Da die Deutschen keine Veränderungen mögen, entwickeln sie zu allem eine emotionale Anhänglichkeit, das einfach nur lange genug da war – auch wenn es noch nie gut war.
Raserei auf der Autobahn, Jogi Löw, Thomas Gottschalk, Ladenschlussgesetz, Roland Koch, Günther Jauch, Helmut Kohl, ZDF Traumschiff, Angela Merkel.
Die ehemalige Bundeskanzlerin war volle 31 Jahre ganz oben in der Politik: Bundesministerin, Generalsekretärin, Parteivorsitzende, Fraktionsvorsitzende, Kanzlerin. Mehr als drei Jahrzehnte und kein einziger Tag davon ohne ein prestigeträchtiges Amt.
Ihr erfolgreichster Wahlslogan war daher „Sie kennen mich!“, auch wenn es insofern etwas frech war, als man sie auch nach drei Dekaden eben nicht kannte.
Das war ihr zweites großes Erfolgsgeheimnis; sie hat sich niemals vehement für irgendein Anliegen eingesetzt und auch noch in den letzten beiden Monaten ihrer Kanzlerschaft, die Corona-Politik desinteressiert gegen die Wand fahren lassen, obwohl sie intellektuell verstand, was zu tun wäre und nichts mehr zu verlieren hatte. Es geht offenbar gegen ihre Natur, sich wirklich einzusetzen.
(….) Warum versündigt sich Angela Merkel also so sehr an Deutschlands Zukunft, nachdem sie schon ihre Entlassungsurkunde erhalten hat? Es ist nun einmal ihre Art. Die Frau ist viel leichter zu durchschauen, als es ihr Sphinx-artiges Image suggeriert. Sie mag einfach gern Kanzlerin sein und bombige Beliebtheitswerte genießen.
Daher läßt sie wie keine andere Politikerin manisch Umfragen erstellen, versucht nicht anzuecken und richtet sich letztlich nur danach, was ihr am meisten demoskopische Punkte bringt.
Merkel ist moralisch und charakterlich nicht zu einer Führungsrolle geeignet. Sie ist zwar intelligent genug, um zu begreifen, welche Dinge anstehen, aber wenn das nicht ganz leicht funktioniert, verliert sie schnell das Interesse und verschwendet keine Energie mehr drauf.
Bildungsgipfel, Afghanistan, europäische Flüchtlingspolitik, Klimawandel, Beziehungen zu Russland, Dialog mit China, Steuerreform, Energiewende, – alles tickte sie in den letzten 16 Jahren irgendwann mal an, gab aber gleich wieder auf, als sie auf Schwierigkeiten stieß. Dem Urnenpöbel spielte dieses Verhalten in die Hände, denn er mag keine Veränderungen. Das belegt die Unzufriedenheit all der Konservativen mit dem Flüchtlingsjahr 2015.
Wohlmeinende Merkelianer interpretieren die damals offen gehaltenen Grenzen als Merkels christlichen Moment, als den einen Beleg dafür, daß sie auch für ihre Überzeugungen eintrete, wenn es sein müsse.
Aber das ist natürlich kompletter Unsinn. Die Grenzen waren nie zu, also konnte Merkel sie nicht aufmachen. Sie konnte sie gar nicht schließen, wie Stefan Kornelius in wenigen klaren Sätzen darlegt. (….)
(Typisch Deutschland, 16.11.2021)
Also, nein, ich stimme nicht in die verklärenden Merkel-Lobpreisungen ein.
Ihre Kanzlerschaft hat dem Land sehr geschadet. In ihren 16 Jahren veraltete die Bundesrepublik in vieler Hinsicht nahezu hoffnungslos. Wir haben technologisch, sozial und politisch den Anschluss verloren, die EU ist destabilisiert, die internationalen Beziehungen liegen in Trümmern, es droht Krieg in Europa, die Klimakrise wird uns voll treffen, weil Merkel alle Fortschritte beim ökologischen Umbau blockierte, die Nazis marschieren auf den Straßen, es fehlen 500.000 Pflegekräfte und 200.000 Lehrer. In all diese Probleme sind wir sehenden Auges marschiert. Schon vor zehn Jahren wurde lautstark die fehlende digitale Infrastruktur beklagt. Deutschland hat noch nicht mal mehr das KnowHow einen Laptop oder ein konkurrenzfähiges Smartphone herzustellen. Wenn China und Malaysia keine Chips oder Atemmasken schicken, wenn Indien seine Medikamentenproduktion runterfährt, sind wir erledigt. Weil Merkel achselzuckend zusah, wie Deutschland degeneriert und immer abhängiger wird.
Aber es
gibt tatsächlich etwas, das ich an Merkel mag.
