Mittwoch, 8. Februar 2023

Streisand – Teil IV

Wenn Rheinländische Scherzkekse mir steifen Norddeutschen vorwerfen, ich verstünde den Karnevalismus nicht und hätte nun einmal keinen närrischen Humor, entgegne ich: Ja, Ihr habt vollkommen Recht! Ich verstehe den Humor nicht nur nicht, sondern finde ihn ausgesprochen abartig. Meine Vorurteile gehen so weit, daß ich überzeugte Karnevalisten auch außerhalb der Karnevalszeit nicht ernst nehmen kann.

Möglicherweise wurde ich schon als Kleinkind indoktriniert. Ich erinnere mich daran, noch im Vorschul- und Grundschulalter ins Elternschlafzimmer (in meiner Familie gibt es keine Fernseher im Wohnzimmer) gerannt zu sein, meine Mutter schockiert vor „Mainz wie es singt und lacht“ im TV vorzufinden, und meinem armen sichtlich gequälten US-Vater zu erklären, sie sei unter anderem DESWEGEN damals in die USA ausgewandert. Der deutsche Humor ist ganz schlimm.

Während meiner Jugend dachte ich, alle Rhein- und Saarländer wären so. Ich könnte als Hamburger glücklich sein, als humorlos zu gelten. Alles ist besser als das. Als Student lernte ich dazu, weil ein Kommilitone aus Düsseldorf stammte. Während der Karnevalsumzüge im Rheinland, besuchten ihn immer seine Düsseldorfer Freunde in Hamburg und wir zogen dann zusammen über die Reeperbahn. Die hassten Rosenmontag noch viel mehr als ich und erklärten mir, man könne als zurechnungsfähiger Rheinländer während der Narrenzeit nur fliehen; das sei einfach nicht auszuhalten. Als Erwachsener lernte ich weitere Rheinländer kennen, die mir voller Emphase versicherten, der Spruch „man muss mit Karneval aufgewachsen sein, um das zu lieben“ wäre eine reine Ausrede. Im Gegenteil, wer das als Kind mitmachen musste, lässt sich als Erwachsener nicht mehr dazu zwingen.

Noch ein paar Jahre später lernte ich erneut hinzu: Selbst begeisterte und engagierte Karnevalisten, die sich das ganze Jahr akribisch darauf vorbereiten, sich bei dem kollektiven Koma-Besäufnis maximal vor der Welt zu blamieren, begreifen „den Sinn“ des Ganzen nicht. Die Komiker-Katholikin Kramp-Karrenbauer steht im Karneval sogar selbst auf der Bühne und tappt dabei im Dumpf-Dunklen.

(….) Eigenartig, daß eine so überzeugte Karnevalistin wie Annegret Kramp-Karrenbauer den Sinn des Karnevals so gar nicht begreift.  Da muss ich als eiskalter Norddeutscher, der sich niemals verkleidet und konsequent jeden Fasching meidet, wohl ein bißchen aufklären.  Offenbar kennt AKK weder die historische noch die literarische Bedeutung eines Hofnarren und die sich daraus ergebende Narrenfreiheit. Gemeint sind die außergewöhnlichen Umstände unter denen ein einfacher Bürger den Mächtigen etwas ins Gesicht sagen darf, ohne dafür böse Konsequenzen spüren zu müssen. Simpel ausgedrückt: Die Schwachen dürfen sich über die Starken lustig machen. Im Karneval dürfen sogar alle Narren sein. Der Narr wird König, und der König wird erniedrigt.

AKK stellte das Konzept auf den Kopf, indem sie als eine der mächtigsten Menschen Deutschlands über die Schwächsten (in dem Fall Transgender) herzog. Verschärfend kam hinzu, daß sie als katholische Vorsitzende der CHRISTEN-Union für eine politisch-religiöse Richtung spricht, die traditionell immer die aggressivsten LGBTI-Feinde waren.

[….] Als CDU-Vorsitzende sollten Sie sich nicht als Putzfrau verkleiden. Das ist heikel. Sie hat bei ihrem Vortrag schale Witze über die Feinstaubdebatte oder das Gewicht von Peter Altmaier gemacht, sich dabei aber hinter der Rolle der Putzfrau versteckt, es einer Putzfrau in den Mund gelegt. Das hat etwas Feiges. Als Politiker verstecke ich mich nicht hinter einer Figur, die in der Hierarchie unter mir liegt. Das hat was Despektierliches und ist für die Putzfrau ehrverletzend. Kramp-Karrenbauer hat so getan, als würde die doofe Putzfrau reaktionäre Gedanken hegen. Dabei hatte Kramp-Karrenbauer selbst solche Gedanken.

