Freitag, 28. September 2012

Sozi-Doppelschlag.




Daß Kurt Beck, 63, offenkundig an einem Pankreaskarzinom leidet - dies gilt als die tückischste aller Krebsarten - tut mir leid für ihn.
 Niemanden kann man so eine Krankheit gönnen.
Der Rückzug als Partei- und Regierungschef ist folgerichtig und honorig.
Für die SPD in Rheinland-Pfalz ist das allerdings ein Glück. 18 Jahre Dauerregierung eines Mannes sind mehr als genug.
Ich habe immer gedacht, daß Beck gut nach Mainz passt. Mit unter 200.000 Einwohnern (allein der Berliner Bezirk Neukölln hat 320.000 Einwohner) ist das gemütliche Städtchen schon die größte Stadt des Wein-Bundeslandes. 
Beck ist im guten Sinne selbst Provinz: Er wuchs in Steinfeld (1900 Einwohner) auf und wohnt immer noch dort. Nie kam es ihm in den Sinn das Nest zu verlassen. Nach der Mittleren Reife wurde er Elektriker und heiratete später die Friseuse Roswitha. Er engagierte sich in Kirche und Gewerkschaft, diente sich in der Partei hoch.
 Damit kann man sicher ein geschätzter Ministerpräsident eines kleinen Bundeslandes werden.
Es reicht aber sicher nicht, um Chef der Bundespartei zu werden. Sein Intermezzo an der Parteispitze 2006-2008 war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Ich war froh als er endlich zurück trat.
Zu Hause baute sich mit Frau Klöckner, einer mit der Wahrheit auf Kriegsfuß stehenden Katholikin, langsam eine ernstzunehmende CDU-Konkurrentin auf. 
Sie mußte nur abwarten, bis die Leute doch irgendwann mal die Nase vom ewigen MP voll hätten.
Gut, daß nun mit Malu Dreyer doch ein Wechsel auf dem Regierungschefsessel stattfindet.

Peer Steinbrück ist in fast jeder Hinsicht das Gegenteil von Kurt Beck.
 Der 65-Jährige Hamburger Jung ist vermutlich der intelligenteste aller aktiven deutschen Politiker. Er steckt voller Tatendrang und bewegt sich in Washington genauso souverän und selbstbewußt wie in Tokio.
Wie er heute überraschend vorzeitig zum SPD-Kanzlerkandidaten wurde, ist schnell erzählt: 
  Der für Merkel gefährlichste Gegner blieb eben übrig. Er wollte unbedingt.   
Gabriel hätte auch gewollt, ist aber klug genug, um einzusehen, daß er (noch?) chancenlos wäre.
 Steinmeier empfindet die Kandidatenrolle eher als Last und Bürde, ihm fehlt der Elan. Er brennt nicht dafür. 
Seine Luschenbilanz als Fraktionsvorsitzender zeigt es deutlich. Nie hat eine Regierung so versagt und die anstehenden Aufgaben so schleifen lassen, wie die Merkel-Westerwelle/Rösler-Chaostruppe und die größte Oppositionspartei schafft es selbst in dem Politvakuum nicht aufzufallen. 
Keine der großen Reden Bundestagsreden Steinmeiers bleibt in Erinnerung.
Steinmeier war 2009 voll in Merkels Falle der „asymmetrischen Demobilisierung“ getappt und konnte seitdem nie mehr gegen die Regierung MOBILISIEREN.

Die Genossen sind endlich aufgewacht, die leidige Kanzlerkandidatenfrage ist entschieden. Peer Steinbrück ist die größte Hoffnung für die SPD - und die größte Gefahr für Angela Merkel.
[….]  Steinmeier wird erkannt haben, dass er für einen aggressiven Wahlkampf gegen Angela Merkel einfach nicht der richtige Typ ist. Das sehen auch Gabriel und Steinbrück so. Gabriel wird sich noch gut an den letzten Bundestagswahlkampf erinnern, damals fehlte Steinmeier schlicht das Temperament, um die eigene Truppe gegen Merkel zu mobilisieren.
Einen solchen Wahlkampf will Gabriel nicht noch einmal erleben. [….]   
Die Troika macht klar: Sie will 2013 auf Sieg spielen, nicht auf Platz. Steinmeier wäre nur der Kandidat für die Große Koalition gewesen. Dieses Wahlziel genügt aber nicht, um die SPD-Wähler an die Urnen zu holen. Die kommen bekanntlich nur, wenn es wirklich etwas zu entscheiden gibt, wenn sie Hoffnung haben auf eine Besserung ihrer persönlichen Lebenssituation, Hoffnung auf einen Wechsel.
Steinbrück soll diese Hoffnung vermitteln. [….]  Die Union wird von dieser Kandidatenkür kalt erwischt. Viele hatten sich auf Steinmeier eingestellt, auf einen Kuschelwahlkampf. Doch nun hat Merkel einen gefährlichen Gegner: Mit seinen Vorstößen zur Bekämpfung der Zockerei in Banken, trifft er die schwarz-gelbe Koalition an einer empfindlichen Stelle. Einen Überbietungswettbewerb, wer die Geldhäuser und Märkte besser abkassiert und reguliert, können bürgerliche Parteien gegen eine aufbrausende Linke nicht gewinnen.
[….]  Wie sehen die schwarz-gelben Ideen für die nächste Legislaturperiode aus? Bald werden die Wähler sich solche Fragen stellen - und dann muss Angela Merkel Antworten parat haben. Mit einem Schmusewahlkampf wie 2009 wird sie nicht durchkommen. So viel steht fest.
Das Wahljahr verspricht spannend zu werden. Danke SPD.
(Roland Nelles 28.09.12)

