Dienstag, 20. Dezember 2016

Im Spin-Room



Gut möglich, daß ich die Vergangenheit idealisiere.
Aber gab es nicht mal Zeiten, in denen bei Katastrophen aller Art zunächst neutral berichtet, anschließend von Experten analysiert und schließlich von Klugen kommentiert wurde?

Inzwischen sind aber die Reaktionen auf die Nachricht die eigentliche Nachricht.
In TV-Nachrichtenstrecken unterläßt man es eigene journalistische Kompetenz zu zeigen und blendet stattdessen Tweets relevanter und noch mehr irrelevanter Personen ein.

Beispielsweise auf sueddeutsche.de gibt es zwar noch einen Artikel „Was wir über die Tat wissen und was nicht“, aber ich muß das eigentlich gar nicht mehr anklicken. Mir reicht das, was ich in den Überschriften aufgeschnappt hatte: Berlin, Weihnachtsmarkt, LKW in Menge, 12 Tote.

Mehr Fakten braucht niemand. Während die Einsatzkräfte noch zwischen den Leichen und Verletzen knien, fährt die „wie schlage ich daraus Kapital?“-Maschine blitzschnell auf 100% Leistung.

Ja, natürlich haben die paar Extrarationalen vollkommen Recht, die 12 Tote durch einen mutmaßlichen Anschlag in Relation zu anderen, größeren Todeszahlen setzen. So viele Menschen sterben jeden Tag im deutschen Straßenverkehr; es sterben sogar weit mehr Menschen in Deutschland täglich durch Ärztepfusch und noch mehr durch Hygienemängel in Krankenhäusern, weil die Politik vor der Lobby eingeknickt ist. Bekanntlich kann man MRSA-Infektionen, also das myriadenfache Sterben durch multiresistente Krankenhauskeime auch verhindern – das zeigt Holland. Aber das würde Geld kosten, mehr Personal erfordern und somit die Milliardengewinne von Typen wie Bernd große Broermann schmälern.
Die Oma von nebenan, die nach einer Knie-OP an Wundinfektionen stirbt, weil im Asklepios-Krankenhaus siffiges OP-Besteck benutzt wurde, ist aber politisch schlecht auszunutzen.

Terrortote in Berlin (Hauptstadt! Merkel!) zur Weihnachtszeit (Christlich! Friedlich!) in Zusammenhang mit einem Flüchtling (Muslim! Asylantenflut!) sind wesentlich wertvollere Leichen. Damit kann man etwas anfangen.

Lange Partynacht: Anwohner von AfD-Parteizentrale beschweren sich über Ruhestörung
Berlin (dpo) - Was war da denn los? Die Berliner Polizei hat in der Nacht von Montag auf Dienstag um kurz nach 22 Uhr mehrere Anrufe wütender Anwohner erhalten, die sich über lauten Partylärm aus der AfD-Parteizentrale in der Schillstraße beschwerten. Die Polizei musste mehrfach anrücken und löste die Feierlichkeiten schließlich in den frühen Morgenstunden auf.
"Ich wollte mich gerade schlafen legen, da höre ich plötzlich diesen Krach, als wenn einer mit einem Maschinengewehr rumballert", erzählt uns ein Anwohner. "Nach einer kurzen Schrecksekunde wurde mir bewusst: Das sind Sektkorken! Dann wurde Musik laut aufgedreht und herumgegrölt. Ich habe dann die Polizei alarmiert."
Im Laufe des Abends erhielt die Polizei weitere Anrufe von Anwohnern, die sich über Jubelgeschrei, lautstarkes Gelächter und ohrenbetäubende Musik aus der AfD-Parteizentrale beschwerten. Die Beamten müssen mehrfach ausrücken und die Feierwütigen dazu ermahnen, die Musik leiser zu stellen – vergeblich. [….]

Die üblichen Verdächtigen recken ihre kotbraunen Twitterfingerchen und legen los.


Längst sind es nicht mehr nur oppositionelle Fascho-Populisten, die genüsslich ihre demagogischen Werbesprüche in die Welt ballern.

Der zukünftige US-Präsident handelt genauso, ist für diese Methoden sogar gewählt worden.

Zehn Etagen unter dem menschlichen Mindestanstand agitieren aber auch Politiker der in Bayern mit absoluter Mehrheit gewählten CSU.


Deutsche Profipolitiker anderer Parteien versagen aber auch bei ihren öffentlichen Reaktionen. Bis auf wenige.

Ulrich Schulte: Auf eine solche Tat haben die Rechtsextremen gewartet?

Konstantin von Notz: Diejenigen, die unsere liberale und offene Gesellschaft spalten und den Rechtsstaat beschädigen wollen, werden versuchen, den Anschlag zu instrumentalisieren. Sie versuchen es jetzt schon. Islamisten und Rechtsextreme kochen dabei übrigens dieselbe Suppe. Sie versuchen, aus Angst Profit zu schlagen.

Ulrich Schulte: Der nordrhein-westfälische AfD-Landeschef Marcus Pretzell twitterte kurz nach dem Attentat, dies seien „Merkels Tote“. Sollte man solche Provokationen ignorieren – oder verurteilen?

