Sascha
Lobo nennt es Kollektivkatastrophen
was wir gerade mal wieder in Brüssel erleben.
Auf merkwürdige, aber
irgendwie nachvollziehbare Weise tritt das Publikum selbst, seine Trauer, seine
Wut, seine Hilflosigkeit dabei in den Vordergrund, die tatsächlichen Opfer
geraten zum Anlass. Das Wichtigste scheint, sich in solchen Situationen nicht
allein fühlen zu müssen. Wir sind doch alle Überlebende, irgendwie.
Immer ist irgendwo
jemand, der mit dem Smartphone live sendet oder fast live vom Ort des
Geschehens oder ein paar Kilometer entfernt, das ist auch Bewältigung, verpackt
in eine Nachrichtennachahmung: Bitte, Welt, nimm zur Kenntnis, was wir
durchmachen, aber wir haben Glück und bis jetzt überlebt.
Schweigen würde als
herzlos interpretiert.
Unser
elendes Twitter-Instagram-Facebook-Zeitalter führt dazu, daß ich nur noch mit
Schwierigkeiten erfahre was eigentlich ganz genau gestern in Brüssel geschah,
weil ich erst einmal von lauter eingefärbten Profilbildchen, Trauer-Emojis und
Drama-Memes erschlagen werde.
Es gibt jetzt sogar schon Gegen-Memes, mit denen
sich immer mehr Entnervte gegen die allertumbsten Sprüche, wie zB „Pray for Brussels“,
wehren.
Als
Nachrichtenkonsument wird man auch eine sehr bizarre Nebenebene gezerrt, auf
der man sich fast nur noch mit den Reaktionen auf solche Anschläge beschäftigt.
Die
eigentlichen Fragen, also die nach den Ursachen und den möglichen Abhilfen,
werden gar nicht mehr gestellt, wenn man die perfide Hetze sieht, mit der die Petrys, von Storchs und Pretzells sofort
die Toten für ihre Zwecke nutzen.
Irgendjemand
scheint Frau Steinbach ihr Klugtelefon abgenommen zu haben, denn offenbar setzte
sie gestern gar keinen perfid-faschistoiden Tweet ab.
Aber
dafür sprang die geistig mindestens ebenso verwerfliche CDU-Kollegin Lengsfeld
ein und gab Merkel die Schuld an dem Brüsseler Terroranschlägen.
Merkel habe
"alles dafür getan, dass der Terror in Europa Fuß fassen kann",
erklärte die Ex-CDU-Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld auf Facebook.
Es kommt
eines Tages noch so weit, daß mir Merkel Leid tut wegen dieser Horror-Partei,
die sie an der Backe hat.
Wenn man
die oberste Schicht des Betroffenheits-Brummen und der Polit-Doofheiten der
Rechten durchdrungen hat, folgt unweigerlich die Diskussion darüber, ob das
alles „gar nichts mit dem Islam zu tun“ habe, ob kollektiv alle 1,irgendwas
Milliarden Muslime irgendwie mitverantwortlich wären, wer jetzt gefordert sei
sich zu distanzieren und natürlich kommen auch die Forderungen nach strengeren Gesetzen.
Die Westeuropäer
drehen durch und auch wenn nach wie vor die allermeisten Terrorismusopfer
Muslime in muslimischen Ländern sind, kann ich mich als weißer, atheistischer
Mann in einem NATO-Staat nicht dem Gruselfaktor entziehen.
Der
linke Terrorismus der 1970er und 1980er Jahre hatte auch schon ganz Deutschland
verrückt gemacht, dabei war die RAF „nur“ gegen oberste Staats-, Wirtschafts-
und Militärrepräsentanten gerichtet.
Der
später folgende und bis heute anhaltende Rechtsterrorismus in Deutschland
forderte bisher ungefähr 10 mal so viele Todesopfer wie der RAF-Terrorismus,
grub sich aber vergleichsweise wenig in das Bewußtsein der Deutschen ein, weil die
Opfer alle arm waren oder Minderheiten angehörten. Mundlos, Böhnhardt und
Zschäpe konnten bekanntlich fast ein Dutzend Menschen bei Anschlägen töten,
ohne daß irgendeinem bei Polizei, Staatsschutz oder Medien überhaupt
eingefallen wäre das als „Terrorismus“ zu bezeichnen. Die Opfer waren ja „bloß
Ausländer“ und wer weiß bei diesen Türken/Arabern/Kanaken schon genau, ob die
sich nicht gegenseitig erschießen? Offenbar waren ja gelegentlich sogar
BND-Agenten bei diesen Morden zugegen und hielten es nicht für nötig
einzugreifen.
Der
IS-Terrorismus ist ganz anders, weil er nicht opferspezifisch ist.
Es ist gewissermaßen
spezifisch für den Schrecken der Radikal-Islamisten, daß sie nicht spezifisch
sind und es ihnen „nur“ darum geht möglichst viele Menschen zu töten und
möglichst viel Aufmerksamkeit zu erregen.
Es ist
relativ unvorstellbar, daß ein RAF-Kommando versucht hätte ein Atomkraftwerk
hochzujagen, weil sie doch noch Skrupel angesichts der gewaltigen
Kollateral-Opferzahlen gehabt hätten.
