In
meiner Küche hängt noch aus den 80er Jahren die RR-Weltkarte.
Es war
eine Domäne der wenigen richtig Linken in der Welt sich auf diese Weise über
den großen Bruder lustig zu machen. Die SPD stand ebenso fest an der Seite der
USA wie die Union.
Wenn ich
mir die Graphik heute so ansehe, ist die US-Sichtweise erstaunlich aktuell.
Russland wird fast noch mehr dämonisiert. Während des kalten Krieges war die
Sowjetunion wenigstens noch weit weg.
Was
hatte man schon mit den bizarren Kommunisten im Warschauer Pakt zu tun, außer
daß sie mit ihren bizarren Namen und abstoßender Physionomie auf internationalen
Sport-Events die Medaillenspiegel durcheinander wirbelten?
Ich
erinnere mich noch gut an die Olympiade 1984 in Sarajewo, als Katharina Witt
ihren internationalen Durchbruch feierte und sie den Spitznamen „das schöne Gesicht
des Sozialismus“ abbekam.
Es war
eine völlig neue Erfahrung, daß Menschen ansehnlich und sogar anmutig aussehen
konnten, obwohl sie aus dem Kommunismus stammten.
Nach
gängiger westdeutscher Vorstellung hatten alle Menschen „der zweiten Welt“ wie
mürrische Pykniker auszusehen.
Seit dem
hat sich viel verändert.
Erst kollabierte
die Sowjetunion. Es wurde Demokratie ausprobiert, die katastrophale Folgen
hatte: Kriminalität explodierte, wenige Oligarchen rissen sich fast das gesamte
Volksvermögen unter den Nagel, die breite Masse der Russen verarmte. Es kam zu
echten Hungersnöten, Rentner mußten auf der Straße um ihr Überleben betteln,
weil weder Löhne noch Renten ausgezahlt wurden. Zudem verlor die Regierung fast
ihren gesamten weltpolitischen Einfluß. Jede ehemalige UdSSR-Teilrepublik und
jeder ehemalige Warschauer-Pakt-Staat konnte Russland nach Belieben auf der
Nase rumtanzen. Russland mußte sich Carepakete schicken lassen und zusehen, wie
sich die NATO als Sieger feierte.
In den
letzten zehn Jahren zog Wladimir Putin die Zügel an. Er stoppte den totalen
Ausverkauf des Landes, wies die raffgierigen Neu-Milliardäre in die Schranken,
indem er beispielsweise den im Westen gefeierten Chodorowski daran hinderte
russische Ölvorkommen an die USA zu verscherbeln.
Und auch
die lästige Opposition wurde kontinuierlich geschwächt, bis der Kreml wieder so
handlungsfähig wurde, daß er überhaupt das Land regieren konnte.
Die
ökonomischen Folgen sind zweifellos beeindruckend.
Im
tiefsten Sibirien quellen die Geschäfte über vor Waren, die Arbeitslosigkeit
beträgt weniger als 5%, die Russen können es sich erstmals seit Jahrhunderten
leisten zu reisen. Es gibt wieder Sicherheit auf den Straßen, die Infrastruktur
wurde repariert und sogar die vielen Russlanddeutschen, die Anfang der 90er in
Scharen das Land verließen, kommen zurück, weil die Karrierechancen inzwischen
in Russland besser sind.
Nach
einer aktuellen Studie der Weltbank, welche die Kaufkraft eines Landes als
entscheidenden Parameter untersucht, wird Russland nach Deutschland noch dieses
Jahr die sechstgrößte Wirtschaftsmacht der Erde sein. Platz 1: China, Platz 2:
USA.
Indien wird laut den
neuen Daten die drittgrößte Wirtschaftsmacht. Darauf folgt Japan, gefolgt von
Deutschland, Russland und Brasilien. Die Plätze acht bis 12 belegen demnach
Frankreich, Großbritannien, Indonesien, Italien und Mexiko.
Zweifellos
ist Russland wieder wer.
Nicht unbedingt
demokratisch, aber für demokratische Freiheiten à la Gorbatschow gilt erst
einmal „Tried it once, didn’t like it!“
Verglichen
mit dem ökonomischen Giganten China, das jährlich vermutlich 10.000 Menschen
hinrichtet und gar nicht erst wählen läßt, ist Russland allerdings geradezu
eine Musterdemokratie.
