Die grüne Bundesgeschäftsführerin-Vertreterin-parlamentarische Geschäftsführerin Britta Haßelmann erklärte heute in der traditionellen Berliner Runde in schönstem Populisten-Sprech: Ganz viele Menschen in diesem Land hätten kein Interesse an dieser Art der ritualisierten Auseinandersetzung.
„..und die Menschen interessiert doch als allererstes mal, was haben denn die Parteien angeboten, inhaltlich, gab’s den Wunsch, konzeptionell und inhaltlich Themen und Vorstellungen für das jeweilige Land anzubieten..“
Was für ein sagenhafter Blödsinn!
Kein Mensch liest sich Wahlprogramme und Konzeptionen durch!
Sie wählen den, den sie kennen. Am liebsten den, den sie sympathisch finden und
manchmal wählen sie auch gegen eine Partei, wenn sie sich akut über etwas
ärgern.
Deswegen verlor die CDU heute in Baden Württemberg 3,4 Prozentpunkte und sogar 5,3 Prozentpunkte in Rheinland-Pfalz, landete jeweils bei ihrem historisch schlechtesten Ergebnis.
Schuld waren der fehlende Amtsbonus, die blassen Spitzenkandidaten und natürlich die Maskenaffäre.
Dabei hatte die Union noch sehr große Glück im Unglück, da mindestens die Hälfte der Stimmen per Briefwahl abgegeben wurde und daher schon entschieden worden war, bevor die Maskendeals die Nachrichten bestimmten.
Es zeigt sich wie schon so oft, daß die Wähler auf Amtsinhaber setzen und eben nicht Parteien und Programme analysieren.
Zwei Wochen nach dem Bundestagswahldesaster für die SPD holte SPD-Ministerpräsident Weil am 15.10.2017 fast doppelt so viel wie Schulz; 36,9%.
Einmal bestätigten die Wähler CDU-Amtsinhaberin Merkel, einmal SPD-Amtsinhaber Weil.
Die drei Ost-Bundesländerwahlen, die nahezu gleichzeitig im Herbst 2019 stattfanden zeigten mit drei unterschiedlichen Siegerparteien ebenfalls: In einer wirren Zeit wählen die Bürger schlicht und ergreifend den Amtsinhaber.
01.09.2019 CDU-MP Kretschmer in Sachsen: 32,1%
01.09.2019 SPD-MP Widke in Brandenburg 26,2%
27.10.2019 Linke-MP Ramelow in Thüringen 31,0%
Auch in Hamburg holte sich der SPD-Amtsinhaber Tschentscher am 23.02.2020 mit 39,2% ein Ergebnis weit über dem Bundesniveau seiner Partei.
Im aktuellen SPIEGEL gibt es ein extrem bösartiges Olaf-Scholz-Portrait, „Verschlumpft […..] Besuch bei einem Kanzlerkandidaten, der sich großartig findet“, in dem wirklich alle journalistischen Standards vergessen werden. Die Autoren Dirk Kurbjuweit und Christian Teevs nutzen alle sprachlichen Mittel, um das Selbstbewußtsein des Vizekanzlers ins Lächerliche zu ziehen.
[…..] Von Selbstzweifeln redet er ohnehin fast nie, aber heute ist er in einer Hochstimmung, als wäre dies nicht der 10. März, sondern der 27. September, der Tag nach der Bundestagswahl, die der gewonnen hat, der das als Einziger verdient.
Er glüht, er sprüht, er sprudelt. Er singt den großen Song der Einzigartigkeit, gespickt mit Adjektiven wie diesen: loyal, seriös, abgebrüht, machtvoll, ritterlich. Nicht einfach Politik machen, sondern eine neue Welt schaffen! Und wenn einer die enormen Probleme des Klimawandels in den Griff bekommen kann, dann, tja, wer wohl?
Eine mögliche Antwort auf diese Frage: der Mann, der sich gern mit einem Schlumpf vergleichen lässt.
Beim letzten Gipfeltreffen zur Pandemiepolitik hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder den Finanzminister bei einem Streit ermahnt, nicht so »schlumpfig« zu grinsen. Manch einer wäre beleidigt, hätte man ihm Ähnlichkeit mit jenen ulkigen Wesen unterstellt, die sich durch weiße Zipfelmütze und blaue Haut auszeichnen, nicht aber Scholz. Der freut sich.
Freut sich wirklich, freut sich riesig. Es klingt billig, es klingt wie bestellt, doch es ist die Wahrheit: Scholz grinst und grinst und grinst, während er über die Schlümpfe spricht. Es packt einen schon die Sorge, dass er gleich blau anläuft. [….]
(SPIEGEL; 13.03.2021)
Tatsächlich zeigte Scholz in Hamburg zweimal durch sensationelle Wahlergebnisse wie man Wahlen gewinnt.
