Ach ja, die armen Briten. So eine feine und liebenswerte
Insel mit so herrlichen Schrulligkeiten und extravaganten Menschen, aber so ein
verdammtes Pech mit den Regierungen.
[….] Obwohl David Cameron, 2010 bis zum 13. Juli 2016 Premierminister des
Vereinigten Königreichs und von 2005 bis 2016 Parteivorsitzender der
Conservative Party, nur fahrig taktierend zwischen EU-Freunden und
EU-Skeptikern mäanderte, gewann er bei der nächsten Wahl eine absolute
Mehrheit, da sich Labour selbst zerlegte und Cleggs LibDems untergingen.
Cameron gewann 2015 nur 0,8 Prozentpunkte hinzu, kam damit auf gerade mal
gut 36%, aber durch das Erstarken der UKIP reichte es beim britischen
Mehrheitswahlrecht für 330 Sitze, also fünf über der absoluten Mehrheit.
Endlich war Cameron die Koalition los und konnte pure konservative Politik
machen.
Das tat er auch und setzte ganz neue Maßstäbe in der Disziplin
„Regierungsversagen“.
[……]
Macchiavelli, Clausewitz und der große chinesische Stratege Sunzi
lehrten Techniken des Siegens. Aber auch verlieren kann gelernt werden. David
Camerons Referendumsinitiative ist eine hervorragende Blaupause für politische
Niederlagen aller Art. Damit ein Projekt nicht bloß scheitert, sondern zudem
seinen Urheber beschämt, müssen einige Voraussetzungen zusammenkommen. Die
Beachtung von fünf Regeln garantiert den wohlfeilen Untergang.
Erstens. Hilfreich ist es, wenn man
den eigenen Standpunkt nur halbherzig vertritt. David Cameron ist nie ein
großer Freund der EU gewesen. 2007 hielt er in Tschechien eine Rede, in der er
die EU "als die letzte Manifestation einer überkommenen Ideologie"
bezeichnete, "einer Philosophie, für die kein Platz mehr in unserer neuen
Welt der Freiheit ist". [……] Zweitens. Die Abwesenheit von
festen Überzeugungen ermöglicht effiziente Resultate: Ohne Skrupel kann man
sich von der politischen Konkurrenz in die von dieser gewünschte Richtung
treiben lassen, was die eigene politische Linie mit aufregenden Hakenschlägen
verziert, sodass niemand mehr weiß, wofür genau man steht. [……]
Drittens. Wichtig ist es, das eigene
politische Schicksal mit einer Frage zu verbinden, die die Wähler nur peripher
interessiert, sodass sie allen Groll, den sie aus anderen Gründen hegen, bei
dieser Gelegenheit abreagieren können. [……]
Viertens. Unabdingbar ist es, sich
so festzulegen, dass man eine dumme Entscheidung nicht mehr rückgängig machen
kann. Aus wahl- und parteitaktischen Gründen hatte Cameron ein Referendum bis
Ende 2017 versprochen. Nicht einmal das hat er abgewartet und die
Volksabstimmung voreilig für den Juni 2016 anberaumt. Er war voll der
eingebildeten Siegesgewissheit, mit der andere auf Pferde setzen. [……]
Fünftens. Um den eigenen Untergang
zu besiegeln, sollte man beim Publikum Erwartungen wecken, die nicht erfüllbar
sind. Cameron begann den Kampf um Großbritanniens Zugehörigkeit zur EU mit der
Ankündigung, er werde das Gebot der Freizügigkeit für das Vereinigte Königreich
kippen. Er hätte es besser wissen müssen. Dass Arbeitnehmer von einem EU-Land
in ein anderes wechseln können, gehört zum Selbstverständnis der EU. [….]
Cameron mußte natürlich nach dem Brexit-Votum zurücktreten; er hatte
schließlich dieses komplette Desaster ganz allein und völlig ohne Not
angezettelt. [….]
Nach drei Jahren warf heute, endlich, auch Premierministerin
May hin. Weinte gar.
Ich wäre ein schlechter Richter, weil ich viel zu viel
Mitleid empfinde.
Mir tat sogar Saddam Hussein leid, als er bärtig und
halbverhungert aus seinem Erdloch gezerrt und später zu Tode gefoltert wurde.
Oder Gaddafi, der von seinen Häschern gepfählt wurde, bis es ihm den Darm
zerriss.
Natürlich will ich nicht sagen, daß einer der beiden
Ex-Diktatoren ein netter Mensch war. Beide haben noch Schlimmeres veranlasst,
als das was ihnen final widerfuhr.
Ich mag mich dennoch nicht an Leid und Folter alter Leute
erfreuen.
Die weinende May, die ihren Lebensinhalt – den Vorsitz der
Tories – aufgibt und gerade noch trotzig rausbrachte, sie liebe das Land,
erlitt heute auch die maximale Folterstrafe.
