Als sich die Grünen in den 1990ern zwischen Fundis und Realos aufteilten, war ich leidenschaftlicher Realo. Das hatte wenig mit Sympathie für einzelne Personen zu tun, sondern einen ganz praktischen Grund: Ich unterstützte aus voller Überzeugung die grünen Ur-Themen Pazifismus, Umweltschutz und Anti-AKW.
Mit Realpolitikern wie Joschka Fischer bekam die Partei a) mehr Zuspruch aus der Bevölkerung und somit bessere Wahlergebnisse. Dadurch konnte sie b) in Koalitionen eintreten und an der Umsetzung der politischen Ziele arbeiten.
Was nützt fundamentalistische Prinzipientreue, wenn man dafür, wie 1990 aus dem Bundestag fliegt und dann hilflos aus dem Off zugucken muss, wie eine breite schwarzgelbe Mehrheit tut, was sie will?
Natürlich fehlte mir bis zum Ende der Schröder-Regierungszeit 2005 die Phantasie dafür, mir vorzustellen, die Realos könnten so weit nach rechts wandern, um in mehreren Bundesländern trotz rotgrüner Mehrheiten lieber mit der CDU zu koalieren, leidenschaftlich Migranten abzuschieben, für Waffenexporte in Kriegsgebiete und AKW-Laufzeitverlängerungen zu streiten.
Wenn ich wie heute in den Hamburger Zeitungen lese, daß unsere grüne Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin Katherina Fegebank vehement Tierversuche an der Uniklinik verteidigt, finde ich es zwar widerlich, aber kein bißchen überraschend. Schließlich hatte Fegebank schon 2008 die schwarzgrüne Koalition mit der Schill-CDU geschmiedet.
Die Grünen, die heute neben schwurbeliger Homöopathie-Impfgegner-Heilpraktiker-Verirrung auch für die Lützerath-Vernichtung stehen, sind für mich prinzipienlos und damit weitgehend unwählbar. Aber sie sind nicht dumm. Es steckt Strategie hinter ihrer inhaltlichen Beliebigkeit. Denn so eröffnen sich Spielräume und damit Regierungsmehrheiten. In einem so strukturkonservativen Land wie Deutschland, sind CDU und CSU mit ihrer Borniertheit, der Xenophobie und dem Kirchismus, eine sicherere Bank als die SPD.
Daher ist es taktisch schlau, sich schon in der Kommunalpolitik, wie in den Hamburger Bezirksparlamenten, fest an die rechte Ploß-CDU zu binden. Mag Hamburg auch eine rote Stadt sein, aber im Bund schafft es die SPD nur selten stärkste Partei zu werden. In zwei bis vier Bundesländern ist sie gar zur Einstelligkeit verdammt. Gute grün-schwarze Beziehungen stehen für also für eine längerfristige Machtperspektive.
Ähnlich sympathisch wie die grünen Ziele in den 1980ern, waren mir die sozialen, antikapitalistischen und pazifistischen Partei-Überzeugungen in den 1990ern bei der Linken.
Das erste Vierteljahrhundert nach 1989 war es meine Herzensangelegenheit, die Politik der PDS und der Linken im Bundestag vertreten zu sehen. Es war zudem eine sehr wichtige Stärkung des demokratischen Bewußtseins, eine spezifisch ostdeutsche Stimme in politischen Debatten zu hören.
Unglücklicherweise versagte die Partei so schwer dabei, die in völkisch braune Abwege gedriftete Sahra Wagenknecht zur Raison zu bringen, bzw rauszuwerfen, daß nun die gesamte Partei unter Querdenker-Verdacht steht. Zu Recht, denn sie lässt das putinesk-covidiotische AfD-Fangirl für die Partei ans Rednerpult des Bundestags.
Seit Jahren begeistert Sahra Sarrazin nun schon die Faschisten der Ost-AfD und die rechtsextremen Blogger wie David Berger.
Dennoch ließ der Linke Bezirksverband Tempelhof-Schöneberg die Weidelknecht am 19.01.2023 im Berliner Wahlkampf auftreten und ihr gesamtes völkisches Weltbild ausbreiten.
Der Applaus der Nazis folgte prompt.
[….] „Uns trifft es zuerst, wenn dieser Krieg sich ausbreitet“, sagte die Bundestagsabgeordnete. Davon abgesehen seien es US-amerikanische Unternehmen, die von den andauernden Kampfhandlungen in der Ukraine profitierten – die US-Rüstungsindustrie und die US-Energiekonzerne. „Und wir zahlen das mit jeder Gasrechnung, mit jeder Tankfüllung“, so die Linke-Politikerin. [….] Neben Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock sei Gesundheitsminister Karl Lauterbach eine weitere „Fehlbesetzung“ im Regierungskabinett. „Der Mann hat überhaupt nur Corona im Kopf“, sagte Wagenknecht. [….]
