Das ist ja schon ein schlechter
Witz:
Ausgerechnet die große Verlags- und Pressestadt Hamburg, in der all die
Großen sitzen oder saßen (Springer, Bauer, Gruner und Jahr, SPIEGEL, ZEIT,
Stern,..) verfügt über keine vernünftige Tagesspresse.
Nachdem die Financial
Times Deutschland eingestellt wurde, leben die 1,8 Millionen Metropolhanseaten
mit einer 95%-Springer-Dominanz.
Neben BILD (Springer Berlin) und MoPo
(Artikellieferung aus dem Neven-DuMont-Pool) gibt es nur noch die in
homöopathischer Auflage erscheinende taz-Regionalausgabe und das biedere „Hamburger
Abendblatt“, welches gerade mit der besonders konservativen „WELT“
Springer-intern fusioniert wurde.
Irgendeine regionale
Zeitung braucht man aber nun einmal, um über die Hamburg-spezifischen Dinge
informiert zu werden.
Also habe ich das
verdammte Hamburger Abendblatt abonniert (und die Mopo - aber die zählt kaum
noch als Zeitung. Länger als zwei Minuten hat man damit nicht zu tun).
Wenn man in so ein
Springer-Erzeugnis hineinsieht, ist die tiefschwarze Einfärbung in jedem
zweiten Artikel offensichtlich.
In dieser atheistischen
Stadt prallen Bischöfliche Stellungnahmen ungehört an der Wand ab. Die Kirchen
sind leer, werden geschlossen und
interessieren keinen Menschen.
Außer den
Abendblatt-Redakteuren, die wie Nachwehen eines längst verstrichenen
Jahrhunderts devot ihre Spalten frei räumen, um den Kirchenfürsten Gehör zu
verschaffen.
Brüller des Tages:
Die Vertreter der Religionen, die sich bei der Beschneidungsdebatte massiv gegen die Religionsfreiheit von Kindern engagieren, ihnen die Wahlfreiheit nehmen wollen, indem sie irreversibel ins Judentum oder den Islam gepresst werden, jammern über die angeblich mangelnde Religionsfreiheit. Diese Meldung aus Schilda wird devot vom Abendblatt transportiert:
Die Vertreter der Religionen, die sich bei der Beschneidungsdebatte massiv gegen die Religionsfreiheit von Kindern engagieren, ihnen die Wahlfreiheit nehmen wollen, indem sie irreversibel ins Judentum oder den Islam gepresst werden, jammern über die angeblich mangelnde Religionsfreiheit. Diese Meldung aus Schilda wird devot vom Abendblatt transportiert:
Hamburgs Bischöfin beklagt wachsende Intoleranz
Die protestantische Bischöfin Kirsten Fehrs und der katholische Erzbischof Werner Thissen haben in ihren Predigten zum Jahreswechsel die Bedeutung der Religionsfreiheit betont. Fehrs hat eine zunehmende Intoleranz gegenüber den Religionen beklagt. Vor allem in Internetforen würden religiöse Inhalte immer aggressiver attackiert, sagte Fehrs in ihrer Silvesterpredigt. Verbunden sei dies mit einer verbalen Gewaltbereitschaft, "die jegliche Grundlagen unserer Demokratie entwertet".
Umso wichtiger sei es, dass Christen ihren Glauben auch öffentlich zur Sprache bringen, betonte Fehrs. "Scheut euch nicht, Gutes zu glauben und zu sagen." Es müsse laut ausgesprochen werden, "was uns hält und Trost gibt". Christenmenschen seien sich einig in ihrem Widerstand gegen Gewalt, Terror und Fremdenhass.
Ja genau.
(Kommentar dazu aus einem
der bösen Internetforen:
Ganz schön heuchlerisch diese beiden! Wie ernst sie die Religionsfreiheit in der Praxis nehmen, zeigt sich am kirchlichen Arbeits(un)recht. Da heißt es z.B. in einem vom Staat übernommenen nunmehr konfessionellen Krankenhaus: Juden raus, Muslime raus, Konfessionslose raus, Atheisten - ih gitt - sowieso.
Dass diese Feststellung die Wirklichkeit widerspiegelt, kann jeder bestätigen, der sich auch nur oberflächlich mit der Lage von Arbeitnehmern befasst hat, die unter dem sog. kirchlichen Arbeitsrecht zu leiden haben. Näheres dazu z.B. unter www.gerdia.de Uwe L. auf Facebook)
Blättern wir weiter in den
Hamburg-Meldungen.
