Freitag, 24. Mai 2019

Sorry London


Ach ja, die armen Briten. So eine feine und liebenswerte Insel mit so herrlichen Schrulligkeiten und extravaganten Menschen, aber so ein verdammtes Pech mit den Regierungen.

[….] Obwohl David Cameron, 2010 bis zum 13. Juli 2016 Premierminister des Vereinigten Königreichs und von 2005 bis 2016 Parteivorsitzender der Conservative Party, nur fahrig taktierend zwischen EU-Freunden und EU-Skeptikern mäanderte, gewann er bei der nächsten Wahl eine absolute Mehrheit, da sich Labour selbst zerlegte und Cleggs LibDems untergingen.
Cameron gewann 2015 nur 0,8 Prozentpunkte hinzu, kam damit auf gerade mal gut 36%, aber durch das Erstarken der UKIP reichte es beim britischen Mehrheitswahlrecht für 330 Sitze, also fünf über der absoluten Mehrheit.
Endlich war Cameron die Koalition los und konnte pure konservative Politik machen.
Das tat er auch und setzte ganz neue Maßstäbe in der Disziplin „Regierungsversagen“.

[……]   Macchiavelli, Clausewitz und der große chinesische Stratege Sunzi lehrten Techniken des Siegens. Aber auch verlieren kann gelernt werden. David Camerons Referendumsinitiative ist eine hervorragende Blaupause für politische Niederlagen aller Art. Damit ein Projekt nicht bloß scheitert, sondern zudem seinen Urheber beschämt, müssen einige Voraussetzungen zusammenkommen. Die Beachtung von fünf Regeln garantiert den wohlfeilen Untergang.
Erstens. Hilfreich ist es, wenn man den eigenen Standpunkt nur halbherzig vertritt. David Cameron ist nie ein großer Freund der EU gewesen. 2007 hielt er in Tschechien eine Rede, in der er die EU "als die letzte Manifestation einer überkommenen Ideologie" bezeichnete, "einer Philosophie, für die kein Platz mehr in unserer neuen Welt der Freiheit ist". [……] Zweitens. Die Abwesenheit von festen Überzeugungen ermöglicht effiziente Resultate: Ohne Skrupel kann man sich von der politischen Konkurrenz in die von dieser gewünschte Richtung treiben lassen, was die eigene politische Linie mit aufregenden Hakenschlägen verziert, sodass niemand mehr weiß, wofür genau man steht. [……]
Drittens. Wichtig ist es, das eigene politische Schicksal mit einer Frage zu verbinden, die die Wähler nur peripher interessiert, sodass sie allen Groll, den sie aus anderen Gründen hegen, bei dieser Gelegenheit abreagieren können. [……]
Viertens. Unabdingbar ist es, sich so festzulegen, dass man eine dumme Entscheidung nicht mehr rückgängig machen kann. Aus wahl- und parteitaktischen Gründen hatte Cameron ein Referendum bis Ende 2017 versprochen. Nicht einmal das hat er abgewartet und die Volksabstimmung voreilig für den Juni 2016 anberaumt. Er war voll der eingebildeten Siegesgewissheit, mit der andere auf Pferde setzen. [……]
Fünftens. Um den eigenen Untergang zu besiegeln, sollte man beim Publikum Erwartungen wecken, die nicht erfüllbar sind. Cameron begann den Kampf um Großbritanniens Zugehörigkeit zur EU mit der Ankündigung, er werde das Gebot der Freizügigkeit für das Vereinigte Königreich kippen. Er hätte es besser wissen müssen. Dass Arbeitnehmer von einem EU-Land in ein anderes wechseln können, gehört zum Selbstverständnis der EU. [….]

Cameron mußte natürlich nach dem Brexit-Votum zurücktreten; er hatte schließlich dieses komplette Desaster ganz allein und völlig ohne Not angezettelt. [….]

