Mittwoch, 27. Februar 2019

Nicht weinen, Florin!


Als vor gut 20 Jahren eine meiner frommen katholischen Cousinen aus den USA zu Besuch war, landete sie erschöpft an einem Samstagabend in Hamburg-Fuhlsbüttel und fragte und so ziemlich als Erstes, wann und wo wir denn morgen in die Messe gingen.

Den schockierten Blick werde ich nie vergessen, als ich erst sagte „we don’t do that“ und dann auch noch meine Mutter ob des verwirrten „WHY?“ nachschob „because we don’t believe in god!“
Das arme Mädchen; in was für einem Sündenbabel war die hier bloß gelandet!

Noch mehr hätte sie allerdings schockiert, was anschließend geschah, nachdem ich sie bei dem Onkel abgeliefert hatte, der sie zuerst beherbergte.
Sie tat mir nämlich leid, also fing ich an herumzutelefonieren, wo und wann denn katholische Gottesdienste stattfinden. (Es war ja noch die Zeit vor dem Internet).
Es war wie verhext; nicht nur ich ging nicht in die Kirche, sondern ich kannte noch nicht mal einen, der das tat. Alle Nachbarn, Freunde, Bekannte, die ich fragte, winkten irritiert ab. Sonntagmorgen in den Gottesdienst? Genauso gut hätte ich fragen können, ob sie auch allabendlich von Marsmenschen zu urogenitalen Untersuchungen auf eine Untertasse beim Saturn gebeamt würden.

Das war meine Offline-Filterblase, lange bevor es den Begriff gab.
Kurioserweise interessierte ich mich viel mehr für Katholizismus als meine so gläubige katholische Cousine und erzählte ihr in den nächsten Wochen kontinuierlich kirchenhistorische Geschichten, berichtete ihr von Kabalen in der Kurie, mächtigen Kardinälen, dem Kirchenschisma und der Organisationsstruktur der Weltkirche.
Das war alles Neuland. Sie wußte gerade mal, daß der Papst in Rom ein Pole ist und kannte darüber hinaus nur den Priester in ihrer Gemeinde.
Themen wie Inquisition oder Kreuzzüge konnte ich ohnehin nicht ansprechen; niemals hätte sie mir geglaubt, daß die Kirche ihres geliebten Lords, zu dem sie ständig betete, irgendetwas Schlechtes tun könnte.

So erlebte ich Glauben vor 20 oder 30 Jahren:
Es gab erstens viele generell Desinteressierte, zweitens engagierte Atheisten, die alle zu Hause die Bücher von Küng, Drewermann und Ranke-Heinemann stehen hatten und drittens noch die ernsthaft Gläubigen, die auch regelmäßig Gottesdienste besuchten.

Aber mit dieser letzten Kategorie hatte man nie Kontakt.
Man las nur in den Zeitungen über solche Exoten und wunderte sich über die 100% wohlwollende Perspektive der Kirchenjournalisten, die immer so schrieben, als ob diese Beterei ganz normal sei und jeder das täte.
Reporter, für die wir alle Christen waren und fest von der positiven Wirkung Gottes überzeugt waren.
Journalisten, in deren Welt Ungläubige gar nicht existierten.
In den Zeitungen wurde ein real existierendes Kirchentum dargestellt, mit dem ich nicht nur keine Berührungspunkte hatte, sondern das ich niemals in Hamburg bemerkt hatte.
Üblicherweise sind bei den großen Periodika die Frommen für Frommes zuständig.

Das ist einer der von mir immer wieder beklagten Presse-Missstände.
Alle Kirchenthemen werden von frommen Gläubigen behandelt.
Dafür hat Springer Badde und Englisch, der Tagesspiegel die unvermeidliche Claudia Keller, die Zeit Frau Finger und die SZ eben Matthias Drobinski.
(……) Man stelle sich vor über die CDU würden nur noch CDU-Mitglieder schreiben. Oder nur noch Soldaten über die Bundeswehr. 

Geht es um die Grundfrage des Christentums in Deutschland – was geht da eigentlich so sagenhaft schief, daß jedes Jahr Hunderttausende aus der Religionsgemeinschaft flüchten, während aus anderen Kontinenten ein reger Zulauf herrscht – wird es bei den großen Zeitungen ganz gediegen.

Als Abonnent von Printzeitungen kennt man die strammen Religioten-Blätter „Himmel und Elbe“, sowieso das überregionale „Chrismon“.
Kostenlose Beilagen, die mit ungeheurem finanziellen Aufwand der Kirchen betrieben werden, um all den norddeutschen Ungläubigen gegen ihren Willen christliche Inhalte aufzuzwingen.
(Ja ich weiß, „gegen den Willen aufzwingen“ ist eine tautologische Formulierung, aber diese frömmelnden Blättchen, die sich bei mir in vielfacher  Version stapeln ärgern mich auch mehrfach!)