Das Verrückte an der Situation ist, daß der Mann, der der unangenehmste Gegner für Merkel ist, der Mann, der ihr die Hölle heiß machen wird und gnadenlos auf ihre Schwächen verweisen wird, der Mann, der klare Alternativen aufzeigt, gleichzeitig der Sozi ist, den die Kanzlerin am meisten schätzt.
 Nicht nur das.
 Merkel hatte als Kanzlerin auch sehr gut mit Steinmeier, Müntefering, Scholz und Gabriel zusammen gearbeitet, aber Steinbrück mag sie auch persönlich.
Es ist bekannt, daß sie ihn nach 2009 mehrfach rein privat angerufen hat.
Das kommt sonst offenbar fast nicht vor, daß sie andere Politiker einfach nur mal so anruft.
Verstehen kann man es ja, daß sie nach den vier Jahren Zusammenarbeit mit ihm als Finanzminister schwer genervt von dem neuen Kabinett ist und sich wünschte er wäre noch da. Aber ihr Liebling gibt ihr jetzt Saures.

Wo Merkel Beschränkungen fordert, fordert Steinbrück Verbote, wo sie auf Einsicht der Banker setzt, pocht er auf Regeln.
Keines der Probleme, die der Ex-Finanzminister auflistet, ist neu. Viele seiner Lösungsideen sind es schon, zumindest in ihrer Konsequenz: etwa die, dass marode Banken statt vom Steuerzahler von einem europäischen Bankenfonds aufgefangen werden sollten, der sich aus Beiträgen aller Institute speist und in der Aufbauphase Kredite aufnehmen darf. Oder seine Rezepte zur Regulierung von Rating-Agenturen und zur Bezahlung von Managern.
Mindestens ebenso wichtig wie einzelne Reformvorschläge ist aber, dass Steinbrück der Versuchung widerstanden hat, ein Wahlkampfpapier voll plumper Bankenschelte vorzulegen. Stattdessen liefert er im Vorwort eine knappe und doch tiefschürfende Analyse dessen, was seit der Lehman-Pleite 2008 zwischen Politik, Finanzindustrie und Bürgern zerbrochen ist - und welch gefährlicher Sprengsatz für die Demokratie sich daraus entwickelt hat. Eine solche Analyse ist Angela Merkel bis heute schuldig geblieben.

Diskussionen inhaltlicher Art mit Steinbrück wird Merkel scheuen, wie der Teufel das Weihwasser. Aber er wird sie am wenigsten damit durchkommen lassen.

Es verspricht nach dem Valium-Wahlkampf von 2009 wieder spannender zu werden. 
Auch wenn man jetzt noch keine Prognosen abgeben kann, so können sich immerhin die Journalisten darauf einstellen, daß ihre Arbeit in den nächsten 12 Monaten wieder deutlich interessanter wird.

Steinbrück ist die beste Wahl. Im Machtkampf der SPD mit Merkel verfügt er über die größte Zahl an brauchbaren Eigenschaften: Ehrgeiz und Machtwillen, Durchsetzungskraft und konzeptionelle Stärke, Autorität und Souveränität. Er hat Statur und Kontur, eine rustikale Natur und eine politische Textur, die in der Euro-Krise hilfreich ist.
Von allen aktiven Politikern hat Steinbrück den höchsten Feingoldgehalt - also finanzpolitische Sachkunde samt der Gabe, sie auf den Punkt zu bringen; er kann polarisieren und zugleich die Mitte und den Mittelstand an sich binden. Das ist Steinbrücks Stärke, und das war und ist die Schwäche Steinmeiers als Fraktionschef der SPD: Steinmeier kann nicht so richtig klarmachen, was die SPD eigentlich von Merkel unterscheidet. Gehaltvolle Unterscheidbarkeit wird den Bundestags-Wahlkampf prägen müssen. Steinbrück hat das Talent dafür.
Das macht ihn zu einem starken Wahlkämpfer, aber noch lange nicht zum Wahlsieger. Es mag in anderen EU-Ländern so sein, dass in Zeiten der Krise die Regierenden wackeln und abgewählt werden. In Deutschland ist das nicht unbedingt so: Angela Merkel hat es bisher auf fast wundersame Weise verstanden, die Verunsicherung der Menschen aufzufangen und die Vertrauensabstimmungen in den Meinungsumfragen haushoch zu gewinnen. Ob es Steinbrück gelingt, Merkel bei den Beliebtheitswerten zu schlagen, ist zweifelhaft; er ist kein Lächler. Darauf wird es aber letztendlich nicht ankommen.

Was ich nie vergessen werde ist eine spontane Umfrage unter Journalisten, als Steinbrück 2009 kurz nach der Bundestagswahl seine Abschieds-PK gegeben hatte. 
Einige hatten fast Tränen in den Augen und es gab sogar Applaus. Hauptstadtjournalisten aller Couleur traten vor die Kamera und bekannten aus professioneller Sicht sei Steinbrück ihr Lieblingspolitiker, weil er der einzige Minister wäre, der nie schwafele, dessen PKs IMMER interessant waren.
Insofern nehme ich an, daß der neue SPD-Kanzlerkandidat von der schreibenden einigermaßen wohlwollend behandelt wird.
Fragt sich nur, wie viel Schaden die phlegmatische Papstverehrerin Nahles anrichten kann. Sie hasst Steinbrück wie die Pest und ist noch dazu ohnehin völlig verblödet und unfähig.
Und genau sie wird nun seinen Wahlkampf leiten. 
Wenigstens ein Grund zur Freude für die CDU nach zwei Tiefschlägen.
Merkel hätte lieber Steinmeier als Gegner und Klöcker hätte lieber einen erschlafften Beck als Gegner gehabt.