Einer
der wenigen sympathischen Aspekte an der US-amerikanischen Religiosität ist das
Konfessionshopping.
Jeder Amerikaner wechselt statistisch einmal im Leben seine
Kirche. Immerhin. Offensichtlich sind sie nicht bereit alles einfach
mitzutragen und suchen sich irgendwann einmal eine Kirche, die ihnen mehr
zusagt.
Zwischen
Flensburg und Garmisch ist das verpönt.
Es treten zwar Menschen aus der Kirche aus,
aber die Gräben zwischen den Konfessionen sind immens. Überzeugte Konvertiten
sind selten. Uta Ranke-Heinemann und Steffen Seibert sind solche Beispiele.
Dafür
sind in Amerika die Gräben zwischen den beiden großen Parteien gigantisch. Zusammenarbeit
und Koalitionen gibt es schon lange nicht mehr. Man hasst sich leidenschaftlich
bis auf’s Blut und arbeitet hauptsächlich im Negative-Campaigning.
Es geht
immer darum shitstorms zu entfesseln.
In Deutschland gibt es mehr Parteien als in
den USA. Da gibt es durchaus Schnittmengen, so daß ein Mitglied, dem bestimmte
Fragen wichtig sind, irgendwann mal übertreten kann.
Das
geht quer durch den Garten.
Es ist zwar nicht recht vorstellbar, daß einer von den
Linken zur FDP, oder umgekehrt, wechselt. Aber CDU und CSU haben in den letzten
Jahren immer wieder das zuvor Undenkbare erlebt: Konservative vom Lande treten
auf einmal zu den Grünen über, weil ihnen dämmert, daß konservative Begriffe
wie Nachhaltigkeit, Naturschutz, biologische Landwirtschaft, „Erhaltung der
Schöpfung“ gut bei den Grünen aufgehoben sind, während die C-Parteien auf Gentechnik
und Mega-Verkehrsprojekte setzen.
Manchmal
ist es auch so, daß die Parteien ihre Wurzeln kappen und sich weit wegbewegen.
Günther Verheugen und Ingrid Matthäus-Maier wechselten zwar von der FDP zur SPD,
blieben sich aber in ihrem linksliberalen bürgerrechtlichen Kurs treu, während
die FDP zum reinen CDU-Apendix und Lobbyistensprachrohr mutierte.
Auch
Gustav Heinemann blieb seinen ehrenwerten Überzeugungen treu, als er 1950 als Bundesinnenminister
der CDU aus Protest gegen die Wiederbewaffnung zurücktrat und schließlich
Mitglied der SPD wurde.
Beim
Weg von links nach rechts sind meistens persönlichere Verwirrungen,
Animositäten oder Karrierestreben die Antriebsfedern.
Vera
Lengsfels, Oswald Metzger, Angelika Barbe, Günter Nooke, Ehrhart Neubert, Arnold
Vaatz wechselten aus PDS-Hass (außer Metzger) zur CDU, die vorher mit zwei DDR-Blockparteien fusioniert
war.
Logisch
ist anders.
Außerhalb
der reinen Parteipolitik haben auf dem Weg von links nach rechts Arnulf Baring
und Horst Mahler die längsten Strecken zurück gelegt.
Mahler schmort
hoffentlich gerade im Knast.
Baring schmort auf den Talkshowbänken von
Maischberger und Will. Dort darf er den Wiedergänger der Comic-Figur Cholerix
geben und seine angebräunten Sätze absondern.
Konsequent
immer rechter und neoliberaler wird auch Wolfgang Clement.
Ähnlich wie sein
Parteikollege Klaus von Dohnanyi war er einst ein sehr angesehener
SPD-Ministerpräsident.
Beide entwickelten aber einen regelrecht pathologischen
Hass auf die Grünen.
Während
immer mal wieder Grüne die Partei verlassen, weil sie ihnen viel zu konservativ
wird (es gibt heute Ex-Grüne bei Linken und Piraten) wirkten die Ökopaxe auf
Clement und von Dohnanyi geradezu linksextrem.
Am
Abend der Bundestagswahl 1994 zeigte sich der ehemalige Hamburger
SPD-Bürgermeister sehr zufrieden über den Kohl-Wahlsieg, weil damit wenigstens
Rot-Grün verhindert würde.
Clement
rief im Januar 2008 beim Hessenwahlkampf zur Wahl der FDP auf.
Während
von Dohnanyi in Liebe zu Angela Merkel entbrannte, begeisterte sich Clement für
Westerwelle.
Nach
der nahezu einmütig als wegweisend und grandios erachteten Parteitagsrede
Helmut Schmidt im November 2011, in der der Altkanzler die schwarzgelbe Außenpolitik
kritisierte, schnappte Merkels Pudel von Dohnanyi sofort zu.
An Guidos und
Angelas Politik gäbe es nichts zu kritisieren.
„Ich finde, das war ein großer
Fehler“ von Helmut Schmidt, empörte sich die einstige Hamburger SPD-Größe. Er halte Schmidts
Vorwurf für „grundfalsch“ und „sehr gefährlich.“ „Ich hoffe, er findet einen
Weg, das zu korrigieren.“
Clement
hat inzwischen die SPD verlassen und macht aktiv für die FDP Wahlkampf.
Er hatte
Auftritte mit Westerwelle und ruft bei jeder Gelegenheit zur Wahl der
Röslerigen auf.
Daß
er sich so scharf gegen eine mögliche Rot-Grüne Koalition im AKW-Land Hessen
engagierte, dürfte damit zusammenhängen, daß Clement seit Februar 2006 im Aufsichtsrat
der RWE Power AG sitzt.
Am 25.11.2008 trat er aus der SPD aus.
Im folgenden Bundestagswahlkampf erkannte der Ex-MP von NRW die FDP sei die „einzige
Fortschrittspartei Deutschlands.“
Der sagenhafte liberale Absturz ins Bodenlose
irritierte den 72-Jährigen nicht.
2012 trat er unter anderem mit FDP-Gesundheitsminister
Bahr im „Forum Liberal“ auf und unterstützte im NRW-Wahlkampf Christian
Lindner.
Clement
hat inzwischen ein halbes Dutzend Aufsichtsratspöstchen und war im August 2010 einer
von 40 prominenten Unterzeichnern des „Energiepolitischen Appells“ der
großen Stromkonzerne um die Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke
durchzusetzen.
Seine
Metamorphose zum Cheflobbyisten der Industrie krönt er jetzt mit dem Chefposten
der Arbeitgeberlobby „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, die
rechtskonservative Wirtschaftsinteressen der Großindustrie mit enormen Geldmitteln durchsetzt.
Nach diversen Wahlkampf-Empfehlungen für die FDP zieht er nun in eine der letzten Bastionen des konservativ-liberalen Denkens der Republik ein. Er übernimmt den Vorsitz des Kuratoriums der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und tritt damit die Nachfolge von Ex-Bundesbank-Präsident Hans Tietmeyer an.(SZ 06.07.12)