Merkel
und Obama kritisieren allerdings nicht China. Die Menschenrechte in China
spielen auch in der russophoben deutschen Presse derzeit keine Rolle.
Natürlich
nicht, denn China läßt sich nicht sanktionieren. „Der Westen“ ist schließlich
vollkommen finanziell und ökonomisch von China abhängig.
(Ich teile übrigens die Ansicht, daß Deutschland China nicht wegen der Demokratiedefizite kritisieren sollte. Allerdings nicht aus ökonomischen Gründen, sondern weil ich das schlicht und ergreifend für extrem anmaßend halte, wenn ein Land, welches den Planeten mehrfach mit Weltkriegen überzog, hundert Millionen Tote dabei verursachte und mühevoll vor 60 Jahren zwangsdemokratisiert werden mußte, einer 6000 Jahre alten Kulturnation, die nicht kolonialisierte und Weltkriege anzettelte, erklärt, wie es sich politisch zu organisieren hat! Aber das ist ein anderes Thema.)
Um auf
das Weltbild des Ronald Reagan zurückzukommen:
Es gibt also doch Unterschiede zur US-Sicht von vor 30 Jahren.
Es gibt also doch Unterschiede zur US-Sicht von vor 30 Jahren.
China ist
sakrosankt und Russland ist viel näher gerückt. Es gibt russische
Tennisspieler, in Moskau findet der Eurovision Song Contest statt und russische
Touristen sind als Konsumenten europäischer Luxuswaren unverzichtbar.
St.
Moritz, die Côte d'Azur, Baden Baden und die gesamte deutsche Energiewirtschaft könnten ohne Russland
gleich zumachen.
Russland
differenzierter zu betrachten und sogar verstehen
zu wollen, ist nicht mehr nur ein exotischer Spleen einiger universitärer
K-Gruppen, sondern wird von einer sehr heterogenen Gruppe Menschen betrieben:
Helmut Schmidt, Philipp Mißfelder, Klaus von Dohnanyi, Gabriele Krone-Schmalz, Peter Scholl-Latour, Gregor Gysi, Gerhard Schröder, Henning Voscherau, Peter Gauweiler, Katja Kipping, Erhard Eppler und Jakob Augstein.
Helmut Schmidt, Philipp Mißfelder, Klaus von Dohnanyi, Gabriele Krone-Schmalz, Peter Scholl-Latour, Gregor Gysi, Gerhard Schröder, Henning Voscherau, Peter Gauweiler, Katja Kipping, Erhard Eppler und Jakob Augstein.
Eine
seltsame Koalition, die von fast der gesamten strikt russophoben Presse, also taz
bis FAZ, SPIEGEL bis BILD und Welt bis SZ, scharf kritisiert wird.
Im
Ukraine-Konflikt halte ich es aufgrund der völlig unübersichtlichen Lage für
absolut verantwortungslos sich auf eine Seite zu schlagen, wie es Washington
tut.
Wer die
inzwischen freigelassenen OSZE-Beobachter auf wessen Befehl festgesetzt hat,
weiß noch niemand. Aber ausgerechnet CSU-Rechtsaußen und Parteivize Gauweiler unterstützt
im SPIEGEL-Interview von morgen meine Skepsis bezüglich deutscher Offiziere
mitten im Getümmel und heißt zudem Schröders Gespräch mit dem russischen
Präsidenten gut. Bizarr.