Ich vermute, die meisten Käufer von Hamburger Abendblatt, ZEIT, Süddeutsche Zeitung werden diese Kirchenbeilagen ungelesen in den Müll werfen.

Unglücklicherweise gucke ich aber gelegentlich da rein und lese dann Kolumnen von Pröbstin Astrid Kleist oder Sabine Tesche.
Anschließend braucht man eine große Dosis Acetylsalicylsäure, um die Hirnchemie wieder zu beruhigen.

In die Kategorie der erstaunlich frommen Kleists und Tesches, die man nur aus Zeitungen kennt und im echten Leben nie trifft, gehört auch Christiane Florin.
Auch Florin, Jahrgang 1968, ist in der Blase der Kirchenschreiberlinge großer deutscher Periodika omnipräsent. Sie verantwortete das erbärmliche „Christ und Welt“, die persönliche Missionierungsbeilage des ZEIT-Chefredakteurs di Lorenzo, die es nach vielen Dekaden vermochte mich dazu zu bringen mein ZEIT-Abo zu kündigen.
Sie ist Redakteurin des Ressorts „Religion und Gesellschaft“ beim Deutschlandfunk, tritt in Presseclub und abendlichen Plappertalkshows auf.
Eine vorherige Station war das Feuilleton des radikal-christlichen Rheinischer Merkurs.
Ich kann mit Fug und Recht sagen seit Dekaden unter dieser Frau zu leiden.
Und nun das.
Christiane Florin ärgert sich über das Kinderficken in ihrer RKK und beklagt lautstark in Form eines zweiseitigen Meinungsartikels in der „Hamburger Morgenpost“ das Nichthandeln dieses Papstes, der es auch noch wagte Kirchenkritiker als „Freunde und Cousins des Teufels“ zu bezeichnen, während nach Kardinal McCarrick ein weiterer Top-Kardinal und Papst-Vertrauter, nämlich George Kardinal Pell überführt wurde mehrere kleine Jungs sexuell missbraucht zu haben. Wochenlang durfte nicht darüber berichtet werden, aber Pells pädosexuelle Vergangenheit war schon lange bekannt, bevor Franziskus ihn förderte und beförderte.
Das weiß „man“, aber insbesondere wissen professionelle Kirchenjournalisten selbstverständlich von der kontinuierlichen Kindersexförderung durch Wegsehen, Vertuschen und Abstreiten des Vatikans.
Frau Florin geht aber nun einen winzigen Schritt weiter als ihre Glaubenskollegin Nahles, die sich mit den Langsamkeit des Vatikans abfindet und damit gelassen hinnimmt, daß immer weiter Kinder vergewaltigt, psychosexuell missbraucht, gequält und geprügelt werden.
Nahles findet es sogar irgendwie lustig und gibt lockere Sprüche von sich. Die SPD-Vorsitzende ruft den vergewaltigten Kindern zu sich mit ihrer Situation abzufinden. Da gäbe es keinen Handlungsbedarf, das dauere eben.

[….] Die katholische Kirche sei unter Papst Franziskus liberaler geworden. Protestanten dürften sich nicht in der Vorstellung ausruhen, sie seien die fortschrittlichere Konfession: "Ich habe schon unheimlich viele konservative Evangelikale getroffen, und kenne so viel 'Pietcong' bei Euch." Auch in der katholischen Kirche werde es irgendwann einmal Priesterinnen geben, versicherte sie und warb für Verständnis, dass eine Weltkirche nicht schnell zu reformieren sei. "Erst vor einigen Jahren hat der Papst offiziell festgestellt, dass es keine Lindwürmer gibt. Manchmal braucht das etwas." [….]

Ganz so gelassen flutschen Florin die Worte nicht mehr aus der Feder.

