Donnerstag, 18. November 2021

Söder im Pech

Mit einer wirklich frommen Person über Gott zu diskutieren, ist sinnlos. Je schlichter sie gebildet ist, desto sinnloser. Wer glückselig davon spricht, Jesus in sich zu spüren, wird dieses Gefühl nicht durch rationale atheistische Argumente abstellen.

Es ist so ähnlich wie mit Impfgegnern. Ihnen kann man Stunden, Tage, Wochen detailliert erklären weswegen sie falsch liegen, ohne auf einen Funken Einsicht zu stoßen.

Ergiebiger ist es, sich mit Theologen, Menschen in kirchlichen Funktionen oder gar Geistlichen zu streiten. Ihnen kann man die Amoralität der christlichen Lehre, die Grausamkeiten, die Blutigkeit, die Verbrechen, die Historie, die Widersprüche, die Lügen ihres Vereins vorwerfen. Oder man kann sie in die grundsätzlichen Theodizee-Fragen treiben – wieso ließ Gott den Holocaust zu?

Die dritte Streitlinie mit Profi-Gläubigen bildet ihre Geldgierigkeit, also die mannigfachen aberwitzigen Verstrickungen von Kirche und Staat, die einen steten Milliardenfluss aus dem allgemeinen Steuertopf in die Kirchenkassen bewirken.

Es ist aber eine dritte Gruppe, die mich am meisten ärgert. Das sind die indolenten, desinteressierten, Schwach- oder Ungläubigen, die zwar keinen spirituellen Zugang zur Religion haben, aber dennoch hartnäckig der Ansicht sind, Kirchen wären etwas Gutes, täten so viel Gutes. Das Extrembeispiel für diesen Typ Religiot ist Annalena Baerbock, die offen erklärt, selbst nicht an Gott zu glauben, aber so begeistert von den Taten der Organisation Kirche zu sein, daß sie deswegen ganz bewußt zahlendes Kirchenmitglied sei.

Das ist äußerst unangenehm, weil sie a) keine metaphysischen Anwandlungen als Entschuldigung dafür hat, den hunderttausenden Opfern brutaler kirchlicher Gewalttaten in den Rücken zu fallen und sie b) auch noch grotesk schlecht informiert ist, wenn sie nicht weiß, daß die vielen angeblichen sozialen Wohltaten der Kirchen, eben gerade nicht aus der Kirchensteuer finanziert werden, sondern vom Staat. Von Muslimen, Hindus und Atheisten wie mir.

Die Gleichgültigen, die ungläubigen Kirchenfreunde und sonstigen religionspolitischen Tagträumer, haben leider keine Ahnung, wie die beiden großen Krakenkirchen den Staat aussaugen. Wir, der säkulare Staat, zahlen die Bischofsgehälter, die Pensionen der Kardinäle, die Theologenausbildung, die Kircheninstandsetzungen. Wir unterhalten zu mehr als 95% Kitas, Heime, Schulen und Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft. Kirchen beharren auf absurdeste Privilegien, so daß auch in vollständig ungläubigen Gegenden niemand an einem Karfreitag tanzen darf. Sie unterhalten Verbindungsbüros in Landtagen und Bundestag, haben exklusiven Zugang zur Gesetzgebung. Kirchliche Vertreter werden ohne jegliche Eignung in Ethikkommissionen und Rundfunkräte geschickt, mit den absurden Folgen, daß jemand wie Kardinal Marx um Expertise zum Atomausstieg gefragt wird.

Unglaublich aber wahr, Bundeskanzlerin Merkel berief Marx 2011 in die Ethikkommission „Sichere Energieversorgung.“ Hatten denn Lothar Matthäus oder der Wendler keine Zeit, um die Energiewende zu planen? Aber auf diese Weise bilden die Regierenden und die Kirchenfürsten ein Amalgam aus gegenseitigen Gefälligkeiten und Abhängigkeiten.

Was ein katholischer Top-Prälat, dessen Lehre noch nicht mal Frauen als vollwertige Menschen ansieht, sie deswegen als zu unwürdig für geistige Jobs erachtet, der für die systematische Vertuschung von sexuellem Kindesmissbrauch und Homophobie steht, überhaupt in einer ETHIK-Kommission zu suchen hat, weiß vermutlich wirklich nur der liebe Gott, der nicht existiert.

Markus Söder, der innerhalb von drei Monaten vom deutschen Hoffnungsträger, Primus der Beliebtheitsrankings, Kanzlerkandidaten des Herzens, Großmeister der Corona-Strategien und gefühltem Merkel-Nachfolger zum depressiven Provinzler ohne Fortüne und Corona-Großversager abstürzte, hält sich natürlich einen eigenen bayerischen Ethikrat.

Darin versammelte er CSU-freundliche Altvordere und ganz besondere Blitzbirnen, wie die erschreckend unterbelichtete Münchner Regionalbischöfin Susanne Breit-Kessler.

(….) Breit-Kessler ist aufgrund ihrer außerordentlichen religiotischen Qualitäten und reduzierten intellektuellen Möglichkeiten eine alte Blog-Bekannte.

In ihren Kolumnen verbreitet die 67-Jährige Oberbayerin hanebüchenen Unsinn, der einen staunend zurück lässt. Man kann ihr aber nicht wirklich böse sein, weil sie offensichtlich nicht klug ist. Ich lasse Milde walten, weil die arme Frau es offenbar wirklich nicht besser weiß. Religiotie befriedet die Gesellschaft, indem sie die Unterprivilegierten beruhigt, ihnen damit hilft sich mit Ungerechtigkeiten abzufinden. Je mehr Religioten, desto einfacher lassen sich rechtliche und soziale Unterschiede aufrechterhalten, Der Glaube hält die Armen dumm und still.

