Samstag, 19. August 2017

Was reißen



Es gibt eine Menge unschöne deutsche Metaphern für Pechsträhnen. Schwarzer Peter, Scheiße am Schuh, ein Unglück kommt selten allein, Generalverschiss.
Manchmal kommt so viel zusammen, daß man schon Unglücknornen walten sieht. Drei verlorene Landtagswahlen für Schulz waren schon sehr schlimm und an den Ergebnissen war nicht völlig unschuldig.
Für die noch folgenden Katastrophen kann der arme Mann aber wirklich nichts.
Der Chef seines Wahlkampfteams, Markus Engels muß acht Wochen vor der Wahl wegen einer Erkrankung aufgeben. Der SPD-Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, muß wegen einer Krebsdiagnose schlagartig zurücktreten, die Grüne Landtagsabgeordnete Elke Twesten tritt zur CDU über, weswegen SPD-Ministerpräsident Weil seine Mehrheit verliert und nun auch noch Gerd Schröders Rosneft-Engagement. Schulz wirkt wirklich wie ein Pech-Magnet.
Insbesondere ist es aber ein Pech für Politiker, wenn sich die Presse auf ein kollektives Narrativ einigt.
Wer einmal das Verlierer-Image an sich kleben hat, wird auch von der Majorität der begleitenden Journalisten so beschrieben.
Peer Steinbrück, Fipsi Rösler und Kurt Beck ging es schon so. Da wurden Petitessen zu „typisch Beck“ aufgeblasen, als habe er an allem Schuld. Kleinigkeiten, die genauso in Merkels Umfeld geschehen, ihr aber nie angekreidet werden.
Viel mehr ehemalige CDU-Größen sind tief in den Wirtschaftslobbyismus verstrickt – Wulff, Koch, Wissmann, Kohl und dazu alle ehemaligen Staatsminister aus Merkels Kanzleramt. Das schadet ihr aber gar nicht, weil ihr kollektives Narrativ vorsieht, daß sie die Bundestagswahl am 24.09. bereits strahlend gewonnen hat und in der komfortablen Lage sein wird, sich einen willigen Koalitionspartner auszusuchen.
Politiker können auch positive Kollektiv-Narrative haben. Das beste Beispiel war Karl-Theodor Baron Freiherr von und zu, der zwar politisch rein gar nichts zu Stande brachte, noch nicht mal Meinungen vertrat, aber immer nur hymnisch gefeiert wurde. „Die fabelhaften Guttenbergs“ titelte der SPIEGEL voller Verzückung über den Lügenbaron.
Zu eben jener Zeit schlug Kurt Beck vor, der als SPD-Chef das Image des provinziellen Pfälzer Deppen mit sich herumschleppte, mit den afghanischen Taliban zu reden, um aus dem kriegerischen Bahnen herauszukommen.
Die gesamte Presse fiel über ihn her. Da könne man mal sehen was für ein Provinzler ohne irgendeine außenpolitische Kompetenz Beck sei. Der Vorschlag sei purer Unsinn, denn mit den Taliban könne man nicht reden, da diese Fanatiker wären.
Becks Popularitätswerte sanken weiter.
Wenige Wochen später schlug der strahlende neue Politstar Verteidigungsminister Guttenberg vor, die Bundeswehr solle auch mit den Taliban verhandeln, um der Gewaltspirale zu entkommen.
Giovanni di Lorenzo und die anderen KTG-Fans konnten sich kaum halten vor Begeisterung. Deswegen sei Guttenberg zu Recht so beliebt, weil er als Quereinsteiger wage mutig zu denken und neue Wege zu beschreiten. Nur so könne man einen Konflikt beenden, indem man mit den Gegnern spreche.

Einem einmal anhaftenden Image entkommt man so gut wie gar nicht.
Noch Monate nachdem Guttenbergs Lügen und Betrügereien enttarnt waren, stand er in den Beliebtheitslisten ganz oben und bis heute mühen sich seine Fans in den Chefredaktionen um ein Comeback.
Der ZEIT-Chef schrieb sogar ein ganzes Fan-Buch über ihn und startete einen medialen Feldzug, um KTG nach Deutschland zurück zu holen.

Es geht nicht darum, wie viel der Baron verkraften kann. Es geht um seinen Narzissmus. Der Guttenberg, den man hier wiedertrifft, kreist um sich selbst - und liefert kaum Substanz. Denn wenn es um politische Inhalte geht, sind die Äußerungen des Mannes, den sein Interviewer "zu den größten politischen Talenten des Landes" zählt, dürftig, um es freundlich zu formulieren.
(Jakob Augstein 01.12.11)

Wieso läßt ein intelligenter Mann wie di Lorenzo Guttenberg alle seine dummdreisten Lügen und haltlosen Behauptungen durchgehen, ohne kritisch nachzufragen?
Wollte er ihn womöglich nur entlarven, indem er ihn reden ließ?

Dagegen spricht die Tatsache, daß di Lorenzo ihn noch mit als letzter verteidigte, bevor Guttenberg zurücktrat.

Dagegen spricht auch di Lorenzos Rechtfertigungsschrift in der nächsten Ausgabe der ZEIT.

Ob Martin Schulz sich selbst aus der journalistischen Loser-Schablone befreien kann, wage ich zu bezweifeln.
Dazu ist er nicht mutig genug.