[….] Dreimal habe ich die Rede des Papstes gelesen und mich geärgert. Über den Papst, aber vor allem über mich. [….] Gründlich zu lesen ist also Journalistinnenpflicht. Aber um dieses blamable Dokument zu verstehen, hätte auch ein einziger Lektüredurchgang gereicht.
Das erste Drittel verbringt Franziskus dort, wo auch missbraucht wird: in Familien und Sportvereinen, im Internet und an Sex-Tourismus-Destinationen. Also im großen Anderswo. Dann kommt kurz der Machtmissbrauch in der Kirche zur Sprache, wobei es missbrauchte Macht auch in anderen Formen gebe. Er nennt Kindersoldaten und minderjährige Prostituierte. [….] In der Mitte der Rede sieht Franziskus die „Hand des Bösen“ am Werk. Das muss das Gegenstück zur Hand Gottes sein, mit der Argentinien 1986 Fußball-Weltmeister wurde. Wobei diese Bemerkung schon in die Kategorie der „ideologischen Polemiken und journalistischen Kalküle“ fällt, vor denen der Papst zwischendurch schnell warnt.
Danach folgt ein Katalog katholischer Sensationen, die aber anderswo Selbstverständlichkeiten genannt werden dürften: keine Vertuschung mehr, weltliche Justiz, Prävention. Und nicht vergessen: Die Kirche selbst sei „mit ihren treuen Töchtern und Söhnen“ auch Opfer. [….]

Nach 50 Jahren fällt Florin auf wie der Hase läuft. Schuld haben immer die anderen und/oder der Teufel

[….] Ich bin auch Laiin und habe die Anfang-Wichtiger-Schritt-Wendepunkt-Rhetorik satt. Ich habe es satt, dass Betroffene wie Bittsteller behandelt werden, die auch noch dafür dankbar sein sollen, dass sich wenigstens ein Kardinal in Rom ihrer erbarmt hat. Dass sie draußen vor der Tür bleiben mussten. Wie seit Jahrzehnten. [….]

Die Laienorganisationen sind in Deutschland traditionell schwach, devot und indolent. Das bedauern die Laien offiziell, aber in Wahrheit ist es bequem. Denn so können sie jede Verantwortung auf die übermächtigen Geistlichen abwälzen – auch wenn sie wie im Fall „Donum Vitae“ bis auf einen einzigen Bischof (Kamphaus) radikal frauenfeindlich agieren. Nahles demonstriert es mustergültig: Myriaden Jungs von katholischen Geistlichen vergewaltigt? Hunderttausende gequält und geschlagen? Macht ja nichts, wir sind ja Laien und die Bischöfe reagieren nun mal langsam in einer 2000 Jahre alten Institution.

[….] Warum, zum Teufel, geben wir diesem Laden immer wieder eine Chance? Das fragen die Katholikinnen und Katholiken in meiner Facebook-Blase. Das frage ich mich auch[….]  „Warum bist du noch dabei?“, werde ich immer häufiger gefragt. Ich stammle dann etwas von Nostalgie und Biografie. Aber eigentlich denke ich ganz böse: Wir Geduldigen sind Komplizen. […..]

Hier kommt die der Sache schon näher. Es ist wie mit den angeblich anständigen Republikanern, die nicht wagen gegen Trump zu stimmen.
Sie sind Enabler.

Seit 15 Jahren schwappen gewaltige Missbrauchs-Veröffentlichungen durch die katholische Welt. Immer mehr Länder melden Zehntausende Opfer. Aber die Geistlichen brauchen Zeit, weil Sexualmoral, Zölibat, Homophobie und Frauenpriestertum nicht kurzfristig einzuführen wären.
Das bedeutet aber, daß man sich damit abfindet, daß jeden Tag weitere Kinder vergewaltigt werden.

Eins verschweigen auch die Laiinnen Nahles und Florin gern: ZdK und Co sind in der Tat nicht so mächtig wie die Bischofskonferenz, aber auch alle Geistlichen zusammen sind machtlos ohne die Laien.
Wenn die Laien austreten, nicht mehr ihre Kirche finanzieren und nicht mehr zu den Gottesdiensten gehen, sind die Bischöfe erledigt und dann wäre sofort Schluss mit dem Kindesmissbrauch und den Nonnenvergewaltigungen.

Die brutalen Verbrechen der Zölibatären im Kleid können nur so lange geschehen, wie die Florins dieser Welt mitmachen und zahlende Mitglieder bleiben.

Alle Katholiken sind mitschuldig. Ein Konzept, das ihnen ob Gottes Erbsünde, mit der sie alle geboren sind, nicht unbekannt sein sollte.
Katholiken sind nicht nur durch Geburt mit Sünde befleckt, sondern auch durch Kirchenmitgliedschaft Mitschuld am fortdauernden Kindesmissbrauch.
Nichtwissen taugt nicht mehr als Ausrede für eine RKK, die auch nach dieser Konferenz in Rom gar nicht daran denkt die Liste mit den pädophilen Priestern zu veröffentlichen oder ernsthaft etwas zu unternehmen, damit weniger Kinderficker Priester werden.