Montag, 16. September 2013

Plädoyer wider die Plebiszite


 
Der gemeine Wähler orientiert sich an zwei Prinzipien:
Dem St. Florians-Prinzip und der Mir-das-meiste-Strategie.

Die Grünen erleben gerade wie der Wähler tickt. Nachdem es in den Jahren 2010/2011 sogar im Bereich den Möglichen schien,  daß ein Grüner ins Kanzleramt einziehen könnte, weil man in Umfragen locker die 20%-Marke nahm und im tiefschwarzen Baden-Württemberg einen Ministerpräsidenten stellt, fand man sich gestern in Bayern bei Achtkomma hinter den Freien Wähler wieder.
Wie konnte das passieren?
Ganz einfach; die Grünen begingen den fatalen Irrweg den Wähler als vernünftig und einsichtig einzuschätzen. Sie dachten, man könne mit Ehrlichkeit und Seriosität punkten.
Sie stellten ein DURCHGERECHNETES Steuerkonzept vor, nach dem 90% der Menschen ENTlastet und die 10% Reichsten BElastet würden.
Das ist erstens strategisch doof, weil sich mindestens 50% der Bürger zu den 10% der Reichsten zugehörig fühlen und zweitens völlig überflüssig.
Viel besser kommt das CDU-Konzept beim Urnenpöbel an: Es wird das Blaue vom Himmel versprochen und kein Gedanke daran verschwendet woher die Mittel kommen sollen, indem man irgendwo hinten ins Kleingedruckte die Zauberformel „unter Finanzierungsvorbehalt“ schreibt.
Mit dieser Strategie kann man sich dann erlauben vier Jahre lang REIN GAR NICHTS aus dem Regierungsprogramm und der Koalitionsvereinbarung umzusetzen und dennoch extrem beliebt zu sein.
Um beim Urnenpöbel auf Wohlgefallen zu treffen, darf man nie konkret werden und sollte wie Horst Seehofer nach Lust und Laune heute dies und morgen das Gegenteil dessen fordern. Der Wähler hört dann nur das für ihn Angenehme heraus und schaltet anschließend sein Gehirn auf „Standbye.“
Dieser erfolgreichen Methode folgend, läßt sich der CDU-Nachwuchs frühzeitig das Rückgrat entfernen.


Bayern hat bewiesen, daß der Wähler nicht reif für vernünftige Entscheidungen ist.
Das bayerische Wahlsystem, welches ein doppeltes Personenwahlsystem ist, bei dem man also im Stimmkreis und im Wahlkreis eine Person wählt, aber alle Stimmen für die Landtagszusammensetzung relevant sind, gibt dem Urnenpöbel durchaus die Macht einzelne Bewerber, die durch besondere Fehlleistungen aufgefallen sind, abzustrafen.
Allein, es wurde nicht genutzt. Alexander König (der Typ mit der Kamera), Beate Merk (Mollath) und Ilse Aigner (Totalausfall in Berlin) bekamen allesamt Landtagsmandate.
Die schlimmsten Lügner, Versager und Raffkes hatten allesamt keine Probleme wieder in den Landtag einzuziehen.