Im Gegensatz zu vielen anderen Langzeitpolitikern wie Berlusconi, Putin oder
Kohl, hält sie sich nicht für unersetzlich.
Diese Erkenntnis reifte sehr langsam in ihr. Sie hätte dem Land und insbesondere ihrer Partei, einen großen Gefallen getan, wenn sie nach 12 Jahren als Kanzlerin zur Bundestagswahl 2017 nicht mehr angetreten wäre. Damals erlag sie aber noch der Selbsttäuschung, unverzichtbar für Deutschland und Europa zu sein. Das bescherte uns weitere vier quälend lange Jahre des Stillstands mit ihren bekannten Debakel-Ministern Karliczek, Spahn, Seehofer, Scheuer, Klöckner und Altmaier, die allesamt katastrophale Fehlbesetzungen waren und dafür sorgten, daß Deutschland weitere Jahre hinter die führenden Industrienationen zurückfällt.
Aber irgendwann reifte dann doch ihr Entschluss zur Bundestagswahl 2021 nicht mehr anzutreten. Ganz anders als ihr großer Förderer Helmut Kohl, ließ sie freiwillig von der Macht.
Chapeau dafür.
Die nach rechts gerutschte Merz-CDU, die sich an Maaßen, Ploß und Otte klammert, ist ihr herzlich egal. Helmut Kohl verachtete ebenfalls seine Nachfolger Schäuble und Merkel, hielt sich weiterhin für den eigentlichen König der Partei.
Merkel äußert sich nicht so deutlich zu Laschet und Merz, aber es gibt Indizien, aus denen man schließen kann, was sie von der nächsten Unions-Generation hält, nämlich nichts.
Merz, der seinerseits Merkel verachtet, weil er nie darüber hinweg kam, daß eine Frau aus dem Osten, seinen Job als CDUCSU-Bundestagsfraktionsvorsitzender wegschnappte und sogar Kanzlerin wurde, obwohl er sich selbst für so viel besser geeignet hält, braucht nach seiner überraschend deutlichen Wahl zum neuen Parteivorsitzenden seine einstige Widersacherin, um den Schein zu wahren.
Der öffentliche Schulterschluss mit seiner Vorvorvorgängerin sollte Kontinuität ausstrahlen und betonen, wie auch Merz das gesamte CDU-Spektrum abbildet.
Allein, Merkel hat jetzt keinen Bock mehr.
[….] Treffen zum Abendessen abgesagt: Merkel gibt Merz einen Korb.
Der künftige CDU-Chef Friedrich Merz hat zum Dinner eingeladen. Darunter auch die ehemaligen CDU-Bundesparteivorsitzenden Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer. Zu Merkel hat er seit Jahren ein äußerst angespanntes Verhältnis, was er nun anscheinend kitten will. Beide Frauen sagten aber ab. [….]
Als zweiten Versuch trug Merz der Frau, die fast zwei Jahrzehnte CDU-Bundesvorsitzende war, den Ehrenvorsitz an.
Ein Job
ohne konkrete Macht, aber damit hätte sie Zugang zu allen Gremiensitzungen
gehabt und könnte durch ihre Reputation Einfluss nehmen.
Man weiß vom CSU-Ehrenvorsitzenden Edmund Stoiber, wie sehr er diese
Möglichkeit auskostet und allen auf die Nerven geht.
Aber auch dazu sagte Merkel: „Kein Bock!“
[….] Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel will nicht Ehrenvorsitzende der CDU werden. Sie habe dem scheidenden Parteichef Armin Laschet mitgeteilt, „dass sie die Verbundenheit mit der CDU in der Zukunft in anderer Form als als Ehrenvorsitzende zeigen möchte“, teilte ihr Büro am Freitag auf Anfrage mit. Auch Laschet selbst hatte dies bereits am Freitagmorgen angekündigt. Die Grundfrage sei, ob der Ehrenvorsitz überhaupt noch in die Zeit passe, hatte Laschet im RTL/ntv-„Frühstart“ gesagt. „Angela Merkel ist da auch zu der Entscheidung gekommen: Es passt nicht mehr in die Zeit. Wir haben keinen Ehrenvorsitzenden – das ist eine Tradition von früher, die es jetzt auf der Bundesebene nicht gibt.“ [….]
Angela Merkel streckt also für jeden öffentlich sichtbar ihren Mittelfinger aus und ruft der neuen Parteiführung aus Merz, den fünf neuen Vizes Silvia Breher, Andreas Jung, Michael Kretschmer, Carsten Linnemann und Karin Prien, sowie Bundesschatzmeisterin Julia Klöckner und Parteigeneral Mario Czaja ein herzliches FUCK YOU entgegen.
Und endlich einmal bin ich völlig einig mit Merkel.