die Grünen drängen in den Bezirksversammlungen allerdings derart rabiat nach rechts, daß immer wieder liberale Grüne die Partei verlassen und zu SPD oder Linken übertreten. Zudem stellen sie mit Anna Gallina und Anjes Tjarks zwei völlig überforderte Senatoren. Es sind die offensichtlichen Schwachstellen im ansonsten tadellosen rotgrünen Senat. Fegebank hat sich mit ihrem Rechtsblinker-Kurs scheinbar erneut verHabeckt:
[…] Immer im Blick: die vermeintliche „Merkel-Lücke“. Er war so fixiert darauf, die Grünen weiter in die Mitte zu rücken und die Chance auf Schwarz-Grün zu wahren, dass er das Wesentliche aus den Augen verlor: seine angestammten Wähler.
Die waren entsetzt von Friedrich Merz’ Asyl-Abstimmung, irritiert von der Art, mit der sich einige Grüne nur halbherzig distanzierten – und endgültig frustriert, als Habeck höchstselbst einen Zehn-Punkte-Plan zur Migrationsbegrenzung vorlegte mit Sätzen, die eher Unionslinie waren als die seiner eigenen Partei. Leichte Beute für die Linken. Doch auch hier nimmt Habeck eine Umdeutung des Geschehenen vor. Der CDU-Chef sei es gewesen, der die Linkspartei wieder stark gemacht habe, die Grünen seien „Opfer des Abstimmungsverhaltens von Friedrich Merz“. Zumal der Verlust von 700 000 Wählern an die Linken und gleichzeitig 460 000 Wählern an die Union zeige, dass der bedingungslose Kurs der Mitte richtig gewesen sei – man habe schließlich in alle Richtungen verloren. Dabei wissen es die Grünen besser: Seit Monaten warnen sie die Union davor, Positionen der AfD zu übernehmen; die Wähler wählten am Ende immer „das Original“. Nun haben sie einen ähnlichen Fehler gemacht – viele ihrer Wähler haben sich entweder für die Union oder die Linke entschieden. [….]
Der Befund wird von der aktuellsten Umfrage in Hamburg gestützt. Die Grünen verlieren weiter kräftig an die Linke. Seit Januar sackten die Grünen in der Hansestadt von 22% auf blamable 16%, während die Linken von 5% auf nun sensationelle 13% anstiegen.
Der Austausch findet dabei weitgehend nur zwischen Grünen und Linken statt; alle anderen Parteien scheinen relativ stabil. Das macht Fegebanks Truppe zunehmend nervös. Sie teilen kräftig gegen die Linke und ihren Stargast aus.
[….] Rund 1.500 Menschen sind am Dienstagabend in Hamburg zu einer Wahlkampf-Veranstaltung der Linken vor und in zwei Clubs in der Nähe der Deichtorhallen gekommen. Die meisten Gäste waren unter 30 Jahre alt.
In der Luft der Geruch von Cannabis, aus den Boxen laute Bässe und aus dem Publikum großer Jubel für Heidi Reichinnek auf der kleinen Bühne unter freiem Himmel. Sie ist die Spitzenkandidatin der Linken bei der Bundestagswahl, zusammen mit dem Co-Parteivorsitzenden Jan van Aken. [….]
Ein lustiger Aspekt sind aber auch die schwarzgelben Kabale. Nach dem Aus bei der Bundestagswahl, regiert bei den Hepatistisgelben die Panik. Nach einigen Parteiwechseln zwischen CDU und FDP, herrscht ohnehin dicke Luft bei den Konservativen. Sie hauen sich nun zwei Theorien um die Ohren, die zwar beide aus ihrer jeweiligen Sicht überzeugend sind, aber zu gegenteiligen Schlüssen kommen:
CDU sagt: Die Gelben stehen bei 3-4%, werden also, wie schon in Berlin mutmaßlich an der 5%-Hürde scheitern. Die Stimmen wären also verloren. Um gegen Tschentscher zu opponieren, sollten die FDP-Freunde lieber schwarz wählen. Dann werden ihre Stimmen garantiert auch in der Bürgerschaft Gewicht bekommen.
FDP sagt: Die CDU hat ohnehin gar keine Chance in Hamburg zu regieren. Die ohnehin mickrige Chance auf Grünschwarz, sinkt mit dem Grün->Linken Aderlass jede Stunde mehr. 15% oder 17% CDU in der Bürgerschaft machen keinen qualitativen Unterschied. Um gegen Tschentscher zu opponieren, sollten die CDU-Freunde lieber die gelbe Pest wählen, um ihr über die 5% zu helfen. Dann werden ihre Stimmen garantiert auch in der Bürgerschaft mehr Gewicht bekommen, weil es eine zusätzliche Oppositionspartei gibt.
Das konservative Abendblatt gibt sich betrübt; wünscht es sich doch Frieden unter den ohnehin schwachen Rechten.
[….] Und doch hat der Ton im sogenannten „bürgerlichen Lager“ inzwischen etwas Schrilles und Verletzendes bekommen. Dass dabei eine ehemalige FDP-Bürgerschaftsabgeordnete und jetzige CDU-Kandidatin in vorderster Front mitmischt, macht die Sache nicht besser. [….] So verständlich der harte Kampf um die Stimmen ist, so unverständlich wirken inzwischen manche Attacken. Die CDU macht eine Kampagne auf Kosten der FDP und nennt Kreuze für Liberale „verlorene Stimmen für den nötigen Neuanfang in Hamburg“, die Liberalen sprechen von der „sogenannten demokratischen Partei“ CDU. Die politischen Gegner auf der linken Seite finden vor Lachen wahrscheinlich nicht in den Schlaf. [….] (Matthias Iken, 26.02.2025)
Normalerweise stimme ich nicht mit dem Abendblattler Iken überein. Aber in diesem Fall hat er Recht; ja, ich lache die CDU und die FDP aus!
Mögen sie sich weiter gegenseitig bekriegen und schrumpfen. Zudem spielt die Ausschließeritis Tschentscher in die Karten.
[….] Bei der Politikerzufriedenheit ist Tschentscher klarer Favorit der Hamburger. Katharina Fegebank (Grüne) folgt mit einigem Abstand, CDU-Spitzenkandidat Dennis Thering ist eher abgeschlagen. Miteinander regieren werden beide jedenfalls nicht: Thering schloss am Donnerstag Schwarz-Grün aus.
Bislang hatte Thering, der am Sonntag als Bürgermeisterkandidat der CDU antritt, sich auf keine Koalitionsaussage eingelassen – allerdings auch keinen Hehl daraus gemacht, dass es mit der SPD stärkere Überschneidungen gebe als mit den Grünen. Dennoch war – nicht zuletzt auch von Bürgermeister Tschentscher – spekuliert worden, dass sowohl Thering als auch die Grünen-Bürgermeisterkandidatin Fegebank die Chance ergreifen würden, sollte sich rechnerisch eine Mehrheit ohne die SPD ergeben. Wenn nun durch Therings Ausschluss Schwarz-Grün und Grün-Schwarz vom Tisch sind, dürfte eine weitere Amtszeit Tschentschers gesichert sein. [….]
Glückwunsch CDU! In der reichsten Stadt Deutschlands liegt Euer Spitzenkandidat in der Beliebtheit auf Platz VIER – hinter der Linken.