Nach drei Jahren warf heute, endlich, auch Premierministerin May hin. Weinte gar.
Ich wäre ein schlechter Richter, weil ich viel zu viel Mitleid empfinde.
Mir tat sogar Saddam Hussein leid, als er bärtig und halbverhungert aus seinem Erdloch gezerrt und später zu Tode gefoltert wurde. Oder Gaddafi, der von seinen Häschern gepfählt wurde, bis es ihm den Darm zerriss.
Natürlich will ich nicht sagen, daß einer der beiden Ex-Diktatoren ein netter Mensch war. Beide haben noch Schlimmeres veranlasst, als das was ihnen final widerfuhr.
Ich mag mich dennoch nicht an Leid und Folter alter Leute erfreuen.
Die weinende May, die ihren Lebensinhalt – den Vorsitz der Tories – aufgibt und gerade noch trotzig rausbrachte, sie liebe das Land, erlitt heute auch die maximale Folterstrafe.
Sie wird in die Geschichte eingehen als größte Versagerin aller britischen Regierungschefs, die in drei Jahren nicht einen einzigen politischen Erfolg vorzuweisen hatte, ihre stolze Nation zum internationalen Gespött machte, ihre heißgeliebte Partei, für die sie einst mit absoluter Mehrheit Premierministerin wurde bei den gestrigen Europawahlen in die Einstelligkeit führte und als Krönung auch noch auf der menschlichen Ebene jedes einzelne Stück Porzellan zerschlug.
In ihrer eigenen Partei schlägt ihr blanker Hass entgegen, niemand weint ihr eine Träne nach, jeder ist froh sie loszuwerden und hält diesen Schritt für weit überfällig.
Was für ein bitteres Ende.
Bevor ich gleich anfange mitzuweinen, konzentriere ich meine Gendanken schnell darauf, daß die arme, arme Frau May sich nicht etwa aufrichtig gegen ein von außen kommendes Unheil wehrte, sondern diese totale Misere auf allen Ebenen selbst verursacht hat. Es waren Mays Unfähigkeit, Starrsinnigkeit, Unfreundlichkeit und Borniertheit, die ihr Land/Partei/Karriere in die Jauchegrube setzten.


Mai 2019

Es gibt nur einen Gewinner in dieser Geschichte. Das ist David Cameron, der nun George W. Bush überholte und das Unfassbare schaffte: In sechs Jahren hatte er sein Land, immerhin die fünftgrößte Industrienation der Erde, an den Rande des Abgrund geschoben und ging als schlechtester Regierungschef aller Zeiten in die Geschichte ein. Während GWB acht Jahre brauchte bis sich ein noch Schlechterer fand, der in kurzer Zeit #43 in rosigem Licht erscheinen ließ, brauchte Cameron sogar nur drei Jahre, um aus dem Jahrtausendloch heraus zu kommen.
Er war eine absolute Katastrophe, aber verglichen mit May noch Gold.

Immerhin, in dieser Hinsicht gibt es noch Hoffnung für die dead woman walking in der Downing St. 10. In normalen Zeiten müßte sie jetzt mehrere Jahrhunderte im politischen Abklingbecken schwimmen, bis womöglich eine Historikergeneration in ferner Zukunft etwas milder über Frau May schreibt.

Aber alle Tories sind wahnsinnig, die Labourparty vollkommen unfähig und die Hälfte der englischen Bevölkerung ist ohnehin unzurechnungsfähig.
So kommt es, daß der derzeitige Favorit als May-Nachfolger Trumps Klon Boris Johnson ist. Der Mann, der sich als Außenminister weltweit sagenhaft blamierte, log wie gedruckt und nichts als Bosheit in sich trägt.
Er ist der Brexit-Hardliner und somit auf der fertigen Farage-Insel der Fanatiker der kommende Mann.

In der 16.00 Uhr-Tagesschau fragte Moderator Boetzkes die Londoner Korrespondentin Anette Dittert, für welche Politik Boris Johnson stehe.
Antwort: [….] Für gar keine! Bei Boris Johnson geht es eigentlich immer und hauptsächlich und nur um ihn selber [….] muss ich auf britische Trump-Verhältnisse einstellen, auf Ego-Politik eines Narzissten. [….]


Nein, das ist kein Witz. Gut möglich, daß es nun noch viel schlimmer wird.
Gelegentlich glaubt man, es könne gar nicht schlimmer werden, aber dazu muss man nur mal zum Kollegen Trump in Washington gucken, der just die amerikanischen Geheimdienste auf Staatsanwälte hetzte, die es wagen gegen ihn zu ermitteln und wie ein kleines beleidigtes Gör zeternd und pöbelnd jegliche Zusammenarbeit mit der Kongressmehrheit verweigerte.

[…..] Johnson gehört zu jener Gruppe bei den Tories, die selbst große Schuld daran tragen, dass es bis heute keinen Brexit gibt. Es sind Hardliner, teilweise rechte Ultrakonservative, die sich lange auf keinerlei Kompromisse einlassen wollten - und damit jede Einigung im Parlament blockierten.
Das Aberwitzige an der britischen Politik ist, dass ausgerechnet solche Leute nun beste Chancen haben, May im Amt zu beerben. Menschen wie Johnson. Und dass der sich selbst für die beste Besetzung in Downing Street hält, daran hat er nie Zweifel gelassen. Auch nicht an diesem Tag. Johnson verkündet den Plan: Brexit liefern - als ob das so einfach wäre. [….]