Früher, als die Welt noch besser war, ich mich nicht wie die Opa-Generation fühlte, die sich über merkwürdige Moden und Verhaltensweisen der Jugend wunderte und es noch kein Internet gab, galt ich in meinem Umfeld immer als der Typ, der über alles informiert war. Regelmäßig rief mich jemand an, begann mit den Worten „Du weißt doch immer alles“ und wollte irgendein politisches Detail wissen.
Da ich viel las, kannte ich auch als nicht reisefreudige Couchpotato viele Stories und verschickte oft Artikel, die ich in einem der Copyshops neben der Uni vervielfältigt hatte. Außerdem besaß ich eins der ersten Faxgeräte und ließ dauernd Zeitungsartikel an Verwandte und Freunde durchlaufen.
Aber nach und nach starben meine Verwandten und die Fax-Gerät-User. Das Internet kam und nun wußte Google alle Antworten.
Meines Erachtens, haben aber trotzdem noch viel zu viele Menschen ein Informationsdefizit, weil sie offenbar nicht an den richtigen Stellen des großen Netzes suchen, an Paywalls abprallen, oder bei irrelevanten Trash hängen bleiben.
Ich habe immer noch viele Informationen zu teilen, die ich jetzt per Email oder Messenger verschicke. Eigentlich.
Uneigentlich ist mein Output nahezu versiegt, weil immer mehr potentielle Adressaten, mir auf die ein oder andere Weise mitteilen, sie möchten davon zukünftig verschont bleiben. Es triggert sie zu sehr. Macht sie depressiv. „Regt mich nur noch auf!“
Irgendwann begannen sogar enge Freunde von mir zuzugeben, gar keine Nachrichten mehr zu sehen. „Ich will das alles gar nicht mehr so genau wissen“. Man könne ja eh nichts ändern, wolle sich den Tag nicht versauen. „Die da oben machen doch eh was sie wollen“. Es entsteht eine ungute Mischung aus Trotz, Frust und Faulheit. Nachrichtenabstinenz, die wahlweise mit Fatalismus oder Schutz der eigenen psychischen Gesundheit rechtfertigt wird. Eskapismus von der schnöden Realität. Flucht in die eigene Hygge-Welt.
Der verschämte Unterton verschwindet immer mehr. Heute wird mit Theatralik und Stolz erklärt, politisch desinformiert zu sein, sich regelrecht damit gebrüstet, die Ministernamen nicht zu kennen und nicht gewählt zu haben.
Der Spieß wird sogar umgedreht: „Du hat noch Zeitungsabos? Du guckst noch Monitor und Panorama? Das könnte ich gar nicht, dafür bin ich zu empathisch.“
Ein verqueres Bißchen an dieser Sichtweise ist richtig: Ja, es ist wirklich meistens höchst unerfreulich, Nachrichten zu sehen, Zeitungen zu lesen, Hintergründe zu vertiefen. Da wird einem jeder Optimismus ausgetrieben. Vor 30 und 40 Jahren habe ich mich auf den Montag gefreut, weil ich so gern SPIEGEL las. Die Lektüre war ausgesprochen erbaulich. Heute gibt es immer noch Journalisten, die sehr gut schreiben können, deren Artikel informativ und spannend sind, die man gern liest und zum Nachdenken anregen.
Aber der Topos ist fast immer frustrierend. Wer auch nur halbwegs realistisch auf das politische Geschehen unserer Welt blickt, muss zutiefst pessimistisch sein.
Ich kann an dieser Stelle aber nicht zur Rechtfertigung der politischen Ignoranz abbiegen.
Das Frustpotential darf eben nicht dazu führen, sich nicht mehr mit den Dingen zu beschäftigen. Denn von Apathie und Unterwürfigkeit leben die Weltenzerstörer des Kapitals, der Kirchen, der Korrupten und der Konservativen.
Ob Trump, ob AfD, ob Brexit oder Le Pen – nichts davon könnte ohne die Doofheit der Bürger und ihren Informationsmangel passieren.
Sich von „der Politik“ abzuwenden, sich von Zeitungen fernzuhalten, sich ins Nichtwähler-Lager zu flüchten, bewirkt eben kein Machtvakuum. Im Gegenteil. So wird es einfacher für die rechtsradikalen Arschlöcher, in Regierungsämter zu kommen, den Staat zu korrumpieren, die Umwelt zu ruinieren und den Bürgern das Leben zu vermiesen.
