Freitag, 2. September 2016

Merkwürdige Merkel



Parteitaktisch gesehen ist es tatsächlich klug von Merkel, daß sie recht un-ideologisch ist. Sie macht das, was sich bei den Lobbyisten am besten auszahlt, sorgt für glückliche Großspender und wohlgesonnene Verleger-Milliardäre.
So klafft zwar die soziale Schere in ihrer Kanzlerschaft immer gewaltiger auf, weil einseitig das obere eine Prozent der Deutschen immer reicher wird, aber das ist für die Wiederwahlchancen unterm Strich besser, als umgekehrt.
Arme und Ungebildete gehen ohnehin fast nicht wählen oder neigen dazu Protestparteien anzukreuzen.
Das obere Prozent ist hingegen ein bestens vernetztes Multiplikatoren-Konglomerat, das für gute Stimmung, wohlwollende Presse und volle Parteikassen sorgt.
Und wenn es mal allzu sehr der politischen Stimmung abträglich ist, ist Merkel jederzeit bereit das Gegenteil des bis eben Behaupteten zu tun.
Atomeinstieg/Atomausstieg, Wehrpflicht/Berufsarmee, gegen/für Autobahnmaut – Merkel ist das alles im Grunde egal und tut das was ihren demoskopischen Werten am meisten nützt. Kein Regierungschef vorher ließ so massiv das Volk von Meinungsforschern ausspähen. Zweimal wöchentlich erhält Merkel Berichte darüber was das Volk denkt und passt ihre Linie a posteriori an.
Die Methode mag demokratisch wirken, ist aber realpolitisch untauglich, denn was das Volk mehrheitlich denkt – kein Geld für die faulen Griechen, Gauck ist ganz toll, Burkas verbieten – ist oft falsch.

Gelegentlich ist das Volk auch mal irritiert, wenn die begnadete Kontorsionistin Merkel zeigt wozu sie ob ihres entfernten Rückgrates fähig ist.

Der Kotau vor Erdogan ist ein ungeheuerlicher Skandal: Dass sich die Bundesregierung de facto von der Armenien-Resolution des Bundestages distanziert und damit auf die Erpressung von Erdogan hin bereit ist, die feststehende Tatsache zu leugnen, dass es vor 100 Jahren in der Türkei einen Völkermord an den Armenierinnen und Armeniern gab, ist ein ungeheuerlicher Skandal. Eine Regierung, die sich von den USA zu Sanktionen gegen Russland, zum Wegsehen gegenüber dem Ausspähen ihrer Bürgerinnen und Bürger durch einen amerikanischen Geheimdienst und nun auch von Erdogan erpressen lässt, gibt ihre Eigenständigkeit und Souveränität in beachtlichem Umfang auf. Und wozu das Ganze? Weil Erdogan anderenfalls nicht erlaubt, dass Bundestagsabgeordnete die auf einem türkischen Militärstützpunkt stationierten Bundeswehrsoldaten besuchen. Es gibt auch eine souveräne Reaktion auf Erdogans Erpressung: Die Stationierung wird beendet. Im Übrigen ist dieses Verhalten der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag grundgesetzwidrig. Der Bundestag steht über der Bundesregierung, sie ist ihm rechenschaftspflichtig und wird von ihm kontrolliert. Sie hat nicht das Recht, ihn zu negieren, zu missachten.


Ich wundere mich, daß sich die aufgebrachten Linken und Grünen jetzt so wundern.
Wer hat denn ernsthaft erwartet, daß Merkel gegenüber der Türkei auf einmal knallhart und konsequent wird? Einknicken kann sie wie keine Zweite.
„Abhören unter Freunden geht gar nicht“ und dann nahm sie achselzuckend weiter das Treiben der NSA hin, will den Fall noch nicht mal aufklären lassen, weil sonst Washington verstimmt sein könnte. Daher hält sie die Selektorenliste unter Verschluss und wagt es nicht Ed Snowden einzuladen.
Erdogan hat zudem mit 2,5 Millionen Flüchtlingen das ultimative Druckmittel in der Hand. Selbstverständlich wirft sie sich also vor ihm in den Staub und küsst ihm so lange die Füße bis er zufrieden ist.

