Nachdem ich nun eben zwei Stunden Laschet, Scholz und Baerbock auf RTL gesehen habe, bin ich kaum schlauer geworden, weil ich die Kandidaten und ihre Positionen vorher schon hinlänglich kannte. Keiner leistete sich einen extremen Lapsus, keiner brillierte mit einem Hieb. Am meisten überzeugte mich, wenig überraschend, Olaf Scholz.
Armin Laschet war, wie üblich, besonders peinlich, erging sich in unsinnigen von Unkenntnis gezeichneten Faseleien über angeblich von der SPD verhinderte Sicherheitsmaßnahmen.
Tanit Koch hatte mit ihm offensichtlich einige Draufhau-Sätze eingeübt, die er unbedingt coram publico laut deklamieren wollte, aber er schaffte es nicht, den richtigen Anknüpfpunkt zu finden und spulte "sie können nicht spielen wie Angela Merkel und reden wie Saskia Esken" noch hastig am Ende ab, als Scholz gerade die Koalition mit der Linkspartei ausgeschlossen hatte.
Laschets eingeübte Emphase gegen die bösen Kommunisten passte aber nicht nur inhaltlich nicht, sondern war zweitens auch eine peinliche verzweifelte Reminiszenz an „Rote Socken“-Kampagnen der 1990er. Was die CDU eben so tut, wenn sie selbst inhaltlich so gar nichts mehr beizutragen hat.
Dreifach peinlich wurde Laschets gefakter Ausbruch gegenüber den angeblichen Verfassungsfeinden bei der Linken, weil von den anwesenden Drei, eindeutig er selbst der einzige war, dem in der Hinsicht etwas vorzuwerfen ist. Die CDU kooperiert immer wieder mit der AfD, der CDU-Chef ist es, der nicht die Kraft und den Mut findet, sich gegen den Flirt der CDU-Fraktionen von Sachsen-Anhalt und Thüringen mit Antisemiten und Faschisten, auszusprechen.
Die auswendig gelernten Stanzen Laschets sind erstaunlich antik. Zum Thema „soziale Spaltung“ und Kinderarmut, plappert er tatsächlich das seit Ronald Reagan widerlegte Märchen vom „Trickle Down Effekt“ nach.
[……] Die Union geht, obwohl Friedrich Merz mit dieser wirklich jedem, der manchmal Zeitung liest, mittlerweile als Quatsch bekannten These, dass Steuersenkungen für Wohlhabende Wohlstand schaffen, weiterhin hausieren. Sogar der Wirtschaftsweise hat bei Illner am Donnerstag erklärt, dass das so nicht funktioniert. Das ist kontrafaktische Politik, wie von physikalischer Konservativenträgheit weiterbefördert. […..]
(Prof. Christian Stöcker, 29.08.2021)
Nun wird es niemand an dieser Stelle sehr überraschen, daß ich kein Fan von Armin Laschet bin und mir Olaf Scholz als Bundeskanzler wünsche.
Immerhin könnte die SPD zum vierten mal in der Geschichte der Bundesrepublik stärkste Partei werden. Bereits drei Institute sehen die SPD knapp vor CDUCSU. Nach den großen demoskopischen Veränderungen des Augusts, ist auch eine rotgrüne Kanzlermehrheit nicht mehr völlig ausgeschlossen, wenn Scholz und Baerbock noch jeweils drei, vier Pünktchen zulegen.
Realistischer ist aber natürlich ein Dreierbündnis und da meiner Ansicht nach, unbedingt eine Beteiligung von AfD, CDU, CSU und FDP an der nächsten Bundesregierung verhindert werden sollte, ist meine Wunschkoalition Rotrotgrün.
Die Variante ist leider von allen möglichen Bündnissen die Unbeliebteste in der Bevölkerung. Sehr viel deutet auf eine Jamaika-Koalition mit der SPD in der Opposition hin, weil die gesamte grüne Führung stark die CDU priorisiert. Da dies außerdem die einzige Konstellation ist, in der Laschet mit seinem Liebling Lindner zusammen regieren kann, würden sie allerhand Zugeständnisse an die Grünen machen. Die FDP kann sich nach 2017 ebenfalls kein erneutes Nein zu Jamaika leisten. Es wird also enormen Druck geben, ein schwarzgrüngelbes Bündnis einzugehen.
Baerbock räumt alle klassischen Hindernisse für Schwarzgrün eifrig ab. Sie will mehr Polizisten, mehr Geld für die Bundeswehr, Auslandseinsätze, Drohnen, mehr Rüstung, Videoüberwaschung – alles Punkte, die noch vor 20 Jahren für jeden Grünen absolute Ausschlusskriterien gewesen wären.
Die Grünen Landesverbände des Saarlands, Hessens, Baden-Württembergs und Hamburgs sind schon länger so stramm konservativ, daß sie jederzeit die CDU einer SPD vorziehen.
