Samstag, 26. September 2020

Ich war noch nie im Leben Frau

Man muss nicht wissen wie eine Schwangere fühlt, weil Mann das kann, um zu beurteilen wie die rechtliche Lage mit Schwangerschaftsabbrüchen sein sollte.

Es gibt nämlich nicht „die Frau“. Frauen sind nicht alle gleich und daher kann es auch keine strafrechtliche Vorschrift geben wie eine Frau mit ihrem Uterus zu verfahren hat.

Es ist aus staatlicher Perspektive ganz einfach; es ist nämlich eine individuelle Entscheidung.

Der Staat, die Gesellschaft, das System, die Behörden sollen Hilfe anbieten. Sie sollen beraten, unterstützen, informieren. Auf freiwilliger Basis selbstverständlich.

Frau A ist sicher was sie tun will, Frau B grübelt, Frau C hat eindeutig ihren eigenen Willen, Frau D ist sehr beeinflussbar. So ist es nun einmal; daher kann man Unterstützung stets nur anbieten und darf sie nicht oktroyieren.

Ich war noch nie im Leben Frau, aber ich kann mir immerhin eins gut vorstellen: Wenn man unter schwierigen Umständen von seiner Schwangerschaft erfährt, viele Argumente abwägt, aber eine Entscheidungsvariante erheblich erschwert ist, weil sie teuer, illegal, geächtet ist und auch noch unter enormen Zeitdruck steht, wird ein ergebnisoffener Entscheidungsprozess noch viel schwieriger.

Das ist keine Frage des „Frau-Seins“, sondern der Logik. Wer sich unter Druck intensiv mit dem Problem beschäftigen muss, wo und wie man überhaupt abtreiben könnte, dafür große Geldsummen auftreiben muss, zu dubiosen Kontaktleuten gehen muss und weite Reisen auf sich nehmen muss, dem bleibt nichts anderes übrig, als sich sofort darum zu kümmern.

Schwangerschaften werden unterbrochen, auch wenn die Todesstrafe darauf steht. Der enorme juristische Druck behindert aber eine Entscheidung.

Dieser Befund ist empirisch eindeutig belegt. In allen Ländern, in denen seit den 1970er Jahren die Abtreibungsgesetze liberalisiert wurden, legale Möglichkeiten geschaffen wurden und somit ein großer Mühlstein bei den Entscheidungsprozessen vom Hals entfernt wurde, gingen die Schwangerschaftsunterbrechungszahlen drastisch zurück.

Es gibt also zwei Argumentationslinien pro liberales Abtreibungsrecht:

1.) A priori anzuerkennen, daß die Entscheidung über den Uterus nur der Frau zusteht.

2.) A posteriori empirisch festzustellen, daß es viel weniger Abtreibungen gibt, wenn man sie nicht verbietet.

Es sollten also konservative Christen, patriarchalische Rechte, fanatische „Lebensschützer“ einerseits und Humanisten, Liberale, Aufgeklärte andererseits zu dem gleichen Schluss kommen: Abtreibung darf nicht unter Strafe gestellt werden.

Für Erstere ist das wichtig, um weniger „abgetriebene Föten“ zu bekommen und für Letztere, um Frauen nicht zu bevormunden.

Warum ziehen aber Linke und Rechte in dieser Frage offensichtlich nicht an einem Strang, wenn doch nur die eine rechtliche Methode für beide Parteien ein besseres Ergebnis liefert?
Wieso sind konservative Christen insbesondere in den USA so besessen davon schwere Strafen zu verhängen, wenn eine Schwangerschaft unterbrochen wird?

Der Grund ist offensichtlich: Den Lebensschützern mit ihren kleinen Plastik-Föten geht es eben nicht darum weniger „Kinder abzutreiben“. Ginge es ihnen darum wären sie schließlich nicht so total desinteressiert daran geborene Kinder zu unterstützen, störten sie sich daran Kinder von Donald Trump in Käfige zu stecken, würden sie etwas gegen School-Shootings unternehmen.

Nein, der „Lebensschutz“ ist ein vorgeschobenes Argument. In Wahrheit geht es ihnen um einen Kulturkampf und die grundsätzliche Würde des Menschen.

Frauen sind für sie zweitklassig, sollen sich unterordnen und eben nicht frei entscheiden.

