Sonntag, 27. Januar 2013

Strategie-Problem



Merkels echte Stärke ist ihr Phlegma. 
Das muß man Ironie-frei anerkennen. Man kann die Kanzlerin lange piesacken, ohne daß sie in Erregungszustände gerät.
Sie ist diesbezüglich das diametrale Gegenteil Westerwelles, für den es nur „beleidigen oder beleidigt sein“ gibt.
Auch bei schweren persönlichen Affronts, auf die Guido mit wüsten Warn-Attacken oder Gezeter reagieren würde, winkt Angie nur gelangweilt ab.
Man erinnere sich an das teilweise extrem unflätige Benehmen Berlusconis, der sich über ihre Figur lustig machte, oder die wartende Regierungschefin nicht begrüßte und demonstrativ erst mal telefonierte. 
Auf einen diplomatischen Eklat, den andere nur zu gern geliefert hätten, arbeitete auch Achmadinedschad hin, als er der Kanzlermaschine auf dem Weg nach Asien die Überflugrechte verweigerte und Merkel eine stundenlange Verspätung aufzwang.
Vielleicht ist es nur die Veranlagung der Uckermärkerin. Vielleicht ist es Klugheit, die sie in solchen Situationen stoisch bleiben läßt. Es ist aber ihr Vorteil.

Merkel nutzt diese Fähigkeit aber nicht nur auf dem diplomatischen Parkett, sondern auch in der politischen Taktik.
Das erbärmliche Verhalten des britischen Premiers Cameron, der andere EU-Regierungen zur Weißglut treibt, ignoriert sie. 
Im direkten Zusammentreffen in Davos, weicht sie ihm einfach aus.

Auch das macht ihr das Leben viel leichter. So kann sie auch krachende Wahlniederlagen-Kaskaden achselzuckend hinnehmen. Daß sie wie David McAllister die Fassung verlöre oder gar in Tränen ausbräche, ist ausgeschlossen.

Wenn man die Taktik der allgemeinen Nichterregbarkeit zur langfristigen Strategie erhebt, kann man sogar Bundestagswahlen gewinnen.
Die Rede ist von Merkels viel gepriesener „asymmetrischen Demobilisierung.“ 
Sie bleibt stets unverbindlich und schwammig, vermeidet peinlich genau jede Festlegung und klaut sich ungeniert die Themen der anderen Parteien zusammen.
Man langweilt den Urnenpöbel ins Koma, bis die apathischen Oppositionsanhänger erst gar nicht zur Wahl gehen. 
Ideal eignet sich für diese Merkel-Strategie natürlich ein charismafreier Juniorpartner wie Steinmeier von 2009, der es nie fertigbrachte dem schlafenden Volk zu erklären, was er eigentlich anders machen würde. So holte sich Merkel ganz ohne Programmatik eine satte schwarzgelbe Mehrheit, um dann das zu tun, was sie versprochen hatte: Nämlich nichts.
Als Programmpartei war die CDU bislang nicht aufgefallen. Die Wehrpflicht fiel im Rahmen der Etatberatungen, die Energiewende war das Ergebnis einer Naturkatastrophe in Japan, das Betreuungsgeld Ergebnis eines Koalitionsdeals.
(DIE ZEIT, 24.01.13, s.4)
Thematisch unbestimmt soll es auch nach dem Machtverlust in Hannover weitergehen. 
Von einer »weicheren Ansprache« ist am Tag nach der Niederlage im Konrad-Adenauer-Haus viel die Rede. Die Verunsicherung ist groß: Man könne doch auch wie die Grünen mal »was mit Tieren« machen, soll ein Vorstandsmitglied vorgeschlagen haben. Den anderen die Themen klauen, damit deren Wählerschaft gefrustet zu Hause bleibt, das war Merkels Erfolgsrezept in den vergangenen Jahren. Doch nun sind womöglich die Grenzen dieser »asymmetrische Demobilisierung « genannten Strategie erreicht: In der CDU-Zentrale fürchtet man, dass jeder weitere Schritt nach links in der eigenen Partei auf Widerstand stößt.
 (DIE ZEIT, 24.01.13, s.4)
In der Tat gibt es ein Problem mit Merkels unpolitischer Politik.
Nach und nach schlafen nicht nur die grottenschlecht angesprochenen SPD- und Grünen-Wähler ein, sondern auch die Unions-Fans werden von Wahlmüdigkeit übermannt.
CDU-Ministerpräsidenten großer wichtiger Länder wie NRW und Niedersachsen hatten Merkels Methode plagiiert. Sie zogen grinsend und nichtssagend durchs Land, versuchten alle Schweinereien heimlich auszutüfteln und sonnten sich in ihren hohen Sympathiewerten, die sie als rückgratlose Wählerwunsch-Projektionsfläche erarbeitet hatte.
Dummerweise waren Rüttgers und McAllister am Ende ihre Ämter los.
 Genauso erging es (auch unterschiedlichen Gründen) auch der CDU in Hamburg, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg.
Wenn kein Wunder geschieht wird auch Kochs U-Boot Bouffier im September 2013 seine Landtagswahl verlieren. In Umfragen liegt Rot/Grün rund 15 Prozentpunkte vor Schwarz/Gelb.
Damit bliebe nur noch Sachsen CDU-gelb regiert - und Bayern CSU-gelb. Also gerade mal zwei von 16 Bundesländern.
Merkel mutiert also zur Dame ohne Unterleib.
Sollte das Bundestagswahlergebnis im Herbst eine Große Koalition erzwingen, wird Merkel das sicher gerne tun, weil sie von der FDP ohnehin die Nase gestrichen voll hat.
Aber Schwarzgelb bliebe eben auch machttaktisch reizlos, da Vermittlungsausschuss und Bundesrat jedes Gesetzesvorhaben stoppen können.
Dies wäre aber auch ein Problem in einer Merkel-geführten CDU-SPD-Koalition. 
Es ist nicht anzunehmen, daß sich die SPD mit dem Bundesratspfund in der Hand noch mal so billig-willig verkaufen würde, wie 2005.
Außerdem regiert die SPD nur in Hamburg allein. Alle anderen Bundesratsstimmen wären durch Grüne und Linke Koalitionspartner neutralisiert.
Und kommt es überhaupt zu dem großen CDU-Vorsprung bei der Bundestagswahl, der jetzt von einigen Instituten mit bis zu 20 Prozentpunkten gemessen wird?
Verlassen sollte sich Merkel nicht darauf. 
Das lehrt McAllister, das lehrt aber auch ihre persönliche Erfahrung.
Grandiose demoskopische Zahlen sechs Monate vor einer Bundestagswahl durch Ziel zu bringen ist Merkels Stärke nicht.
Das Angstdatum der CDU ist der Juni 2005. Damals stürzte die CDU in wenigen Monaten aus der Höhe der Umfragen in die Beinahe-Niederlage ab. 2009 schaffte sie Schwarz-Gelb – wieder mit einem Ergebnis, das weit hinter den Erwartungen zurückblieb.
(DIE ZEIT, 24.01.13, s.4)
Tatsächlich; im Winter 2008/2009 lag die CDU in den Umfragen nur etwas schlechter, aber ähnlich wie jetzt bei rund 40%. Im September erreichte Merkel dann 33,8%