Dem schwarzgrünen Schulterschluss stehen aber auch einige wenige Punkte im Weg: Die Grünen und die FDP mögen sich habituell nicht. Das Klimathema, das Robert Habeck noch 2017 gleich freiwillig abräumte, um in die Bundesregierung zu kommen, ist diesmal viel wichtiger und lässt sich nur mit der SPD umsetzen. Die Steuerkonzepte von Grünen und SPD harmonieren eher als GrünSchwarz. Außerdem mag es einen gewissen Druck von der Grünen-Basis geben, nicht mit der CDU ins Bett zu gehen, wenn es auch für eine linkere Option reicht.
In Baden-Württemberg war der Druck allerdings nicht groß genug, um CDU-Liebling Kretschmann zur Regierungsbildung mit der SPD zu bewegen. Er wollte unbedingt weiter mit den erzkonservativen Atomfreunden von der CDU regieren.
Ein gutes Argument für eine Regierung links von der CDUCSU wäre ein möglichst starkes SPD-Ergebnis. Könnte die SPD deutlich zulegen, während die CDUCSU um über 10 Punkte abrutscht, würde dies allgemein als Wählerwille gegen einen CDU-Kanzler interpretiert und es wäre umso schwieriger für Habeck und Baerbock, Jamaika gegenüber einer Ampel oder RRG durchzudrücken. Also an alle CDU-Gegner da draußen: Wählt unbedingt SPD und nicht Grün oder Links – umso wahrscheinlich wird es, daß Laschet aus dem Kanzleramt ferngehalten wird.
Ich wünsche mir schon deshalb die ernste Möglichkeit von RRG, weil Olaf Scholz damit in den Koalitions-Sondierungen die Möglichkeit hätte, enormen Druck auf Lindner auszuüben. Der müsste in einer Ampel auf seine Steuergeschenke für die Superreichen verzichten, weil die SPD damit drohen könnte, anderenfalls die Linken ins Boot zu holen und die Superreichen noch erheblich mehr zu belasten. Für die FDP wäre es eine Möglichkeit ihr Gesicht zu behalten; sie könnten ihren Weg in die Ampel vor ihren rechten Gönnern damit rechtfertigen, damit den Kommunismus aufgehalten zu haben.
Genau deswegen hatte Scholz bisher RRG nicht explizit ausgeschlossen; als gewiefter Taktiker braucht er zumindest die Drohkulissen. Wohlwissend, daß diese Option mutmaßlich ohnehin an Baerbock und Habeck scheitern würde.
Bis heute.
Im Triell von heute schloß er nun doch de facto ein Bündnis mit der Linken aus.
Als Begründung führte er das skandalöse und moralisch verwerfliche NEIN der Linken zum Rettungseinsatz in Afghanistan an.
Keine Überraschung; schon in den Tagen zuvor äußerte sich Generalsekretär Klingbeil genau wie der erzkonservative ehemalige Grünen-Chef Özdemir wütend gegenüber der Linken.
[….] Nur fünf Linkenabgeordnete stimmten der Evakuierungsmission zu. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil warf der Fraktion nun aufgrund der vielen Neinstimmen und Enthaltungen Unanständigkeit vor. »Aus meiner Heimatregion sind Soldaten in Kabul, unter Einsatz ihres Lebens«, sagte Klingbeil den Sendern RTL und n-tv. »Sie haben in den letzten Tagen 5000 Menschen gerettet, sie haben Leben gerettet, und das, was sie brauchen, ist volle Rückendeckung aus dem Parlament.« Die Linksfraktion habe diese Rückendeckung verweigert: »Das ist unanständig, und das zeigt eben auch, dass die Linke beim Thema Außen- und Sicherheitspolitik nicht berechenbar ist.« Auch andere Vertreter von SPD und Grünen empörten sich über den Kurs der Linken. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir zweifelte gegenüber der »Welt« an der Regierungsfähigkeit der Partei: »In einer Regierung könnte sie sich so nicht verhalten«, sagte Özdemir. »Mit ihrem erratischen Abstimmungsverhalten verbaut sich die Linke außenpolitische Handlungsfähigkeit und läuft vor der Verantwortung davon.« Özdemir betonte, dass der Einsatz der Bundeswehr bei der internationalen Evakuierungsmission am Kabuler Flughafen auf die Rettung von Menschen abziele. »Dass die Fraktion der Linken sich im Bundestag selbst bei der Abstimmung über eine Rettungsmission enthalten will, in der über Leben und Tod entschieden wird, ist mir unbegreiflich«, sagte er. [….]
Lars Klingbeil hat Recht. Es ist nicht nur amoralisch, die Bundeswehrhelfer den Taliban zu überlassen, es zeigt auch die realpolitische Unfähigkeit der Linken. Wenige Wochen vor der Bundestagswahl rollt sie auf einmal solche gewaltigen Hindernisse in den Weg Richtung RRG. Damit beraubt sie sich selbst einer Machtoption. Dumm.
Nun wettert die AfD-Alliierte Wagenknecht gegen die SPD, statt den Menschen in tödlicher Gefahr zu helfen.
Annalena Baerbock schloss ohnehin ein RRG-Bündnis aus, aber nachdem nun auch Scholz die Option vom Tisch nahm, wird es verdammt schwer eine Bundesregierung ohne schwarz und gelb zu bilden.