Als ich
in der Schule Politikunterricht bekam, erstmals in der 9. oder 10. Klasse, war
die deutsche politische Welt klar manichäisch aufgeteilt: Hier die breite
JU-Fraktion unserer Schule, die einem „dann geh doch nach drüben“
entgegenbrüllte, wenn man die NATO-Rüstung kritisierte und da die
Sozialdemokraten.
Es fiel
mir nicht schwer mich für eine Seite zu entscheiden.
Später
entwickelte sich dann eine Gruppe, die für die Grünen sympathisierte.
Von der
JU wurden die gar nicht erst ernst genommen. Helmut Kohl beklagte sich mit
seinem berühmten Augenaufschlag in der ersten Bundestagssitzung mit Grünen
Parlamentariern, diese
hätten „viel Hass“ ins hohe Haus gebracht.
Schon
damals dachte ich ziemlich strategisch und befürchtete mit dem Aufkommen der
Grünen würden viele Jahre CDU-Herrschaft garantiert, da das Volk für lange Zeit
keine rotgrünen Koalitionen akzeptieren werden und durch das Fehlen der
Machtperspektive erst recht die Wahlerfolge ausblieben.
Einen
ähnlichen Effekt erlebten wir 2013, als Steinbrück keine realistische Option
hatte jenseits der CDU eine stabile Kanzlermehrheit zusammen zu bekommen.
Dann
bleiben die Leute gleich zu Hause.
Auch
phänotypisch missfielen mir die Grünen.
Vollbärtige
Waldschrat-Männer in Strickpullis mit schulterlangen Haaren werden in der
öffentlichen Wahrnehmung nicht im erforderlichen Maße ernst genommen.
Das mag
man beklagen, aber es ist so.
Ich
glaube sogar, daß das bis heute gilt. Hätte Anton Hofreiter kurze Haare und
glattrasierte Wangen, würde man ihn thematisch auch mehr wahrnehmen.
Während
meiner Schulzeit bekamen die Grünen den Spitznamen „Müslis“ und das war ganz
schlecht, weil man dann mit diesen stets nach Schweiß riechenden Ökofreaks
assoziiert wurde.
Ich sage
das als jemand, der ausgesprochen gerne Müsli isst und in den 80ern links von
der SPD, also nahe bei den Grünen stand.
Keineswegs
predigte ich damals oder heute die totale Anpassung; man muß kein Klon der
grauen CDU-Anzugträger sein, um ernst genommen zu werden.
Aber
wenn man beim TV-Zuschauer stets die Assoziation erweckt erst einmal in die
Badewanne und gründlich abgeschrubbt zu gehören, ist es für das politische
Anliegen kontraproduktiv.
Die
gesamten 80er Jahre machten sich die Grünen
während ihres langen Lernprozesses auch selbst das Leben schwer, indem
sie überflüssigerweise darüber stritten, ob sie eigentlich überhaupt jemals in
die Regierung wollten, oder indem sie auf dem völlig untauglichen
Rotationsprinzip bestanden.
1990
dann der Schock; die (West-)Grünen brachen auf 3,8% ein und blieben dem ersten
gesamtdeutschen Bundestag fern. Nur acht Ostgrüne um Werner Schulz, Gerd Poppe,
Christina Schenk (heute als Christian Schenk bei der Linken), Wolfgang Ullmann
und die inzwischen rechte CDU-Frau Vera Lengsfeld (damals Wollenberger) hielten
die Stellung.
Die
Armen gingen natürlich unter.
Joschka
Fischer aber war nicht untätig und brillierte sowohl als Redner als auch als Strippenzieher
seit seiner Rückkehr in den Bundestag von 1994.
Zu
dieser Zeit genoss ich die Grünen in Bonn.
Die 49
Mitglieder der Fraktionen waren immer noch bunt gemischt, aber unter ihnen
fanden sich jede Menge intelligenter integrer Menschen, die sich voll ins Zeug
legten, um die dahinsiechende Kohl-Merkel-Regierung sturmreif zu schießen.