Noch schlimmer sah es 2005 aus. Bis zum Juli 2005 wurde der CDU sogar eine absolute Mehrheit prognostiziert. 49% hatte beispielsweise Forsa im gesamten Juni immer wieder ermittelt. Am 18.09.2005, dem Bundestagswahlsonntag dann der Schock: Gerade mal 35,2 % schaffte Merkel und wurde in die große Koalition gezwungen.

Was nützt also ein deutlicher demoskopischer Vorsprung?

Es wäre Zeit für Merkel ihre Stillhaltemethode zu ändern.
Merkel ist persönlich beliebt und steht einem Haufen Dilettanten gegenüber, die sich wie FDP, Piraten oder Sozis am liebsten selbst zerlegen.
Deswegen liebt man aber noch nicht die CDU.
Nicht die Waffenexport-, Plagiatoren-  und Homoverdammer-CDU, auch nicht die weichgespülte Mindestlohn- und Atomausstiegs-CDU.
Welche CDU der Wähler überhaupt mögen könnte, weiß niemand. 
Von der Parteichefin sind dazu auch keine Antworten zu erwarten.
Diese Antworten brauchte es 2009 zu Zeiten der komfortablen konservativen Mehrheiten im Bundesrat auch nicht unbedingt.
 Überall waren CDU-Ministerpräsidenten, die den Laden schon irgendwie im Gespräch hielten.
2013 sieht es womöglich anders aus.
Nun wird bald der ganze Norden rot regiert. Es wäre ihr nächster Fehler, wenn die CDU sich darüber hinwegtäuschen wollte, dass es für die Malaise Gründe gibt, die im Norden genauso zu spüren sind wie in Düsseldorf.   Sie sind ein Spiegel der CDU-Probleme in fast allen Ländern. Dort bringt der beruhigende Pragmatismus der Kanzlerin zwar Sympathie, aber zieht bei Landtagswahlen nicht genug. Dort wiegt es schwer, wenn die Wähler nicht wissen, wofür diese CDU steht. Ihre Spitze hat die Partei in den letzten Jahren entkernt, vieles über Bord geworfen, was wichtig war, von der Atomkraft bis zur Wehrpflicht. Sie hat viel über ihre Schwäche in den Großstädten nachgedacht, aber sich kaum erneuert. Und wo sie moderne Politik versucht, konterkariert sie das selbst: In Niedersachsen hat McAllisters Regierung viel für den Ausbau von Kita-Plätzen getan. Aber was hilft das, wenn die CDU als Partei des Betreuungsgeldes erscheint. Ständig wirken Christdemokraten in den Ländern wie Gejagte, die - auch bei der Energiewende - vollziehen, was oben entschieden wurde. Halb überzeugt, somit nicht überzeugend. So stehen sie nur noch für politisches Verwalten.

[…] Die Leere macht sie unattraktiv für Leute, die mehr wollen als eine Karriere. Die CDU ist personell ausgebrannt, das merkt sie als Erstes in der Breite. Wo mittelfristig keine Regierungsmacht zu verteilen ist, reicht die Kraft nur zum Kampf um Pöstchen. Nur wer das erträgt, bleibt.
(Jens Schneider, Süddeutsche Zeitung, 25. Januar 2013)