Viel eigenartiger und verwunderlicher sind die ganz wenigen Fälle, in denen Merkel doch so ideologisch denkt, daß sie sich dafür ohne Rücksicht auf Verluste einsetzt.
Das kommt zwar extrem selten vor, aber es gibt diese Fälle.

Merkel wollte beispielsweise unbedingt an der Seite George W. Bushs am Irakkrieg teilnehmen. Obwohl das in Deutschland sagenhaft unpopulär war, flog sie eigens nach Washington, um coram publico vor Bush auf den Knien  zu rutschen.

Ebenso verrückt und ideologisch ist ihre persönliche Aversion gegen Putin, die Merkel zum Schaden der deutschen Außenpolitik konsequent auslebt. Dabei umschmeichelt sie immer wieder Staatschefs, gegen die Putin ein wahrer Vorzeigedemokrat und Verfechter der Menschenrechte ist. Ägyptens Präsident Al-Sisi, der hunderte Menschen willkürlich hinrichten ließ empfing Merkel mit allen Ehren am 03.06.2015 im Kanzleramt.
 Erst vor drei Tagen, am 29.08. öffnete Merkel ihr Arbeitszimmer für den turkmenischen Despoten Gurbanguly Berdimuhamedow, der von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wird und bezüglich seines Personenkultes nur noch mit Kim Jong Un vergleichbar ist.
Just lud Merkel den Saudischen Kronprinzen Innenminister Mohammed bin Naif und Verteidigungsminister Mohammed bin Salman zu einem Besuch voraussichtlich Ende 2016 nach Berlin ein und ehrt damit das Land, das Terror finanziert, 10.000 Jeminiten abschlachten lässt, hunderte Atheisten und Schwule hinrichten läßt.
Stört Merkel kein bißchen.
Aber Putin wird seit Jahren auf ihr Betreiben von Gesprächen ausgeschlossen.

Verrückt ist auch, daß Merkel ihren dubiosen Finanzminister gewähren lässt, obwohl seine Politik eine der Hauptgründe für den desaströsen Zustand der EU ist.
Schäubles Austeritätsdiktat ist die Hauptursache für das Aussterben des europäischen Solidaritätsgedanken und die enorme Stärke der Rechtsradikalen und Europafeinde.
Ich verstehe nicht, wieso die superflexible Merkel ausgerechnet in diesem Punkt so verbohrt auf einer bewiesenermaßen völlig falschen Politik beharrt.

G20-Gipfel: Deutscher Bremsklotz
 Zum anstehenden G-20 Gipfel in Hangzhou, China erklärt Jürgen Trittin, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss:
Deutsche Ideologie bremst die G20 aus. Während China massiv Investitionen in Infrastruktur forciert, ist Deutschland bei Investitionen das Schlusslicht unter den G20. Die Konsequenz: unsere Infrastruktur zerfällt. Deutschland wird dadurch immer ärmer. Den Preis dafür zahlen künftige Generationen. Das Investitionsdefizit hat Merkel massive Kritik ihrer G20 Partner eingebracht. Der Vorwurf zielt auf die Politik, einerseits große Handelsüberschüsse einzufahren und gleichzeitig die EU-Nachbarstaaten zur Austerität zu zwingen. Mit seiner ideologischen Investitionsverweigerung ist Deutschland bei den G20 weitgehend isoliert. Es ist höchste Zeit, für die Wende. Wir müssen endlich in die Zukunft investieren.
Auch beim Klimaschutz blockiert die Bundesregierung. Mit dem Festhalten an der Diesel-Subvention und der dreckigen Kohle bremst die Bundesregierung die Energiewende aus. So wird Deutschland wird seine Klimaziele verfehlen. Es droht, dass die historische Chance vertan wird, mit den G20 die Weichen für die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens zu stellen.
(Pressestelle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 02.09.2016)