Bundestagsübertragungen
im Fernsehen wurden ein echtes Vergnügen. Vor allem Dank grüner
parlamentarischer Experten wie Angelika
Beer (schade, daß sie an die Piraten verloren ging, sie war die erste echte
VerteidigungsexpertIN der Grünen) Annelie Buntenbach (schade, daß sie an die
Linke verloren ging), Franziska Eichstädt-Bohlig, Andrea Fischer, Joschka
Fischer, Gerald Häfner (mein damaliger Lieblingsredner!) Kristin Heyne (eine
der besten Parlamentarierinnen aller Zeiten! Gott ist scheiße, daß er sie so
früh sterben lassen hat!), Michaele Hustedt, Steffi Lemke, Oswald Metzger
(schade, daß er an die CDU verloren ging), Kerstin Müller, Cem Özdemir, Gerd
Poppe, Christine Scheel, Irmingard Schewe-Gerigk, Rezzo Schlauch, Waltraud
Schoppe, Antje Vollmer, Ludger Volmer und Margareta Wolf.
Die
hatten es echt drauf und hätten allein ein Bundeskabinett füllen können.
Ich
rechne es den Grünen auch hoch an, daß sie sich 1998 der Problematik Kosovo und
Bosnien so mutig und offen stellten, statt sich einen schlanken Fuß zu machen
und zu sagen „ist uns egal, wenn weiterhin Myriaden massakriert werden – wir sagen
niemals ja zu einem Waffeneinsatz.“
Mit
Trittin, Fischer und Künast stellten die Grünen auch drei der stärksten
Minister in Schröders Regierung.
Ich
halte insbesondere Jürgen Trittin für einen der meistunterschätzten Politiker Deutschlands.
Vermutlich hat seine Amtszeit so viele hochwertige Arbeitsplätze generiert wie
keine andere. Inzwischen arbeiten in der Hightech-Ökobranche weit mehr Menschen
als in der deutschen Automobilindustrie – dank der Trittinschen
Weichenstellungen.
Natürlich
waren die Grünen ab 1998 auch phänotypisch angepasst. Joschka Fischer
betrachtete seinen außenministerlichen Dreiteiler richtigerweise als „Arbeitskleidung“,
Jürgen Trittin rasierte endlich den albernen Stalin-Bart ab und Künast läßt
sich ihre unförmigen Hosenanzüge sogar von derselben Schneiderin wie Merkel
anfertigen.
Die
richtige und notwendige Professionalisierung generierte allerdings Fliehkräfte.
Querdenker
verschwanden und die radikaleren Ideen wurden mit dem wachsenden Wohlstand der
Grünen-Wähler über Bord geworfen.
Mehr und
mehr strenggläubige Christen enterten die Partei.
Waren
früher die fromme Christa Nickels und die Theologin Antje Vollmer noch
Ausnahmen, strebten mit Kathrin Göring-Kirchentag immer mehr schwere Religioten
in die grünen Fraktionen.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft
Christen ist heute mächtig. Diejenigen, die wie Trittin und Fischer noch ohne
Gottesformel den Amtseid leisteten und für eine Trennung von Staat und Kirche
plädierten, sind in die Minderheit gedrängt worden.
Es gibt Fälle, in
denen christlicher Glaube ein klares Nein erfordert – z. B. bei
Kriegsvorbereitungen oder Präimplantationsmedizin (PID) – oder ein ebenso
klares Ja zu lebens- und entwicklungsfördernden Perspektiven. In Jesu
Hinwendung zu den Armen und seinem gleichwertigen Verhalten zu Frau und Mann;
in seinem Ausbrechen aus den Kreisläufen von Gewalt und Gegengewalt, von Hass
und Missgunst, auch in der Einstellung '"Gott mehr zu gehorchen als den
Menschen" finden wir Motive für ein Handeln in Nächstenliebe und dem
Streben nach Gerechtigkeit.