Während der ganzen
Ukraine-Krise lautete Deutschlands Position, wir dürfen bei aller Kritik den
Draht zu Russland nicht abreißen lassen. Noch vor wenigen Tagen haben die
Vorstände der Bundestagsfraktionen von Union und SPD dies in einem Beschluss
bekräftigt. Wenn Altkanzler Schröder genau das tut, habe ich das nicht zu
beanstanden. […] Darf man mit Fidel Castro über mehr
Freiheit reden und eine von ihm angebotene teurere Zigarre annehmen und
mitrauchen? Ich denke, man muss – selbst wenn man Nichtraucher ist! […]Noch mal: Zwischen Deutschen und Russen
besteht hoher Gesprächsbedarf, gerade auch weil
richtig und falsch in
dieser Krise nicht so eindeutig verteilt sind, wie wir gern tun. […] Aktuell
werfen die Aktivitäten deutscher Bundeswehroffiziere in Zivilkleidung in der
Ostukraine Fragen auf: Entgegen dem in der deutschen Öffentlichkeit erzeugten
Eindruck waren diese Bundeswehrangehörigen nicht Teil der
„Sonderbeobachtermission der OSZE in der Ukraine“, auf die sich über 50 Länder,
darunter Russen und Amerikaner, im März geeinigt hatten. Diese OSZE-
Sondermission sollte aus gutem Grund nur aus zivilen Beobachtern bestehen. [….]
Ich habe mich allerdings auch gefragt:
Warum zum Beispiel bedankt sich ein deutscher Offizier bei seinem Geiselnehmer
in einer öffentlichen Pressekonferenz? Der ganze Vorgang macht auch für die
Bundeswehr einen unguten Eindruck. [….]
Helmut Schmidt [hat] recht: Die
Rückkehr der Krim nach Russland ist vom Selbstbestimmungsrecht der Völker
gedeckt und insofern nicht rechtswidrig.
Warum soll den Menschen auf der Krim von Kiew verboten werden können,
was die Regierung in Großbritannien den Schotten erlaubt – ein Referendum über
ihre eigene Zukunft?
(Peter Gauweiler im SPIEGEL 05.05.2014)
Ich bin
gespannt, ob Obama sich nicht bald auch für uneingeschränkte Parteinahme für
die an die Macht geputschte Kiewer Übergangsregierung („Obama lobt die Kiewer Übergangsregierung ohne Vorbehalt“) genauso
auf die Zunge beißen wird, wie für seine nicht überschreitbaren roten Giftgas-Linien
in Syrien.
Die
feine englische Art ist es ja nicht eben, wie sie diejenigen verhalten, die so
begeistert von westlichen Politiker aller Couleur – etwa der Grünen
EU-Spitzenkandidatin Harms – in Kiew gefeiert werden. Im Ukrainischen Odessa
sind Russland-freundliche Bewohner offenbar vogelfrei.
Die Polizei sah
tatenlos zu, als im südukrainischen Odessa ein Gewerkschaftshaus in Brand
gesetzt wurde. Dutzende prorussische Aktivisten kamen ums Leben. […] Laut ukrainischen Medien wurde von prorussischen Besetzern aus den
Fenstern und vom Dach aus geschossen. Aus der Menge vor dem Gebäude flogen
Steine und Molotow-Cocktails. An mehreren Stellen im Gewerkschaftshaus brach
Feuer aus. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich wohl mehrere hundert Menschen im
Inneren. Manche versuchten, sich mit einem Sprung aus dem Fenster zu retten. Videoaufnahmen zeigen einen Überlebenden
der Katastrophe, der auf allen vieren aus der Ruine kriecht. Er wird von seinen
Widersachern mit Knüppeln und Fußtritten traktiert.
Die Polizei tat
nichts, um den Hass zu bremsen. Die Sicherheitskräfte sahen weitgehend tatenlos
zu, wie sich die Gewalt in Odessa durchsetzte. […] Verstörend ist die Sprache, die Behörden und Medien angesichts der
Katastrophe wählen. Während in Odessa Menschen verbrannten, meldeten ukrainische
Medien geradezu triumphierend, "Patrioten" hätten die
"Separatisten zurückgeschlagen". Man sei dabei, sie erfolgreich
"auszuräuchern".
[…] Der Gouverneur des Gebiets, Wladimir
Nemirowsky […] hat drei Tage Trauer
in Odessa angeordnet. Versöhnlich aber war er nicht. Ausgerechnet die
Brandstifter, deren Feuer Dutzende Menschen das Leben gekostet hat, nahm der
Gouverneur ausdrücklich in Schutz: Um "bewaffnete Terroristen zu
neutralisieren" sei das Vorgehen "legal" gewesen. […]
Mit einer schwarz-weiß-Sicht, also Ukraine =
edle Freiheitskämpfer, Russen = bähbäh, tun sich EU und NATO keinen Gefallen.