Im Wirtschaftsteil staunt
das Abendblatt, welches sich grundsätzlich als CDU-Vereinsblatt versteht und
massiv Landespolitik für die Konservativen betreibt.
Daß die nun seit knapp
zwei Jahren regierende SPD all das hinbekommt, woran die geliebten CDU’ler über
zehn Jahre kontinuierlich scheiterten, kann das Abla immer noch nicht
verstehen. Es projiziert seinen eigenen Ärger über die rote Stadtregierung auf alle
anderen und rätselt wenn die Realität so anders als die eingebildete
Wirklichkeit ist.
Daß Kaufmänner in der
Handelskammer den Senat loben verwirrt die Springer-Journalisten über alle
Maßen.
Überraschend viel Lob für den Senat.
Es gab Zeiten, in denen es für Hamburger Bürgermeister zum Jahreswechsel wenig zu lachen gab. Als ihnen bei der "Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg" (VEEK) vom Handelskammer-Präses ordentlich die Leviten gelesen wurden. […]
Der aktuelle Präses Fritz Horst Melsheimer verteilte in seiner Jahresschlussansprache viel Lob für den Senat - so zum Beispiel für die Finanz-, die Bildungs- und die Sportpolitk. Und seine Rede war sogar dazu angetan, den Bürgermeister hin und wieder zum Lachen zu bringen - etwa, als Melsheimer einräumte, seine Meinung über das von ihm früher verspottete "Hamburgische Seilbahngesetz" geändert zu haben und sich nun für eine Seilbahn über die Elbe aussprach. Wenn sie denn privat finanziert werde, könne sie "eine echte Attraktion für Hamburger und Touristen sein", so Melsheimer. […](Andreas Dey, HH Abla 02.01.13)
Ohoh, das muß schlimm
gewesen sein für Herrn Dey!
Gucken wir einen dritten
Artikel an.
Den Leitartikel zum
Beispiel.
Seinen Meinungsartikel
überschreibt Redakteur Steinlein mit einem vorwurfsvollen „Ängstliche Politik“
und geißelt den Einfluß von Umweltgruppen auf politische Entscheidungsträger.
Daß Politiker überhaupt diese verrückten Ökos vor Standort-relevanten Planungen
anhörten, empfindet der Springer-Journalist als Frevel.
Wohltuend ist es, wenn dieses Kuschel-Ritual einmal durchbrochen wird. Wie vor einigen Wochen, als der Präsident des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg nach dem vorläufigen Aus für die Elbvertiefung die klagenden Umweltverbände scharf attackierte und forderte, staatliche Zuschüsse an sie zu kürzen und in den Hafen umzuleiten. Oder jetzt der Präses der Handelskammer, der der Bürgerschaft eine "Selbstentmachtung" durch die "Einführung umfangreicher Elemente direkter Demokratie" attestiert, die dazu führe, dass "kleine, gut organisierte Interessengruppen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sinnvolle Vorhaben blockierten".
Ja, das Abendblatt. Freude
auf jeder Seite.
Das Bizarrste ist
allerdings, daß ich ausgerechnet diesem kleinen Kiesel teilweise Recht gebe.
Daß sich alle hinter „Plebiszitären
Elementen“ verstecken, finde ich auch höchst ärgerlich.
Wenn man jedes Mal erst
die Nachbarn befragt, ob sie einverstanden sind, kann man nirgendwo mehr eine
Schule, eine KITA, ein Altenheim, eine psychiatrische Einrichtung, ein
homosexuelles Altenstift, eine Fixerstube oder ein Frauenhaus einrichten.
Solche sozialen Einrichtungen werden dann nur noch in den Armenvierteln entstehen
können, wo sich die Anwohner nicht die teuren Anwälte und PR-Agenten für eine „Dagegen-Kampagne“
leisten können.
Gerecht ist anders.
Es geht nicht darum, direkte Demokratie pauschal zu verurteilen. Auch dürfte sich kaum ein politischer Realist finden, der sie komplett wieder abschaffen mag. Aber es geht darum, Bürgerbeteiligung händelbar zu machen und politische Entscheidungen wieder verlässlich. Parlamente auf Landes- und Bezirksebene müssen wieder gestärkt werden.