Man kann den Zug in Richtung Apokalypse nur aufhalten, indem man als Wähler wach und informiert ist. Nur wer sich intensiv mit den verdammten Nachrichten beschäftigt, sich um das Hintergrundverständnis bemüht, kann im Alltag mitreden, die Verbreitung von Fakenews eindämmen, die Mitbürger an die Wahlurne bringen, um sie zu animieren, die CDU/GOP-Orks von den Fleischtöpfen wegzujagen.
Trump, Erdoğan, Johnson, Merz, Orbán und ähnliche
Katastrophen wären nie an die Macht gekommen, wenn ihre Völker nicht so
desinformiert und passiv wären.
Die Welt wäre wesentlich weniger beschissen, wenn sich in den Demokratien nicht
so viele Demokraten ganz freiwillig aus dem demokratischen Prozess nähmen.
Allerdings war es „früher“ tatsächlich einfacher, politisch informiert zu sein. Vor dem Digitalzeitalter waren die Medienredaktionen Gatekeeper der Informationen. Sie filterten die wichtigen und wahren Geschichten aus. Eine seriöse Redaktion konnte recht vollständig informieren. Mit nur zwei Periodika der Woche – ZEIT und SPIEGEL beispielsweise - war man durchaus informiert. Ein Heft und eine Zeitung in sieben Tagen; ein sehr vertretbarerer Zeitaufwand.
In den 1970ern und 1980ern waren SPIEGEL, Stern, ZEIT, sowie ein paar Polit-Magazine im Fernsehen, die einzigen, die investigativ recherchierten. Aber die Tageszeitungen wurden immer besser. Heute halte ich die Süddeutsche Zeitung für das relevantere Recherchemedium, als den SPIEGEL. Das sind aber schon sechs dicke Zeitungen in der Woche. Die Zeitklau-Maschine Internet kommt natürlich noch dazu. Auch wenn dort 99% der „Informationen“ unseriöser Müll sein mögen, ist das eine Prozent aus vernünftigen Quellen natürlich immer noch unendlich viel mehr, als man konsumieren könnte.
Der Stecker darf aber nicht als Konsequenz ganz gezogen werden.
Nur noch Reality-Trash-TV und Fußball, kann nicht die Antwort auf Politik-Overkill sein. Es muss ein Mittelweg möglich sein.
Ich versuche, meinen Informationshaushalt kontinuierlich auszumisten. Jeden Tag zwar zunächst für alles offen zu sein, aber gezielt die Stränge zu kappen, die für mich persönlich irrelevant sind, oder aber schon aus der Überschrift genügend Informationen abzuleiten sind, um ausdrücklich nicht in die Diskussion einzusteigen.
Es gibt große Themenfelder, die ich immer komplett ignoriere – Gaming und Sport zum Beispiel.
Aber auch aktuelle Themen lassen sich einstampfen.
Heute poppt beispielweise der Streit um Israels Teilnahme am Eurovision Song Contest auf. Die Niederlande, Irland, Spanien und Slowenien werden die Show boykottieren. Russische Sänger rauswerfen, Israelische nicht? Ich finde, es gibt gute Gründe dafür, Sänger aus beiden Ländern zuzulassen. Man kann auch argumentieren, beide auszuschließen. Die inkonsequente Linie für den ESC 2026 ist offenkundig Schwachsinn. Thema abgehakt. Mehr lese ich dazu nicht.
Der korrupte Präsident Infantino der hochkorrupten FIFA, vergibt einen Friedenspreis an den korrupten Donald Trump? Was soll die enorme Aufregung darüber? Mehr muss ich nicht wissen.
Ich weiß auch, wie unsäglich amoralisch sich der deutsche Innenminister gegenüber Afghanen aufführt, denen Deutschland verpflichtet ist. Das muss ich nicht erneut vertiefen. Es gibt so viel Info-Müll, den man kappen kann. Man muss das nur auch tun und nicht doch durch immer neue Kommentare zu scrollen.
Heute stellte ich beim Einkaufen fest, wie sehr mich die verdammte Weihnachtsdeko
nervt und wie allergisch ich auf die elenden Weihnachgerüche mit ihrem olfaktorisch brutalen Glühwein/Bratwurst Odeur und obligatorischer Mariah Carey-Folter-Beschallung reagiere.
Aber statt mich nun abendfüllend darüber aufzuregen, erinnerte ich mich, daß es mir jedes Jahr so geht und ich doch eigentlich froh sein kann, dem Christenkonsumdreck nur sehr wenig ausgesetzt zu sein. Nur beim Einkaufen. Privat sehe ich so etwas nicht. Also Thema durch.




