Fanatisierte
Möchtegern-Märtyrer von IS oder Al Kaida würden hingegen sicher gern ein
belgisches AKW sprengen und große Teile Westeuropa unbewohnbar machen.
Zumindest
weiß man, daß Osama bin Laden und seine Kollegen gebannt den Einsturz der WTC-Türme
verfolgen. Mit großen Jubel wurde jeweils der Moment des Zusammenfalls
quittiert; die Vervielfachung der Opferzahlen löste also offensichtlich große
Freude aus.
Die
später von Augenzeugen berichteten Geschehnisse zeigen wieso es so schwer ist
mit religiösem Terror umzugehen. Wer seinen Gott so interpretiert, daß dieser
sich umso mehr freue, je mehr „Feinde“ getötet würden und dazu auch noch sein
eigenes Leben ohnehin wegwirft, weil er zum Märtyrer werden möchte, ist mit
westlicher Gerichtsbarkeit nicht zu sozialisieren.
Also
bleibt uns offenbar nur übrig diesen Terror auszuhalten.
Aber das
ist leicht gesagt. Es gilt dabei nicht den Extremisten auf den Leim zu gehen,
indem man sich von den Werten verabschiedet, die Höcke und Abu Bakr
al-Baghdadi gleichermaßen verachten.
Dem
Superpopanz Sicherheit, vom ehemaligen Verfassungsminister Friedrich flugs als
über den Grundrechten stehend aufgeblasen, ist man bereit viele europäische
Freiheiten zu opfern.
Wir
sollten das nicht tun.
Wenn man
nach so einem Anschlag wie gestern weiter bohrt, durch die Lobo-Schicht und die
„wie böse ist der Islam-Schicht“ gedrungen ist, stößt man auch auf sinnvolle
Artikel.
Erhellendes
erschien dazu heute von Edelfeder Kurt Kister, dem
SZ-Chefredakteur und zweifellos einem der klügsten Journalisten des
deutschsprachigen Raumes.
Aber
auch wenn Kister sicher kein Religiot ist, rutschen ihm rudimentäre christliche
Überheblichkeiten in seinen Text, die ich nicht akzeptieren kann.
Kein Gott braucht
Mörder. Menschen, die sich auf Gott berufen, um andere Menschen zu verletzen
und zu töten, sind die größten Gotteslästerer. Sie schaffen sich einen Gott
nach ihrem Bilde und versuchen so, ihrem Hass, ihrer Paranoia und ihrer
Rachsucht höhere Weihen zu geben. Gläubige wie Ungläubige dürfen gerade auf
dieses zutiefst unmoralische Konstrukt nicht hereinfallen. Es ist nicht
"der" Islam, der tötet, sondern in Brüssel und Paris war es eine
kleine, verblendete Minderheit junger, aggressiver Männer, die sich auf etwas
berufen haben, was sie nie verstanden.
Alle
gläubigen Menschen erschaffen sich Gott nach ihrem Bild. Es gibt keinen Gott
und demzufolge auch keinen „echten Gott“ der gegen Morden ist und dazu einen „falschen
Gott“, den sich jemand nur ausgedacht hat.
Wenn man
diese Unterscheidung anfängt, landet man unweigerlich in einem unlösbaren
religiösen Antagonismus. Das ist ja der Kern der Tausenden von Religionen
ausgelösten Kriege – jeder meint, daß nur sein Gott der richtige wäre.
Wenn
Kister nun bestätigt, daß tatsächlich der eine Gott der Richtige und der andere
falsch ist, spielt er genau das gefährliche Spiel mit, das wir überwinden
sollten.
Übrigens: Auch George
W. Bush hat sich vor 13 Jahren im Irak-Krieg auf Gott berufen. Jesus hatte mit
diesem Feldzug so wenig zu tun wie Allah mit Molenbeek. Und gerade Christen,
die am kommenden Freitag des Todes Jesu am Kreuz gedenken, sind sich sicher,
dass er gestorben ist, um Menschen zu erlösen und nicht lebte, um töten zu
lassen.
Die
Aussage kann man angesichts der gewaltigen Kriminalgeschichte des Christentums,
die mit Sicherheit in den letzten 2000 Jahren viel mehr Opfer forderte als die
Opfer aller anderen Religionen zusammengenommen, nicht stehen lassen.
Wieder
versucht Kister den einen Gott, in diesem Fall Jesus, als etwas absolut Gutes
darzustellen.
Gewiss, Sicherheit und
Freiheit stehen immer in einem Spannungsverhältnis. Und dennoch darf der Westen
diese Freiheit nicht Schritt für Schritt aufgeben, um die abzuwehren, die ihn
wegen der Freiheit angreifen. Die auf den Rechten des Individuums und der
Menschenwürde ruhende Gesellschaft Europas hat nicht versagt, weil sie nun von
Fanatikern attackiert wird. Sie würde versagen, wenn sie bei der nötigen Abwehr
ihre Grundwerte in Frage stellte.
Dem
Zusammenhang stimme ich natürlich zu, aber leider halte ich Kisters „würde-Konjunktiv“
für verspätet.
Online-Überwachung,
Bundestrojaner, Vorratsdatenspeicherung, Grenzkontrollen und allgemeines
Misstrauen – all das gibt es leider schon.