Da die Religion
wichtiger Bestandteil des öffentlichen Diskurses ist, diskutieren wir in der
Partei der Grünen die religiös fundierten Werte unserer Kultur im Rahmen einer
postsäkularen, multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft und entwickeln
sie im Hinblick auf die neuen gesellschaftlichen Bedürfnisse weiter. Dies gilt
umso mehr, als die tradierten christlichen und humanistischen Grundwerte den
Grundpfeilern grüner Politik sehr nahe stehen: ökologisches,
basisdemokratisches, soziales und des gewaltfreies Handeln als ethischer
Imperativ, zusammengehalten durch das Prinzip der Wahrung der Menschenwürde. –
Christliche Ethik als Leitlinie alltäglichen, verantwortlichen Handelns
gebietet es geradezu, sich an den Maximen grüner Politik zu orientieren.
Erbärmlich.
Grüne unterwerfen sich freiwillig einer konservativen, partiell
menschenfeindlichen Ideologie.
Kein
Wunder, daß Koalitionen mit der CDU immer häufiger werden.
Sven
Giegold, Volker Beck, Bettina Jarasch, Sigrid Beer, Josef Winkler, Winfried
Kretschmann, Silvia Löhrmann oder eben Katrin Göring-Eckardt heißen die
strenggläubigen Grünen.
Mit
ihnen ist die rechtlich, moralisch und sozial gebotene Trennung zwischen Kirche
und Staat nicht zu machen.
Grüne
stehen nun wieder hinter dem kirchlichen Arbeitsrecht, das Schwulen oder Juden
den Mittelfinger zeigt.
Erbärmlich.
Der heute
in Stuttgart endende evangelische Kirchentag ist kaum noch von einem
Grünen-Parteitag zu unterscheiden.
Religionssoziologen
der Universität Leipzig haben vor einigen Tagen eine Studie vorgestellt. Bei
Umfragen unter mehreren Tausend Kirchentagsbesuchern der vergangenen Jahre
fanden sie bestätigt, dass viele sehr gern über politische Themen diskutieren,
am liebsten über Umweltpolitik. Es gebe eine starke Verbindung zum
sozialökologischen Milieu, so das Urteil der Wissenschaftler; die politischen
Präferenzen seien ganz eindeutig: „Etwa die Hälfte der Kirchentagsbesucher
würde die Partei der Grünen wählen.“ Kein Thema des Kirchentags, das nicht auch
bei einem Grünen-Parteitag auf der Agenda stehen könnte. [….] Der Kirchentag von Stuttgart macht deutlich, wie tief die Grünen im
Zuge ihrer Verbürgerlichung in das protestantische Buß- und Bettagsmilieu
vorgedrungen sind. […]
Nur noch wenige Grüne
fordern eine klarere Trennung von Staat und Kirche. Die Privilegien, die die
beiden großen christlichen Konfessionen etwa beim Arbeitsrecht genießen, werden
nicht ernstlich infrage gestellt. Es gibt auch kaum noch einen prominenten
Grünen, der sich gegen das Tanzverbot an stillen Feiertagen wie etwa Karfreitag
ausspricht. Und die Abschaffung des sogenannten Gotteslästerungsparagrafen 166
im Strafgesetzbuch hat auch schon lange kein Spitzengrüner mehr gefordert.
Göring-Eckardt ist dafür, das Blasphemieverbot erst einmal beizubehalten. Mitte
Januar veranstalteten die Grünen in Düsseldorf den ersten religionspolitischen
Kongress in ihrer Parteigeschichte und kamen zu einem klaren Votum: Kirche und
Staat gehören zusammen. Die Partei hat ihren Frieden mit der christlichen
Werteordnung gemacht. „Wir sind uns einig darüber, dass wir kein laizistisches
Modell wie in Frankreich fordern“, so der Chef des grünen NRW-Landesverbands
Sven Lehmann.
(DER
SPIEGEL 06.06.2015 s.40f)
Somit
sind die Grünen für mich endgültig unwählbar geworden.