Meine Lieblingszeitung ist die „Süddeutsche“, die ich seit Jahrzehnten abonniert habe, an der ich mich täglich erfreue und die ich eindeutig für die beste überregionale Tageszeitung halte. Dabei handelt es sich aber eben nicht um eine homogen-linksgrünatheistische Blase, in der mir jeder Artikel aus dem Herzen geschrieben scheint, sondern um einen pluralistische Redaktion, die auch Ansichten vertritt, die mir gar nicht gefallen.
Es gibt/gab einzelne Redakteure, wie Matthias Drobinski, der bei mir regelmäßig Kopfschütteln verursachte. Schlimmer sind aber die Fälle, in denen Edelfedern, die ich schätze und deren Kompetenz ich absolut anerkenne, aus meiner Sicht hanebüchene Dinge propagieren. Heribert Prantls Ansichten zur Genitalverstümmelung, Ronen Steinkes Einlassungen zu Sterbehilfe, oder Tobias Haberls Sicht auf Atheisten.
(….) Der Mann ist katholisch
und religiös, beklagt das Fehlen von Jesus Christus im Ampel-Koalitionsvertrag. Ich bin schockiert. Wie kann
ein kluger Menschen solche Ansichten vertreten?
Ich muss mich damit abfinden. Ich muss es wohl tolerieren. Auch unter den Klugen gibt es Partial-Idioten. Auch nichts und niemanden ist Verlass. (….)
Es ist aber eine gute Übung in Demokratie, sich auch mit konträren Ansichten vorurteilsfrei zu beschäftigen, sie zu akzeptieren, den Widerspruch auszuhalten, ohne den Diskutanten pauschal zu verdammen.
Prantl gibt auch meiner Sicht von Religiotie geprägte Statements ab. Dennoch bleibt er ein grandioser Journalist, dessen Erkenntnisse ich gern zitiere.
Ronen Steinke beeindruckt mich heute mit einem Meinungsartikel zum AfD-Verbot.
Mit Tobias Haberls Selbstverständnis als Katholik in einem Meer voller ihm feindlich gesinnter Atheisten, habe ich allerdings erhebliche Probleme, weil er nicht nur diesen für Religioten typischen larmoyanten Ton anschlägt, sondern dabei auch schlicht falsche Dinge behauptet. Sein als großes katholisches Outing inszenierter Essay war für mich der journalistische Tiefpunkt des Jahres 2023 im SZ-Magazin.
(….) So begann der gläubige SZ-Magazin-Autor am 30.03.2023 sein Essay über seinen Glauben und wie sehr er sich dabei diskriminiert fühlt:
[….] Diesen Text traue ich mich nur zu schreiben, weil ihn sowieso niemand liest. Ist doch heute so, dass man weghört oder aggressiv wird, wenn es um Glauben oder, noch schlimmer, die Kirche geht. Dass sich außer ein paar Zurückgebliebenen kein Mensch dafür interessiert. [….]
(Tobias Haberl, SZ-Magazin, 30. März 2023. Aus Heft 13/2023)
Disclaimer: Ich mochte die Haberl-Texte im SZ-Magazin immer und wußte bis zum März gar nicht, daß er so ein frommer Katholik ist. Es ist ihm dafür Respekt zu zollen, daß er seine metaphysischen Vorstellungen nicht mit seinem Job als Journalist verquickt.
Aber auch Haberl scheint ein typischer intelligenter Gläubiger zu sein: Er leidet an einer Inselverarmung und produziert zu diesem Thema Sätze, für die er bei allen anderen Aspekten viel zu intelligent ist.
Er beklagt, wie schwer er es als Katholik habe, daß sich niemand interessiere, er gesellschaftlich extrem benachteiligt wäre.
Dabei ist offenkundig genau das diametrale Gegenteil der Fall: Katholiken genießen gerade in Bayern eine Vielzahl von Privilegien.
Haberl erliegt der klassischen Metaphysik der Larmoyanz, deren Apotheose sich in dem Ratzinger-Satz von der „Sprungbereiten Aggressivität“ kristallisierte.
Papst Ratzinger, unendlicher reicher absolutistischer Alleinherrscher über 1,3 Milliarden Menschen, der persönlich unter Androhung höchster Kirchenstrafen weltweit dafür gesorgt hatte, pädosexuelle Priester zu beschützen, die Opfer auszulachen und immer wieder zu demütigen, gab den Weg vor, indem er sich öffentlich über die angeblichen Angriffe der Opfer auf die Täter echauffierte.
