Die sehr wenigen bekannten Kritiker der deutschen Waffenexporte an die Ukraine, die das nicht aus (heimlicher) Bewunderung für Putin tun, haben ein echtes Image-Problem.
Wer will schon in die Schublade mit den rechtsextremen AfDlern steigen, die sich für die xenophobe, rassistische, homophobe, sexistische Kreml-Weltsicht begeistern? Die von einem christlichen, weißen, patriarchischen Weltbild ohne Schwule, Transsexuelle und emanzipierte Frauen träumen.
Wer will schon in die Schublade mit den antisemitisch, antilinken Nazis der Sorte David Berger steigen, die Selenskyj verachten, weil er Jude ist und von Grünen Politikern unterstützt wird?
Wer will schon in die Schublade mit den völkisch schwurbelnden Linken steigen, die Russland mit ausholendem Whataboutism alles nachsehen, weil die USA auch schlimme Sachen tun?
Die erste Hälfte des Whataboutism, nämlich die eigene Heuchelei aufzudecken und sich bewußt zu machen, welche Verbrechen man völlig unsanktioniert geschehen lässt, verwende ich auch. Daraus darf nur eben nie der Schluss gezogen werden, andere Verbrechen zu rechtfertigen. Wenn ich einen Menschen ermorde, bleibt das immer falsch und nicht zu rechtfertigen, auch wenn ich noch so viele andere Mörder aufzähle.
Es gibt viele sehr falsche Gründe, sich mit Putins Politik zu solidarisieren.
Mir fällt noch nicht mal ein richtiger Grund ein, mich mit Putin gemein zu machen.
Ich behaupte aber, daß es fahrlässig naiv ist, als einzige Auswege aus dem Krieg, einen totalen militärischen Sieg der Ukraine oder den Sturz Putins mit einem anschließenden Regimechange im Kreml zu akzeptieren. Nach der Logik hängt alles nur von genügend westlichen Waffenlieferungen nach Kiew ab und jede Form des Kontaktes mit Putin ist verwerflich.
Ich behaupte aber, daß diese beiden Optionen, den Krieg zu beenden höchst unwahrscheinlich sind. Russland ist ein riesengroßes mächtiges Land mit unverzichtbaren Bodenschätzen. Es ist eine atomare Supermacht und wird schon deswegen seinen Status als eine von fünf weltexklusiven UN-Vetomächten nicht verlieren, weil die Mehrheit der Weltbevölkerung (BRICS-Staaten!) sich nicht gegen Russland stellt.
Putins Charakter und die Frage wie sehr man ihn persönlich verachtet, sind irrelevant. Man wird eines Tages einen Modus Vivendi finden müssen. Es gelingt nicht einmal, das in der internationalen Diplomatie irrelevante und ökonomisch bedeutungslose Nordkorea auszuklammern, weil Kim Jong Un über mutmaßlich bis zu einem Dutzend Atomsprengköpfe verfügt. Russland verfügt über hochmoderne Atom-Uboote überall auf dem Planeten.
Die sehr wenigen bekannten Kritiker der deutschen Waffenexporte an die Ukraine heißen Harald Welzer, Richard-David Precht und im weiteren Sinne der 94-Jährige Klaus von Dohnanyi, der sich zwar nicht gegen Waffenlieferungen ausspricht, aber immerhin weiter denkt, für den Fall, daß die Ukraine doch nicht militärisch gewinnt, Putin sich deprimiert in ein Kloster zurückzieht und in Moskau eine pazifistische, liberale Regierung einzieht. Die vierte prominente Person ist Margot Käßmann, die aber im Gegensatz zu den drei Männern grenzenlos naiv daher plappert und schon gar keine Lösungsvorschläge aufzeigt.
Welzer und Precht werden gern lächerlich gemacht, wenn man ihnen unterstellt, sich gegen Redeverbote zu wehren. Das ist albern. Es gibt keine Redeverbote; alle vier Genannten treten in Talkshows auf, haben teilweise eigene Sendungen und Kolumnen, veröffentlichen Bücher, können sich in Zeitungen zu Wort melden.
[….] "Das wird enorm blutig werden (...), ohne dass wir dadurch etwas gewonnen haben." Philosoph und Schriftsteller Richard David Precht erklärt bei Markus Lanz, warum seiner Meinung nach Waffenlieferungen an die Ukraine nicht helfen, sondern die Situation für alle nur verschlimmern würden. [….]
