Als ich im zarten Alter von neun Jahren aufs Gymnasium kam,
war ich etwas überwältigt und eingeschüchtert von der Größe der Schule. Fünf
Parallelklassen mit jeweils knapp 40 Schülern.
Alles anderen kamen mir selbstbewußter vor.
Die vielen verschiedenen Lehrer irritierten mich. In der
Grundschule hatte uns ausschließlich die liebe Frau Kastermann in allen Fächern
unterrichtet; aber nun kamen stündlich Andere. Als schüchternes Kind konnte ich
mich schlecht auf so viele unterschiedliche Unterrichtsstile einstellen.
Aber die neuen Fächer begeisterten mich. Am Liebsten mochte
ich zunächst Erdkunde, Geschichte und Biologie, weil das vermutlich am meisten
meine Phantasie anregte. Umso trauriger war ich, als in der sechsten Klasse schon
wieder ein neuer Lehrer kam; der Griesgram Herr Fassberger übernahm Biologie
und Erdkunde, ließ dauernd Teste schreiben. Keine Woche verging, in der wir
nicht auf diesen herrlich duftenden Lila Matrizen Blindkarten mit sowjetischen
Flüssen, chinesischen Bergen oder südamerikanischen Städten beschriften
mussten.
Diese Form des Auswendig-Lernen-Unterrichts ist heute offenbar
weitgehend abgeschafft, weil man das Gelernte nicht behält.
Ich mochte Herrn Fassberger nicht besonders gern, weil er
streng war, nicht leicht gute Noten vergab und mich außerdem einmal vor der
ganzen Klasse als „unser kleiner Picasso“ vorstellte, als wir als Hausaufgabe
ein Pantoffeltierchen malen sollten.
Ich kannte durch meinen Vater Picasso-Bilder und war daher
nicht sicher, ob das nun ein Lob sein sollte, oder eher versteckte Kritik.
Seine Unterrichtsmethoden mochten antiquiert wirken, aber er
konnte sehr eindringlich erzählen.
Die Namen russischer Flüsse lernte ich nicht nur für die
berüchtigten Blinkarten-Tests, sondern auch weil Fassberger mehrere Jahre in
sowjetischer Kriegsgefangenschaft war und außerordentlich anschaulich von der
Natur dort berichtete. Unsere damals modernen Moonboots – zu meiner Schulzeit
gab es jeden Winter Schnee – verachtete er, weil darin die Füße nicht
durchblutet würden. In Sibirien trage man nur Filzpantoffeln, durch die der Fuß
jede Unebenheit des Geländes mitmache und ständig massiert werde.
Das leuchtet mir bis heute ein und ich bilde mir ein daher
auch heute noch im Winter keine halten Füße zu bekommen, weil ich zwar nicht in
Filzpantoffeln, aber doch in sehr elastischen Schuhen mit dünnen Sohlen
rumlaufe.
Die Welt der Zellen, Bakterien und Pantoffeltierchen
beschrieb er ebenso plastisch wie seine Naturerlebnisse in
Sowjetgefangenschaft.
In jeder Unterrichtsstunde kam einmal sein running-gag, in
den wir schon alle einfielen: „Und deswegen gebe ich niemals jemand meine Hand –
das ist beste Bakterienübertragungsweg überhaupt!“
Hände geben ist ekelhaft. Wozu soll ich den Handschweiß
fremder Menschen abreiben?
Als Erwachsener wurde ich echter Sozialphobiker und
überlegte mir Strategien den bei vielen Menschen obligatorischen
Begegnungsbegrabbeln zu entgehen.
Hände schütteln, Umarmen, Abküssen? Was soll das überhaupt,
fragte auch Bill Maher als er sich am Freitag, den 13. über den neuen
Europäischen Trend des Ellbogen-Kickens lustig machte. Warum muss man sich
gegenseitig überhaupt anfassen, wenn man sich trifft – to verify the
other one is not a ghost?
Das kontaktlose Hamburger „Moin“ wäre eine Möglichkeit für
die Zukunft; mir gefällt auch die angedeutete japanische Verbeugung.
Aber bitte lasst uns auch nach Corona nicht zu den haptischen
Klebe-Varianten der Begrüßung zurückkehren!
Der gegenwärtige weltweite Shutdown könnte Gelegenheit dazu
sein ein paar der widerlichsten Fehlentwicklungen der modernen
Industriegesellschaften zu korrigieren.
Lufthansachef Carsten Spohr hatte sich selbst noch vor zwei
Jahren großzügig eine Millionen Euro Erfolgsprämie bewilligt, nachdem er die
700 Spezialisten der Lufthansa-Technik gefeuert hatte und die Ingenieurskunst
nach Rumänien und auf die Philippinen auslagerte.
Das Geld sollte zukünftig im Luxusreise-Geschäft verdient werden.
Auch die Cargo-Flotte plante er abzustoßen. Alles sollte der Götze „Profit“
untergeordnet werden.
[……] Was nicht zum Renditeziel des Chefs passte, sollte abgestoßen werden,
etwa die Cateringsparte LSG. Das Passagiergeschäft unter der Marke "Lufthansa"
wollte Spohr abkoppeln und in eine Stiftung überführen, damit sich auch
ausländische Investoren leichter an der Lufthansa beteiligen könnten. Aus
rechtlichen Gründen ist das bislang nur bedingt möglich. Spohr erwog sogar
einen Teil-Börsengang der Lufthansa-Technik.