[….] Religiosität macht arme Menschen glücklicher.  In einer neuen Studie untersucht ein internationales Forschungsteam den Zusammenhang zwischen sozialer Klasse, psychischem Wohlbefinden und Religiosität. Das Ergebnis: Religiosität kann durch Armut verursachte psychische Belastungen abfedern oder gar wettmachen. Die Studie legt außerdem nahe, dass mit fortschreitender Säkularisierung ein niedriges Einkommen immer gravierendere Effekte auf das Wohlbefinden haben wird.  […..]

(Uni Mannheim, 23.09.2021)

Als atheistischer Sozialdemokrat und Staatsbürger möchte ich aber nicht, daß sich „die Unterschicht“ klaglos damit abfindet, wenn kontinuierlich von unten nach oben  umverteilt wird.  Ich plädiere für Fairness, sozialen Ausgleich und Chancen-Gleichheit.  Daher halte ich es für unproblematisch, wenn das schlichte Gemüt Breit-Keßler in TV-Zeitschriften ihren Unsinn verbreitet.

Markus Söder machte diese (mindestens) Partial-Debile aber zur Vorsitzenden des Bayerischen Ethikrates. (….)

(Spinner-Quote, 02.10.2021)

Tja, in so einer Pandemie kann etwas Ethik vermutlich nicht schaden, wenn man an führender Stelle politisch aktiv ist und leider zu doof ist, sich an Wissenschaft und Fakten zu halten.

[….] Der Bayerische Ethikrat berät Ministerpräsident Dr. Markus Söder und die gesamte Staatsregierung in den entscheidenden Zukunftsfragen unserer Gesellschaft. Das Gremium wurde vom Ministerrat am 1. Oktober 2020 eingesetzt und beschäftigt sich mit der gesamten Bandbreite ethischer Fragen. [….]

(Bayerische Staatskanzlei)

Zu den Mitgliedern gehören Prof. Dr. Reiner Anselm (Lehrstuhl für Systematische Theologie und Ethik an der LMU München), Susanne Breit-Keßler (Vorsitzende des Bayerischen Ethikrates, ehemalige Regionalbischöfin), Prof. Johanna Haberer (Abteilung Christliche Publizistik an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg), Rabbiner Steven E. Langnas (Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik im Religionsunterricht der Katholisch-Theologischen Fakultät der LMU München),  Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger (Bischofsvikar für Bioethik und Sozialpolitik, Dompropst am Bistum Augsburg), Prof. Dr. Armin Nassehi (extrem rechter Hardcore-Religiot) und Prof. Dr. Traugott Roser (Professor für Praktische Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster).

Die Besetzung ist natürlich ein Skandal, der nur dadurch übertroffen wird, daß niemand daran Anstoß nimmt und kaum einer sie als Skandal empfindet.

Bei so viel Top-Frömmigkeit sollte Markus Söder, der Mann, der in allen bayerischen Amtsstuben einen Kruzifix-Zwang einführte, wohlgelitten sein. Aber, mit Armin Laschets Griff zur Kanzlerkandidatur, verließ Sudel-Markus offensichtlich endgültig das Glück. Seine Reputation ist dahin, sein Selbstbewusstsein angeknackt, in Berlin hat die CSU keinen Einfluß mehr und die Pandemie ist in Bayern außer Kontrolle.

Die Inzidenz in Bayern liegt heute, am 18.11.2021 bei unfassbaren 610 Neuninfektionen/100.000. Ein Wert, der nur noch von Sachsen überboten wird. Gleich sechs bayerische Landkreise bringen es gar auf vierstellige Werte.

Und als i-Tüpfelchen nun noch das: Der fromme Ethikrat fällt dem Chef-Bayern in den Rücken!

[….] Ethikrat wirft Söder schwere Versäumnisse vor

[….] Der bayerische Ethikrat hat die Corona-Politik der Staatsregierung scharf kritisiert. Vor ein paar Wochen habe man noch so getan, "als sei die Sache vorbei", sagte Armin Nassehi der Süddeutschen Zeitung. Der Münchner Soziologe ist stellvertretender Leiter des Gremiums, das die Regierung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) berät. Nassehi warf der Staatsregierung vor, sie habe in den Sommermonaten nicht konsequent genug gehandelt. Durch die Trödelei sei man in eine Situation geraten, in der man womöglich einen Lockdown brauchen würde, den die Politik aber ausgeschlossen habe. Nassehi verwies auf eine Stellungnahme des Ethikrats vom 10. Juni an die Staatsregierung. Darin wird dringend zur Vorbereitung einer weiteren Impfwelle geraten, "weil ein Teil der Geimpften ihren Schutz womöglich zu der Jahreszeit verlieren wird, in der aus saisonalen Gründen die Wahrscheinlichkeit der Verbreitung des Virus wieder steigt". Hier stünden Entscheidungen unmittelbar bevor, die nicht erst in einigen Monaten getroffen werden könnten. Weiter heißt es in den Papier: "Ziel aller Planungen muss sein, im kommenden Herbst und Winter ohne radikale Kontaktbeschränkungen und ohne Lockdowns auszukommen. Das ist aber nur möglich, wenn nicht gewartet wird, bis sich radikale Maßnahmen überhaupt nicht mehr vermeiden lassen." In genau diese Lage könnte sich die Staatsregierung um Ministerpräsident Söder nun manövriert haben - trotz der frühzeitigen Warnungen aus dem eigenen Beraterkreis. [….]

(SZ, 18.11.2021)