Mittwoch, 19. August 2015

Zeitverschwendung.



Wie schrecklich, wie schrecklich – da ich heute Vormittag zu Hause war, habe ich mir im TV tatsächlich die Bundestagsdebatte zum sogenannten dritten Hilfspaket für Griechenland reingezogen.
Ich bin bekanntlich ein echter Politjunkie und gucke schon seit 30 Jahren alle Parlamentsdebatten, die ich zu fassen bekomme.
Danke Phoenix – auch wenn der stramm rechte CSU-Fan Gerd-Joachim von Fallois eher als Comedy taugt, wenn er seinem Widerwillen gegen alles Linke freien Lauf lässt.
Vor Beginn der Debatte befragte er den Griechenhasser und Schäuble-Schwiegersohn Thomas Strobl („Der Grieche hat jetzt lang genug genervt“) und Katja Kipping. Das war schon lustig, wie von Fallois noch nicht mal versuchte den Anschein von Neutralität zu erwecken, sondern klipp und klar auf Strobls Seite stand und Kipping scharf angriff.

Nun ja, in der Sache ist wenig zur Debatte zu sagen.
Es wird für Geld gebürgt, das wie bei einem Durchlauferhitzer durch Griechenland gejagt wird. Es bleibt nichts im Land, sondern fließt direkt an die Banken zurück, so daß sich deutsche Anleger über hohe Zinsgewinne freuen können.
Griechenland selbst werden dabei all die Harakiri-Konzepte aufgezwungen, die den dramatischen Wirtschaftseinbruch von 30% erst verursacht haben.

Jeder weiß, daß es einen Schuldenschnitt geben MUSS – so wie ihn auch andere Länder immer wieder gewährt bekamen – vor allem Deutschland nach den Kriegen!
Nur Merkel will das partout nicht einsehen und steht nun vor dem Dilemma sich auf zwei Dinge festgelegt zu haben, die sich gegenseitig ausschließen: IWF-Beteiligung und striktes Nein zum Schuldenschnitt.
Der IWF besteht aber inzwischen auch auf einen Schuldenschnitt und wird anderenfalls nicht in ein neues Hilfspaket einzahlen.
Bitter Witz am Rande: Tsipras hätte ganz gerne den vermeidlich harten Hund IWF an Bord – also die Institution, die Merkel im Jahr 2010 holte, um Härte gegen Griechenland zu demonstrieren – weil der IWF bei weitem nicht so exorbitant hohe Zinsen wie die EU-Institutionen vom griechischen Staat abgreift.

Willkommen in Schilda.

Ich halte es bekanntlich mit Egon Bahr. Politik muß nicht übertrieben ehrlich sein, aber es muß gelten:

„Nicht alles was wahr ist muß gesagt werden, aber alles was gesagt wird, muß wahr sein!“

An diesem Anspruch scheiterten heute alle drei Regierungsparteien grandios.
Anton Hofreiter ist ein so grottenschlechter Redner, daß man ihm einfach nicht zuhören kann, so blieb, wieder einmal, NUR Gregor Gysi, der heute hörenswert war.

Es geht um 86 Milliarden Euro, davon erstens für Altschulden 54 Milliarden Euro. Das heißt, man macht neue Schulden, um alte Schulden zu begleichen, und aus diesem Kreislauf kommt man nicht mehr heraus. Zweitens. Für Pleitebanken - statt Insolvenzen von Banken mit Erstattung der Guthaben hinzunehmen - stellen wir, nein, nicht wir, sondern die entsprechenden europäischen Einrichtungen wieder 25 Milliarden Euro zur Verfügung. Das Dritte - das stimmt, was Herr Schäuble gesagt hat -: 11 Milliarden Euro dienen dazu, offene Rechnungen des Staatsapparates zu begleichen, Löcher zu stopfen. Für die dringend notwendigen Investitionen wird von diesen Euros nicht einer verwendet. Nicht einer!
Aber es könnte ja auch Positives geben.    Ich komme zum Ersten. Griechenland hat ja aus anderen Fonds bis zum Jahre 2020 Anspruch auf 36 Milliarden Euro, die man tatsächlich für Investitionen verwenden könnte. Das Problem ist nur: Bisher hat Griechenland davon keinen Euro bekommen, weil es die Eigenmittel nicht aufbringen kann, die dafür gefordert sind. Da geht es Griechenland so wie unseren armen Kommunen, die nicht an Fördergelder herankommen, weil sie die Eigenmittel nicht aufbringen. Das ist dieselbe Struktur.
[….]  Erstens. Deutschland hat bisher in der Krise keinen einzigen Euro an Griechenland gezahlt. Diese Tatsache müssen wir immer wieder benennen.
Zweitens. Die Bundesregierung hat gegen unseren Willen allerdings unterschrieben, für 27 Prozent der während der Krise aufgenommenen Schulden von Irland, Spanien, Portugal, Zypern und Griechenland zu haften. Das gilt auch für die jetzt geplanten 86 Milliarden Euro.
Drittens. Wenn eines - oder mehrere - dieser Länder in die Pleite getrieben und zahlungsunfähig wird, dann also haften wir dank Ihrer Unterschrift, Frau Merkel und Herr Schäuble, und zwar im Umfange von 27 Prozent.
Viertens. Wenn ein Staat pleitegeht, bedeutet dies für die dortige Bevölkerung eine schlimme Verarmung, Massenarbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, ein Netz von Suppenküchen, also eine Katastrophe. Es bedeutet für unsere Bevölkerung, dass wir dann in Milliardenumfang zahlungspflichtig werden. Das heißt, auch bei uns leitete sich ein weiterer Verarmungsprozess ein.
Fünftens. Also müssen wir doch genauso wie die irische, spanische, portugiesische, zypriotische und griechische Bevölkerung für einen Auf- und nicht für einen Abbau dieser Länder streiten.
Dann ginge es sowohl den Menschen dort als auch bei uns besser. Für Griechenland bedeutete das endlich Investitionen in Bildung, Solarindustrie, Tourismus und Schiffsindustrie. Wenn Sie die anderen zerstören, zerstören Sie auch unser Land. Diese Tatsache müssen wir verdeutlichen.
(Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Wenn, aber das ist ja nicht so!)
Aber Sie bauen dennoch weiter und schlimmer ab.