Nur eine Sparte kam schlecht weg: die Frachttochter Lufthansa Cargo.
Dort war angedacht, eine komplette Führungsebene bis hin zum Vorstand zu
streichen. Ausgerechnet dieser Ableger entpuppt sich in der Krise als
Rettungsanker. Jede Führungskraft dort wird nun dringend gebraucht. [….]
(DER SPIEGEL, 21.03.2020)
Tja, so schnell kann es gehen: Alles, was sich der geldgeile
Vorstand ausdachte, der horrende Dividenden an die Aktionäre zahlte, ist
Makulatur.
Von den 763 Jets des Lufthansa-Konzerns sind 700
stillgelegt. Es gibt de facto keinen Tourismus mehr. Aber die fast schon
verscheuerten Cargo-Jets braucht man nun dringend, um die benötigten
Hygieneartikel und Medikamente aus Asien zu holen.
Auch das sollte Beispiel geben: Massentourismus zerstört
Umwelt und Klima.
Die Menschheit darf auch nach Corona nicht wieder nach
Belieben Milliarden Tonnen Kerosin in die Atmosphäre blasen – nur aus
persönlicher Lust.
Schluss mit dem Fernreise-Tourismus. Entweder man nimmt die
Bahn oder bleibt zu Hause.
Interkontinantalreisen müssen mit Kontingenten drastisch
eingeschränkt werden.
Vorstellbar wäre ein System, nach dem jeder Erdenbürger
jährlich ein bestimmtes Flugmeilenkontingent zugeteilt bekommt. 100 Meilen zum
Preis von 100 Euro beispielsweise. Wer länger fliegen will, muss Menschen
finden, die nicht fliegen und sie auszahlen.
Der absolute ökologische Irrsinn sind Kreuzfahrten. All die
400 m langen, 70 m hohen Giganten für 6.000 Passagiere und 4.000 brutal
ausgebeutete Arbeitssklaven unter Deck.
[….] Der Nabu rechnet vor (PDF), dass ein Kreuzfahrtschiff pro Tag so viel
CO2 ausstösst wie fast 84.000 Autos, so viel Stickoxide wie etwa 421.00 Autos,
so viel Feinstaub wie etwa über 1 Million Autos und so viel Schwefeldioxid wie
gut 376 Millionen Autos.
Die Deutsche Lungenstiftung warnte daher schon vor Jahren:
„Lungenkranke, die sich auf eine Kreuzfahrt begeben, sollten sich vor den
Abgasen des Schiffes in Acht nehmen.“ [….]
Kreuzfahrtschiffe fahren mehrheitlich mit Schweröl und verbrauchen
davon täglich im Schnitt 150 Tonnen. Schweröl ist stark umwelt- und
gesundheitsschädlich und deswegen an Land verboten, denn das giftige
Abfallprodukt der Petrochemie enthält 3.500 mal mehr Schwefel als auf Europas
Straßen für PKW erlaubt wären. […..]
Weltweit gibt es etwa 6.500 Passagierschiffe. Davon sind 500
Kreuzfahrriesen.
500 mal 150 Tonnen = 75.000 Tonnen Schwerölverbrauch pro
Tag.
Das entspricht 27.375.000 Tonnen im Jahr.
27 Millionen Tonnen giftiges Schweröl werden jährlich für
betrunkene, reiche Kreuzfahrtouristen in die Luft geblasen?
Schluss mit dem Irrsinn. Kein Bailout für Kreuzfahrtreedereien. Alle 500 Schiffe für immer stilllegen.
Schluss mit dem Irrsinn. Kein Bailout für Kreuzfahrtreedereien. Alle 500 Schiffe für immer stilllegen.
Außerdem sollten Pharmalobbyisten des Schlages Jens Spahn
lernen, daß endlich Krankenschwestern und Altenpfleger nicht mehr wie
notleidenden Hiwis bezahlt werden dürfen.
Ich fordere eine Gehaltssteigerung für das gesamte
nicht-ärztliche Personal im medizinischen und Altenpflegebereich um 300%.
Das würde den Beruf sehr viel attraktiver machen, für
Nachwuchs in dem Bereich sorgen, den Pflegenotstand beenden, die Kapazitäten
der Krankenhäuser verbessern und außerdem wäre es gleichzeitig ein
Konjunkturprogramm, weil diese Menschen das zusätzliche Geld auch ausgeben und
so Nachfrage entsteht.
Ein Chefarzt oder Pharmavorstand, der eine Million und mehr
verdient, kurbelt hingegen mit zusätzlichen Einkommen nicht die Wirtschaft an,
weil er nicht mehr essen oder ins Kino gehen kann. Er wird eher die Millionen
in Steueroasen schleppen oder findige Berater engagieren, die Anlagen auf
Kosten der Allgemeinheit aussuchen.
Nach Corona ist vor Corona. Wir sollten unbedingt die Gelegenheit
nutzen, die Weltwirtschaft und das Leben in den Industrienationen dauerhaft
drastisch umzukrempeln, statt möglichst schnell wieder in den alten Trott zu
verfallen und all Fehlentwicklungen neu zu befeuern.