Es ist ein Pech. Durch die heute nahezu jedem zur Verfügung stehenden Technik, kann man das Weltgeschehen live und in Farbe über ein nur wenige Gramm schweres 6-Zoll-Gerät verfolgen und dabei unweigerlich in Depressionen verfallen.
Nach den gestrigen Wahlen und den grauenvollen Bildern aus Israel, ist wieder einer dieser Tage, an denen man sich eine Auszeit von der Welt wünscht, die aber nun einmal unmöglich ist.
Die Konsequenzen der rechtspopulistischen Spalter in Regierungsverantwortung – Trump in Washington und Natanyahu und Jerusalem – erleben wir jetzt.
[…..] Israels Präsident Izchak Herzog geht davon aus, dass seit dem Holocaust nicht mehr so viele Juden an einem Tag getötet worden sind, wie bei den Terrorattacken der Hamas am Samstag. Eine konkrete Zahl nannte der Präsident nicht. „Seit dem Holocaust haben wir nicht mehr erlebt, wie jüdische Frauen und Kinder, Großeltern – sogar Holocaust-Überlebende – in Lastwagen gepfercht und in die Gefangenschaft gebracht wurden“, sagte er in einem auf X zu sehenden Video.
Auch unschuldige Muslime und andere Gläubige hätten die Hamas-Anhänger gefoltert. Ganze Familien seien kaltblütig ermordet worden. „Wir werden mit voller Kraft und unerschütterlichem Engagement handeln, um diese Bedrohung für unser Volk zu beseitigen“, so der Präsident. Hamas habe die Grausamkeit des sogenannten Islamischen Staates übernommen. Die Angreifer seien kaltblütig in Häuser eingedrungen und hätten ganze Familien ausgelöscht. Dies alles zeuge von der Brutalität, Unmenschlichkeit und Barbarei von Monstern. „Nicht von Menschen, Monstern“, setzte Herzog nach. [….]
IQ45 hatte seinen zutiefst korrupten und menschenfeindlichen Schwiegersohn eingesetzt, um, wie Trump offenbar glaubte, mal eben den Nahost-Konflikt zu lösen.
Jerusalem als Hauptstadt anerkannt, um die Hamas maximal zu reizen.
Aber die Welt ist nicht so einfach, wie es sich ein ungebildeter Golfer aus Florida vorstellt. In Kombination mit Bibi, dem rechtsradikalen Antidemokraten mit schwerer Macht-Hybris, wurde ein toxisch-tödliches Gemisch angerührt. Es scheint wirklich so zu sein, wie Stephan Stetter von der Bundeswehr-Uni in den Tagesthemen vom 07.10.2023 andeutete; die israelischen Geheimdienste waren womöglich gar nicht so ahnungslos und haben ihre Regierung durchaus gewarnt. Allein, die rechtsradikalen Irrem Im Bibi-Kabinett hatten anderes zu tun.
[…..] Das pogromartige Gemetzel, das die islamistische Hamas am vergangenen Samstag an israelischen Zivilisten veranstaltet hat, ist in der Geschichte des Landes einzigartig. Die Verantwortung dafür tragen allein die palästinensischen Terroristen. Doch dass sich Israel in solch einer Situation wiederfindet, nämlich geschwächt, überrascht, attackiert, hat viel mit der Politik des israelischen Premiers Benjamin Netanyahu zu tun.
Netanyahu ist klarer Gegner einer Zweistaatenlösung. […..] Damit teilt er ein Ziel mit der ideologischen Siedlerbewegung. Auch sie will das Gebiet behalten, aber aus theologischen Gründen: Weil es Teil des von Gott an die Juden verheißenen Landes sei. Diese Gründe interessieren ihn weniger. Und doch unterstützt er die Siedler seit den Anfängen seiner politischen Karriere. […..] Da Netanyahu stets klar war, dass eine offizielle Annexion des Westjordanlands weder von den USA noch von einem Großteil der weiteren Staaten akzeptiert werden würde, ließ er sie inoffiziell geschehen. […..] Gleichzeitig aber betrieb er eine Politik des »divide et impera«, des Teilens und Herrschens. Er begrüßte die Spaltung der Palästinenser in zwei Lager: mit Palästinenserpräsident Abbas im Westjordanland auf der einen Seite und der radikal-islamischen Hamas in Gaza auf der anderen Seite. Sie führte zu einem kompletten Stillstand des Friedensprozesses. Das wiederum war Netanyahu wohl nur Recht. Dass man auf Dauer ein Volk mit knapp sechs Millionen Menschen nicht unter Besatzung halten kann, ließ er unter den Tisch fallen. […..] Der Überfall der Hamas am vergangenen Samstag hat diesen Friedensvertrag in weite Ferne gerückt. Und bewiesen, dass Netanyahus Politik der reinen Krisenverwaltung nicht funktioniert. […..] Dass eine Explosion in den Palästinensergebieten kommen würde, davor hatten Geheimdienste und Militärs schon lange gewarnt. Nach dem Wahlsieg im vergangenen November, der Benjamin Netanyahu nach knapp anderthalb Jahren wieder zurück an die Macht brachte, schmiedete er die rechtsextremste und ultrareligiöseste Koalition in der Geschichte des Staates Israel. […..] Nicht nur die Kampfkraft der Armee begann zu leiden, schlimmer noch: Die Feinde Israels beobachteten genau, wie sich Israel innenpolitisch selbst zerlegte. Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendjemand in der Nachbarschaft Israels diese Situation ausnutzen würde, war groß. Genau davor hatten die Militärs Angst. Wie desinteressiert Netanyahu war, zeigte sich Anfang Juli, als kurz vor der Verabschiedung eines ersten Gesetzes der Justizreform Generalstabschef Herzl Halevi seinen Premier in der Knesset aufsuchte, um ihn über die Sicherheitslage zu briefen. Netanyahu weigerte sich, vor der Abstimmung für das Gesetz mit Halevi zu reden.