[….] Der Karneval ist heute Popkultur und versucht, Menschen zu inte­grieren. Alle können mitmachen, auch ­sexuelle Minderheiten, auch Vertreter des ­dritten Geschlechts. Hier aber hat sich eine Mehrheit über eine Minderheit lustig gemacht. Da ist Frau Kramp-Karrenbauer ihre Konservativität zum Verhängnis geworden. Sie verharrt noch in der Brauchtumskultur der Sechzigerjahre. [….]  Man sollte die kleinen Leute nicht zur Zielscheibe machen - es sei denn, sie verhalten sich asozial. Vertreter des dritten Geschlechts sind aber nicht asozial. [….]

(Jürgen Becker, 24.02.2020)

Auch ihre Rolle als Parteichefin begreift Kramp-Karrenbauer offensichtlich nicht, wie man an ihrem völlig vermasselten Rücktritts-Statement sehen konnte.  (….)

(Annegret Nero-Karrenbauer, 25.02.2020)

Kramp-Karrenbauers Nach-Nachfolger, stammt ebenfalls aus einer Karnevals-Hochburg, nämlich dem Sauerland. Wie AKK teilt er gern kräftig gegen Minderheiten und Schwache aus und verkündete bei seiner Büttenrede von 2006, Paris sei von „marodierenden Afrikanern aus Kolonien besetzt“ und Deutschland solle das „Elsass billig zurückkaufen“.

Die FDP-Bundeswehrlobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, ebenfalls als Düsseldorferin bei den Karnevalioten geboren, gehört zweifellos selbst zu den Reichen und Mächtigen Deutschlands, hat aber den Sinn des Karnevals durchaus verstanden und polterte bei ihrer Rede zur Verleihung des „Ordens wider den tierischen Ernst“ in Aachen gegen die mächtigsten Bundespolitiker. Der Bundeskanzler, als Norddeutscher selbst nicht unter Karnevals-Verdacht stehend,  bekam sein Fett weg und nahm es locker. Ebenso souverän zeigten sich andere schwer von der FDP-Frau Getroffene, wie Pistorius, Söder und Lindner. Die FDP-Freunde verweisen auf den Berliner Landtagswahlkampf.

Die humoreske Doppel-Null Friedrich Merz hingegen, betrachtet selbst verklausulierte Kritik an ihm selbst als Blasphemie und Majestätsbeleidigung. Strack-Zimmermann nannte zwar niemals seinen Namen, aber der im Publikum sitzende Unions-Geront grollte mit versteinerter Miene und begann anschließend zu toben. Er schickte seine willigen Epigonen de Vries und Czaja vor, um Rache, um Genugtuung zu verlangen.

[….] Strack-Zimmermann trat als böse Stiefmutter von Schneewittchen auf und lief zum Skandal-Hit "Layla" zur Rednerposition. Dort teilte sie vor allem gegen Männer in der Politik aus, unter anderem gegen "Bergzwerg" Markus Söder, "Vodkazwerg" Wladimir Putin und eben gegen "Flugzwerg" Friedrich Merz. Die ganze Rede finden Sie in der ARD-Mediathek (ab Minute 16). In der CDU sind jetzt einige sauer. So verhalte man sich selbst im Karneval nicht, sagte CDU-Generalsekretär Mario Czaja der "Rheinischen Post" und fordert eine Entschuldigung. "Das war ein neuerliches Unterschreiten von anständigem Umgang und anständiger Sprache", so Czaja. Auch CDU-Politkerin Julia Klöckner kritisierte die Rede, diese sei "nicht souverän" und "persönlich diffamierend".  [….]

(WDR, 08.02.2023)

Der im Maaßen-Sumpf steckende xenophob polternde Merz zeigt sich damit, wieder einmal, von seiner inkompetentesten Seite.

Nicht nur gibt er sich hier wieder einmal wenig nervenstark und flatterhaft, wenn er seine eigenen Gefühle in den Mittelpunkt der Debatte stellt – also ob es keine drängenderen Probleme gäbe.

Nicht nur begreift auch der Sauerländer Merz, nicht den Sinn des Karnevals und versteht nicht, daß er als mächtiger Millionär und Chef der Konservativen, das natürliche Opfer einer Büttenrede ist.

Zudem steht ausgerechnet die um Anti-Wokeness bemühte CDU, nun erneut als Verbotspartei da. Sie fordert an der Seite übler Homophober und Verschwörungstheoretiker Sprachverbote und will nun auch noch die freie Büttenrede beschränken.