Konstantin von Notz: Politische Widerlichkeit ist wählbar und heißt AfD. Pretzell macht nicht mal den Versuch, seine abgründigen Interessen zu kaschieren. Das spricht für sich selbst. Demokratische Parteien dürfen sich die Debatten nicht von der AfD aufzwingen lassen, aber eben auch nicht schweigen, wenn sich Rechtsextreme im Leid der Opfer und der Angst der Menschen suhlen.

Lügenminister de Maizière, der schon seit anderthalb Jahren Flüchtlingen genauso pauschal wie faktenwidrig alles Negative unterstellt, verkündete zunächst einmal, er bete für die Opfer.


Das ist an Schwachsinnigkeit kaum zu unterbieten. Schließlich ist Religion mit ihrer rechthaberischen und jenseitsgläubigen „wir sind besser als die“-Haltung die Ursache der Gewalt.
Der deutsche Innenminister will nun also das Übel mit mehr Übel bekämpfen.
Mit Beterei, also der Ausrede von Menschen, die nicht tatsächlich helfen wollen.






Einen Tag später schrieb de Maizière doch tatsächlich "Herr, gib ihnen die Kraft..." in das Kondolenzbuch. Dem Mann ist nicht mehr zu helfen.

Mein nachbarlicher SPD-Ortverein Eppendorf verbreitete auf Facebook schwarzen Trauerfloor mit dem Hashtag #PRAYFORBERLIN.
Auch bei denen also intellektuelle Schlichtheit. Sie preisen das Gift als Medizin, welches den Schaden angerichtet hat. Wir brauchen nicht mehr Gebete, sondern weniger.


Eigentlich unnötig zu erwähnen, aber da sie nun mal die deutsche Regierungschefin ist: Merkel blamiert sich selbstverständlich, wenn sie es menscheln lassen soll.
Von ihr kommen kryptische Sätze, auch wenn man gutmeinend ahnen könnte, daß sie es eben nicht so mies und populistisch wie Kollege Seehofer machen wollte:

Sollte sich bestätigen, dass es sich bei dem Täter um einen Flüchtling gehandelt habe, wäre es nach Merkels Worten "für uns alle besonders schwer zu ertragen". "Dies wäre besonders widerwärtig gegenüber den vielen Deutschen, die tagtäglich in der Flüchtlingshilfe engagiert sind", sagte Merkel, "und gegenüber den vielen Menschen, die unseren Schutz tatsächlich brauchen und sich um Integration in unser Land bemühen."

Gilt das auch für die Verletzten und Angehörigen der Opfer?
Wären die fröhlich und erleichtert, wenn sich herausstellen sollte, daß sie nur von einem normalen Irren und keinem Muslim massakriert wurden?
Das dachte sich vermutlich auch die in Berlin die U-Bahntreppe heruntergetretene Frau mit dem gebrochenen Arm, als sie erfuhr von einem CHRISTEN attackiert worden zu sein: „Habe ich ein Glück gehabt!“

Fairerweise will ich nicht verschweigen, daß es auch kluge und besonnene Reaktionen gibt.
Aber das sind weitgehend wieder nur die paar offiziell bekannten Atheisten, die nur in sehr wenigen FACEBOOK-Bubbles wahrgenommen werden. Michael Schmidt-Salomon passiert die meisten Facebook-Filter gar nicht erst.

 [….] Die Nachricht von der Tragödie auf dem Berliner Weihnachtsmarkt war gerade erst über die Ticker gelaufen, da wusste der Landeschef der AfD in Nordrhein-Westfalen Marcus Pretzell bereits, wer die Schuld daran trägt. Via Twitter verkündete Pretzell zu einem Zeitpunkt, als nicht einmal ansatzweise klar war, ob es sich bei den dramatischen Ereignissen an der Gedächtniskirche um einen Unfall, einen apolitischen Amoklauf oder einen terroristischen Anschlag gehandelt hatte: "Wann schlägt der deutsche Rechtsstaat zurück? Wann hört diese verfluchte Heuchelei endlich auf? Es sind Merkels Tote!" Dabei übersah der AfD-Politiker allerdings, dass gerade er und seinesgleichen den Terroristen in die Hände spielen. Denn Rechtspopulisten zählen – wenn auch unfreiwillig – zu den wichtigsten Verbündeten der Islamisten im globalen Dschihad.
Die islamischen Gotteskrieger verfolgen eine perfide und bislang sehr wirkungsvolle Strategie, die in zahlreichen, u.a. im Internet verbreiteten Schriften nachzulesen ist: Da sie nicht die Mittel besitzen, die westlichen Demokratien militärisch ernsthaft zu gefährden, sollen viele terroristische Einzelaktionen die Bürgerinnen und Bürger in Angst und Schrecken versetzen und entsprechende Aversionen gegen "die Muslime" wecken, was wiederum zu einer weiteren Radikalisierung unter Muslimen führen soll.
Den Masterplan für diese Strategie hat der einflussreiche Islamist Abu Musab al-Suri in seiner 1.600-seitigen Propagandaschrift "Aufruf zum weltweiten islamischen Widerstand" dargelegt. Darin heißt es: "Wenn wir zwölf Angriffsteams in der gesamten islamischen Welt bilden könnten und jedes dieser Teams würde eine Operation im Jahr ausführen, dann gäbe es jeden Monat einen Angriff. Wenn sie zwei Operationen schaffen, wäre das alle fünfzehn Tage ein Angriff." [….][….][….]