Sie fürchten sich vor Feministinnen, hassen die Ruth Bader Ginsburgs dieser Welt, weil sie klug und unabhängig sind.

Daher wünschen sich Republikaner und Donald Trump eine ultrafanatische Religiotin wie Amy Coney Barrett als neue Supremecourt-Richterin. Sie würde grundsätzlich gegen Frauen entscheiden und da sie selbst eine Frau ist damit als Inkarnation des feuchten Traumes aller erzkonservativen Männer fungieren.

Ein halbes Jahrhundert nach Roe v. Wade, als der der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten am 22. Januar 1973 mit einer Mehrheit von sieben zu zwei Richtern für ein liberales Abtreibungsrecht votierte, könnten die Uhren zurück aufs Mittelalter gestellt werden.

[…..] Barrett, 48, […..] gilt als harte Abtreibungsgegnerin. In ihrer Anhörung 2017 sagte sie, Abtreibungen seien "immer unmoralisch". In den zwei Fällen, in denen sie als Bundesrichterin über Abtreibungsfragen zu entscheiden hatte, sprach sie sich für mehr Restriktionen aus. Die große Sorge des liberalen Amerika ist, dass mit einer Verfassungsrichterin wie ihr am Supreme Court ein wegbereitendes Abtreibungsurteil aus den Siebzigerjahren überstimmt werden könnte, das jeden Bundesstaat verpflichtet, Abtreibungen möglich zu machen.  […..] Im Mittelpunkt ihrer Anhörung vor dem Senat 2017 stand ihr tiefer römisch-katholischer Glaube. Demokratische Senatoren hinterfragten, ob sie unabhängig von ihren religiösen Überzeugungen urteilen könne. Die demokratische Senatorin Dianne Feinstein brachte Zweifel an: "Das Dogma lebt laut in Ihnen", warf sie Barrett vor. Selbst religiöse Konservative fragten sich, ob Barrett ihren Glauben und die alltägliche Richtertätigkeit zu sehr vermische. […..]

(Thorsten Denkler, 26.09.2020)

[…..] In ihrer Zeit als Jura-Professorin an der renommierten Universität Notre Dame sagte sie einmal in einer Vorlesung, eine Justiz-Karriere sei immer nur ein „Mittel zum Zweck“ – und das Ziel sei, „das Reich Gottes aufzubauen“. (…)     Nicht nur die „göttlichen“ Äußerungen Barrets lassen bei Demokraten die Alarmglocken schrillen. Die 48-Jährige und ihr Ehemann sind zudem Teil der obskuren Sekte „People of Praise“. Dies berichtete die „New York Times“ bereits 2017. Mitglieder der Gruppe würden dem Bericht nach untereinander einen lebenslangen Treueid schwören, der als Bund bezeichnet werde.    Alle Personen innerhalb der Sekte seien „persönlichen Beratern“ zugeordnet, diesen gegenüber müssten sie Rechenschaft ablegen. Männer ordneten sich sogenannten „Köpfen“ unter, Frauen „Mägden“ – im englischen „Handmaids“ genannt. Die Gruppe soll ihren Mitgliedern auch ein striktes Rollenbild lehren: Ehemänner seien dem Sektenglauben nach die Oberhäupter und herrschten über die Familie, Frauen dagegen müssten sich dieser Hierarchie unterordnen.  Aussteigerin schildert menschenverachtendes Innenleben. […..]

(Frankfurter Rundschau via AMB, 25.09.2020)

Mit so einer rigiden Gesetzgebung, wie man sie von Trumps Epigonen Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und womöglich Amy Coney Barrett erwartet würde es im Zusammenhang mit der drastischen Einschränkung der Arbeit der amerikanischen Non-Profit-Organisation Planned Parenthood Federation of America (PPFA) mit ihren über 650 Kliniken und medizinischen Diensten mit Sicherheit einen gewaltigen Anstieg der Abtreibungszahlen geben. Allein schon, weil nicht mehr über Verhütungsmittel aufgeklärt und die Verfügbarkeit minimiert würde.

Zudem würden bei illegalen Abtreibungen „im Hinterzimmer“ viel mehr Frauen verletzt und sterben.

Aber genau das ist erwünscht von den Rechten.

Frauen sollen wieder unter die Knute und nicht selbst denken.

In diesem Punkt sind sich die Rechten aller Religionen und aller Länder übrigens einig. Immerhin.