Sonntag, 30. Mai 2021

Fernsehen

Derzeit gucke ich das zweite mal die US-Serie TRUE BLOOD, die sich an Charlaine Harris‘ Romanserie „Sookie Stackhouse“ orientiert. Der kluge Kopf dahinter ist der großartige Alan Ball, der auch schon für „Six FeetUnder“ verantwortlich war.

Es sind 80 Folgen in sieben Staffeln, gedreht 2008 bis 2014, die mir jetzt mit dem Wissen um Trump und eine Pandemie noch viel besser gefallen.

Es spielt hauptsächlich in Bon Temps, einem fiktiven konservativen Kaff in Louisiana. Die Menschen gehen alle artig in die Kirche, frönen ihren Südstaaten-Konventionen und misstrauen allen liberalen Großstädtern.    Dann passiert aber das Ungeheuerliche: Weltweit outen sich Vampire, daß sie existieren. Sie haben aber das Getränk „True Blood“ entwickelt, von dem sie leben können. Daher müssen sie keine Menschen mehr aussaugen und wollen sich assimilieren, ihre Bürgerrechte bekommen.   Die meisten der erzreaktionären Bewohner misstrauen den Vampiren aber zutiefst und selbstverständlich betreiben Republikaner und fromme Christen jeden erdenklichen Aufwand, um die Vampire zu verdrängen, zu entrechten, loszuwerden.

Sie sind selbstverständlich eine Metapher für Migranten, Schwarze und Schwule – also alle gesellschaftlichen Gruppen, die in den USA diskriminiert werden und mit sehr unterschiedlichen Ansätzen um ihre Gleichberechtigung kämpfen.

Es gibt die gesamte Bandbreite vom von weißen spießigen Vorstadt-Vampir, der bis zu absoluten Selbstverleugnung versucht sich anzupassen, Vampir-Lobbyisten, Politiker, Aktivisten und auch ein Grüppchen Radikaler, die sich aufgrund ihrer weit überlegenen Stärke gar nicht bei den Menschen eingliedern wollen, sondern diese als minderwertig empfinden.   Die Serie heute zu sehen ist erstaunlich prophetisch und voller wunderbarer Seitenhiebe auf evangelikale Trumpisten, „Republic*nt“s, RINOs, religiösen Wahn, konservative Doppelmoral, intolerante Supremacy-Typen und Rassisten.

Daß die Buchautorin Charlaine Harris aus Mississippi diese Reihe schon ab 2001 veröffentlichte, zeigt wie sehr wir Europäer uns irren, wenn wir glauben, das scheußliche dysfunktionale Trumpmerica wäre erst mit seinem Amtsantritt 2017 entstanden.

Nein, diese zutiefst illiberalen, erzkonservativ-verkrusteten und Realitäts-negierenden Verhältnisse gab es schon Jahrzehnte zuvor. Wer nach dem Wahlsieg Obamas im Jahr 2008 gedacht hat, die USA wären nun eine liberale Nation, die Cannabis erlaubt und Schwule heiraten lässt, sah nur ein kleines Stück Amerika und blendete das häßliche Amerika aus.

Sogar Seitenhiebe auf Ted Cruz gibt es schon, wie konnten die 2013 ahnen wie grauenvoll der noch werden würde?

Im Laufe der verschiedenen Staffeln wird die Existenz allerlei weiterer übernatürlicher Wesen enthüllt, die ganz große Politik wird eingeschaltet und selbstverständlich gibt es eine Fülle die Konventionen sprengende amouröse Verflechtungen.

 Ein paar Bemerkungen:
1.)
Wer das noch gesehen hat, soll das bitte dringend nachholen.

2.)

Ich liebe, liebe, liebe Pamela Swynford De Beaufort, dargestellt von Kristin Bauer van Straten mit ihren sagenhaften Blicken und tödlichen Sprüchen. Fast alle Szenen von ihr muss ich zurückspulen, um das noch mal zu sehen.

3.)

Ich bin über die Maßen begeistert von der Rolle des Lafayette Reynolds, gespielt von dem grandiosen Nelsan Ellis, der leider 2017 im Alter von 39 Jahren gestorben ist. Ironischerweise tötete ihn ein selbstauferlegter Drogenentzug, während seine Serienfigur LaFayette sich stets als Drogen-Vollprofi präsentiert, dem so etwas nicht passieren könnte.

In LaFayette kulminiert alles, was die Spießer von Bon Temps nicht leiden können: Er ist schwarz, schwul, tuntig, nimmt Drogen und ist zudem auch noch so selbstbewußt das jedem zu zeigen.

