Donnerstag, 2. Oktober 2025

Rechts und Reiche

Man kann natürlich stramm konservativ sein. In dem klassischen schlechtesten Sinne, daß man stur auf Vergangenem beharrt, keinerlei Toleranz für Veränderungen oder andere Lebensentwürfe aufweist.

Wie viele Menschen, verstehe ich mit zunehmendem Alter sogar den Impetus. Es gibt nämlich immer Veränderungen und je weiter diese fortschreiten, desto mehr fällt einem selbst auf, wie Selbstverständlichkeiten, die man als Jugendlicher nicht einmal wahrnahm, zu Kategorien werden, die in der Gegenwart ganz anders gehandhabt werden.

Ein gutes Beispiel für mich sind Achsel- und Schambehaarung. Natürlich war ich als Jugendlicher auch regelmäßig in der Umkleide der Sporthalle und im Schwimmbad und habe meine Mitschüler unbekleidet gesehen. Aber ich habe bis in meine Mittdreißiger nie Achselbehaarung gesehen, weil das einfach nichts war, auf das man achtete. Das war so irrelevant, daß ich unmöglich sagen kann, ob und wie jemand unter den Armen mit Fell ausgestattet war.

Die Moderne brachte aber für einen alten – konservativen – Menschen wie mich, irgendwann die Erkenntnis, daß Jugendliche penibel jede Körperbehaarung entfernten. Und zwar so konsequent, um fürchterlich gehänselt zu werden, wenn sich mal einer nicht an den neuen Codex hält.

Erst mit dieser Erkenntnis fiel mir rückwirkend auf, diesbezüglich in einer anderen Zeit gelebt zu haben, deren Achseltoleranz nie mehr zurückkommen wird.

Das Thema ist auch deswegen ein gutes Beispiel, weil mich der neue Umgang mit dem Terminalhaar der Regio pubica gar nicht tangiert. Die Teens und Twens können das nach Belieben handhaben, ohne irgendwelche Auswirkungen auf mein tägliches Leben.

Immer mehr Auffälligkeiten triggern meinen konservativen Impetus und summieren sich zu einem diffusen Unbehagen: Unselbstständige Jugendliche, die von Elterntaxis gefahren und Helikopter-Müttern umsorgt werden. Der Verlust der Fähigkeit mit der Hand zu schreiben. Die totale Vernachlässigung von Rechtschreibung, das am Handy kleben, die Notwendigkeit, bei jedem Schritt auf der Straße einen bunten Coffee-to-go mit sich zu führen, der uniforme Vollbartlook aller Twens, der dubiose Drang, alle zwei Minuten ein Selfie zu machen.

Das nervt mich alles und führt zu einem Alterskonservatismus, der sich in einem gewissen Dauerstirnrunzeln und latenter Verachtung zeigt.

Ich bin aber nicht rechts. Deswegen schlägt diese kontinuierliche Verwunderung über die Sonderbarkeiten der Jugend, nicht in Forderungen nach Regeln und Verboten um. Ich würde niemals den Kindern von heute aufoktroyieren, so zu leben wie ich in ihrem Alter. Obwohl ich es besser fände. Ich lasse meine latenten Ablehnungsgefühle nicht meine Vernunft steuern. Die Frisuren und die Musik, die heute bei Teens und Twens populär sind, finde ich fürchterlich. Aber die Menschen um die 50 Jahre in den 1980ern dachten garantiert genauso über meine Mitschüler und mich. Das gehört nun einmal zur menschlichen Kultur. Neue Moden und gesellschaftliche Fortschritte, hinter die man nicht mehr zurück geht.

Wer nicht nur „alterskonservativ“, sondern rechts ist, erlässt Sprachverbote (keine PolitikerInnen und Sojawurst mehr), will den liberalen Umgang mit Cannabis abschaffen und queere Minderheiten drangsalieren.

Diesen intoleranten Konservatismus zeigen die regierenden Unionspolitiker, wie Söder, Merz, Weimer, Prien, die ihre Machtpositionen nutzen, um ihrer Intoleranz zu frönen. Transmenschen raus aus der Öffentlichkeit, Schwule sollen gefälligst nicht so schrill sein, Bockbier-saufen ja, Kiffen nein. Vegetarier auslachen, Gendersprache verbieten. 

