Easy, easy, schnell ein paar Abgeordnete zusammenholen, Kanzlermehrheit organisieren, Kanzler werden und dann läuft das schon. So denkt sich Merz das scheinbar für die Realpolitik: Er muss nur mit markigen Worten voranschreiten; schon sind alle begeistert von ihm und Probleme lösen sich in Luft auf. Auch Trump werde ihm dann schnell folgen.
[….] Sich selbst dagegen attestierte Merz regelmäßig, genau zu wissen, wie man mit Trump umzugehen habe. Die amerikanische Regierung und der amerikanische Präsident, sagte er im Januar bei einer Wahlkampfveranstaltung im Sauerland, brauchten „keine erhobenen Zeigefinger“ und Belehrungen aus Deutschland. Ernst genommen werde Deutschland nur, wenn es zusammen mit anderen europäischen Regierungen seine Interessen genauso klar und deutlich vertrete wie die Amerikaner ihre. „Wir werden nicht mit schlotternden Knien nach Washington fahren, sondern wir werden selbstbewusst sagen: Ihr habt Interessen, und wir haben auch welche – und die nehmen wir jetzt geschlossen wahr.“
Nach den jüngsten Eskalationen des Präsidenten Trump muss man allerdings feststellen: Ein bisschen komplexer wird es vermutlich schon werden. [….]
Ein Tickchen komplexer wurde es für den Transatlantiker-Fritz schon heute, am dritten Jahrestag der russischen Angriffs auf die Ukraine: Im UN-Sicherheitsrat schlägt sich die USA gemeinsam mit Nicaragua, Nordkorea und Belarus auf Moskaus Seite. Fünf gegen die Welt.
Um Trumps neuer Liebling zu werden, müsste Merz-Deutschland ebenfalls in das Boot der genannten fünf sympathischen Nationen steigen. Das ist freilich nur in einer AfD-CDU-Koalition möglich. Der Koalition, die Merz explizit mit der Begründung der Moskau-Freundlichkeit der Weidelianer sowohl in TV-Arenen vor der Wahl, als auch der „Berliner Runde“ nach der Wahl kategorisch ausschloss. Er tat das so vehement, daß selbst ich geneigt bin, ihm zu glauben.
Andererseits stritt Merz auch so vehement für die Schuldenbremse, daß er deswegen sogar vor das Bundesverfassungsgericht zog. Die Ansinnen der Restampelaner, noch vor der Wahl die Schuldenbremse zu modifizieren, weil es möglicherweise nach der Wahl keine 2/3-Mehrheit mehr dafür gäbe, wies er brüsk zurück.
12 Stunden nach Schließung der Wahllokale bereits die erste 180°-Wende des Sauerländer Trump-Verstehers: Schnell noch eine Turboreform der Schuldenbremse mit dem alten Bundestag!
[….] Kurz nach der Wahl ist eine Debatte über eine Reform der Schuldenbremse noch durch den bestehenden Bundestag entbrannt. Mit Blick auf das Wahlergebnis sprachen sich die Grünen dafür aus, dass noch der alte Bundestag eine Reform beschließt. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz schließt das ebenso wie die Einrichtung eines Sondervermögens für die Ukraine-Hilfen nicht aus. „Unsere Überlegungen dazu sind nicht abgeschlossen“, sagte Merz. Er kündigte Gespräche darüber mit SPD, Grünen und FDP an. [….]
Wie Marc Raschke immer sagt: Merz ist ein Lügner.
Und dazu noch ein Brausekopp, dem ständig aberwitzig peinliche Sprüche entfleuchen.
[….] Totalausfall von Friedrich Merz: [….]
Der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat mit gleich mehreren Äußerungen in seiner letzten Wahlkampfrede für Empörung gesorgt. Unter anderem bezeichnete er die israelische Fahne als „Judenfahne“ und verbreitete Lügen über die Demonstrant:innen, die gerade im ganzen Land gegen rechts auf die Straße gehen. Nicht nur in den sozialen Medien hagelte es Kritik.
Wörtlich stelle Merz in seiner Rede bei der Wahlkampf-Abschlussveranstaltung in München die rhetorische Frage, wo der „Aufstand der Anständigen“ geblieben sei, „als in diesem Land Palästinenserflaggen geschwenkt wurden, ‚From the River to the Sea‘ gesungen wurde, als Judenfahnen, als Fahnen des Staates Israel verbrannt wurden?“ [….]