Ellis spielt das so großartig, daß die Serienfans furchtbar enttäuscht sind, wenn sie hören, daß er privat mit einer Frau verheiratet war und zwei Kinder hatte.

Er arbeitet als Koch im einen kleinen Diner und wird den Zuschauern mit einem Knall eingeführt, als nämlich einer der tumben RedNeck-Gäste laut wird, weil er keinen von einer „Tunte“ gebratenen „Aids-Burger“ essen will.

Da hat er aber nicht mit La Fayettes Reaktion gerechnet, der sich das nicht gefallen lässt.

4.)

Eine kuriose Geschichte hinter den Kulissen.

Die sehr sympathische Nebenfigur des James Kent in Staffel 7 wird gespielt von dem Australier Nathan Parsons. Ich hatte aber vergessen, daß die Figur schon Ende der Staffel 6 kurz eingeführt wird. Damals aber noch von einem anderen Schauspieler dargestellt, nämlich Luke Grimes.

Wieso tauschen die nach so kurzer Zeit den Darsteller einer Erfolgsserie aus?
Das passiert ja eigentlich nur wenn derjenige stirbt oder aber wie „Roseanne“ mit ihren privaten, rechtsradikalen, antisemitischen Ansichten so extrem aneckt, daß die Produzenten sie feuern müssen.

Was war also mit Luke Grimes?

Er spielte Ende der sechsten Staffel den Lover der hübschen jungen weißen Vampirin Jessica Hamby, dargestellt von Deborah Ann Woll. Er ist zunächst einmal der stabilisierende Faktor, weil Jessica sich in einer schweren Sinnkrise befindet und James ruhig und sensibel auf sie eingeht.

In Staffel 7 besteht die Konstellation zunächst weiter. Nach einem Zeitsprung von sechs Monaten sind die beiden immer noch ein Paar, leben zusammen in der großen Villa von Jessicas Vater. Aber nun wird James von Nathan Parsons gespielt, da seine Serienrolle Gefühle für den schwarzen schwulen LaFayette entwickelt. Unglaublich aber wahr; der erste Schauspieler Grimes sagte ab, nachdem er das Drehbuch las. Er wollte als heterosexueller Schauspieler keinen (ebenfalls heterosexuellen) schwarzen Mann küssen.

[…..] Laut den Quellen von Buzzfeed habe Grimes, nachdem er die ersten Drehbücher von Staffel 7 gelesen habe, sofort gesagt, dass er keine Figur spielen werde, die sich in einen anderen Mann verliebe. Er sei bereit die Rolle zu spielen, wenn nur die andere Figur sich zu ihm hingezogen fühle, aber nicht, wenn die Anziehung auf Gegenseitigkeit beruhe. Zudem seien gleichgeschlechtliche Kuss- und Sexszenen absolut tabu – bei einer Serie wie "True Blood" mit deutlichen LGBT-Untertönen ist er damit fehl am Platz, so dass man sich trennte. […..]

(Björn Becher, 26.06.2014)

Bis in die 1990er Jahre war es nicht ungewöhnlich, daß heterosexuelle Schauspieler sich weigerten schwule Rollen anzunehmen.   Ich erinnere mich an sehr unschöne Homophobe Aussagen des damaligen Jung-Stars Matt Dillon. Mel Gibson und Tom Cruise sollen ähnlich schwulenpanisch sein.

Aber daß ein so junger Schauspieler wie Luke Grimes, geboren 1984 in Ohio, noch im Jahr 2014 deswegen aus einer Serie aussteigt, ist schon erstaunlich und bestätigt wiederum die Wichtigkeit des Themas Diversität im US-Fernsehen.

[….] Grimes abruptly departed the popular show last winter after learning that his character James would become romantically involved with Ellis’s in the upcoming season. True Blood, a cult gay hit, has been known to throw its characters, both male and female, into homoerotic situations at a moment’s notice, even if only for a few scenes. Ellis felt as if Grimes should have been aware of the show’s reputation, and was sending a clear message in leaving the show.  “If you have a child, if you have a son, and he comes out as gay, what are you going to do?” He asked the Huffington Post.  “You just made a statement, and it has ripple effects. I didn’t like what he did because he made a statement, and sometimes you have to take responsibility.” […..]

(Charles Pulliam-Moore July 24, 2014)

Für den Zuschauer ist es kein Verlust, da Parsons ohnehin besser ist als Grimes.