Die Gaslobbyistin Katherina Reiche (*1973 in Luckenwalde) fiel schon im zarten Alter von 29, als Mitglied des Stoiber-Wahlkampfteams (2002), besonders rechts auf. Ihre drastische Homophobie machte sie damals bundesweit bekannt. Im folgenden Jahr zeigte sie sich zudem als privatwirtschaftlich und unternehmerisch maximal inkompetent, als sie mit ihren Eltern nicht nur die Familienfirma Hesco Kunststoffverarbeitung in die Insolvenz steuerte, sondern auch wegen Insolvenzverschleppung, Untreue und Unterschlagung vor Gericht stand.

Reiche liefert das ganze Paket: Fies, intolerant und unfähig.

In den folgenden zwei Dekaden entwickelte sie ihre Skrupellosigkeit weiter, indem sie als Gaslobbyisten für den Hitzetod des Planeten kämpfte.

[….] Wie die Autolobby der CDU ihre Positionspapiere schreibt

»LILA – Änderung vom VDA«: Ein geleaktes Positionspapier der Union zeigt, wie sich die Partei ganze Passagen vom Lobbyverband der Autoindustrie diktieren lässt. Für die CDU kein Problem.

[….] Der Verband der Automobilindustrie, kurz VDA, verfügt jedenfalls über einen sehr kurzen Dienstweg in die CDU. Das geht aus einer internen Unterlage hervor, die dem SPIEGEL zugespielt wurde. Der schlichte Titel: »Positionssammlung zur IAA 2025«, also der Internationalen Automobilausstellung Anfang September in München. Daneben prangt das Logo der Fraktion von CDU und CSU. Doch schon gleich darunter findet sich ein heikler Einschub: »LILA – Änderung vom VDA« Dann folgen vier Seiten, gespickt mit Einfügungen in Lila, der Handschrift des Verbands.

Die enge Bande zwischen der Lobbyistentruppe der deutschen Autoindustrie und der CDU hat Tradition. Seit je gibt es einen Personalaustausch. Der langjährige VDA-Chef Matthias Wissmann diente zuvor als Bundesverkehrsminister für die CDU unter Kanzler Helmut Kohl. Der SPIEGEL konnte ihm immer mal wieder nachweisen, wie er seine alten Kontakte spielen ließ, etwa beim Thema Emissionskontrollen. Schon damals, im März 2015, gelang es Wissmann, dass sich das Kanzleramt unter Angela Merkel in Brüssel gegen strengere Abgastests (»realistisches Gesamtpaket«) engagierte. Damals hatte auch Eckart von Klaeden, der Mercedes-Cheflobbyist und Ex-Staatsminister der CDU im Kanzleramt, mit interveniert. Man kennt sich, man schätzt sich. Es gibt einen kurzen Draht.

[….] Wissmanns spätere Nachfolgerin, die CDU-Politikerin Hildegard Müller, war eine enge Vertraute von Angela Merkel und wurde 2005 Staatsministerin im Kanzleramt. Seit 2020 lenkt die CDU-Frau nun schon die Geschicke des VDA, [….] In diesem Sinne folgt ein paar Zeilen weiter der Einschub des VDA in eckigen Klammern. Der Umstieg auf Elektroautos werde zu weniger Beschäftigung führen. »Doch es liegt an der Politik, ob Zukunftsinvestitionen wieder in DE getätigt werden und so neue Jobs entstehen.« [….] Im weiteren Text verschwimmt immer mehr, von wem welcher Gedanke im Positionspapier denn eigentlich von der Union stammt. In der dem SPIEGEL vorliegenden Fassung (»Entwurf_Textbausteine_AG03«) schreibt offensichtlich auch der Bundestagsabgeordnete Tilman Kuban mit. Der Ex-Vorsitzende der Jungen Union oder seine Mitarbeiter fügen ihre Anmerkungen mit roter Schrift hinzu und unterstützen dabei die Punkte des VDA. [….] In ihrer Positionssammlung brandmarkt die Union das »übergriffige Verbrenner-Aus«, ganz im Sinne des VDA, [….] So hangeln sich Union und VDA zu einem Papier aus einer kollektiven Schreibwerkstatt. Es ist kaum mehr erkennbar, wessen Interessen hier vertreten werden: die der Union oder die der Autoindustrie? [….]

(Gerald Traufetter, 01.10.2025)

Reiche ist dabei nicht nur käuflich und würgt für ihre Finanziers wider besseres Wissen massiv die deutsche Wirtschaft ab.

Ihr rechter Konservatismus zeigt nicht nur Schnittstellen mit Bestechung und Amoral, sondern auch mit enormen charakterlichen Defiziten. Karl-Theodor Baron von und zu Googlebergs Freundin ist borniert und schlicht unsympathisch.