Die Berliner Grünen-Politikerin Bettina Jarasch kommentierte das am Wahlsonntag auf X: „‚Judenfahnen‘, Herr @FriedrichMerz? Echt jetzt? Noch alle Tassen im Schrank?“, schrieb die Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der vergangenen Landtagswahl in der Hauptstadt. Sie bezog sich damit auch auf Merz' Äußerung, dass die CDU eine Politik für „die Mehrheit“ mache, also für jene, die noch „alle Tassen im Schrank“ hätten.
Der Soziologe Jules El-Khatib, ehemaliger Linken-Politiker und bei der Landtagswahl 2022 Spitzenkandidat der Partei, schrieb: „Die Gleichsetzung von Israel und Judentum stellt Antisemitismus dar. Stellt euch vor, so etwas hätte Mohammed gesagt, es gäbe einen Aufschrei, doch wenn Friedrich von der CDU es sagt, ist es kein Problem.“
Laut der International Holocaust Remembrance Alliance stellt es eine Form von Antisemitismus dar, den Staat Israel mit dem Judentum gleichzusetzen. In rechtsextremen Kreisen ist es weit verbreitet, die israelische Fahne als „Judenfahne“ zu bezeichnen. [….]
Solange er kein Regierungsamt hatte, blieb das bis auf die allgemeine Empörung, ohne Konsequenzen. Als Kanzler kann er mit seinem unqualifizierten Geplapper schwere diplomatische Verwerfungen auslösen.
Nachdem ich einen Tag Zeit hatte, mir die Zahlen und
Kommentare zum grausigen Wahlabend gestern
anzusehen, staune ich Bauklötze über die Homogenität der Einschätzungen:
Merz habe klar gewonnen, einen klaren Regierungsauftrag. Es müsse nun schnell
zu einer Koalition der Vernunft und Mitte kommen. Es sei die letzte Chance, die
enormen Grundprobleme Deutschlands ernsthaft anzugehen. Merz der richtige Mann,
um mutig weitreichende Entscheidungen zu treffen. Glücklicherweise müsse er
nicht in der Kenia-Koalition, (die Rassist Söder schon wegen ihres
afrikanischen Namens für unzumutbar hält), regieren, sondern in der so viel
einfacheren „GroKo“. Diese müsse schleunigst die Migration in den Griff
bekommen, um den Anstieg der AfD zu stoppen, anderenfalls regiere Weidel
nämlich 2029.
„Eine Regierung, die schon startet mit dem Titel Kenia-Koalition, die wird doch null Vertrauen bei den Deutschen haben.“
(Markus Söder, 23.02.2025)
Offenbar vertrete ich da eine extreme Minderheitenmeinung. Aber:
1.) Merz schnitt verdammt mies ab und lag mit 28Komma Prozent weit unterhalb des schlechtesten Ergebnisses, das Merkel je hatte.
2.) Die kommende GroKo ist in Wahrheit eine KLEIKO (Habeck).
Ich bedauere es in gewisser Weise, daß Sahra Sarrazin mit 4,972% draußen bleibt. Das verändert die Mehrheitsverhältnisse so, daß es leichter für den CDU-Mann wird, eine Koalition zu schmieden. CDU, CSU und SPD haben nun 328 Sitze; die Kanzlermehrheit liegt bei 316. Merz bleiben die Grünen erspart. Angenehm für einen so unerfahrenen Verhandler, dem nun das Gezeter der bayerischen Grünen-Nemesis in jedem Koalitionsausschuss erspart bleibt. Ich hätte es dem Sauerländer mit der extrem kurzen Lunte sehr gegönnt, sich beim Zusammenbasteln einer Mehrheit, abwechselnd vor Esken UND Banaszak in den Staub schmeißen zu müssen. Außerdem wären es dann noch weniger Ministerposten für die CDUCSU geworden.
Nun bleiben die Grünen leider ganz aus der Regierung draußen. Eine schlechte Nachricht für die Klimapolitik; das kann ich auch als SPD-Mitglied unumwunden feststellen. Schönreden kann ich mir die Situation nur damit, daß die SPD dadurch in eine sehr starke Verhandlungsposition rückt. Denn nun hat der Blackrock-Geront NUR mit der SPD die Chance Kanzler zu werden. Er kann sie nicht gegen die Grünen ausspielen, weil es keine andere Option gibt.
Die Sozis hassen ihn aber noch mehr als die Grünen-Spitze, die immer die Koalitionsbereitschaft mit der xenophoben Merz-Union betonte. Genau für diese demonstrative Offenheit zur Merz-CDU, übernahm Habeck heute die Verantwortung und zog sich aus der Politik zurück. Umso teurer wird der Preis der SPD, die der CDUCSU einige Kern-Ministerien abringen wird.