Ganz ganz übel: Thomas Oppermann, der direkt nach Gysi sprach.
Was ist nur mit dem passiert? Zwischen 2009 und 2013 war er der einzige richtige Lichtblick in der SPD-Fraktion, fleißig, gut informiert und immer Schwarzgelb fordernd.

Seit er Chef einer Regierungsfraktion ist, mutierte Oppermann hingegen zu einem behäbigen selbstzufriedenen Sprechautomaten, der auch noch – siehe Causa Edathy – unprofessionell ist.
Zu Gregor Gysi hatte er inhaltlich NICHTS zu entgegnen, sondern verwarf von oben herab seine gesamte Rede als schwach und misslungen, weil Gysi illoyal und seiner Schwesterpartei Syriza in den Rücken gefallen wäre!
Also ob das irgendeine ökonomische Bedeutung hätte, ob man ein Paket, zu dem das griechische Parlament GEZWUNGEN wurde auch absegnet.

Ganz ganz schlecht Oppermann.
So schlecht, daß ich von den noch viel schlechteren Typen – Kauder, Schäuble und Hasselfeldt gar nicht erst anfange.
Merkel selbst hat sich ausgeschwiegen.
Dadurch wurden ihr 83 Stimmen aus der CDU/CSU-Fraktion verweigert (63 Nein-Stimmen, 3 Enthaltungen, 17 waren gar nicht erst angereist, um sich vor der Entscheidung zu drücken.)
Da sich Merkel am Wochenende ausdrücklich hinter Kauders Drohungen gestellt hatte, Abweichler zu bestrafen, ist das kein schönes Ergebnis für sie.
Und es kommen noch einige Griechenland-Abstimmungen.

[….] Das neue Hilfspaket für Griechenland ist bewilligt, die Eurofinanzminister haben die erste Kreditrate freigegeben. Doch mit dem Geld werden vor allem alte Schulden bedient. Für Investitionen in die Zukunft des Landes bleibt kaum etwas übrig.
[….] Maximal 86 Milliarden Euro erhält das hochverschuldete Griechenland in den kommenden drei Jahren. Die erste Tranche von 23 Milliarden Euro soll noch am Donnerstag fließen, wie eine Sprecherin der EU-Kommission am Mittwoch erklärte.
Zehn Milliarden davon sollen die griechischen Banken mit neuem Geld versorgen, 13 Milliarden gehen direkt an die Regierung in Athen. Und das keinen Tag zu früh: Ebenfalls am Donnerstag muss Griechenland 3,2 Milliarden Euro plus Zinsen an die Europäische Zentralbank zurückzahlen. Auch die Begleichung der letzten Brückenfinanzierung von 7,16 Milliarden Euro, die Griechenland bis zum Start des neuen ESM-Programms über Wasser hielt, wird fällig.
Weitere drei Milliarden sollen bis November ausgezahlt werden. Sie sind allerdings an die Erfüllung von Reformauflagen gebunden. Und von denen gibt es einige. So muss Athen die öffentliche Verwaltung modernisieren. Auch das teure Rentensystem soll stark reformiert werden: Anreize für Frühverrentung sollen abgeschafft und das normale Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöht werden. Auch der Finanzsektor und der Arbeitsmarkt sollen modernisiert werden.
[….] Kreditrückzahlung hat Vorrang vor Investitionen. [….]