    Leslie Mandoki, Ex-Dschinghis-Kahn-Musiker, wird wohl für die CSU zukünftig im Landtag sitzen. Seine Kollegen dürfen sich auf ausufernde Redebeiträge freuen, dafür ist Mandoki berüchtigt. Er sei ein Kandidat, "den man bei der CSU gar nicht erwarten würde", sagte Harald Schwab, Chef des CSU-Kreisverbands Starnberg. […]
    CSU-Spitzenkandidat Horst Seehofer hat den neu geschaffenen Stimmkreis Neuburg-Schrobenhausen souverän erobert. Nach der Auszählung fast aller Stimmen lag der alte und neue Ministerpräsident mit 63 Prozent unangefochten an der Spitze. Im benachbarten Ingolstadt schaffte es seine Sozialministerin Christine Haderthauer mit 45,7 Prozent. Die CSU legte dort zehn Prozentpunkte zu.
    Ilse Aigner, Seehofers potenzielle Kronprinzessin der CSU, lag nach Auszählung von zwei Dritteln der Stimmen in ihrem Stimmkreis Miesbach bei etwa 58 Prozent der Erststimmen. Damit hätte sie als Direktkandidatin gegenüber der Wahl vor fünf Jahren etwa 15 Prozentpunkte für die CSU gutgemacht. […]
    Die Schlagzeilen um einen kostspieligen Kamerakauf haben CSU-Fraktionsvize Alexander König […]  nicht das Mandat gekostet. [….] Im Stimmkreis Hof kam er bei den Erststimmen laut vorläufigem Ergebnis auf 40 Prozent […] Sein SPD-Konkurrent Klaus Adelt schaffte 33,6 Prozent. König war in die Kritik geraten, weil er auf Staatskosten mit Billigung des Landtagsamtes eine Luxuskamera im Wert von etwa 6000 Euro angeschafft hatte.  [….]
    Seit etwa zehn Jahren ist Beate Merk bayerische Justizministerin, nun ist sie erstmals als direkt gewählte Abgeordnete im Landtag. Die 56 Jahre alte CSU-Politikerin holte im Stimmkreis Neu-Ulm 47,1 Prozent der Erststimmen, und lag damit weit vor dem SPD-Bewerber Karl-Martin Wöhner (20,5 Prozent). Merk wechselte im Herbst 2003 als Neu-Ulmer Oberbürgermeisterin nach München und hatte deswegen zunächst kein Landtagsmandat. Vor fünf Jahren kam sie über die schwäbische Liste ins Parlament, nun trat sie erstmals als Direktkandidatin an. Zuletzt stand Merk wegen des Falls Mollath massiv in der Kritik.

Ich behaupte, das Urteilsvermögen der Wähler ist derart unterentwickelt, daß man es unbedingt bei den Landtags- und Bundestagswahlen belassen sollte.

Bitte keine zusätzlichen Plebiszite!
Unsere Abgeordneten, die sich professionell mit Politik beschäftigen und sich zumindest ab und an mit Fakten rumschlagen müssen, sind schon reichlich unterbelichtet und kommen ihrem Job mehr schlecht als recht nach.
Diese ohnehin mangelhafte Urteilskraft sollte man nicht noch zusätzlich verschlechtern, indem man diejenigen, die wirklich gar nichts von der Materie verstehen und rein egoistisch-intuitiv entscheiden, befragt.

In der Satiresendung „Extra 3“ gibt es die Kategorie „Realer Irrsinn“, in der Behördenpossen und kommunales Regierungsversagen gezeigt werden.
Ein der letzten Folgen zeigte die Unmöglichkeit ein dringend benötigtes Klohäuschen in Hannover aufzustellen. Das „City-WC O140“ kostete 90.000 Euro und kann nicht benutzt werden, weil dieser Plebiszitwahn um sich gegriffen hat. Jeder, der in der Nähe eines potentiellen Standortes protestiert streng nach dem St. Floriansprinzip, das Klo möge doch bitte nicht ausgerechnet vor seiner Tür stehen.
Und so stinkt es eben weiter überall nach Pisse, weil die Stadt nicht mal mehr in der Lage ist ein Klo per order di mufti aufzustellen.


Diese „Posse“ verstehe ich nicht als solche, sondern als eine Metapher für die Unmündigkeit des Bürgers.
Wenn schon so eine Lappalie nicht funktioniert, wie sollte man dann bei wichtigeren Entscheidungen auf Bürgerurteile vertrauen?

Es muß nur ein realer oder erfundener Fall von sexuellem Kindesmissbrauch ein paar Wochen ordentlich von der BILD und Co hochgejazzt werden und im Anschluß würde eine Volksbefragung eine Mehrheit für die Todesstrafe ergeben.

Plebiszitäre Elemente funktionieren mit aufmerksamen, rationalen und informierten Bürgern.
Solche haben wir aber in Deutschland nicht.