Er kenne die "allzeit sprungbereite Aggression" (Benedikt XVI.), mit der die Atheisten die armen frommen Gottesmänner verfoltgen.
Es ist dasselbe Prinzip, nach dem Katholik Haberl seine Privilegien paradox als Deprivation deutet. Haberls mit [….] Diesen Text traue ich mich nur zu schreiben, weil ihn sowieso niemand liest. [….] eingeläuteter Aufsatz wurde zum Meistkommentierten der SZ-Geschichte. Somit wurde schon der erste Satz von der Realität als Gegenteil gestraft.
[…..] Vor einigen Wochen schrieb mein Kollege Tobias Haberl im SZ-Magazin ein bemerkenswertes Essay über seinen Glauben als Katholik und sein Gefühl, als gläubiger Mensch nicht mehr verstanden, gelegentlich sogar kritisiert oder ausgelacht zu werden. Darin heißt es: »Es ist das Grundgefühl vieler konservativer Menschen, die nicht begreifen, warum sie in einer aller Tradition entleerten Gesellschaft auf einmal als problematisch wahrgenommen werden, warum ihre Sehnsucht nach christlichen Werten (hinter denen keine Interessen stecken) automatisch als patriarchal gebrandmarkt wird.« Ich erinnere mich an keine SZ-Magazin-Titelgeschichte der vergangenen Jahre, auf die mehr Leserinnen- und Leserpost folgte. Es erreichten uns zahllose Zuschriften, die zum allergrößten Teil Anerkennung für die Haltung des Autors enthielten, dazu Dankbarkeit und Lob für Tobias Haberls Mut, so offen über seine Religiosität zu schreiben. Sein Text hatte einen Nerv getroffen. [….]
(Michael Ebert, SZ-Magazin, 14. September 2023 Aus Heft 37/2023)
Natürlich ärgerte ich mich als SZ-Magazin-Fan über den Haberl-Text, weil ich die darin aufgestellten Thesen allesamt widerlegt sehen wollte.
Aber, Respekt SZ-Magazin, heute erschein nun die lange erwartete „Gegenrede von Michael Ebert“, die viele meiner Gedanken ausführte.
[…..] Eine sah mich immerzu mitleidig an: »Du tust mir leid. Du kommst halt sicher in die Hölle. Da ist es schrecklich.« [….]
(Michael Ebert, SZ-Magazin, 14. September 2023 Aus Heft 37/2023)
Ebert beschreibt hier mustergültig, was ich seit Jahrzehnten immer wiederhole: Religionen sind eine exkludierende „Wir sind besser als die“-Ideologie. (….)
(Die fromme Opferrolle, 15.09.2023)
Mutmaßlich war der Redaktion des SZ-Magazins der Haberl-Text selbst so peinlich, daß sechs Monate später eine ausführliche Gegenrede veröffentlichten.
Umso erstaunter bin ich ob der folgenden Meldung:
[….] SZ und SZ Magazin mit Reporterpreis ausgezeichnet
In der Kategorie Investigation gewann die Recherche "Das verlorene Boot", der Preis für das beste Essay ging an "Unter Heiden". [….] Tobias Haberl gewann für den Artikel "Unter Heiden" über seinen katholischen Glauben im SZ Magazin in der Kategorie Essay. [….]
Ist heute der Erste April?
Da hilft nur ein Blick auf die Jury. Das Reporter:innen-Forum, RF, ist ein Verein, in dem Journalisten sich selbst loben.
Es erinnert an die größte filmische Fehlleistung des Jahres 2023 „der Schwarm“, die ZDF-Schätzing-Verfilmung, die so ungeheuer schlecht war, daß selbst die größten Fans des Buches den Sechsteiler nicht bis zum Schluß ertragen konnten.
Die Süddeutsche Zeitung urteilte die Verfilmung gnadenlos als „DER SCHMARRN“ ab. Ausgerechnet diese größte Peinlichkeit des Jahres gewann am 28.08.2023 den Deutschen Fernsehpreis. Ich dachte zunächst, es handele sich um einen Schildbürgerstreich. Aber es war bloß ein Fall von Inzucht. In der Fernsehpreis-Jury sitzen deutsche TV-Produzenten, die sich selbst loben.