Lauterbach und Pistorius werden mutmaßlich in ihren Jobs bleiben. Unerfreulich für einen möglichen neuen Finanzminister Spahn, der die Wünsche aus dem Verteidigungsministerium abblocken muss und damit zwangsläufig die CDU-Kernwählerschaft verärgert.
Die Sozis werden diverse CDUCSU-Lieblings-Projekte (die nichts kosten) genüsslich beerdigen: Cannabis-Verbot, Ende Selbstbestimmungsgesetz, Atomenergie-Revival, Abschaffung Bürgergeld.
Außenpolitisch könnten SPD und CDU noch am ehesten zusammenkommen. Aber das Riesenproblem bleibt die Wirtschaftspolitik. Da haben CDU und SPD nun einmal konträre Ansichten. Wie soll man da einen Kompromiss finden aus den Positionen "Steuern für Superreiche rauf" und "Steuern für Superreiche runter"?
Dann kann man es nur lassen, wie es ist. Und genau das geht auch nicht, weil die gesamte CDU ständig einen totalen Politikwechsel versprochen hat.
Ja, Merz mag Kanzler werden, aber viel Zeit zum selbstgefälligen Herumstolzieren in Washington und Paris, wird er nicht haben, weil in Berlin ständig die Hütte brennt und er genau das tun muss, was er am schlechtesten kann: Akten fressen, vermitteln, ausgleichen, Kompromisse suchen.
Das alles auch noch mit einem niederträchtigen Söder an der Hacke, der keinen Tag vergehen lassen wird, an dem er nicht intern darauf hinweist, die Probleme hätte es mit ihm als Kanzlerkandidaten nie gegeben, weil er viel mehr als die lächerlichen 28% geholt hätte. Merz ist genau der falsche Mann, um zusammen zu führen und die unterschiedlichen Kräfte an einen Tisch zu holen.
3.) Die gestrige Wahl hat eindeutig gezeigt, daß man mit dem künstlichen Aufblasen des Migrationsthemas auf klassische Weise die Ränder stärkt: Die AfD als das xenophobe Original kann man nicht überstinken (Markus Blume) und andererseits fliehen die Wähler zu den Linken, die genau diese migrantenfeindliche Hetze nicht wollen.
Der allgemeine Forderung an die zukünftige Regierung „beim Thema
Migration zu liefern“ läuft also genau auf eine weitere Schwächung der Mitte
heraus.
Erstaunlich wenige Kommentare geben meine Sicht der Dinge wieder: Merz ist schwach, unseriös und ungeeignet für die kommenden Probleme. Die EU, die internationale Klimapolitik und die Ukraine werden mit Merz schlechter dran sein, als mit Scholz.
[….] Europas Hoffnung auf eine starke Regierung in Deutschland wurde von den Wählern nicht erfüllt[….] Wer auch immer seine Heilserwartung in Friedrich Merz hineinprojiziert, wird seine größte Enttäuschung beim Thema Geld erleben. [….] Friedrich Merz’ außenpolitischer Führungsanspruch hängt noch mehr als der von Scholz vom Budget ab. Natürlich kann ein Kanzler durch Europa reisen, Gipfel besuchen und entschlossen dreinblicken. Aber die Durchsetzungsfähigkeit, das weiß man von Angela Merkel, hängt immer auch von der Zahlungsfähigkeit ab. Deutschlands Führungsrolle in Europa war immer auch gekauft, was nicht verwerflich ist, denn Europa hat über das Vehikel Binnenmarkt auf Euro und Cent zurückgezahlt. Nun startet Merz mit einer doppelten Bürde: Erstens ist Deutschland nicht mehr der viel gerühmte (Wirtschafts-)Motor Europas; diese Funktion muss sich das Land erst mal wieder durch harte Reformen erarbeiten. Und zweitens fehlt dem Land die Haushaltskraft, um die sicherheitspolitischen Ausgaben dieser neuen Ordnung zu finanzieren.
Europa erwartet von der neuen Regierung sehnlichst einen Blitzstart mit einer Lockerung der Verschuldungsregeln. Ein Sondervermögen von ein paar Hundert Milliarden für Wirtschaft und Infrastruktur plus der Verteidigung: Das wäre für das europäische Selbstbewusstsein und den Zusammenhalt der richtige Balsam. Aber: Für dieses Sondervermögen benötigt auch Merz eine Absicherung im Grundgesetz, die durch Schwarz-Rot mit freundlicher Unterstützung der Grünen nicht zu haben sein wird. […]