Montag, 6. Juni 2016

Meine Bundespräsidentin



Manchmal staune ich ja doch noch, wie einig sich Volk und Presse sind.

Heute sind Zeitungen, Internet und Glotze voll des Lobes über Joachim Gauck.
Der Mann scheint eine Kreuzung aus Jesus und Einstein zu sein.
Die Grünen liegen ihm zu Füßen und jubilieren, Gauck habe dem Amt die Würde zurückgegeben.
Ich habe so gut wie keine andere Meinung gefunden. Alle lieben Gauck und das wird nur von einem Mann übertroffen: Gauck selbst ist sein eigener größter Fan.
Er findet sich so ungeheuer fabelhaft, daß er leider nicht dazu kam mal eine rauchende Ruine einer Flüchtlingsunterkunft zu besuchen, weil er zu sehr damit beschäftigt war sein Spiegelbild zu küssen.
Bei den großen weltpolitischen Fragen war Gauck stets ein Totalausfall, schwieg über Monate zu den fremdenfeindlichen Anschlägen, zur EU-Griechenland-Krise, zu den massenhaft missbrauchten Opfern der beiden Kirchen, zur xenophoben Stimmungsmache bei der Antiausländermaut und Minderheitenrechte sind ihm ohnehin egal.
Der neoliberale Gauck ist zudem ein intellektueller Underachiever, der immer wieder seine verblüffenden Bildungslücken offenbarte.

That said, bin ich natürlich froh, daß Gauck heute verkündete keine weiteren fünf Jahre zu amtieren.
Ich halte ihn für den drittschlechtesten Bundespräsidenten nach Lübke und Carstens. Im Gegensatz zum bundesrepublikanischen Narrativ vom großen Präsidentenglück nach 1949, glaube ich, daß Deutschland weit bessere Präsidenten hätte haben können.
Herzog, Köhler und Wulff haben keinerlei Akzente gesetzt.
Die ins Spiel gebrachten Gegenkandidaten Carl-Friedrich von Weizsäcker, Marion Gräfin Dönhoff oder Hildegard Hamm-Brücher wären deutlich besser gewesen.

Schon lange drehte sich hinter den Kulissen das 2017ner Kandidatenkarussell, denn Gaucks Alter ist schließlich kein Geheimnis.
Heute platzen die Zeitungen mit langen Kandidatenlisten heraus.
So generiert man Aufmerksamkeit. Kostenlose Aufmerksamkeit, denn das sind alles nur Spekulationen ohne Wert.
Bundespräsidenten werden nicht vom Volk gewählt und auch nicht in den Redaktionen auf den Schild gehoben, sondern ganz unspektakulär unter den Parteichefs ausgeklüngelt.
Merkel, Gabriel und Seehofer werden also letztendlich bestimmen, wer es denn wird.
Solche Klüngelrunden haben manchmal eine unfreiwillig komische Note. Ich grinse immer noch bei der Vorstellung von Stoibers entsetzen Gesichtsausdruck, als der Bundespräsident im März 2004 in Westerwelles Privatwohnung ausgeknobelt wurde.
Die damaligen drei Parteichefs hatten die Presse ausgetrickst und sich heimlich beim FDP-Chef zu Hause getroffen, der sie auf Socken mit rutschfesten Gumminoppen empfing.
Zu essen gab es nichts und so hockte man zu dritt in Westerwelles Wohnzimmern unter den riesigen schwulen Knabengemälden des schwulen Künsters Norbert Bisky – dem Sohn des PDS-Chefs Lothar Bisky.
Heraus kam am Ende der Name „Horst Köhler“, den 99% der Deutschen noch nie vorher gehört hatten. Am meisten wunderte sich Guildo Horn („Piep, piep, piep, ich hab dich lieb!“, * 15. Februar 1963 als Horst Köhler in Trier) über die Verkündigung und konnte sein Glück kaum fassen Bundespräsident zu werden. 


Als Freund der repräsentativen Demokratie gefällt mir das deutsche Wahlsystem über die Bundesversammlung. Dadurch ist eine größtmögliche Repräsentanz gegeben und uns bleibt ein widerlicher Populismuswettbewerb wie zuletzt in Österreich erspart.

Neun Monate vor der Wahl mit Namen um sich zu werfen ist albern und überflüssig.
Aber kurzweilig.

Brisanz bekommt die Causa dadurch, daß es eine wichtige Personalentscheidung ist, die weitgehend von Merkel abhängig ist.

Zwar gibt es eine knappe rotrotgrüne Mehrheit in der Bundesversammlung (~626:619), so daß Gabriel CDU/CSU/AFD/FDP ganz gewaltig ärgern könnte – zumal Katja Kipping bereits signalisierte einen RRG-Kandidaten mit zu wählen, aber wie schon so oft sind Rot und Grün leider viel zu doof dazu und lassen sich lieber einen Konservativen aufs Auge drücken.
Derzeit scheinen es insbesondere die Grünen zu sein, die kurz vor der Bundestagswahl 2017 auf keinen Fall ein RRG-Signal senden wollen, weil sie auf eine schwarzgrüne Koalition im Bund setzten.
Hochwahrscheinlich also, daß die fromme Merkel-Freundin Katrin Göring-Kirchentag ihre Partei auf CDU-Kurs trimmt.