Man sollte
sich nicht wundern, wenn die russische Öffentlichkeit sich angewidert abwendet
und nach einem drakonischen Eingreifen Putins verlangen sollte. Es ist
schwierig einen Überblick zu behalten und klar auseinander zu halten wer wo mit
welchem Interesse die Strippen zieht. Deshalb sollte man auch kritischere
Medien wahrnehmen. Zum Beispiel:
Die beispiellose
Desinformationskampagne führender deutscher Medien hat anlässlich der in Odessa
verübten Morde an über 40 Menschen einen neuen Höhepunkt erreicht. In der
ukrainischen Millionenmetropole sei das Gewerkschaftshaus "in Brand
geraten" - "eine Katastrophe", deren Urheber noch nicht bekannt
wären, hieß es unmittelbar nach der Brandschatzung am 2. Mai übereinstimmend.
Während auf Fotos internationaler Presseagenturen Anhänger der Kiewer
Putschisten zu sehen waren, die den im Gewerkschaftshaus Eingeschlossenen
Brandsätze hinterherwerfen, übernahmen maßgebliche deutsche Medien mehrfach
Lügenberichte ukrainischer Geheimdienstorganisationen.
[…] Am gestrigen Sonntag und damit 72 Stunden
nach den Morden von Odessa verfiel die ARD schließlich auf die Idee, Arsenij Jazenjuk,
einem der aggressivsten Vertreter der Kiewer Putschisten, das Wort für die
Schutzbehauptung zu erteilen, wonach die Polizei von Odessa versagt habe, die
Urheber aber in Russland säßen (Moskauer "Plan zur Zerstörung der
Ukraine"). Die ARD zitierte die antirussischen Hasstiraden auf ihrer
Internetseite in wörtlicher Ausführlichkeit und zusätzlich in einem Bildbericht
zur Prime Time um 20.00 Uhr, ohne auch nur eine einzige zweite Quelle zu
nennen, die der Propaganda Tatsachen hinzufügte oder entgegensetzte. Weiter ist
von "blutigen Zusammenstößen" die Rede, denen bei der ARD die
handelnden Subjekte fehlen oder deren Urheber ausschließlich unter den
Aufständischen gesucht werden. So hieß es in der gestrigen
"Tagesschau" um 20.00 Uhr, die Morde von Odessa seien nur eine
Reaktion auf Angriffe der Ermordeten gewesen.
Die Nachrichtengebung
über die Verbrechen von Odessa ist Teil einer seit Monaten anhaltenden
systematischen Einebnung journalistischer Standards, die inzwischen den
politischen Vorgaben der Berliner Außenpolitik fast vollständig angepasst sind.
So erging sich die ARD tagelang in einem Verwirrspiel über die Militäroperation
der Bundeswehr, die auf Anfrage des Putschregimes in Kiew sogenannte Beobachter
Richtung Ostukraine geschickt hatte, ohne dass den Zuschauern Ross und Reiter
genannt wurden. Mal hießen die deutschen Militärs in der ARD "Teilnehmer
einer OSZE-Mission", mal wurde ihr Status auf den von
"Diplomaten" reduziert.
[…]
Gegen die Desinformationskampagne
führender deutscher Medien regt sich erheblicher Widerspruch, der zur
zeitweisen Abschaltung der Kommentarfunktionen auf den Internet-Seiten der
öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten führt - "wegen Überlastung". Tatsächlich
gelingt es der staatsnahen Presse nicht, die Mehrheit ihres Publikums von einer
unausweichlichen militärischen Neuausrichtung zu überzeugen, wie sie der
NATO-Generalsekretär (wiederum in der ARD vom gestrigen 4. Mai) unverblümt
fordert (Erhöhung der Rüstungsbudgets) Die Zweifel einer Bevölkerungsmehrheit
gelten der weiteren Einkreisung Russlands, der damit steigenden Kriegsgefahr
und strafen das EU-Leitmotiv ("Frieden in Europa") Lügen. […]
Und,
nein, ich bin kein Verschwörungstheoretiker und verbürge mich auch nicht für
die GFP-Sichtweise.
Ich
möchte nur darauf hinweisen, daß es ganz andere Wahrnehmungen als die der
großen Medienanstalten GIBT.