[….] »Wir sind in der längsten wirtschaftlichen Schwächephase seit 1945«, sagt Peter Leibinger, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), der neben Reiche auf der Bühne steht. [….] Doch Leibingers eigentliche Botschaft an sie lautet: Es genügt nicht mehr, kein Robert Habeck zu sein. Reiche muss liefern, sie hat nicht viel Zeit. [….] Reiche hat mindestens drei Probleme. Erstens: Je kleiner Robert Habeck im Rückspiegel wird, desto mehr droht sie selbst zum Gesicht der Krise zu werden. Und diese Krise will partout nicht weichen. Der von Kanzler Friedrich Merz schon für den Sommer versprochene Aufschwung ist nirgends in Sicht[….] Zweitens: Reiche hat kein Bundestagsmandat, hat keinen Landesverband, der sie mit Verve unterstützt, ihr fehlt eine Hausmacht. Im eigenen Ministerium misstrauen ihr viele, und die Sicht der Bürgerinnen und Bürger auf Reiche wird auch immer negativer. In einer Ipsos-Umfrage aus dem September gaben 50 Prozent an, »sehr unzufrieden« mit der Arbeit der Wirtschaftsministerin zu sein, nur 8 Prozent »sehr zufrieden«. [….] Problem Nummer drei ist das vielleicht größte: Zwischen Reiches teils großspuriger Rhetorik und ihren Erfolgen klafft eine Lücke. [….]

Reiche [….] erweckt regelmäßig den Eindruck, dass praktisch nur Gaskraftwerke die Stromversorgung absichern könnten – weshalb ihre Gegner sie inzwischen als »Gas-Kathi« verspotten. [….] Schon im eigenen Haus scheint Reiche wenig Rückhalt zu haben. »Man braucht Leute, die pushen«, sagt ein langjähriger Ministeriumsmitarbeiter. Reiche aber sei Mikromanagerin und habe im Haus eine Atmosphäre geschaffen, in der sich niemand mehr traue, selbst etwas zu entscheiden. Ihre Fürsprecher betonen dagegen, dass es sehr wohl viel Eigeninitiative im Ministerium gebe – räumen aber auch ein, dass Reiche eben nicht kommuniziere und führe wie Habeck. Der Grüne galt als offen, nahbar, jovial. Reiche wirkt in den Augen vieler aktueller und ehemaliger Mitarbeiter eher wie das Gegenteil: misstrauisch, distanziert, ängstlich, auf größtmögliche Kontrolle bedacht. [….] Auch in der Koalition macht sich Reiche zunehmend Feinde und gilt nicht gerade als Sympathieträgerin. Mit Umweltminister Carsten Schneider (SPD) geriet sie mehrmals in Fragen von Klimaschutz und grünen Technologien aneinander. Mit Forschungsministerin Dorothee Bär (CSU) stritt sie lange Zeit über Zuständigkeiten, vor allem in Sachen Raumfahrt. [….] Sie sei eine Lobbyistin fossiler Konzerne, eine Ideologin ohne Tiefgang, lästern führende Sozialdemokraten. Selbst die Fachebene in ihrem eigenen Haus klage über die Wirtschaftsministerin, heißt es. [….] Noch schärfer formuliert Michael Kellner, energiepolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion: »Ich habe insgesamt das Gefühl, dass Katherina Reiche alles tut, um das alte Geschäftsmodell der Energiekonzerne zu schützen.« Dass Reiche ihre Fachebene nicht eingebunden habe, sei »problematisch«. [….] Dann stellte sich heraus: Reiches Zehnpunkteplan, mit dem sie auf den Monitoringbericht reagierte, deckte sich in einigen Passagen teils wörtlich mit einem im Februar veröffentlichten Positionspapier der Energieriesen RWE und E.on. Dass Reiche bis vor ihrem Wechsel an die Spitze des Wirtschaftsministeriums Chefin der E.on-Tochter Westenergie war, ließ die Sache nicht besser aussehen. [….] [….]

Dass es Reiche als Frau in der sich unter Friedrich Merz wieder stark zur Herrenpartei entwickelnden Partei nicht leicht hat, mag eine Erklärung für die geballte Ablehnung sein. Aber es liegt auch an ihrer unnahbaren Art. [….] Bei ihren TV-Interviews antworte sie wie ein Roboter, haben auch ihre Parteifreunde registriert, es sei grauenhaft. Man könne sich das kaum ansehen. Reiche sei schroff, abweisend, unzugänglich, beratungsresistent. »Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie«, zitieren sie dann die CDU-Wirtschaftsikone Ludwig Erhard. Und demzufolge sei Reiche genau die Falsche in der Regierung. [….]

(Der Spiegel, 01.10.2025)