Netanyahu schien sein eigenes Wohl wichtiger zu sein als das des Landes und seiner Bürger. Und um an der Macht zu bleiben, um eines Tages seinen Prozess beenden zu können, gab er seinen Koalitionspartnern, was auch immer sie forderten. Sie hatten ihn in der Hand, allen voran der rechtsextreme Nationale Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir und Finanzminister Bezalel Smotrich. Letzterer gibt der Siedlerbewegung immer mehr Geld, um immer schneller neue Siedlungen zu bauen, um die Annexion des Westjordanlands voranzutreiben. Smotrich und Ben-Gvir machen keinen Hehl aus ihren Plänen. Die Folgen dieser Politik waren unübersehbar. Immer häufiger kam es zu Anschlägen von palästinensischer Seite, immer härter griff die Armee durch. Die Zahl der Toten auf beiden Seiten wuchs. Und ebenso wuchs die Selbstermächtigung der radikalen Siedler, die nun zwei der ihren in der Regierung wussten. […..]
(Richard C. Schneider, 09.10.2023)
Ja, sicher, kurzfristig stehen Israelis zusammen. Sie spenden alle Blut. Stellen sich ohne Wenn und Aber hinter ihre Armee und die Regierung. Aber sie werden den Blutzoll aus dem Oktober 2023 nicht vergessen, die Demütigung verinnerlichen und Netanyahu künftig auch an den mutmaßlich weit über 100 israelischen Geiseln in der Hand der Hamas messen.
[…..] Der israelische Staat hat gleichzeitig sein Grundversprechen auf Abschreckung und Verteidigung vernachlässigt. Die Sicherheit der Grenzen und der Schutz durch die Freunde waren geschwächt. Das Land, das stets und vor allem anderen darauf achten musste, möglichst wenig verwundbar und angreifbar zu sein, war abgelenkt. […..] Premierminister Benjamin Netanjahu mag sich noch so sehr als eiserner Beschützer gerieren. Aber seine Machterhaltungsstrategie der vergangenen Jahre, die obskuren Winkelzüge im Koalitionsspiel und die ideologische Polarisierung des Wahlvolks haben Israel gefährdet. Eine Bevölkerung von nicht mal zehn Millionen Menschen kann sich die Spaltung nicht erlauben, die Netanjahu aus niedrigem, politischem Überlebensinstinkt befeuert hat. Die Verfassungskrise hat den Bruch zwischen der radikalen Netanjahu-Front samt ihrer obskuren Koalition und den Institutionen des Staates sichtbar gemacht. Militär und Sicherheitsapparat haben sich Netanjahu offen verweigert. Die Spaltung des Landes verläuft mitten durch die Dienste. Das hat sie geschwächt und ihren Fokus verschoben. […..] Auch die Bedingungen in Israels Nachbarschaft haben sich zu Ungunsten des Landes verändert. Die von Donald Trump willkürlich inszenierte Abraham-Übereinkunft zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie Bahrain hat Israel freie Hand in der Siedlungspolitik gegeben. Palästinensische Interessen wurden dabei marginalisiert und ignoriert. Die arabischen Staaten haben diesem seltsamen Deal zulasten Dritter zugestimmt, weil sie einen Vorteil daraus zogen: Isoliert wurde vor allem Iran, ihr Gegner und die Patronatsmacht von Hamas und Hisbollah. So geriet der Gazastreifen zum weißen Fleck auf der Landkarte, eine terroristische Brutstätte unter iranischer Obhut. Der Terrorangriff belegt nun brutal, wie undurchdacht und kurzlebig diese Verabredung war. Die Sympathien vieler Araber werden am Ende wie stets den Palästinensern gelten, der Hamas-Terror wird zum heldenhaften Widerstand stilisiert. Dass es vor allem diese Organisation ist, mit der kein Frieden zu finden ist und die auf dem Rücken der Gaza-Bewohner ihr Mordgeschäft betreibt, geht im Schlachtenlärm unter. […..]