Hinzu kommt auch noch seine Unkenntnis des Streisand-Effektes.

(….) Als Barbra Streisand unbeabsichtigt 2003 den nach ihr benannten Effekt inventete, war möglicherweise wirklich noch nicht jedem digital immigrant klar wie der Schwarm des Internets funktioniert.  Mrs. Streisand hatte damals die die Website Pictopia.com verklagt, weil diese zwischen 12.000 anderen Bildern auch ihr Haus veröffentlicht hatte.  Nicht jeder Mensch klickt täglich auf Pictopia und selbst von denen, die es tun, macht sich kaum einer die Mühe nachzuvollziehen, wer die Besitzer der einzelnen Häuser sind.   Nachdem Streisand aber eine 50-Millionen-Dollar-Klage darüber angestrengt hatte, machte der Fall Schlagzeilen, so daß das inkriminierte Bild rasend schnell im Netz verbreitete und nun wirklich jeder wußte in welchem Haus die Kult-Sängerin und demokratische Aktivistin wohnte.  Sie erreichte also das diametrale Gegenteil dessen, was sie wollte. Die Diva lernte daraus und tat es nie wieder. (….)

(Streisand extrem, 28.03.2019)

Wenn man als extrem Mächtiger NICHT möchte, daß eine Stichelei einesl kleineren Players bekannt wird, ignoriert man sie. Wenn man hingegen als superreicher Papst und kirchliches Oberhaupt von 1,4 Milliarden Menschen, eine kleine Dreimann-Redaktion in Frankfurt verklagt, bekommen die Titanic-Schmähungen erst die unerwünschte weltweite Aufmerksamkeit. Mehr Eigentor geht nicht.

Durch seine weinerliche Empörung erreichte Merz, daß nicht an Büttenreden interessierte Deutsche wie ich (!) überhaupt erst auf Strack-Zimmermanns garstige Reime aufmerksam wurden.

[…]

Böse auf der Zwergen-Schar,

die toxisch' Männlichkeit gebar.

Ihr kennt die Zwerge, die ich meine,

mit ihrem Ego nahe der Beine.

Manche dieser Zwergen-Fritzen,

sehe ich in diesem Saale sitzen. […]

Von Bayern schnell ins Sauerland

zum Flug-Zwerg aus dem Mittelstand.

Den wollte zweimal keiner haben,

weil er nur schwerlich zu ertragen.

Noch so ein alter weißer Mann,

der glaubt, dass er es besser kann.

Die Sitten, supponiert er voller Trauer,

sind nicht mehr wie bei Adenauer.

Nach außen bürgerlicher Schein,

im Herzen aber voll gemein.

Wer vor Krieg geflohen ist,

verhöhnt er als Sozialtourist.

Heißt ein Junge Ali und nicht Sascha

beschimpft den als Grundschul-Pascha.

Und alle Klimaaktivisten

sind für ihn nur noch Terroristen.

Doch treibt's ein Nazi-Prinz zu wild,

dann wird der Flug-Zwerg plötzlich mild.

Beherzt er auf die Schwachen drischt,

weil er so gern im Trüben fischt.

Gerade die, die christlich selbst sich wähnen,

sollten sich für ihn was schämen. […]

Jetzt wird alles rausgeblasen:

Der Porsche-Zwerg darf weiter rasen.

Und ein frivoler Doppel-Wumms

gehört in jeden guten Bums.

(Strack-Zimmermann in Aachen 2023)

Friedrich Merz politisch und persönlich nicht zu mögen, mag für einen Sozi wie mich, wenig verwunderlich sein.

[….] Entweder war das närrische Verblendung oder böse Absicht: In der CDU-Zentrale hätte doch allen klar sein müssen, dass dies nur zu mehr Aufmerksamkeit für die Büttenrede führt und Merz den Namen „Flugzwerg“ so womöglich nie wieder loswird.  Nun bleibt der Eindruck, Merz ist zwar groß im Austeilen vor allem gegen Minderheiten („Sozialtourismus“, „Klimaterroristen“, „Paschas“), aber ganz klein im Einstecken von Kritik. Das erinnert doch stark an einen gewissen Donald Trump. Im Sinne des Landes kann man nur hoffen, dass die Parallelen zwischen dem Ex-US-Präsidenten und dem CDU-Chef an dieser Stelle enden.  […]

(MoPo, 08.02.2023)

Aber ich staune täglich mehr über seine taktische und strategische Dummheit.

Man mag halten von ihm, was man will. Aber intelligent ist Merz offensichtlich nicht.