Es liegt also alles in der Hand Merkels und damit ausgerechnet bei der Frau, die ein extrem schlechtes Händchen für Personalentscheidungen hat.
Merkels Menschenkenntnis ist legendär schlecht.
Wann immer sie persönlich eine Personalie durchsetzt, stellt sie sich kurz darauf als grober Fehler heraus.
Man denke nur an die lange Reihe völlig unfähiger CDU-Generalsekretäre und Staatsminister ihres Kanzleramts, die allesamt in Rekordtempo Merkel blamierten, indem sie sich von Lobbyisten abwerben ließen.
Beide Bundespräsidenten, die sie durchsetzte, Köhler und Wulff, traten unter extrem blamablen Umständen zurück.

Das wird lustig zu sehen, wenn die Kanzlerin wohl diesmal vorschlägt.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder ein extrem ungeeigneter Mensch.
Man erinnere sich auch an die Wulff-Wahl von 2010, als Merkel trotz gewaltiger CDU/CSU/FDP-Mehrheit in der Bundesversammlung um ein Haar scheiterte und den ganzen Tag bis zum dritten Wahlgang brauchte, um den ungeliebten Wulff durchzudrücken.

Eine einsame Entscheidung für einen charakterlich ungeeigneten CDU-Karrierist wird Merkel 2017 wegen der Mehrheitsverhältnisse nicht noch einmal wagen. Ein gewisser überparteilicher Konsens ist erforderlich, um Merkel nicht erneut zu blamieren.
Um ihr Wahlvolk zu erfreuen, muß es eine Person sein, die nicht aus dem innersten politischen Zirkel kommt und um Merkel das Leben zu erleichtern, darf es auch kein zu selbstbewußter Menschen sein, der ihr womöglich in die Quere käme.
Gauck war in dieser Hinsicht ideal, denn er beschäftigte sich im Grunde nur mit dem Gauck-sein an sich und hatte nie das Rückgrat tatsächlich ein umstrittenes Gesetz, wie das zum ESM-Mechanismus, nicht zu unterschreiben.
Er tat also brav alles was Merkel wollte, galt aber dennoch kurioserweise beim Wahlvolk als unabhängiger und freier Geist.

Eine richtig schwierige Aufgabe für Merkel.
Sie entscheidet.
Ich nicht.

Hätte ich die Macht einen Bundespräsidenten zu bestimmen, wüßte ich aber auf wen meine Wahl fiele:

Herta Müller wäre ideal.

Müller, (*1953 in Nițchidorf, Rumänien), emigrierte 1987 nach Deutschland und bekam 2009 hochverdient den Literaturnobelpreis verliehen.
Sie ist eine extrem mutige und unbestechliche Frau.
Im diametralen Gegensatz zu Gauck ist Müller eine hochintelligente und engagierte Person, die sich eben gerade nicht selbst genügt.

Neben ihrer intensiven schriftstellerischen Arbeit findet Müller immer wieder Zeit für öffentliche Aufgaben im In- und Ausland: Sie nimmt Gastprofessuren an deutschen Universitäten wahr, (Hamburg, Bochum,Tübingen, Berlin, Paderborn) und wird writer in residence im Ausland (University of Warwick, Dickinson College, University of Wales in Swansea , University of Florida). Im Jahre 2010 wurde ihr die Ehrendoktorwürde von der Frauenuniversität Seoul verliehen und im Jahre 2012 erhielt sie die gleiche Ehre von der Universität Paderborn, der Universität Swansea und dem Dickinson College. Eine Konstante in ihrem Leben ist ihr unermüdlicher Einsatz für Menschenrechte und die öffentliche Kritik an intellektueller Feigheit.

Müller ist eine brillante Denkerin und Rednerin, die aus eigenem Vermögen die Rolle als Bundespräsidentin ausfüllen könnte.

Sie schreibt tagesaktuelle Texte, die dann zum Beispiel 2013 im SPIEGEL erscheinen („Vorschlag eines Exilanten-Museums“) und so kommentiert werden, daß sie dafür gleich einen zweiten Nobelpreis verdient hätte.
Ich unterstütze den Vorschlag Müller mit weiteren Nobelpreisen zu ehren ausdrücklich.

Es sprechen so viele Gründe für Herta Müller als Bundespräsidentin, daß ich nicht verstehe, wie man an andere Kandidaten denken kann.

1) liebe ich diese Frau
2) ist sie keine Politikerin
3) ist sie intelligent und gebildet
4) würde sie als Nobelpreisträgerin ein klares Signal in Richtung "Kulturnation" aussenden
5) ist sie Migrantin
6) kennt sie diktatorische Regime aus eigener Erfahrung und würde im Ausland extrem glaubwürdig Stellung beziehen können
7) könnte sie in der Bundesversammlung durchsetzbar sein
8) ist sie nicht wie damals Köhler oder nun Jutta Allmendinger zu unbekannt
9) ist sie keine Pfäffin wie Gauck, Käßmann oder Lieberknecht
10) ist sie endlich mal kein Mann
11) hat sie mit 62 Jahren das beste Bundespräsidentenalter
12) beweist sie durch ihre Vita ihre Unerschrockenheit und ihren Mut
13) würde sie sich nicht von Parteichefs manipulieren lassen
14) staunte das Ausland über diese Wahl
15) wäre ich endlich mal stolz auf Deutschland.

Leider entscheide ich aber nicht, sondern Merkel.
Und die mag Typen wie Pofalla oder Gröhe.