Es fällt mir schwer, mich auf Precht zu beziehen, weil mir der Mann zutiefst unsympathisch ist, aber in diesem Fall scheint er doch Recht zu haben.
Ihm wird natürlich nicht verboten, sich so zu äußern, aber die sprungbereite Feindschaft gegenüber solchen Positionen, ist zumindest in den sozialen Medien frappierend.
Es ist auch bei Liberalen und Grünen nahezu einhellige Meinung, Welzer und Precht zu verachten, weil man sie so interpretiert, dass sie Putins Spiel mitmachen. Argumentativ wird gar nicht erst auf sie eingegangen.
Die überwältigende Zahl der Journalisten echauffiert sich daher auch über schleppende Waffenlieferungen aus Berlin. Scholz und Lambrecht werden unisono niedergemacht, weil man es einfach als alternativlos voraussetzt, Kiew schnell viele deutsche Waffen zu liefern. Aber das bedeutet eben AUCH, jede Woche Blutbäder und hunderte Tote zu akzeptieren.
Ich vermisse in der veröffentlichten Meinung, die Diskussion darüber, welche Alternativen es zu Waffenlieferungen gäbe und wie es eigentlich mittelfristig weitergehen soll. Oder werden die Kampfhandlungen für immer anhalten?
Wer die Lieferung schwerer Waffen kritisch sieht, oder auch nur Bauschmerzen dabei hat, ohne sich dem zu verweigern, hat tatsächlich keine Lobby – außer den eingangs Genannten von ganz Links und ganz Rechts.
Kurioserweise listet der SPIEGEL, selbst einer der härtesten Scholz-Kritiker, diesen eigentlich unhaltbaren Zustand in einem hämischen Artikel über Martin Sonneborn auf, weil Satiriker offensichtlich die einzige laute pazifistische Stimme wären.
[….] Den Unterzeichnern offener Briefe, die etwas anderes fordern als unverzügliche Lieferungen schwerer Waffen, schlägt auf breitester Front offene Feindseligkeit entgegen. Die allgemeine Unerbittlichkeit hat im aktuellen »Merkur« der Philosoph Gunnar Hindrichs analysiert. Es herrsche im zivilgesellschaftlichen Diskurs ein Bekenntnisdrang, der »nur das Pro und Contra der Kriegsparteien« dulde, »nichts Drittes«. In dieser aufgeladenen Atmosphäre würden jene der »Zeugnisverweigerung« angeklagt, »die sich zu keiner Kriegspartei bekennen«. Nach dieser Logik werde selbst »die Ablehnung des Krieges als ein Bekenntnis im Krieg« gewertet: »Weil man sich mit seiner Neutralität oder seiner Ablehnung des Krieges weigert, Position im Krieg zu beziehen, lässt man die gerechte Seite im Stich.« Was Hindrichs Bekenntnisdrang nennt, ist kein theoretisches Konstrukt. Jede Leserin und jeder Leser wird ihn schon an sich selbst verspürt, ihm nachgegeben und sich entsprechend bekannt haben. Ratlosigkeit ist keine Option, Ratschläge an die Angegriffenen sind eine Unverschämtheit, und jedes Räsonieren über eine Zeit danach bereits Defätismus. Das ist die Lage. Und daher auch das Unverständnis und die Verachtung, die all jene trifft, die auf dem pazifistischen Feldherrenhügel verharren. [….]
(DER SPIEGEL Nr.28, 09.07.2022. s. 112)
Das ist nicht gut. Niemand muss alle Lösungen parat haben. Aber wenn schon Zweifel und Ratlosigkeit mit Shitstorm beantwortet werden, ist etwas völlig aus dem Gleichgewicht geraten.
Ich bin sehr froh, daß Macron und Scholz noch mit Putin telefonieren und beneide beide nicht um diese Gespräche.
Ich bin auch froh, daß es mit Gerd Schröder noch einen Politiker gibt, der auch von Putin gehört wird.
99% der Deutschen mögen mir da widersprechen, aber ich halte es für denkbar, daß eine Eskalation der Situation eintritt, in der dieser Draht in dem Kreml noch sehr wichtig werden kann.