Frau Prange, die nur ein paar Häuser wohnt, der ich ab und zu mal helfe, wohnt im vierten Stock ohne Fahrstuhl. Ende des Jahres wird sie 80 und sucht schon länger dringend nach einer anderen Wohnung.
Ich kenne das Problem von meinem Vater, der auch im vierten Stock eines Altbaus ohne Lift wohnte und die letzten Jahre seines Lebens buchstäblich dort gefangen war.
Er liebte allerdings seine Bude, wollte nicht ausziehen und hatte schließlich einen Sohn, der ständig auftauchte, um ihm alles anzuschleppen. Bei Arztbesuchen musste ich ihn von einem Krankentransport rauf- und runtertragen lassen. Zum Glück war er sehr dünn.
Meine Nachbarin ist aber kinderlos und zudem keineswegs gewillt immer nur in ihrer Wohnung zu sitzen. Also muss sie da raus. Die finanziellen Mittel sind äußerst begrenzt, daher verfügt sie schon lange über einen Dringlichkeitsschein. Sie ist auch durchsetzungsfähig und geht den Behörden mit ihrem Gesuch ordentlich auf den Zeiger. Aber das wird nichts. „Wegen der Scheiß Ukrainer“, wie sie mir vorgestern erklärte. Sie war wieder bei der zuständigen Sachbearbeiterin, die ihr sachlich erklärte, sie habe keine kleinen zentral gelegenen, barrierefreien Wohnungen zur Verfügung, weil sie tausende ukrainische Familien unterbringen müsse. Frau Prange empörte sich, wieso sie als Deutsche weniger wert wäre. Die sachliche Sachbearbeiterin, parierte den ihr offensichtlich wohl bekannten Vorwurf mit „aber Frau Prange, sie haben ja immerhin eine Wohnung, die ukrainischen Flüchtlinge sitzen buchstäblich auf der Straße.“
Frau Prange wählt aus Gewohnheit SPD, seit Helmut Schmidt. Aber man kann sich vorstellen, wie die AfD aus solchen Situationen ihren Honig saugt.
Andererseits sind kinderlose 79-Jährige, die in absehbarer Zeit nicht mehr autark leben können und über wenig Geld verfügen, metaphorisch gesprochen das Problem Deutschlands. Ja, sie hat immer viel gearbeitet. Aber diese Leute sind eben schon in Rente oder gehen demnächst in Rente. Für die körperlich anstrengenden Jobs findet man keine deutschen Bewerber mehr.
Es herrscht de facto Vollbeschäftigung, wie man in der sehr informativen letzten Presseclubsendung Personalnot überall: Schwere Hypothek für unsere Wirtschaft? lernen konnte.
Eins ist sicher, wir brauchen sehr viel mehr Migranten auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Das wurde inzwischen auch von den meisten Politikern und allen Ökonomen verstanden. Allein, es fehlt immer noch an der Einsicht, daß Deutschland sich inzwischen um diese Leute bemühen muss. Daß die Bundesrepublik für Arbeitsmigranten gar nicht mehr erste Wahl ist, daß man nicht mehr wie in den 1960ern nur kurz die Grenzen lüpfen muss und schon strömen völlig anspruchslose, für alle schweren Arbeiten einsetzbare Europäer in gewünschter Anzahl hinein.
Wir können Deutschland bald beerdigen, wenn nicht jedes Jahr mindestens eine halbe Million Facharbeitskräfte ins Land geholt werden. Facharbeitskräfte, die keine seelenlosen Maschinen sind, die man in irgendwelchen Bruchbuden stapeln kann, sondern für die vielmehr der rote Teppich ausgerollt werden muss. Sie müssen sehr anständig bezahlt werden, angemessene Wohnungen finden und kommen natürlich auch nicht allein, sondern bringen ihre Familien mit.
Verblüffenderweise trauen sich die meisten Politiker immer noch nicht offensiv dem Urnenpöbel diese simple Tatsache einzuhämmern. Mal abgesehen davon, daß AfD und große Teile der C-Parteien das auch nicht wollen, weil sie mit Xenophobie Wahlkampf machen. Umso erstaunlicher, daß bei Ukrainern behördlicherseits tatsächlich weniger Hürden auftauchen und sie unkompliziert eine Arbeitserlaubnis erhalten.