(Berliner Zeitung, 20.01.2023)
Wagenknechts inhaltliche Spinnerei ist das eine. Anders als bei dem eingangs beschrieben Rechtsschwenk der Grünen, fehlt aber bei den Linken jede parteipolitische Perspektive. Wagenknechts braune Homo- und Xenophobie vergrault die eigene linke Basis.
Die Wahlergebnisse des letzten Jahres sind mehr als eine Katastrophe: Die 5%-Hürde scheint außer Reichweite.
(….) Für so ein Gedankengut des Schwurbel-Schwachsinns gibt es außerhalb der AfD und eines kleinen Kreises um Sahra Sarrazin selbstverständlich keine Zustimmung.
Nachdem die Linke nach der Bundestagswahl (4,9%), weitere viermal bei Landtagswahlen für ihre elende Schwurbelei und Unfähigkeit, sich von der Querfront zu trennen, schwer abgestraft wurde – 27.03. im Saarland 2,6%, 08.05. Schleswig-Holstein 1,7%, 15.05. NRW 2,1%, 09.10. Niedersachsen 2,7% - und bundesweit klar unter 5% entlangkrebst, demonstriert sie weiterhin ihre völlige Politikunfähigkeit. Geradezu erbärmlich, wie sich die einst so stolze Partei von ihrer völkischen AfD-Freundin Sahra Sarrazin und dem doppelten Partei-Zerstörer Lafontaine zerhacken lässt.
Aber auch die Reaktion innerhalb der Linken ist deutlich. Prominente Mitglieder treten demonstrativ aus, mehrere Landesverbände befinden sich in Auflösung. Eine Irre wie Sahra Sarrazin wäre als Parteimitglied auszuhalten, wenn sie denn parteiintern isoliert würde.
Aber sowohl Partei-, als auch Bundestagsfraktionsführung geben dem Nazi-Fangirl Rückendeckung. Mohamed Ali, Bartsch, Wissler und Schirdewan wissen es und lassen die Wagenknechte gewähren. Die Linke ist unrettbar verloren. Wer nicht hören will, muss fühlen. Der rechtsextreme Verschwörungstheoretiker David Berger ging bereits dazu über, Sahra Wagenknechts Youtube-Reden ungekürzt direkt in seiner völkischen Covidiotenseite PP einzubetten. (…)
(Völkisch-Fascholinks, 16.10.2022)
Weil die Parteiführung dabei versagte, Sahra Sarrazin frühzeitig rauszuwerfen, konnte sie die halbe Partei mit ihrem AfD-Kurs infizieren. Eine Abspaltung der rotbraunen Querfront wird die Linke ihren Bundestagsfraktionsstatus kosten.
[…] Politikerinnen und Politiker der Linken um Sahra Wagenknecht diskutieren einen Fahrplan für eine mögliche Parteineugründung. Für Ende Mai oder Anfang Juni planen sie eine Konferenz zu dem Thema. Dies geht aus dem Protokoll einer internen Sitzung vom 18. Dezember hervor. An der Zoom-Schalte nahmen demnach mehr als 300 Personen teil. Eingeladen hatten die Gruppierungen Liebknecht-Kreise sowie die Sozialistische Linke. Laut Protokoll diskutierte die Gruppe, ob sie eine neue Partei gründen oder eine Gegenmacht innerhalb der Linken stärken solle. Man vertrete eigentlich die Mehrheitsmeinung der Basismitglieder, hieß es, in der Partei habe sich jedoch ein Funktionärszirkel über unlautere Mittel wichtige Posten gesichert. Die Rede war davon, man werde aus der Linken »rausgemobbt«. […]
Während schwarzgrüne Mehrheiten in vielen Bundesländern und im Bund denkbar sind, schwurbelt sich Weidelknecht ins strategische Abseits.
Sie mag der AfD ein paar Stimmen wegnehmen, verliert aber die klassisch linken Wähler. Dann gäbe es zwei rechtsextreme Parteien, die um dieselben Wähler konkurrieren. Für beide wird die 5%-Hürde dadurch problematischer. Aber wer sollte Wagenknechts Koalitionspartner werden? Zwischen CDU und AfD gibt es Schnittmengen. In den Kommunen arbeitet man bereits zusammen, der CDU-Parteichef klingt immer mehr nach AfD. Möglich also, daß es in ein paar Jahren AfD-CDU-Koalitionen geben wird.
Aber wer sollte denn mit einer Wagenknecht-Partei zusammenarbeiten? Linke, SPD und Grüne sind für immer vergrault. Bei der FDP gibt es ebenfalls keine Chance ihren Vermögenssteuer- und Putin-freundlichen Kurs mitzutragen. Die CDU ist etwas Putin-freundlicher als die FDP. Aber Merz und Wagenknecht verbindet lediglich ihre Queer- und Migrantenfeindlichkeit. Wirtschafts- und Sozialpolitik sind inkompatibel.
Sahra schießt sich ins Aus.