Bei der Wahl zur 20. Hamburgischen Bürgerschaft am 20.02.2011 holte Olaf Scholz für die SPD 48,4% und damit die absolute Mehrheit, 62 von 121 Sitzen.
Bei der Wahl zur Bürgerschaft 2015 wiederholte er mit 45,7% fast den Erfolg.
Die starken Ergebnisse der Ministerpräsidenten Dreyer und Kretschmann heute zeigen einmal mehr wie enorm wichtig ein bekannter und beliebter Amtsinhaber ist.
Im Herbst tritt aber keine bei Liberalen extrem beliebte Amtsinhaberin Merkel an.
Dann wird der erfolgreiche Bundesfinanzminister und Vizekanzler der vertraute Quasi-Amtsinhaber sein, der gegen einen Außenseiter antritt.
Die Wähler werden sich im September nicht in großer Zahl Zeit nehmen, um 70 Seiten Parteiprogramme zu studieren, Schattenkabinette zu analysieren und Steuerkonzeptionen nachzurechnen.
Dafür ist unsere Demokratie viel zu sehr von Apathie, Bequemlichkeit und Desinteresse geprägt.
Viele werden wie immer nach vagem Bauchgefühl entscheiden.
Zudem zeigt sich heute ein Trend, der endlich nicht mehr nach Rechtsdrift aussieht.
In Baden Württemberg verloren die CDU 3,4 und die AfD 5,4 Prozentpunkte.
In Rheinland-Pfalz verloren die CDU 5 und die AfD 4,2 Prozentpunkte nach gegenwärtigem Auszählungsstand.
Es ist extrem wichtig eine Machtperspektive aufzeichnen zu können; niemand wählt gern eine Partei, die ohnehin nicht regieren wird.
Mit der Abnahme der demoskopischen CDU-Dominanz und der Zunehmenden Bereitschaft der FDP sich auf eine Ampel einzulassen, eröffnen sich tatsächlich, genau wie Scholz sagt, endlich Machtperspektiven links von der CDU.
Für Laschet und Söder sind das keine gute Nachrichten, zumal sich auch innerhalb der sehr CDUCSU-freundlichen Hauptstadtpresse immer mehr herumspricht, daß die C-Minister die großen Schwachstellen im Merkel-Kabinett sind.
[…..] Es sind vor allem Unionsminister, die derzeit als Underperformer auffallen.
Da ist Gesundheitsminister Spahn, das Gesicht dieser Krise. Er hat mittlerweile nicht nur eine beachtliche Liste an Versäumnissen vorzuweisen, sondern bringt sich und die Regierung immer wieder mit vorschnellen Zusagen in die Bredouille. […..] Und der Rest von Merkels Mannschaft steht kaum besser da.
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) führte in der Mautaffäre den Bundestag hinters Licht und torpedierte die Arbeit des Untersuchungsausschusses.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verhob sich an der Aufgabe, die Coronahilfen für Betriebe auszuzahlen.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) bekommt weder den pannenanfälligen Rüstungssektor noch die rechtsextremen Umtriebe beim Kommando Spezialkräfte in den Griff.
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sieht hilflos dabei zu, wie die Pandemie die Digitalisierungsdefizite des Schulwesens aufdeckt.
Und Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) wirkt in diesen Tagen nicht wie der oberste Coronakoordinator der Bundesregierung, sondern wie ein Dirigent, der keine Ahnung hat, wo sich sein Orchester befindet. […..]
(SPIEGEL, 13.03.2020)
Dabei haben die Autoren freundlicherweise noch den größten Totalausfall Horst Seehofer vergessen.
Die veröffentlichte Meinung ist vor Wahlen mindestens so wichtig wie die öffentliche Meinung.
Erstere ändert sich gerade deutlich.
[…..] Bei der CDU brennt derzeit die Hütte, die sonst so souveräne Dauer-Regierungspartei ist sechs Monate vor der Bundestagswahl in Aufruhr. Ihre Probleme gehen weit über zwei verlorene Landtagswahlen hinaus. Bei der CDU gerät gerade etwas ins Rutschen, ihr Fundament wankt und bekommt Risse. Sie steckt in mehreren Krisen zugleich, die allesamt das Potenzial haben, im Herbst das Kanzleramt zu verlieren. [….]
[…..] Tatsächlich steht Laschets Partei vor unübersehbaren Problemen. Die unionsgeführte Bundesregierung versagt beim Impfen. Die eigenen Leute entpuppen sich als gierige Maskenhändler. Zwei Herren rangeln um die Kanzlerkandidatur. Und jetzt gehen die Wahlen in Mainz und Stuttgart auch noch dermaßen schief, dass man sich fragt, wo diese Rutschbahn nach unten eigentlich enden soll. Sechs Monate vor der Bundestagswahl wirkt die Union so desorientiert, ja so blank, dass selbst SPD und FDP wieder ein bisschen an sich glauben. Und das will wirklich etwas heißen. […..]