Umso erbärmlicher, daß das für dunkelhäutigere Flüchtlinge immer noch nicht gilt, daß anhand Herkunft und Hautfarbe, Rechte unterschiedlich verteilt werden. Offene Arme für diejenigen, die vor Putin fliehen, Pushbacks und Tod im Mittelmeer für Schwarzhaarige. Syrer, Afghanen und Eritreer schmoren über Jahre in Massenunterkünften, dürfen ihren Aufenthaltsort nicht frei wählen, nicht arbeiten, erhalten keinen sicheren Aufenthaltsstatus und ihre Familien nachzuholen, kann man in C-Partei regierten Bundesländern auch vergessen.
So trübt sich die Freude über die unkomplizierte Hilfe für Ukrainer deutlich ein und altruistisch sind die Motive auch nicht immer.
Ich wohne in Sichtweite der „Mundsburgtower“; das sind drei Hochhäuser an einer breiten Straßenkreuzung mitten in Hamburg. Die 1973 fertig gestellten 90 bis 101 m hohen Wohntürme sind für Hamburger Verhältnisse mit 23 Stockwerken riesig. Sie sind so angeordnet, daß man aus vielen Blickwinkeln annimmt, es wären nur zwei Türme. Jahrelang habe ich Besuchern aus New York beim Vorbeifahren erklärt, das wäre unser World Trade Center.
Die Wohnungen sind recht klein, alles Ein- und Zwei-Zimmerbuden, die aber natürlich einen grandiosen Ausblick bieten und sagenhaft praktisch gelegen sind, weil sie über einem riesigen Einkaufszentrum, direkt an einer U-Bahnstation und auch noch ganz nah an der eleganten Außenalster stehen. Als ich studierte, versuchte meine Mutter mehrfach mir dort eine Wohnung zu mieten. Das wäre die beste Studentenwohnung gewesen. Leider kommt man natürlich nicht leicht ran und günstig war es auch nicht, so daß sich der Traum nie erfüllte.
Nach einem halben Jahrhundert gibt es dort allerdings erheblichen Sanierungsbedarf und so standen gerade viele Einheiten, die erneuert werden sollten leer, als die ersten Ukrainischen Flüchtlinge in Hamburg auftauchten.
Und so gab es eine dieser bewundernswert einfachen Lösungen. Die Großsanierung wurde verschoben – Handwerker und Materialien sind ohnehin schwer zu bekommen und so konnten auf einen Schlag viele Ukrainer sehr gut untergebracht werden.
Ich war sogar etwas stolz, wie gut das in meiner unmittelbaren Nähe funktionierte.
Schön, daß ein Projektentwickler, wie die Home United Spaces GmbH, zu so sozialen Aktionen fähig ist.
Die Stadt mietete 60 Wohnungen für insgesamt 300 Ukrainer in den Türmen. Wie Die Linke aber inzwischen erfuhr, wurden pro Tag und pro Person 30 Euro Warmmiete mit dem United-Space-Besitzer Tomislav Karajija vereinbart.
[…] Wie viele Menschen in einer der Wohnungen untergebracht werden, entscheidet die Stadt. Ein Teil der Wohnungen sind kleine Ein-Zimmer-Wohnungen (ca. 30 Quadratmeter), die mit zwei bis vier Personen belegt werden. Ein weiterer Teil sind größere Wohnungen (ca. 65 Quadratmeter) für vier bis sechs Personen. Für eine Mutter mit zwei Kindern in einer kleinen Wohnung fallen pro Tag 90 Euro an. Das summiert sich im Monat auf horrende 2700 Euro. „Bei einer Belegung mit vier Personen sind das satte 3600 Euro für eine Wohnung im Monat“, empört sich Carola Ensslen, die flüchtlingspolitische Sprecherin der Fraktion der Linken. Die größeren Wohnungen können sogar 5400 Euro an Miete erlösen. „Die Home United Spaces GmbH verdient sich eine goldene Nase auf dem Rücken von Geflüchteten. Das ist sittenwidrig“, kritisiert Ensslen, und dass sich der Senat auf so einen Deal trotz der Unterbringungsnot nicht hätte einlassen dürfen. […]