(Stefan Kornelius, SZ, 09.10.2023)
Tom Segev berichtet ebenfalls von dem schweren Versagen seiner Regierung. Eine starke Arme zu haben, ist das eine. Aber eine zutiefst inkompetente rechtsradikale Regierung zu haben, das andere.
[…..] Als der Historiker am Tag zuvor um sechs Uhr früh in seiner Wohnung in Jerusalem Sirenen und Raketenalarm gehört hatte, schaltete er den Fernseher ein, ehe er in den Schutzbunker flüchtete. Beim Anblick der Bilder habe er zuerst gedacht, es handle sich um einen der vielen Filme über den Jom-Kippur-Krieg, die in den vergangenen Wochen ausgestrahlt wurden, sagt Segev. Immer wieder habe es geheißen, so etwas könne erneut drohen. "Offenbar hat man sich nur theoretisch damit beschäftigt, aber nicht für den Ernstfall vorbereitet. Es ist genauso eine Situation wie 1973."
Segev ist einer der international bekanntesten israelischen Historiker, er hat Standardwerke zur Geschichte seines Landes verfasst und sich intensiv mit der Zeit der Staatsgründung 1948 und mit den nachfolgenden Kriegen auseinandergesetzt. Er verweist darauf, dass auch dieser Krieg 1973 mit einem Überraschungsangriff Ägyptens und Syriens am 6. Oktober, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, auf dem Sinai und den Golanhöhen, begonnen hatte. […..] "1973 haben die Dinge in Israel nicht funktioniert. Jetzt ist es wieder so", sagt Segev. Eine Milliarde Euro habe man in den angeblich sichersten Grenzzaun investiert. "Und dann kommen die Jungs aus dem Gazastreifen mit einem Bulldozer und reißen das einfach weg." […..]
Die militärische Aufgabe, die vor der politischen Führung liegt, scheint ohne schwere Verluste und Menschenrechtsverletzungen nicht lösbar zu sein. Militärexperten geben äußerst düstere Prognosen.
[…..] Wenn Israel die Kontrolle über sein eigenes Territorium zurückerlangt hat, beginnt die heiße Phase der Bodenoperation. Dabei wird Israel sich aller Wahrscheinlichkeit zunächst auf die Befreiung der israelischen Geiseln konzentrieren. Sollte der Geheimdienst Informationen darüber haben, wo sich die Geiseln aufhalten, werden wohl zunächst Spezialkräfte in Gaza operieren, um diese zu befreien. Erst danach würde es zu einer massiven Bodenoffensive kommen, die im urbanen Gelände stattfindet und aller Wahrscheinlichkeit nach einen hohen Blutzoll nach sich ziehen wird - auch auf israelischer Seite. […..] Unklar ist, was nach einer erfolgreichen Bodenoffensive (die Monate dauern kann) passieren wird. In Israel gibt es durchaus Stimmen, die fordern, den Gazastreifen erneut zu besetzen.
Man sollte sich dabei aber keine Illusionen machen. Eine dauerhafte Besetzung des dichtbesiedelten Fleckens der Welt würde jahrelange Spannungen und terroristische Aktivitäten gegen Israel in Gaza und in Israel nach sich ziehen. Deshalb erscheint es eher unwahrscheinlich, dass Israel diese Option ernsthaft ins Auge fasst.
Doch Israel kann sich nicht nur auf die Operation in Gaza konzentrieren. Es muss auch sicherstellen, dass keine ihm feindlich gesonnenen Akteure eine zweite Front eröffnen. Und diese zeichnet sich gerade im Libanon ab, wo die Hisbollah Raketen auf den Norden Israels abfeuert. Und auch aus Syrien könnte die Gefahr einer Eskalation gegenüber den Golanhöhen drohen. [……]
(Carlo Masala, ZDF, 09.10.2023)
Es ist vielleicht der einzige winzige Lichtblick der Katastrophe, daß die Israelischen Wähler endlich erkennen mögen, wohin ihr Dauerregierungschef Netanyahu sie steuert. Möge er endlich abgewählt und durch den Verlust seiner Regierungsimmunität genau wie sein amerikanischer Orange-gesprühter Zwilling im Knast verrotten.
[…..] Geschwächt war der israelische Sicherheitsapparat diesmal durch die innenpolitischen Konflikte, überdehnt durch die irregeleitete Siedlungspolitik der rechtsreligiösen Regierung, die mehr Militär als je zuvor im Westjordanland gebunden hat. Die Regierung wiegte sich dennoch in trügerischer Sicherheit, nachdem selbst Saudi-Arabien zu einem politischen Ausgleich bereit zu sein schien. Die Hamas und zweifelsohne ihre Helfer in Iran haben diese doppelte Angreifbarkeit erkannt, sie wollten Israel treffen und dem saudischen Herrscher die Macht der Straße vor Augen führen. […..]
(Stefan Kornelius, SZ, 10.10.2023)
Was für ein Desaster!