SZ-Co-Chef Heribert Prantl beklagt das Rosneft-Engagement Schröders, bekennt aber, ihn gelegentlich zu vermissen. Über Nacht wäre der Wahlkampf wieder spannend, wenn er statt Schulz anträte. Er würde eine echte Alternative zu Merkel bieten und sich klar gegen Trump positionieren.
Der öde Nicht-Wahlkampf wäre vorbei, Merkel müßte wieder zittern.

Schröder ist einer der ganz wenigen Politiker, der gegen sein (meist schlechtes) Presse-Image ankämpfen kann und genügend Aufmerksamkeit erregt.
Dagegen ist Martin Schulz nahezu unsichtbar und kann tun was er will; er wird doch nicht anders rezipiert.

Ein bißchen Schröder steckt auch in Sigmar Gabriel, den anderen ehemaligen Niedersächsischen Ministerpräsidenten und SPD-Chef, der wir Schröder von seiner eigenen Partei quasi entsorgt wurde.
Gabriel ist ebenfalls mutig und auffällig. Nicht so wie der Ex-Kanzler, aber doch deutlich wahrnehmbarer als Schulz.

Mit sicherem Instinkt greift er heute die Gelegenheit beim Schopfe sich in der Angelegenheit des in Spanien auf Druck der Türkei verhafteten deutschen Schriftstellers Dogan Akhanli in Szene zu setzen.

Die Türkei ließ den in Grenada urlaubenden deutsche Staatsbürgers Akhanli über Interpol verhaften. Offensichtlich, weil der Autor sich in seinen Stücken mit dem türkischen Völkermord an den Armeniern beschäftigt.

Ein neue Ungeheuerlichkeit, die Recep Tayyip Erdoğan nur einen Tag nach seiner Aufforderung nicht CDU, SPD oder grün zu wählen lostritt.
Ja, auch Schulz verurteilt das und tut verbal das was er als Privatmann ohne Amt tun kann.

[….] SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sprach in der "Bild am Sonntag" ("BamS") von einem "ungeheuerlichen Vorgang". "Das Verhalten von Präsident Erdogan trägt inzwischen paranoide Züge", sagte er der Zeitung. "Es muss mit aller Vehemenz darauf gedrungen werden, dass Herr Akhanli nicht in die Türkei ausgeliefert wird und stattdessen schnellstmöglich freigelassen wird." [….]
(SPON; 19.08.17)

Gabriel aber ist effektiver und richtet sich auch brutal gegen seine Chefin Merkel, deren Schwäche er ausnutzt. Merkels Türkei-Politik, ihr Erdoğan-Apeasement ist spektakulär gescheitert. Sie steht vor einem außenpolitischen Scherbenhaufen, den sich so kurz vor der Bundestagswahl nicht ausgeleuchtet haben möchte.
So viele Zugeständnisse an Erdoğan, so viele EU-Milliarden an die Türkei und dennoch kann Merkel rein gar nichts erreichen, wenn der Präsident sich nun nach Deniz Yücel und Peter Steudtner des dritten Deutschen bemächtigt.

Gabriel tut ihr daher weh, indem er sich so vehement für Akhanli einsetzt und mit Erdoğan bekriegt.

Während die Kanzlerin gar nicht weiß wie ihr geschieht, hat sich Sigmar Gabriel in Windeseile selbst eingeschaltet. Bevor die spanische Justiz über die Auslieferung Akhanlis nach Ankara entscheidet, wies er schon die deutsche Botschaft in Madrid an, die spanische Regierung zu bitten, auf eine Auslieferung zu verzichten. Gabriel selbst telefonierte mit seinem spanischen Amtskollegen Alfonso Dastis und holte das Thema somit auf die höchste Ebene.
Der türkische Präsident schäumt.

[….] Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat Bundesaußenminister Sigmar Gabriel in einer scharfen persönlichen Attacke vor weiterer Kritik an der Türkei gewarnt. „Er kennt keine Grenzen“, kritisierte Erdogan am Samstag in einer im Fernsehen übertragenen Rede mit Blick auf Gabriel. An die Adresse des deutschen Ministers fügte Erdogan hinzu: „Wer sind Sie, dass Sie mit dem Präsidenten der Türkei reden? Beachten Sie Ihre Grenzen!“
Des weiteren kritisierte der türkische Präsident, dass Gabriel versuche, „uns eine Lektion zu erteilen“. Wiederum an den Bundesaußenminister gerichtet fügte Erdogan hinzu: „Wie lange sind Sie eigentlich in der Politik? Wie alt sind Sie?“
Mit seiner Kritik reagierte Erdogan offenbar darauf, dass sich Gabriel wie andere deutsche Politiker auch – jede Einmischung des türkischen Präsidenten in den deutschen Wahlkampf verbeten hatte. Erdogan hatte türkischstämmige Wähler in Deutschland am Donnerstag aufgefordert, bei der Bundestagswahl im September die Wahl von CDU, SPD und Grünen zu boykottieren, worauf Sigmar Gabriel entsetzt reagierte. […]
(FAZ, 19.08.17)

Was Gabriel hier tut, nämlich mit aller Macht Akhanlis Auslieferung in die Türkei zu verhindern, ist nicht nur moralisch richtig und das was eine deutsche Bundesregierung für ihre Staatsbürger in Not tun muss; es ist auch ein guter Wahlkampfzug, der Merkel, die interessanterweise vom tobenden Türken gar nicht erwähnt wird, schwach aussehen lässt.

Ein Kanzler Schröder hätte sich mit Sicherheit in dieser Situation selbst mit Macht in den Ring geworfen.

Merkel nicht.

Aber auch Schulz bleibt, trotz seiner Bemühungen, medial unbeachtet.