Sie wird in die Geschichte eingehen als größte Versagerin
aller britischen Regierungschefs, die in drei Jahren nicht einen einzigen
politischen Erfolg vorzuweisen hatte, ihre stolze Nation zum internationalen
Gespött machte, ihre heißgeliebte Partei, für die sie einst mit absoluter
Mehrheit Premierministerin wurde bei den gestrigen Europawahlen in die
Einstelligkeit führte und als Krönung auch noch auf der menschlichen Ebene
jedes einzelne Stück Porzellan zerschlug.
In ihrer eigenen Partei schlägt ihr blanker Hass entgegen, niemand
weint ihr eine Träne nach, jeder ist froh sie loszuwerden und hält diesen
Schritt für weit überfällig.
Was für ein bitteres Ende.
Bevor ich gleich anfange mitzuweinen, konzentriere ich meine
Gendanken schnell darauf, daß die arme, arme Frau May sich nicht etwa
aufrichtig gegen ein von außen kommendes Unheil wehrte, sondern diese totale
Misere auf allen Ebenen selbst verursacht hat. Es waren Mays Unfähigkeit,
Starrsinnigkeit, Unfreundlichkeit und Borniertheit, die ihr
Land/Partei/Karriere in die Jauchegrube setzten.
Mai 2019#Mayexit. UK Prime Minister Theresa May pushed for #Brexit and ended w her resignation today. Nobody wants the job. The UK is a total political mess. pic.twitter.com/DJVxstRatf— Andreas Ramos (@Andreas_Ramos) 24.
Es gibt nur einen Gewinner in dieser Geschichte. Das ist David
Cameron, der nun George W. Bush überholte und das Unfassbare schaffte: In sechs
Jahren hatte er sein Land, immerhin die fünftgrößte Industrienation der Erde,
an den Rande des Abgrund geschoben und ging als schlechtester Regierungschef
aller Zeiten in die Geschichte ein. Während GWB acht Jahre brauchte bis
sich ein noch Schlechterer fand, der in kurzer Zeit #43 in rosigem Licht
erscheinen ließ, brauchte Cameron sogar nur drei Jahre, um aus dem
Jahrtausendloch heraus zu kommen.
Er war eine absolute Katastrophe, aber verglichen mit May
noch Gold.
Immerhin, in dieser Hinsicht gibt es noch Hoffnung für die
dead woman walking in der Downing St. 10. In normalen Zeiten müßte sie jetzt
mehrere Jahrhunderte im politischen Abklingbecken schwimmen, bis womöglich eine
Historikergeneration in ferner Zukunft etwas milder über Frau May schreibt.
Aber alle Tories sind wahnsinnig, die Labourparty vollkommen
unfähig und die Hälfte der englischen Bevölkerung ist ohnehin
unzurechnungsfähig.
So kommt es, daß der derzeitige Favorit als May-Nachfolger
Trumps Klon Boris Johnson ist. Der Mann, der sich als Außenminister weltweit
sagenhaft blamierte, log wie gedruckt und nichts als Bosheit in sich trägt.
Er ist der Brexit-Hardliner und somit auf der fertigen
Farage-Insel der Fanatiker der kommende Mann.
In der 16.00 Uhr-Tagesschau fragte Moderator Boetzkes die
Londoner Korrespondentin Anette Dittert, für welche Politik Boris Johnson
stehe.
Antwort: [….] Für gar
keine! Bei Boris Johnson geht es eigentlich immer und hauptsächlich und nur um
ihn selber [….] muss ich auf
britische Trump-Verhältnisse einstellen, auf Ego-Politik eines Narzissten.
[….]
Nein, das ist kein Witz. Gut möglich, daß es nun noch viel
schlimmer wird.
Gelegentlich glaubt man, es könne gar nicht schlimmer
werden, aber dazu muss man nur mal zum Kollegen Trump in
Washington gucken, der just die amerikanischen Geheimdienste auf
Staatsanwälte hetzte, die es wagen gegen ihn zu ermitteln und wie ein kleines
beleidigtes Gör zeternd und pöbelnd jegliche Zusammenarbeit mit der
Kongressmehrheit verweigerte.
[…..] Johnson gehört zu jener Gruppe bei den Tories, die selbst große Schuld
daran tragen, dass es bis heute keinen Brexit gibt. Es sind Hardliner,
teilweise rechte Ultrakonservative, die sich lange auf keinerlei Kompromisse
einlassen wollten - und damit jede Einigung im Parlament blockierten.
Das Aberwitzige an der britischen Politik ist, dass ausgerechnet solche
Leute nun beste Chancen haben, May im Amt zu beerben. Menschen wie Johnson. Und
dass der sich selbst für die beste Besetzung in Downing Street hält, daran hat
er nie Zweifel gelassen. Auch nicht an diesem Tag. Johnson verkündet den Plan:
Brexit liefern - als ob das so einfach wäre. [….]